Sozialgericht Oldenburg
Urt. v. 08.10.2003, Az.: S 6 KR 11/03
Bibliographie
- Gericht
- SG Oldenburg
- Datum
- 08.10.2003
- Aktenzeichen
- S 6 KR 11/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40212
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGOLDBG:2003:1008.S6KR11.03.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Oldenburg - 6. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 8. Oktober 2003 durch
den Richter am Sozialgericht Lipsius,
sowie die ehrenamtlichen Richter Sabine Bartelt und Franz Speer
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 02.09.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2002 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin gemäß der Verordnung des ZKH Bremen Nord vom 20.11.2002 orthopädische Schuhe zu leisten.
Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin streitet um orthopädisches Schuhwerk.
Die 1954 geborene Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Unter dem 19.6.2002 verordnete ihr der Allgemeinmediziner G.... in D.... orthopädisches Schuhwerk unter der Diagnose einer Pseudarthrose MFK V links bei Diabetes mellitus. Das D.... Orthopädische Klinik, in B.... empfahl eine orthopädische Schuhzurichtung. Die Beklagte lehnte eine entsprechende Leistung gestützt auf das Gutachten des Dr. P.... vom MDKN H. vom 29.6.2002 ab. (Bescheid vom 2.9.2002).
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein.
Im November 2002 mußte sich die Klägerin im ZKH B.... wegen entgleisten Diabetes mellitus einer stationären Behandlung unterziehen. Bei diabetischer Polyneuropathie und (jetzt) Zustand nach Fraktur des MFK V links mit chronischem Schmerzsyndrom verordneten die Krankenhausärzte der Klägerin unter dem 20.11.2002 erneut orthopädisches Schuhwerk. Dieses ist offenbar dann auch schon vermessen worden, und die Firma M.... in B.... herstellte unter dem 3.12.2002 nun einen entsprechenden Kostenvoranschlag.
Davon war der Beklagten nichts bekannt, diese wies den Widerspruch der Klägerin gestützt auf die bisherige Sachlage zurück. (Widerspruchsbescheid vom 11.12.2002).
Dagegen erhob die Klägerin binnen Monatsfrist Klage. Die Klägerin stützt sich nun auf die Krankenhausverordnung.
Die Beklagte hat nach Kenntnis der Krankenhausbehandlung in Bremen-Nord die Stellungnahme des MDK B.... (Dr. K....) vom 24.6.2003 eingeholt. In dieser heißt es, entsprechend den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie sei im Falle der Klägerin keine Indikationsdiagnose für orthopädisches Schuhwerk gegeben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 02.09.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr auf der Grundlage der Verordnung des ZKH B.... vom 20.11.2002 orthopädische Schuhe zu leisten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakten der Beklagten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die frist- und formgemäß erhobene Klage ist zulässig. Sie ist begründet.
Der Anspruch nach § 33 SGB V setzt voraus (vgl.z.B. BSG vom 29.09.1997 - 8 RKn 27/96 -):
- 1.
Versicherungsschutz
- 2.
Bei dem oder der Versicherten besteht eine Krankheit oder Behinderung
- 3.
Der beanspruchte Leistungsgegenstand ist ein Hilfsmittel im Sinne der Vorschrift
- 4.
Es besteht kein-wirksamer Leistungsausschluß nach § 34 Abs. 4 SGB V
- 5.
Das Hilfsmittel zielt auf den Ausgleich eines Grundbedürfnisses des oder der Versicherten ab und ist auch geeignet, ihn zu bewirken, ohne daß gesundheitliche Bedenken bestehen, der Versicherte muß nach seinen individuellen Verhältnissen in der Lage sein, das Hilfsmittel zu nutzen, er muß nach seinen Neigungen auch gewillt sein, es zu nutzen, besteht die Notwendigkeit ärztlicher Überwachung oder der Mithilfe dritter Personen, muß diese gewährleistet sein.
- 6.
Es steht kein kostengünstigeres oder zumindest gleich geeignetes (nach dem Leistungskatalog anerkanntes) Heil- oder Hilfsmittel zur Verfügung, das Kostenargument zieht nicht, wenn die Katalogleistung effektiver ist, BSG vom 28.06.01 - B 3 KR 3/00 R -; der gleiche Ausgleichseffekt darf auch nicht schon mit allgemeinen Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens erreicht werden können.
- 7.
Kosten und Nutzen dürfen nicht außerhalb jeden Verhältnisses stehen (Wirtschaftlichkeitskriterium).
- 8.
Läßt sich eine behindertengerechte Zusatzausrüstung nicht als Hilfsmittel gegenständlich abgrenzen, verbleiben dem Versicherten die Kosten für den allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens derselben Gattung als Eigenanteil (z.B. Therapietandem abzüglich der Kosten für ein Tandem oder jedenfalls der Kosten für ein Fahrrad).
- 9.
Im übrigen steht dem Versicherten ein Wahlrecht zu.
Die genannten Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beklagte kann sich auch nicht mehr darauf berufen, daß es richtig gesehen nur um (besonders zugerichtete) Straßenschuhe gehe, die von vom herein als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens von Hilfsmitteln abzugrenzen sind. Mit der nachgeschobenen aber schon vor Erlaß des Widerspruchsbescheides ausgestellten Verordnung des ZKH B.... ist klargestellt, daß es sich, wie beantragt, um ein echtes orthopädisches Hilfsmittel handelt, um das gestritten werden sollte.
Der Befundbericht des D...., auf den sich Dr. K.... stützt, ist überholt (gewesen).
Die Beklagte beruft sich nun darauf, daß nach den von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Traumatologie aufgestellten Grundsätzen keine Indikation für orthopädische Schuhe gegeben sei. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze rechtlich verbindlich sind. Immerhin werden Mittelfußschmerzen als Indikationsdiagnose angeführt. Bei dem fortgeschrittenen und fortschreitenden Diabetes mellitus der Klägerin, der bereits zu Fußbruchfolgen geführt hat, sieht das Gericht auch aus seiner Kenntnis entsprechender Erkrankungen heraus in einer Versorgung mit orthopädischen Schuhen die allein ausreichende und zweckmäßige Versorgung der Klägerin im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V. Sie erscheint auch als wirtschaftlich und das Maß des Notwendigen nicht überschreitend, weil durch sie weitere Fußbrüche und damit die Beklagte belastende Krankenhausbehandlungen verhindert werden können, ebenfalls § 12 Abs. 1 SGB V. Anders ist die Verordnung der mit dem Beschwerdebild der Klägerin nun bereits befaßten Krankenhausärzte auch nicht zu verstehen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage sah sich das Gericht nicht gedrängt, sich ein weiteres Gutachten nach körperlicher Untersuchung der Klägerin erstatten zu lassen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Zu berücksichtigen war, daß der Beklagten der streitentscheidende Sachverhalt erst im Klagverfahren zur Kenntnis gebracht worden ist.