Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2022, Az.: 9 Sa 407/21
Berücksichtigung des unterhaltsberechtigten Ehepartners bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen; Schadensersatz wegen entgangener Privatnutzung des Firmenwagens
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2022
- Aktenzeichen
- 9 Sa 407/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 29864
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2022:0208.9Sa407.21.00
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 31.05.2023 - AZ: 5 AZR 273/22
Rechtsgrundlagen
- § 1360 BGB
- § 107 Abs. 2 Nr. 5 GewO
- § 350c Abs. 1 ZPO
- § 350e Nr. 3 ZPO
- § 249 BGB
- § 280 Abs. 1 S. 1 BGB
- § 283 BGB
- § 611 BGB
- § 615 BGB
- § 850c Abs. 1 ZPO
- § 850c Abs. 4 ZPO
- § 850e Nr. 3 ZPO
Fundstelle
- FA 2022, 270
Amtlicher Leitsatz
Bei der Berechnung der Pfändungsfreigrenzen ist als unterhaltsberechtigt auch der Ehepartner mit eigenem Einkommen zu berücksichtigen. Das gilt auch dann, wenn dieser ein gleich hohes oder höheres Einkommen erzielt. Eine abweichende Entscheidung hierzu kann nur vom Vollstreckungsgericht getroffen werden (§ 850 c Abs. 4 ZPO). Eine Festsetzung nach Billigkeitsgesichtspunkten durch das Prozessgericht kann im Arbeitsverhältnis auch dann nicht getroffen werden, wenn ein Vollstreckungsverfahren nicht vorliegt.
Redaktioneller Leitsatz
Ein Arbeitnehmer hat Anspruch auf Schadensersatz wegen entgangener Privatnutzung des Dienstwagens, wenn der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht, dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens zu Privatzwecken zu ermöglichen, nicht nachkommt. Die Leistung (Überlassung des Pkw) wird wegen Zeitablaufs unmöglich, sie kann nicht nachgeholt werden.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück 5 Ca 197/20 vom 22.04.2021 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 29.639,14 € netto zzgl. 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz auf 15.210,30 € seit 10.12.2020 und auf 14.428,84 € seit 26.01.2022 zu zahlen. Im Übrigen werden die Berufungen des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagte zu 65 % und der Kläger zu 35 % zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Nutzungsausfall für einen zur privaten Nutzung überlassenen PKW und Nachzahlung von Nettovergütung seit Januar 2017.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 04.06.2013 in der Marketing-Abteilung beschäftigt. Am 01.03.2014 schlossen die Parteien einen Vertrag über die private Nutzung eines PKWs durch den Kläger. Das Bruttoentgelt des Klägers betrug zuletzt 5.477,60 Euro und setzte sich aus dem Jahresgehalt anteilig in Höhe von 4.285,00 Euro, dem Pkw-Wert geldwerter Vorteil in Höhe von 445,00 Euro und dem Pkw-KM geldwerter Vorteil in Höhe von 747,60 Euro zusammen. Der Kläger ist verheiratet und hat zwei Kinder. Die Ehefrau des Klägers ist berufstätig und bezieht ein eigenes Einkommen.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28.02.2020 zum 30.04.2020. Mit der Übergabe der Kündigung erhielt der Kläger ein vorbereitetes "Übergabeprotokoll bei Austritt" mit der handschriftlichen Ergänzung der Rückgabe des Dienstfahrzeugs und der Tankkarte am Ende des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2020 (vgl. Bl. 15 d.A.). Am 30.04.2020 gab der Kläger sein Fahrzeug und die Tankkarte zurück. Nachdem die Beklagte in dem vom Kläger eingeleiteten Kündigungsschutzverfahren erklärte, dass sie aus der Kündigung keine Rechte mehr herleite, rechnete sie die Monate April bis September 2020 auf der Basis eines Jahresgehaltes anteilig in Höhe von 4.285,00 Euro brutto ab und zahlte den sich hieraus ergebenden Betrag unter Berücksichtigung des vom Kläger erhaltenen Arbeitslosengeldes und Abführung der Beiträge zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 6.319,95 Euro an den Kläger aus.
Mit seiner am 06.10.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger Vergütung für die Monate April bis September 2020 auf der Basis einer monatlichen Vergütung in Höhe von 5.477,60 Euro brutto verlangt. Hilfsweise hat er Zahlung eines Schadensersatzes in Höhe von 4.070,00 Euro brutto wegen des Entzugs des Pkw auf der Grundlage der ADAC-Tabelle in Höhe von monatlich 814,-- € verlangt.
Außerdem hat der Kläger die Nettodifferenz für die Zeit von Januar 2017 bis April 2020 zunächst in Höhe von 15.210,30 € verlangt, die sich aus der Nichtberücksichtigung von § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO ergebe.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, für die Zeit von April bis September 2020 habe er Anspruch auf Zahlung des Bruttolohns in Höhe von 5.477,60 Euro, auch wenn ihm in dieser Zeit der Pkw nicht zur Verfügung stand. Hilfsweise stehe ihm zumindest ein Schadensersatz wegen des vertragswidrigen Entzugs des Pkws zu. Wegen der fast ausschließlichen privaten Nutzung könne bei der Vorteilsermittlung die Tabelle des A. Autokosten Herbst/Winter 2019/2020 herangezogen werden, aus der sich für einen VW Passat Variant 2.0 DTI SCR Business DSG ein monatlicher Betrag in Höhe von 814,00 Euro ergebe. Des Weiteren habe die Beklagte bei der Auszahlung des Lohnes § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO, § 850 c Abs. 1, § 850 e Nr. 3 ZPO nicht beachtet. Der Kläger habe mit seiner Frau und 2 minderjährigen Kindern 3 Unterhaltsberechtigte. Dass seine Ehefrau ein eigenes Einkommen habe, sei unbeachtlich. Der Kläger hat des Weiteren der Auffassung vertreten, die in § 12 des Arbeitsvertrages enthaltene Ausschlussfrist sei unwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
1. Lohn für Mai 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.125,56 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit zuzüglich 250,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.06.2020 zu zahlen,
2. Lohn für Juni 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.056,99 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit zuzüglich 250,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.07.2020 zu zahlen,
3. Lohn für Juli 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.125,56 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit zuzüglich 250,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.08.2020 zu zahlen,
4. Lohn für August 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto zuzüglich 250,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.09.2020 zu zahlen,
5. Lohn für September 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto zuzüglich 250,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.10.2020 zu zahlen,
insgesamt abzüglich von der Beklagten gezahlten 6.319,95 Euro.
6. Hilfsweise zu 1.- 5.,
die Beklagte zu verurteilen, für den Zeitraum von Mai bis September 2020 Schadensersatz in Höhe von 4.070,00 Euro brutto zu zahlen.
7. Die Beklagte wird verurteilt, weitere 15.210,30 Euro Nettolohn nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 10.12.2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dem Kläger stünden für die Monate April bis September 2020 keine weiteren Ansprüche mehr zu. Insbesondere habe der Kläger keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen Vorenthaltung des Pkw, weil er das Fahrzeug aus eigenem Antrieb zurückgegeben habe. Hierzu habe es im Januar 2020 verschiedene Gespräche gegeben, in denen der Kläger zum Ausdruck gebracht habe, dass er ein gebrauchtes Fahrzeug unter Berücksichtigung des ihm zugewiesenen steuerlichen Vorteils nicht mehr wünsche. Dies habe er mit dem Verlangen verbunden, ein Neufahrzeug zur Verfügung gestellt zu bekommen, was die Beklagte abgelehnt habe. Im Ergebnis sei es so gewesen, dass der Kläger durch die Rückgabe des Fahrzeugs die Ausweisung des geldwerten Vorteils und damit ein Teil des Gehalts nicht mehr gewünscht habe. Er habe rechtlich betrachtet darauf verzichtet. Die Nettovergütung seit Januar 2017 sei zutreffend berechnet worden. Die Ehefrau des Klägers sei wegen deren eigenem Einkommen nicht zu berücksichtigen. Dass der Kläger - was unstreitig ist - nach Steuerklasse IV versteuert wird, deute darauf hin, dass die Ehefrau des Klägers einer Beschäftigung nachgehe und ein nahezu gleichhohes Einkommen erziele, wie der Kläger. Daher schulde der Kläger seiner Ehefrau keinen Bar - oder Naturalunterhalt. Etwaige Ansprüche seien auch verwirkt.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 22.04.2021 verurteilt, an den Kläger 2.225,00 € brutto Schadensersatz für den Nutzungsausfall des PKWs zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde den Prozessbevollmächtigten der Parteien jeweils am 27.04.2021 zugestellt. Hiergegen hat die Beklagte mit am 04.05.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ging am 03.06.2021 ein. Der Kläger hat mit am 25.05.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ging am 26.07.2021 ein. Die Berufungsbegründungsfrist war auf seinen Antrag vom 21.06.2021 bis 27.07.2021 verlängert worden.
Die Beklagte wendet sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz wegen des Entzugs des dem Kläger zur Verfügung gestellten PKW. Sie verweist auf ihr Vorbringen, wonach der Kläger den PKW unabhängig von der Kündigung zurückgegeben habe. Der Kläger habe bereits im Januar 2020 mitgeteilt, dass er keinen PKW mehr wolle, weil der geldwerte Vorteil zu hoch sei. Er habe einen Neuwagen verlangt. Dementsprechend habe er das Übergabeprotokoll auch nicht mit Ablauf der Kündigungsfrist unterzeichnet, sondern mit Datum vom 28.06.2020. Für das Übergabeprotokoll wird auf Bl. 265 d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte, Berufungsklägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 22.04.2021 abzuändern, soweit die Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger 2.225,00 € brutto zu zuzahlen.
Der Kläger, Berufungskläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist unter anderem auf die E-Mail vom 13.11.2019 von Frau H., nach deren Inhalt der Kläger ein Neufahrzeug des Herstellers Skoda bekommen sollte. Die Beklagte habe ihren Fuhrpark auf Leasingfahrzeuge umstellen wollen. Ein Gespräch mit der Geschäftsführung über die Rückgabe des PKWs habe es nicht gegeben. Die Rückgabe des PKWs sei mit Ablauf der Kündigungsfrist durch ihn wegen der erfolgten Kündigung erfolgt. Keinesfalls habe er auf die Nutzung eines PKWs verzichtet.
Der Kläger wendet sich mit seiner Berufung gegen das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungsbegründung und verlangt weiterhin den um die Gebrauchsüberlassung erhöhten Bruttobetrag als Annahmeverzugsvergütung, weil er den PKW ausschließlich zur privaten Nutzung zur Verfügung gehabt habe. Alles andere würde dazu führen, dass die Sozialversicherungsbeiträge aufgrund eines geringeren Gehalts abgerechnet würden. Hilfsweise bleibt er dabei, dass ihm ein Schadensersatz i. H. v. 814,00 € brutto zustehe. Zudem hatten die Parteien vereinbart, dass die Beklagte sämtliche Kraftstoffkosten, Reparaturkosten, Kfz-Steuern, Kfz-Versicherungsprämien und alle Kosten trage, die mit der Nutzung des Fahrzeugs im Zusammenhang stehen. Daher stehe ihm der erhöhte Schadensersatz zu. Zur geltend gemachten Nettodifferenz seit Januar 2017 wiederholt und vertieft er sein erstinstanzliches Vorbringen. Er verweist auf die Berechnung nach § 850 c, 850 e Nr. 3 ZPO und bleibt bei seiner Auffassung, dass alle Familienmitglieder als unterhaltsberechtigte Personen zu berücksichtigen seien. Der Gesetzgeber habe die Entscheidung getroffen, dass die Nichtberücksichtigung von Familienangehörigen lediglich über § 850 c Abs. 4 (jetzt Abs. 6) ZPO erfolgen könne. Die Entscheidung nach § 850 c Abs. 4 ZPO sei dem Vollstreckungsgericht vorbehalten, nicht dem Arbeitsgericht. Auf die Höhe des Einkommens seiner Ehefrau komme es daher nicht an.
Er beantragt zunächst,
das Urteil des Arbeitsgericht Osnabrück vom 22.04.2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilten,
1. Lohn für Mai 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.125,56 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.06.2020 zu zahlen.
2. Lohn für Juni 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.056,99 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.07.2020 zu zahlen.
3. Lohn für Juli 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto abzüglich 2.125,56 € Leistungsbetrag der Bundesagentur für Arbeit nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.08.2020 zu zahlen.
4. Lohn für August 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.09.2020.
5. Lohn für September 2020 in Höhe von 5.477,60 € brutto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 11.10.2020,
abzüglich am 12.10.2020 gezahlter 6.319,95 € netto,
zu den Anträgen 1. bis 5. hilfsweise,
weitere 1.845,00 € brutto Schadensersatz zu zahlen,
1. weitere 15.210,30 € netto nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 10.12.2020 zu zahlen.
Der Kläger hat mit der Klageerweiterung vom 24.01.2022 seine geltend gemachten Ansprüche seit Januar 2017 neu berechnet und die Ansprüche teilweise erhöht.
Mit Klagerweiterung vom 24.01.2022 beantragt er,
die Beklagte zur Zahlung weiterer 14.616,44 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu verurteilen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass der Kläger offenlege müsse, in welche Höhe seine Ehefrau ein eigenes Einkommen beziehe. Dementsprechend sei durch das Arbeitsgericht als Prozessgericht zu bestimmen, ob sie als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen ist oder nicht. Die Beklagte weist auch darauf hin, dass sie außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens nicht die Möglichkeit habe einen Antrag nach § 850 c Abs. 4 ZPO zu stellen. Hinsichtlich des erhöhten Schadensersatzes für den Entzug des PKW verweist sie auf den von ihr behaupteten Verzicht.
Für das gesamte Vorbringen der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen und Erklärungen zu Protokoll verwiesen (§ 313 Abs. 2 ZPO).
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft (§§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG). Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, weil sie sich hinreichend mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandersetzt. Die Berufung wendet sich zwar nicht grundsätzlich dagegen, dass im Falle des Entzuges eines zur Verfügung gestellten PKWs eine Nutzungsausfallentschädigung anfällt. Sie führt aber aus, dass der Kläger im Einzelfall nicht nutzungswillig gewesen sei und auf die Zurverfügungstellung eines PKWs zur privaten Nutzung verzichtet habe.
II.
Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf Nutzungsausfall in Höhe von 445,00 € brutto pro Monat für die Zeit von Mai bis September 2020.
1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat ein Arbeitnehmer nach § 280 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 283 S. 1, § 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf Schadensersatz, wenn der Arbeitgeber seiner Vertragspflicht, dem Arbeitnehmer die Nutzung des Dienstwagens zu Privatzwecken zu ermöglichen, nicht nachkommt. Die Leistung (Überlassung des PKW) wird wegen Zeitablaufs unmöglich, weil der PKW nachträglich nicht mehr zur Verfügung gestellt werden kann (BAG vom 21.03.2012 - 5 AZR 651/10, BAG vom 19.12.2006 - 9 AZR 294/06 und BAG vom 27.05.1999 - 8 AZR 415/98 Rn. 13 ff.). Die Berechnung ist auf der Grundlage der steuerlichen Bewertung der privaten Nutzungsmöglichkeit mit monatlich 1 % des Listenpreises des Kraftfahrzeugs im Zeitpunkt der Erstzulassung als zulässige Berechnungsweise anerkannt (BAG 27.05.1999 - 8 AZR 415/98 und BAG vom 19.12.2006 - 9 AZR 294/06). Auf die zutreffenden Ausführungen des arbeitsgerichtlichen Urteils wird insoweit verwiesen. Die Beklagte schuldet damit monatlich 445,00 € brutto Schadensersatz.
2.
Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger nach dem Sachvortrag der Beklagten die Zurverfügungstellung eines Neuwagens verlangt hat, weil ihm der geldwerte Vorteil zu teuer sei und er den PKW in Zukunft nicht mehr nutzen wolle. Es kann dahinstehen, ob die von der Beklagten behaupteten im Januar 2020 geführten Gespräche mit der Geschäftsführung stattgefunden haben. Sie sind unerheblich. Zwischen den Parteien besteht unverändert eine vertragliche Vereinbarung zur Überlassung eines Kraftfahrzeuges vom 01.03.2015. Diese ist nicht beendet worden. Die Rückgabe des PKWs stellt keine Verzichtserklärung dar, auch nicht im Zusammenhang mit den von der Beklagten behaupteten Forderungen zur Zurverfügungstellung eines Neuwagens. Damit bringt der Kläger gerade zum Ausdruck, dass er nicht auf eine PKW verzichten will. Lediglich die Beschaffenheit des zur Verfügung zu stellenden PKWs wird vom Kläger in Frage gestellt. Dass der Kläger damit eine Rechtsposition aufgegeben hat, ist nicht ersichtlich. Gegen die Annahme eines Verzichts spricht auch, dass ein finanzieller Ausgleich für einen solchen Verzicht nicht erfolgt ist. Unstreitig haben die Parteien die Zurverfügungstellung des PKWs im Zuge der Gespräche über eine Gehaltserhöhung vereinbart. Es bedürfte einer eindeutigen Regelung oder Erklärung dahingehend, dass die Rückgabe des PKWs ein Verzicht auch auf das vereinbarte Bruttoentgelt des geldwerten Vorteils i. H. v. 1 % des Neuwagenpreises darstellen soll. Insofern kommt der Übergabe des PKWs mit Ablauf der Kündigungsfrist durch den Kläger und der Übergabe des Übergabeprotokolls gemeinsam mit der Kündigungserklärung durch die Beklagte eine entscheidende Indizwirkung zu, wie das Arbeitsgericht zurecht festgestellt hat
B.
Die Berufung des Klägers ist ebenfalls zulässig und überwiegend begründet.
I.
Die Berufung des Klägers ist ebenfalls form- und fristgerecht eingelegt worden und statthaft. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, Das gilt auch für die Geltendmachung der Annahmeverzug für die Monate Mai bis September 2020 in Höhe des erhöhten Bruttoentgeltes. Der Kläger bleibt bei seiner Auffassung, dass ein Annahmeverzug gem. §§ 611, 615 BGB zu zahlen sei, weil das Fahrzeug für Privatfahren genutzt werden durfte und daher eine zusätzliche Gegenleistung für die geschuldete Arbeitsleistung sei. Andernfalls gingen die erhöhten Sozialversicherungsbeiträge verloren. Das mag für eine hinreichende Auseinandersetzung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil genügen, weil es eine andere Rechtsauffassung darstellt. Auch bezüglich der Abweisung des Hilfsantrags zu den Anträgen 1. - 5. und die Nettodifferenz setzt er sich hinreichend mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil auseinander.
II.
Die Berufung ist nur hinsichtlich der Geltendmachung der Nettodifferenz seit Januar 2017 begründet, im Übrigen unbegründet.
1.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung in Höhe von 5.477,60 € brutto monatlich abzüglich erhaltener Nettozahlungen, wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.
a.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt die Zahlung einer Annahmeverzugsvergütung nicht in Betracht, weil die geschuldete Leistung unmöglich geworden ist (vgl. BAG vom 16.11.1995 aaO., Rn. 23 - 26 m. w. N.). Die Beklagte schuldet monatlich nicht eine erhöhte Bruttovergütung, sondern die Zurverfügungstellung eines PKWs gem. der Nutzungsvereinbarung. Insofern besitzt die Überlassung eines PKWs zwar Vergütungscharakter, die geschuldete Leistung ist jedoch unmöglich geworden. Die geschuldete Überlassung des PKWs war an die Zeit gebunden und ist nicht nachholbar. Die erhöhte Bruttovergütung kann daher nicht verlangt werden.
b.
Die vom Kläger mit der Berufungsbegründung noch geltend gemachte Nettodifferenz in Höhe von 2.357,40 € liegt tatsächlich nicht vor. Die Beklagte hat erklärt, die in den Abrechnungen aufgeführten Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung und freiwillige Pflegeversicherung abgeführt zu haben. Diese Beträge entsprechen rechnerisch der Nettodifferenz für die fünf Monate, sodass insoweit kein offener Betrag vorliegt. Der Kläger hat der Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen.
2.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf weiteren Schadensersatz über den ausgeurteilten monatlichen Betrag in Höhe von 445,-- € hinaus, § 280 Abs. 1 S. 1, § 283 S. 1, § 249 Abs. 1 BGB (s. Zi. A, II der Entscheidungsgründe).
a.
Nach § 249 S. 1 BGB ist der Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist, hat der Ersatzpflichtige dem Gläubiger gem. § 251 Abs. 1 BGB in Geld zu entschädigen. Der Kläger ist so zu stellen, wie er stehen würden, wenn die Beklagte den Vertrag ordnungsgemäß erfüllt hätte (BAG 16.11.1995 aaO., Rn. 27).
b.
Der Kläger hat einen konkret eingetretenen Schaden nicht dargelegt, sondern verlangt Ersatz abstrakt nach der ADAC-Tabelle von Sanden/Dannen/Küppersbusch. Diese Tabelle orientiert sich nicht an dem Wert der Gebrauchsmöglichkeit des eigenen PKW, sondern am Wert der Gebrauchsmöglichkeit des Mietwagens, den sich zu nehmen ein Geschädigter beispielsweise im Rahmen eines Verkehrsunfallgeschehens unterlässt. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Nutzungsausfall des PKWs liegt letztendlich die Sacherwägung zugrunde, dass ein Geschädigter, der auf einen Mietwagen verzichtet, nicht schlechter gestellt werden soll, als derjenige, der sich einen solchen Wagen mietet. Dabei wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass ein Ersatzbedarf nur für einen relativ kurzen Zeitraum besteht (BAG 27.05.1999 aaO., Rn. 16).
Im Arbeitsverhältnis hingegen hat der private Anteil am Gebrauchswert eines Dienst-PKW keine feststehende Größe, sondern verändert sich in Abhängigkeit von der Zeit für die der Gebrauch gewährt werden soll. Der Gebrauchsvorteil eines so überlassenen Dienst-PKW ist damit spezifisch arbeitsvertraglich zu bestimmen und weicht von den im Verkehrsunfallrecht maßgeblichen Tabellen ab. Im Rahmen des richterlichen Ermessens ist der Wert der privaten Nutzung eines Kraftfahrzeugs für jeden Kalendermonat üblicherweise mit 1 % des inländischen Listenpreises zum Zeitpunkt der Erstzulassung zzgl. der Kosten für Sonderausstattungen einschließlich Umsatzsteuer anzusetzen (BAG 27.05.1999 aaO., Rn. 17, BAG - 9 AZR 294/06, Rn. 43, Küttner, Personalhandbuch "Dienstwagen", Rn. 12). Mit dem geldwerten Vorteil in Höhe der 1 %-Regelung sind auch alle für den PKW anfallenden Kosten einschließlich Tankkosten und Versicherung und Reparatur erfasst (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch § 68 Rn. 47 ff.). Das ist eine Folge der Pauschalierung des geldwerten Vorteils. Wollte der Kläger die konkreten Aufwendungen, die er nach Rückgabe des PKWs etwa für Neubeschaffung eines gleichwertigen PKWs und einzelne finanzielle Aufwendungen konkret geltend machen, müsste er diese Positionen im Einzelnen darlegen (vgl. BAG vom 16.11.1995 aaO., Rn. 29). Diese sind jedoch von seinem ebenfalls pauschalierten Antrag auf Zahlung von 814,00 € monatlich nicht erfasst. Er bringt damit lediglich zum Ausdruck, dass er eine höhere Pauschale verlangt.
c.
Die Fahrtkosten von der Arbeitsstätte zur Wohnung und zurück können ebenfalls nicht zur Erhöhung der Pauschale führen. Die Fahrtkosten werden gesondert als geldwerter Vorteil im Rahmen der sogenannten 0,03 %-Regelung ausgewiesen. Die Pauschale in Höhe von 445,00 € brutto monatlich erhöht sich auch nicht aus diesem Gesichtspunkt, weil die 0,03 %-Regelung nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG nur insoweit zur Anwendung kommt, wie der Arbeitnehmer den Dienstwagen auch tatsächlich für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt hat (vgl. BFH vom 22.09.2010 - VI R 57/09, LAG Rheinland-Palz 12.03.2015 - 5 Sa 565/14, Rn. 33). Nach § 249 Abs. 1 BGB ist der Kläger lediglich so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand, also der Entzug des PKWs nicht eingetreten wäre. Da der Kläger aber tatsächlich in der Zeit von Mai bis September 2020 die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück nicht getätigt hat, ist ihm insoweit auch kein Schaden entstanden.
3.
Der Kläger hat Anspruch auf die geltend gemachte Nettodifferenz für die Monate Januar 2017 bis April 2020 in Höhe von 29.639,14 € aus § 611 BGB i. V. m. § 134 BGB i. V. m. § 107 Abs. 2 S. 5 GewO i. V. m. § 850 c Abs. 1 ZPO. Der Anspruch ist nicht durch Anrechnung des Sachbezugswertes erloschen. Die Anrechnung verletzt § 107 Abs. 2 S. 5 GewO und ist daher nichtig soweit das Arbeitseinkommen des Klägers unpfändbar war. Erfüllungswirkung gem. § 362 Abs. 1 BGB ist daher nicht eingetreten.
1.
Die Anrechnung des sogenannten geldwerten Vorteils der Privatnutzung des PKWs in dem vorgenommenen Umfang verstößt gegen § 107 Abs. 2 S. 5 GewO.
a.
Nach § 107 Abs. 1 GewO ist das Arbeitsentgelt in Euro zu berechnen und auszuzahlen. Sachbezüge können als Teil des Arbeitsentgelts vereinbart werden, wenn dies im Interesse des Arbeitnehmers oder der Eigenart des Arbeitsverhältnisses entspricht. Das ist typischerweise bei der privaten Nutzung eines Dienst-PKWs der Fall. Die Erfüllung des Anspruchs auf private Nutzung des PKWs ist deshalb grundsätzlich Sachbezug i. S. v. § 107 Abs. 2 S. 1 und 5 GewO (BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 733/07, LAG Köln vom 25.06.2020 - 6 Sa 132/20, Rn. 72, Hess. LAG vom 15.10.2008 - 6 Sa 125/07).
Allerdings darf gem. § 107 Abs. 2 S. 5 GewO der Wert der vereinbarten Sachbezüge oder die Anrechnung der überlassenen Waren auf das Arbeitsentgelt die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Nach dem Zweck der Vorschrift sind die Pfändungsgrenzen des § 850 c Abs. 1 ZPO bei der Auszahlung des Nettoentgelts zu berücksichtigen. Dem Arbeitnehmer muss der unpfändbare Teil seines Arbeitsentgeltes verbleiben. Beschäftigte sollen nicht in eine Lage geraten, in der sie Gegenstände, die sie als Naturallohn erhalten haben erst verkaufen müssen, bevor ihnen Geld zu Verfügung steht (BT-Drucksache 14/8796 S. 25, BAG vom 24.03.2009 - 9 AZR 733/07, Rn. 16).
b.
Die Anrechnung der Beklagten verletzt § 850 c Abs. 1 i. V. m. § 850 e Nr. 3 ZPO, weil die Freibeträge, die sich aus den Pfändungsgrenzen ergeben, unterschritten werden. Das Entgelt des Klägers ist nach § 850 c Abs. 1 ZPO auch unter Berücksichtigung der Additionsvorschrift des § 850 e Nr. 3 ZPO unpfändbar. Danach ist zu der Geldleistung auch die Naturalleistung hinzuzurechnen, wenn der Schuldner neben seinem in Geld zahlbaren Einkommen auch Naturalleistung erhält. Das erfolgt vorliegend dadurch, dass zu dem Grundbruttoentgelt in Höhe von zunächst 3.850,00 € (so Januar 2017) der geldwerte Vorteil nach der 1 %-Regelung und 0,03 %-Regelung hinzugerechnet wird. Von dem sich daraus ergebenden Nettoeinkommen darf gem. § 107 Abs. 2 S. 5 GewO ein Nettoabzug für die Zurverfügungstellung des PKWs nur in der Höhe erfolgen, wie es die Pfändungsfreigrenzen zulassen (vgl. zur Berechnung BAG vom 24.03.2009 aaO., LAG Köln vom 25.06.2020 aaO., Hess. LAG vom 15.10. 2008 aaO.).
c.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch die Ehefrau des Klägers mit eigenem Einkommen zu berücksichtigen, ebenso beide Kinder, sodass bei dem Kläger insgesamt drei Unterhaltspflichten zu berücksichtigen sind.
aa.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sind auch unterhaltsberechtigte Personen mit eigenem Einkommen bei der Bemessung des Freibetrags nach § 850 c ZPO zu berücksichtigen. Entscheidend ist nur, ob der Schuldner unterhaltspflichtig ist und Unterhalt tatsächlich leistet, nicht dagegen, ob er den vollen pfändungsfreien Betrag aufwenden muss. Der mitverdienende Ehegatte ist daher grundsätzlich als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen, wenn der Schuldner zum Familienunterhalt beiträgt (§ 1360 S. 1 BGB). Damit wird die gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber dem Ehegatten erfüllt. Das "Gewähren" der Unterhaltsverpflichtung setzt nicht voraus, dass ein Geldbetrag gezahlt wird. § 1360 S. 1 BGB geht vielmehr davon aus, dass jeder Beitrag zum Familienunterhalt maßgeblich ist. Diese Verpflichtung trifft grundsätzlich jeden Ehegatten unabhängig von der Höhe seines eigenen Einkommens und unabhängig von der Höhe des Einkommens des Ehegattens (BAG vom 23.02.1983 - 4 AZR 508/81, Rn. 18, 19, LAG Hamm vom 03.05.2007 - 15 Sa 58/07, Rn. 31, Zöller, ZPO § 850 c, Rn. 6 m. w. N.). Eine abweichende Berücksichtigung der Unterhaltspflichten ist nur über § 850 c Abs. 4 (jetzt Abs. 6) ZPO möglich (BAG vom 23.02.1983 aaO., Rn. 20, BAG vom 11.12.2018 - 3 AZR 400/17, Rn. 46 ff., BGH vom 03.11.2011 - IX ZR 45/11, Rn. 10 ff.). Eine solche abweichende Entscheidung kann nur durch das Vollstreckungsgericht, nicht aber das Prozessgericht getroffen werden.
bb.
Soweit der Bundesgerichtshof hierfür eine Ausnahme vorgesehen hat, wenn mangels Vorliegens eines Vollstreckungsverfahrens eine Entscheidung über auf diese Bestimmung gestützte Anträge ausscheidet, liegt ein solcher Ausnahmefall nicht vor und kann im Arbeitsverhältnis auch nicht angewandt werden. Der BGH hat eine Festsetzung nach Billigkeitsgesichtspunkten durch das Prozessgericht zugelassen, in dem eine Forderungsabtretung in Frage stand (BGH vom 19.05.2009 - IX ZR 37/06, Rn. 16 u. 18). Auf das Arbeitsverhältnis kann eine solche Ausnahme nicht übertragen werden. So hat das Bundesarbeitsgericht auch für eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung (außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens) die Zusammenrechnung durch das Prozessgericht abgelehnt (BAG 11.12.2018 aaO., Rn. 47 ff., zu § 850 e Nr. 2 und Nr. 2 a ZPO). Der Gesetzgeber hat den Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen im Einzelnen geregelt: Insbesondere welche Einkünfte der Pfändung unterliegen und welche Beträge einem Pfändungsschuldner als Eigenbehalt bzw. zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten belassen werden müssen. §§ 850 b Abs. 2, 850 c Abs. 4, 850 f, 850 g ZPO regeln, unter welchen Voraussetzungen Unterhaltsverpflichtungen unberücksichtigt bleiben oder Freibeträge erhöht werden können. Hierzu bedarf es aber einer ausdrücklichen Anordnung durch das Vollstreckungsgericht. Ebenso wie das Aufrechnungsverbot nach § 394 S. 1 BGB den Arbeitnehmer davor schützt, dass er durch eine Aufrechnung die für seinen Lebensunterhalt erforderlichen Mittel verliert, schützt § 107 Abs. 2 S. 5 GewO den Arbeitnehmer davor, durch einen erhöhten Sachbezug nicht hinreichende Geldmittel ausgezahlt zu bekommen, die der Deckung des Lebensunterhalts dienen. Diese Vorschriften dienen auch dem Schutz Dritter, denen der Schuldner gegenüber unterhaltspflichtig ist oder ihm gegenüber unterhaltspflichtig werden können. Auch der Arbeitgeber ist letztendlich durch die Pfändungsvorschriften geschützt. Er muss Gewissheit haben, in welcher Höhe die Forderung durch Aufrechnung erlischt und welcher Teil des Arbeitseinkommens der Pfändung unterworfen werde. Nur so kann er rechtssicher abrechnen und ist nicht auf eine in der Zukunft liegende Billigkeitsentscheidung im Rahmen eines Prozesses angewiesen (vgl. BAG vom 11.12.2018, Rn. 47 ff.). Er müsste anderenfalls monatlich eine Abfrage der anderweitigen Einkommen der Familienmitglieder durchführen, um rechtssicher abzurechnen. Diese Situation ist nicht vergleichbar mit der eines Vollstreckungsverfahrens, in dem eine in der Vergangenheit liegende und rechtskräftig begründete Forderung eingetrieben wird.
cc.
Insofern kam es auch nicht darauf an, dass der Kläger die Höhe des Einkommens seiner Ehefrau nicht offenbart hat. Unabhängig von der Höhe ihres Einkommens ist die Ehefrau als unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen (vgl. BAG vom 23.02.1983, Rn. 20 u. 21).
2.
Die Berechnung des Klägers im Schriftsatz vom 24.01.2021 ist weitgehend zutreffend. Der Kläger hat Anspruch auf weitere Vergütungszahlung in Höhe von 29.639,14 € netto.
a.
Soweit der Schriftsatz vom 24.01.2022 eine Klageerweiterung enthält, war sie sachdienlich iSv § 533 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO, § 64 ArbGG, weil sie auf einem unveränderten Sachverhalt basiert. Lediglich die Berechnung erfolgte im Nachgang zu dem gerichtlichen Hinweis vom 06.01.2022 neu.
b.
Auszugehen war von dem jeweiligen monatlichen Nettoentgelt, das sich nach Hinzurechnung des geldwerten Vorteils zu dem Bruttoausgangsgehalt abzgl Steuern und Sozialversicherungsbeiträge ergibt, § 850 Nr. 1 S. 1 und Nr. 3 ZPO. Hiervon kann der gewährte geldwerte Vorteil soweit in Abzug gebracht werden, wie der gem. § 850 c Abs. 1 nicht pfändbare Teil des monatlichen Nettoeinkommens unberührt bleibt. Dabei sind die Abzüge für die freiwillige Krankenversicherung und Pflegeversicherung nicht zu berücksichtigen, da diese vom Arbeitgeber für den Kläger lediglich abgeführt werden. Auf die zutreffende Berechnung des Klägers im Schriftsatz vom 24.02.2022 wird Bezug genommen. Lediglich für die Monate Januar, Februar, April bis Juni 2019 hat der Kläger anstelle des zutreffenden pfändbaren Betrages in Höhe von 520,30 € lediglich 482,79 € eingesetzt; hierdurch hat er sich um insgesamt 187,55 € zu seinen Gunsten verrechnet.
3.
Der Zinsanspruch folgt aus § 291, § 288 BGB jeweils ab Rechtshängigkeit. Für die überschießende Differenz waren wie beantragt erst zu einem späteren Zeitpunkt Verzugszinsen zu gewähren.
4.
Die in § 12 des Arbeitsvertrages vereinbarte Ausschlussfrist steht dem Anspruch nicht entgegen. Sie ist unwirksam. Sie verstößt gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Vergütungsanspruch ist deswegen nicht verfallen.
Die zwischen den Parteien vereinbarte Ausschlussklausel unterliegt der Inhaltskontrolle gem. §§ 307 - 309 BGB. Sie stellt eine von Rechtsvorschriften abweichende Regelung gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB dar. Sie ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 1, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Nach der vereinbarten Regelung müssen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen eines Zeitraumes von sechs Monaten nach ihrer Entstehung, im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses binnen drei Monaten nach der Beendigung schriftlich geltend gemacht werden. Das ist mit dem im § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundgedanken unvereinbar, wonach für den Beginn der Verjährungsfrist die "Fälligkeit" der Ansprüche maßgebend ist. Eine Klausel, die für den Beginn der Ausschlussfrist nicht die Fälligkeit der Ansprüche berücksichtigt, sondern allein auf deren Entstehung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstellt, benachteiligt den Arbeitnehmer unangemessen. Es ist nicht klar, wann der Fristlauf beginnt, da die Zeitpunkte Entstehung, Fälligkeit und Beendigung des Arbeitsverhältnisses zeitlich auseinanderfallen können (vgl. BAG vom 01.03.2006 - 5 AZR 511/05, Rn. 14, BAG vom 19.02.2004 - 5 AZR 700/12, Rn. 23).
Gesichtspunkte, die für eine Verwirkung des Anspruchs sprechen können, sind nicht ersichtlich.
Die Einrede der Verjährung wurde nicht erhoben.
5.
Schriftsatznachlass zu der Beklagten am 26.1.2022 zugestellten Klageerweiterung war gem. § 283 ZPO, § 47 Abs. 1 ArbGG, nicht zu gewähren. Der Sachverhalt, der der Neuberechnung zugrunde lag, ist unverändert, Auf die Berechnungsweise wurde bereits am 06.01.2022 hingewiesen. Die Berechnung des Klägers ist rechnerisch zutreffend (mit Ausnahme der erwähnten Differenz).
C.
Die Kostenentscheidung erging anteilig des Unterliegens und Obsiegens der Parteien bei einem Gesamtstreitwert von 48.656,68 € (§ 92 Abs. 1 ZPO).
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.