Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.04.2022, Az.: 5 Sa 97/21

Betriebsnormen eines Tarifvertrags i.S.d. § 3 Abs. 2 TVG; Tarifliche Inhaltsnormen gem. § 4 Abs. 1 TVG; Negative tarifliche Inhaltsnormen; Tarifliche Höchstüberlassungsdauer bei Zeitarbeitnehmern als negative tarifliche Inhaltsnorm

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
21.04.2022
Aktenzeichen
5 Sa 97/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 22433
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2022:0421.5Sa97.21.00

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 05.04.2023 - AZ: 7 AZR 223/22

Fundstellen

  • EzA-SD 1/2023, 5
  • FA 2022, 239

Amtlicher Leitsatz

Eine tarifvertragliche Bestimmung, die abweichend vom Gesetz (§ 1 Abs. 1b AÜG) die Überlassungshöchstdauer regelt, ist eine Inhalts- und keine Betriebsnorm.

Redaktioneller Leitsatz

1. Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebliche Fragen betreffen Regelungsgegenstände, die nur einheitlich gelten können. Hierunter fallen Fragen, die unmittelbar die Organisation und die Gestaltung des Betriebs, also die Betriebsmittel und die Belegschaft, betreffen. Diese Betriebsnormen regeln normativ das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv.

2. Inhaltsnormen legen im Falle beiderseitiger Tarifgebundenheit die Inhalte des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer fest. Sie stellen in der Tarifpraxis den Schwerpunkt tariflicher Normen dar und regeln alle mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehenden Fragen.

3. Tarifverträge können auch negative Inhaltsnormen enthalten. Dabei schränken die Tarifvertragsparteien den Arbeitgebern bestimmte Vertragsinhalte hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen ein.

4. Regelt ein Tarifvertrag unter vollständiger Ausnutzung der Ermächtigung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG, wie lange ein Arbeitnehmer vom Verleiher überlassen werden darf, handelt es sich um eine negative Inhaltsnorm. Denn die tarifvertragliche Regelung soll dem Verleiher Grenzen bei der Ausübung seines Direktionsrechts setzen.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 14.12.2020, 2 Ca 124/20, abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 zum 31.05.2020 beendet worden ist.

Es wird weiter festgestellt, dass zwischen den Parteien in der Zeit vom 01.11.2018 bis zum 31.08.2019 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen als Produktionswerker weiter zu beschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitsvertraglichen Befristung, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über das vereinbarte Befristungsende hinaus, um Weiterbeschäftigung und hilfsweise um einen Anspruch des Klägers auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.

Der Kläger, dessen Gewerkschaftsmitgliedschaft zwischen den Parteien streitig ist, war zunächst seit dem 13.09.2016 Arbeitnehmer der Firma A.V. - der Personaldienstleister GmbH & Co. OHG (im Folgenden: A.V.). Dieses Arbeitsverhältnis war befristet und die Parteien vereinbarten mehrere Vertragsverlängerungen bis zum 31.08.2019.

Der schriftliche Arbeitsvertrag des Klägers zu der A.V. enthielt in § 8 folgende Bestimmung:

§ 8

Verweisung auf Tarifrecht/Betriebsvereinbarungen

Auf das Arbeitsverhältnis finden der Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A.V. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall und der Entgelttarifvertrag für Zeitarbeit zwischen einerseits der A.V. Zeitarbeit GmbH & Co. OHG und andererseits der IG Metall in ihrer jeweils gültigen Fassung und alle weiteren zukünftigen Tarifverträge in vollem Umfang Anwendung.

Auf das Arbeitsverhältnis sind bestehende Betriebsvereinbarungen anwendbar.

Im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses überließ die Firma A.V. den Kläger durchgängig der Beklagten im Wege der Arbeitnehmerüberlassung. Arbeitsort war durchgängig der Betrieb der Beklagten in A-Stadt-S..

Die Beklagte, die A.V. und die IG Metall schlossen unter dem 05.12.2013 einen Tarifvertrag über die Vergütung und Einsatzbedingungen von Zeitarbeitnehmern, welcher u. a. abweichend vom Gesetz die Einsatzmöglichkeit von Zeitarbeitnehmern für die Dauer von 36 Monaten vorsieht. Wegen der genauen Einzelheiten dieses Tarifvertrages (im Folgenden: TV VEZ) wird auf den vorgelegten Tarifvertrag, Bl. 70 ff. d. A., Bezug genommen.

Der Kläger schloss sodann mit der Beklagten einen befristeten Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 und war aufgrund dessen seit dem 01.09.2019 als Produktionshelfer in ihrem Betrieb in A-Stadt-S. tätig.

Dieser Vertrag sah als Befristungsende den 31.05.2020 vor. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die zwischen der Beklagten und der IG Metall Bezirksleitung Niedersachsen und Sachsen-Anhalt geschlossenen Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung Anwendung.

Mit Schreiben vom 12.05.2020 teilte die Beklagte dem Kläger die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Fristablaufes mit und bot ihm keine Anschlussbeschäftigung an.

Mit seiner am 19.06.2020 beim Arbeitsgericht A-Stadt erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Fristablaufes zur Wehr gesetzt, die Feststellung begehrt, dass zwischen den Parteien auch in der Zeit vom 01.11.2018 bis 31.08.2019 ein Arbeitsverhältnis bestanden habe sowie hilfsweise die vorläufige Weiterbeschäftigung und die Verurteilung der Beklagten, ein Angebot seinerseits auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses anzunehmen.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzliche Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, dort Bl. 2 bis 8 desselben, Bl. 202 bis 205 der Gerichtsakte, verwiesen.

Mit Urteil vom 14.12.2020 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils, Bl. 8 bis 17 desselben, Bl. 205 bis 210 der Gerichtsakte, verwiesen.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 05.01.2021 zugestellt worden. Mit einem am 05.02.2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 06.04.2021 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 05.03.2021 die Rechtsmittelbegründungsfrist bis zum 06.04.2021 verlängert hatte.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger in vollem Umfang das erstinstanzliche Klageziel. Er wiederholt und vertieft seine erstinstanzliche Rechtsauffassung. Insbesondere vertritt er die Auffassung, es habe bereits aufgrund der Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten zuvor seit dem 01.11.2018 ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten bestanden, mit der Folge, dass eine sachgrundlose Befristung rechtswidrig sei. Die tarifvertragliche Überlassungsdauer von 36 Monaten verstoße gegen verfassungsrechtliche bzw. unionsrechtliche Vorgaben. Die gesetzlich zulässige Höchstüberlassungsdauer sei überschritten worden. Im Übrigen sei die Vorgehensweise rechtsmissbräuchlich. Darüber hinaus meint der Kläger, der TV VEZ habe auf sein Arbeitsverhältnis mit der A.V. keine Anwendung gefunden. Denn er sei kein Gewerkschaftsmitglied im streitgegenständlichen Zeitraum gewesen, was er ausdrücklich bestreite.

Der Kläger beantragt,

I.

Das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 14.12.2020, AZ: 2 Ca 124/20, abzuändern und festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 zur vereinbarten Befristung zum 31.05.2020 beendet wurde.

II.

Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien in der Zeit vom 01.11.2018 bis zum 31.08.2019 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens:

III.

Die Beklagte wird verurteilt, das Angebot des Klägers auf Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrages zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionswerker ab dem 01.06.2020 anzunehmen.

Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu I.:

IV.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen als Produktionswerker weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger sei seinerzeit Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft gewesen. Natürlich habe sie keine genaue Kenntnis hiervon. Aufgrund des hohen Organisationsgrades bei der Beklagte und im Bereich der Beklagten müsse sie davon ausgehen, dass eine Mitgliedschaft in der tarifvertraglichen Gewerkschaft vorliege und sie dürfe das auch unter Beweis der schriftsätzlich benannten Gewerkschaftsfunktionäre stellen. Ein derartiger Beweisantritt sei kein unzulässiger Beweisantritt ins Blaue hinein.

Im Übrigen vertritt sie die Auffassung, der bereits zitierte TV VEZ finde in seinem für den Rechtsstreit relevanten Inhalt als sogenannte Betriebsnorm auch unabhängig von einer beidseitigen Verbandszugehörigkeit bzw. Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 06.04.2021, 14.07.2021, 29.03.2022 und 13.04.2022 sowie auf das Verhandlungsprotokoll vom 21.04.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung ist bezüglich der Anträge zu Ziffern I., II. und IV. zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und § 519, 520 ZPO). Auf die Zulässigkeit des Antrages zu Ziffer III. der Berufungsbegründung kommt es nicht mehr an, denn dieser echte Hilfsantrag fiel der Berufungskammer aufgrund des Erfolges des Hauptantrages nicht mehr zur Entscheidung an.

B.

Die Berufung hat in vollem Umfang Erfolg und führt zur Abänderung und Korrektur des erstinstanzlichen Urteils.

I.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 03.07.2019 mit Ablauf des 31.05.2020 beendet worden. Denn diese Befristung ist nicht gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 und 2 TzBfG, der einzigen Möglichkeit, diese Befristung zu rechtfertigen, rechtskonform. Insbesondere durfte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zu dem Kläger nicht sachgrundlos befristen, weil unmittelbar bereits zuvor zwischen den Parteien gemäß §§ 1 Abs. 1 b, 9 Abs. 1 Nr. 1 b, 10 Abs. 1 AÜG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis seit dem 01.11.2018 bestanden hat. Es liegt ein vorheriger Verstoß gegen die gesetzliche Höchstüberlassungsgrenze des § 1 Abs. 1b AÜG vor. Der Ausnahmetatbestand des § 1 Abs. 1 b Satz 3 AÜG ist nicht einschlägig, weil der TV VEZ auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zur A.V. keine Anwendung fand.

Im Einzelnen:

1.

Dieser Tarifvertrag ist nicht einzelvertraglich in § 8 des Arbeitsvertrages des Klägers zu A.V. ausreichend in Bezug genommen worden. Denn diese Bezugnahmeklausel bezieht sich lediglich auf den Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag, den Entgelttarifvertrag und alle weiteren zukünftigen Tarifverträge. Von dieser Verweisung ist der TV VEZ vom 05.12.2013 nicht erfasst, zumal Tarifvertragspartei auch die Beklagte ist, die in der Verweisungsklausel des § 8 nicht einmal ansatzweise er wähnt worden ist.

2.

Der TV VEZ fand auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu A.V. auch nicht Kraft beidseitiger Tarifbindung gemäß § 3 Abs. 1 TVG Anwendung. Denn der Kläger ist nicht Gewerkschaftsmitglied gewesen.

Die Darlegungs- und Beweislast für diese streitige Tatsache trägt die Beklagte, weil sie die Tatbestandsvoraussetzungen einer für sie günstigen Rechtsnorm (§ 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG) beweisen muss. Einen zulässigen Beweisantritt ihrerseits gibt es nicht. Der schriftsätzliche Beweisantritt, der darauf abzielt, den ersten Vorsitzenden der IG Metall und den Bezirksleiter als Zeugen vernehmen zu lassen und den die Beklagte im Termin zur Kammerverhandlung dahingehend präzisiert hat, dass der Kläger bereits während der Dauer des Arbeitsverhältnisses zu A.V. Mitglied der IG Metall gewesen ist, durfte als unzulässiger Ausforschungsbeweis nicht erhoben zu werden. Die Beklagte hat ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen der Gewerkschaftszugehörigkeit willkürlich "aufs Gratewohl" oder "ins Blaue hinein" die Behauptung der Gewerkschaftszugehörigkeit aufgestellt. Zwar kann man von einem unzulässigen Ausforschungsbeweis nicht allein deswegen ausgehen, weil die Partei entsprechend ihrer Darlegungspflicht eine Tatsache vorträgt, von der sie keine gesicherten Kenntnisse haben kann. Es ist eine Abgrenzung vorzunehmen, ob es sich um eine aus der Luft gegriffene Behauptung oder aber um eine solche handelt, für die Anhaltspunkte vorliegen. Im konkreten Streitfall liegen nicht einmal ansatzweise irgendwelche Anhaltspunkte für die Gewerkschaftszugehörigkeit des Klägers vor. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten die Richtigkeit ihres schriftsätzlichen Vortrages - in ihrem Bereich gebe es einen hohen Organisationsgrad - als richtig unterstellt, hat dies keinerlei Bedeutung für die Verhältnisse eines Arbeitnehmers bei der Firma A.V. die - wie die Beklagte immer im vorliegenden Rechtsstreit betont hat - vollständig rechtlich selbständig und von der Beklagten zu unterscheiden ist.

Abgerundet wird diese Überzeugung des Gerichtes im konkreten Einzelfall auch noch dadurch, dass der persönlich anwesende Kläger auf Befragung des Gerichtes unter Hinweis auf seine Wahrheitspflicht vehement bestätigt hat, nicht im streitgegenständlich erheblichen Zeitraum Mitglied der Gewerkschaft zu sein und sogar eine Bescheinigung vorgelegt hat, die ihm die Mitgliedschaft in der IG Metall erst ab dem 01.10.2019 bescheinigt.

3.

Der TV VEZ fand schließlich auch nicht auf das Arbeitsverhältnis des Klägers zu A.V. aufgrund einseitiger Tarifbindung der A.V. als sogenannte Betriebsnorm gemäß § 3 Abs. 2 TVG Anwendung. Denn bei der entscheidungserheblichen Tarifnorm handelt es sich nicht um eine Betriebsnorm, sondern um eine Inhaltsnorm.

a.

Rechtsnormen eines Tarifvertrages über betriebliche Fragen nach § 3 Abs. 2 TVG betreffen Regelungsgegenstände, die nur einheitlich gelten können. Ihre Regelung in einem individualen Arbeitsvertrag wäre zwar in einem naturwissenschaftlichen Sinn nicht unmöglich, sie würde aber wegen evident sachlogischer Unzweckmäßigkeit ausscheiden, weil eine einheitliche Regelung auf betrieblicher Ebene unerlässlich ist. Hierunter fallen Fragen, die unmittelbar die Organisation und Gestaltung des Betriebes, also die Betriebsmittel und die Belegschaft, betreffen. Betriebsnormen regeln normativ das betriebliche Rechtsverhältnis zwischen dem Arbeitgeber und der Belegschaft als Kollektiv, nicht hingegen die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und einzelnen Arbeitnehmern, die hiervon allenfalls mittelbar betroffen sind (LAG Baden-Württemberg - 18.11.2020 - 21 Sa 12/20 - Randnummer 41 m. w. N.).

b.

Inhaltsnormen legen im Falle von beiderseitiger Tarifgebundenheit die Inhalte des Arbeitsverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitgeber fest. Sie stellen in der Tarifpraxis den Schwerpunkt tariflicher Normen dar. Sie regeln alle mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehenden Fragen. Dazu gehören ist erster Linie die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenen Rechte und Haupt- und Nebenpflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Tarifverträge können auch negative Inhaltsnormen enthalten. Dabei schränken die Tarifvertragsparteien den Arbeitgeber hinsichtlich der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen bestimmter Vertragsinhalte vielfach ein. Sie können auch selbst unmittelbar Unterlassungspflichten konstituieren (LAG Baden-Württemberg - 02.12.2020 - 4 Sa 16/20 - Randnummer 73 m. w. N.).

c.

Regelt ein Tarifvertrag unter vollständiger Ausnutzung der Ermächtigung aus § 1 Abs. 1 b Satz 3 AÜG, wie lange ein Arbeitnehmer vom Verleiher überlassen werden darf, handelt es sich um eine Inhaltsnorm und zwar in Form einer sogenannten negativen Inhaltsnorm. Denn die tarifvertragliche Regelung soll dem Verleiher gerade Grenzen bei der Ausübung seines Direktionsrechts setzen. Der Verleiher und Vertragsarbeitgeber hat es im Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Leiharbeitnehmer zu unterlassen, den Arbeitnehmer länger an Dritte zu überlassen als nach der tarifvertraglichen Regelung erlaubt ist. Diese Regelung ist Inhalt des Pflichtenprogramm des verleihenden Arbeitgebers im Arbeitsverhältnis. Der Charakter als Inhaltsnorm kann nicht dadurch umgangen werden, dass ein Tarifvertrag nur als Betriebsnorm für den Entleihbetrieb formuliert wird, in Erwartung, dass die Betriebsnorm als Reflex auf das Leiharbeitsverhältnis durchschlage. Diese Auffassung wird zwar von einem Teil der Literatur im Ergebnis vertreten (Hamann in Schüren/Hamann in AÜG, 5.Aufl., § 1 Rn.355).

Dieser Auffassung vermag sich die Kammer aber nicht anzuschließen. Sie vertritt - wie auch die bereits zitierte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 02.12.2020 (a.a.O.) -.die Auffassung, dass diese Abweichung von § 1 Abs. 1 b, Satz 1, erster Halbsatz AÜG eine Inhaltsnorm darstellt (entgegen LAG Baden-Württemberg vom 18.11.2020 a.a.O.).

Gegen dieses Ergebnis lässt sich nicht einwenden, dass die konkrete in § 4 Ziffer 4.3.1 TV VEZ aufgenommene Regelung unter der allgemeinen Überschrift "Rahmenbedingungen" zu finden ist. Zutreffend hat die Beklagte zwar darauf hingewiesen, die unter der Überschrift "Rahmenbedingungen" befindlichen Detailregelungen enthielten jedenfalls zahlreiche Vorschriften, die nicht individuell Ansprüche einzelner Arbeitnehmer und damit auch den Inhalt des Arbeitsverhältnisses regelten. Jedoch ist entscheidend für die Auslegung einer konkreten Tarifnorm nicht deren Überschrift sondern die konkrete Detailregelung: Der Wortlaut: "Der Einsatz von Zeitarbeitnehmern der A.V. ist auf 36 aufeinanderfolgende Monate befristet" ist ein auch im Verhältnis zum Arbeitnehmer normiertes Verbot, diesen Arbeitnehmer länger als 36 Monate als Leiharbeitnehmer bei der Beklagten einzusetzen, zumal die folgende Regelung (§ 4 Ziffer 4.3.2 TV VEZ) einen konkreten Übernahmeanspruch nach Ablauf der 36-monatigen Einsatzdauer normiert. Dies regelt unmittelbar den Inhalt des Arbeitsverhältnisses.

II.

Mit vorstehendem Ergebnis steht auch der Erfolg des Berufungsantrages zu II. fest.

1.

Dieser Antrag ist zunächst einmal als sogenannte Zwischenfeststellungsklage gemäß § 256 ZPO unproblematisch zulässig.

2.

Er ist auch begründet. Aufgrund der bereits dargestellten Überschreitung der gesetzlichen Höchstdauer von 18 Monaten gemäß § 3 Abs. 1 b Satz 1 AÜG unter Berücksichtigung der Übergangsvorschrift des § 19 Abs. 2 AÜG war diese Höchstdauer mit dem im Antrag genannten Datum überschritten, so dass der Kläger einen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung hat.

III.

Der Kläger hat auch einen Anspruch auf vorläufige vertragsgemäße Beschäftigung gegenüber der Beklagten. Der vorläufige Beschäftigungsanspruch beruht auf §§ 611 a Abs. 1, 613 i. V. m. § 242 BGB. Die Berufungskammer folgt insoweit uneingeschränkt der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Großer Senat vom 27.02.1985 -GS 1/84), welche diesen Weiterbeschäftigungsanspruch überzeugend mit den Wertentscheidungen des Grundgesetzes, Artikel 1 und Artikel 2 GG begründet hat. Durch das Obsiegen mit der Feststellungsklage sind die Voraussetzungen dieses Weiterbeschäftigungsantrages gegeben. Überwiegende Gründe seitens der Beklagten, die dem entgegenstehen, sind nicht ersichtlich.

C.

Gemäß § 91 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreites zu tragen. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war die Revision wegen Divergenz zu LAG Baden-Württemberg vom 18.11.2020 (a.a.O.) und wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.