Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.03.2022, Az.: 8 Sa 115/21
Tarifliches Urlaubsregime für den tariflichen Mehrurlaub; Gesetzlicher Mindesturlaub und die Rechtsprechung des EuGH und des BAG; Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien; Urlaubsanspruch nur nach tatsächlich geleisteter Arbeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 30.03.2022
- Aktenzeichen
- 8 Sa 115/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 29066
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 28.03.2023 - AZ: 9 AZR 219/22
Rechtsgrundlagen
- Art.1 RL 2003/88/EG
- Art. 9 Abs. 3 GG
- § 208 SGB IX
- § 3 BUrlG
- § 5 Abs. 1 Buchst. c) BUrlG
- Metall- und Elektroindustrie Niedersachsen Bezirk Küste § 10 Nr. 4 MTV
Fundstellen
- EzA-SD 1/2023, 14-15
- NZA-RR 2022, 519-522
Redaktioneller Leitsatz
1. Die Tarifvertragsparteien haben grundsätzlich die Dispositionsfreiheit, Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigen, nach ihrem Ermessen zu regeln. Die Regelungen des BUrlG finden in diesem Bereich nur insoweit Anwendung, als die Tarifvertragsparteien von der ihnen zustehenden Regelungsmacht keinen Gebrauch machen.
2. Auch die zur Urlaubsrichtlinie 2003/88/EG ergangene Rechtsprechung des EuGH und die Rechtsprechung des BAG zum BurlG betreffen nur den gesetzlichen Mindesturlaub.
3. Den Tarifvertragsparteien kommt als selbständigen Grundrechtsträgern aufgrund der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Wie weit dieser Spielraum reicht, hängt von den Differenzierungsmerkmalen im Einzelfall ab. Den Tarifvertragsparteien steht hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten und der betroffenen Interessen eine Einschätzungsprärogative zu. Sie sind nicht verpflichtet, die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen.
4. Die Tarifvertragsparteien können den über die Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs zzgl. des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen hinausgehenden Anspruch auf Mehrurlaub (übergesetzlicher Urlaub) zulässigerweise von der Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistung abhängig machen.
In dem Rechtsstreit
A., A-Straße, A-Stadt
- Kläger und Berufungskläger -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B., B-Straße, B-Stadt
gegen
C., ..., C-Straße, A-Stadt
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
D., D-Straße, D-Stadt
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 30.03.2022 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rinck sowie die ehrenamtliche Richterin Frau Richter und den ehrenamtlichen Richter Herrn Mosenthin als Beisitzer für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung seiner Berufung im Übrigen wird das Urteil des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 18.1.2021 - 4 Ca 319/20 teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld in Höhe von 6.246,75 Euro brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.4.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 13/28tel und die Beklagte 15/28tel.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Beklagte dem Kläger weitere Urlaubsabgeltung zu zahlen hat.
Der am 14.07.1954 geborene Kläger war bei der Beklagten in der Zeit vom 07.11.1988 bis zum 31.03.2020 zuletzt mit einem Bruttogehalt von 6.038,50 € beschäftigt. Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt.
Am 06.11.2019 trafen die Parteien eine "Freistellungsvereinbarung im Rahmen des Lebensarbeitszeitkontos - Airbus Group Invest for Life Wertkontensystem zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit" (Bl. 9, 10 dA). In dieser Vereinbarung ist geregelt, dass der Kläger für den gesamten Monat März 2020 unwiderruflich von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wird, und dass dies gem. den Regelungen der Wertguthabenvereinbarung in Form einer vollständigen Freistellung von der Arbeitspflicht im Rahmen des vorzeitigen Ruhestandes ("Modell zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit") erfolgt. Gem. Ziff. 3 der Vereinbarung erhält der Kläger in der Zeit der Freistellung ein Entgelt iHv. 6.055,42 € brutto. Das monatliche Entgelt wird aus dem angesammelten Arbeitsentgeltguthaben des Klägers entnommen und verändert sich nicht durch etwaige Tariferhöhungen während der Freistellungsphase.
In der Zeit vom 26.11.2019 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses war der Kläger durchgängig arbeitsunfähig erkrankt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie Niedersachsen Bezirk Küste (im Folgenden: MTV Metallindustrie) Anwendung. Dieser sieht in § 10 vor:
"§ 10
Erholungsurlaub
1. Urlaubsanspruch
Der Beschäftigte hat in jedem Kalenderjahr einen unabdingbaren Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub
Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
Der Urlaub für Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr richtet sich - mit Ausnahme der Urlaubsdauer - nach den Bestimmungen des Jugendarbeitsschutzgesetzes in seiner jeweiligen Fassung.
2. Urlaubsdauer
Der Urlaub beträgt jährlich 30 Arbeitstage.
Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen der Beschäftigte in regelmäßiger Arbeitszeit zu arbeiten hat. Auch wenn die regelmäßige Arbeitszeit auf mehr oder weniger als 5 Tage in der Woche - ggf. auch im Durchschnitt mehrerer Wochen - verteilt ist, gelten fünf Tage je Woche als Arbeitstage.
Gesetzliche Feiertage, die in den Urlaub fallen, werden nicht als Urlaubstage gerechnet.
Beschäftigte in Betrieben, in denen in regelmäßiger Wechselschicht oder vollkontinuierlich gearbeitet wird, sowie Teilzeitbeschäftigte haben unter Beachtung der jeweiligen Schichtpläne einen Urlaubsanspruch, der dem Urlaub eines Beschäftigten entspricht, der im Einschichtbetrieb an fünf Tagen in der Woche regelmäßig beschäftigt wird.
Soweit durch gesetzliche Regelung für schwerbehinderte Menschen ein Anspruch auf bezahlten Zusatzurlaub besteht, ist dieser zusätzlich zu dem jeweiligen Grundurlaub zu gewähren.
3. Wartezeit
Der volle Urlaubsanspruch wird erstmals nach zwölfmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses erworben.
4. Teilurlaub
4.1 Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs für jeden vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses hat der Beschäftigte
4.1.1 für Zeiten eines Kalenderjahres, für die er wegen Nichterfüllung der Wartezeit keinen vollen Urlaubsanspruch erwirbt;
4.1.2 wenn er vor erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet;
4.1.3 wenn er nach erfüllter Wartezeit aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet.
4.2 Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind auf volle Urlaubstage aufzurunden. Bruchteile, die weniger als einen halben Tag betragen, werden weder bei der Urlaubsgewährung noch bei der Abgeltung des Urlaubs berücksichtigt.
4.3 Hat der Beschäftigte bereits Urlaub über den ihm zustehenden Umfang hinaus erhalten, so kann das dafür gezahlte Urlaubsentgelt nicht zurückgefordert werden.
4.4 Ein Beschäftigter, der wegen Inanspruchnahme eines Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente ausscheidet, erhält den vollen Urlaub, sofern er 10 Jahre ununterbrochen dem Betrieb angehört hat, jedoch nur soviel Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat.
Für den Begriff der Betriebszugehörigkeit gilt die entsprechende betriebliche Übung.
4.5 Beschäftigte, die wegen eines Betriebsunfalls ihren Arbeitsplatz aufgeben und den Betrieb verlassen müssen und dem Betrieb länger als 6 Monate angehört haben, erhalten den vollen Urlaub."
Der Kläger besitzt neben dem gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Arbeitstagen und dem tarifvertraglichen Mehrurlaubsanspruch von weiteren 10 Arbeitstagen als schwerbehinderter Mensch einen Anspruch auf weitere 5 Tage Sonderurlaub, mithin einen jährlichen Urlaubsanspruch von insgesamt 35 Tagen. Jeder Urlaubstag wird mit einem zusätzlichen Urlaubsgeld von 50 % der regelmäßigen Vergütung bezahlt.
Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses galt die Beklagte dem Kläger 7 Urlaubstage ab und zahlte auch das hierauf entfallende zusätzliche Urlaubsgeld.
Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht seine Auffassung vorgetragen, ihm stehe für das Jahr 2020 der volle tarifliche Jahresurlaubsanspruch zzgl. des Zusatzurlaubsanspruch für schwerbehinderte Menschen zu, sodass noch die Abgeltung von 28 weiteren Arbeitstagen einschließlich des hierauf entfallenden Urlaubsgeldes offen sei. Er hat argumentiert, unter die tarifliche Bestimmung "im Urlaubsjahr gearbeitet hat" falle sowohl die tatsächliche Arbeitsleistung als auch die Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistung. Zudem stehe ihm dieser Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu, da die Beklagte sämtlichen ihrer Mitarbeiter, insbesondere den Mitarbeitern Sch., K. und T., im Austrittsjahr bei vergleichbarer Lage wie der des Klägers den vollen Jahresurlaub gewährt bzw. abgegolten habe. Daneben hat der Kläger seinen Anspruch auch auf das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung gestützt.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 11.660,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 1. April 2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erstinstanzlich ihre Rechtsauffassung vorgetragen, eine Auslegung der tariflichen Bestimmung iSd. Klägers führe dazu, dass dieselbe keinen Anwendungsbereich mehr besitze. Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages müsse tatsächliche Arbeitsleistung erbracht werden. Bei einer Freistellung in Form des Abbaus von Wertguthaben habe der Mitarbeiter nicht gearbeitet.
Der gesetzliche Mindesturlaub sei ungeachtet der tariflichen Regelung zu gewähren und sei von ihr auch vollständig abgegolten worden. Die von dem Kläger benannten Fälle dreier weiterer ausgeschiedener Mitarbeiter wichen insofern von dem des Klägers ab, als diese in dem Jahr der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur noch bzw. im Wesentlichen Urlaub genommen, nicht aber aufgrund von Arbeitsunfähigkeit gefehlt hätten. Wäre der Kläger arbeitsfähig gewesen, hätte für ihn ebenfalls die Möglichkeit bestanden, im Januar und Februar Urlaub zu nehmen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen dort gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der erstinstanzlichen Kammerverhandlung sowie auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 58ff. d.A.) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 18.01.2021 (Bl. 58ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, soweit die Tarifvertragsparteien einen sog. übergesetzlichen Urlaubsanspruch regelten, seien sie in der Gestaltung weitgehend frei. Die in § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie verwendete Klausel sei dementsprechend nicht zu beanstanden. Der Kläger habe im Jahr 2020 unstreitig keinen Tag gearbeitet. Die Freistellung für den Monat März 2020 ändere hieran nichts. Es könne ausdrücklich dahinstehen, ob die maßgebliche betriebliche Bestimmung so auszulegen sei, dass Tage der Freistellung als Erbringung einer Arbeitsleistung zu berücksichtigen seien. Selbst wenn die vereinbarte Freistellung hinweggedacht werde, habe der Kläger aufgrund seiner Erkrankung gleichwohl im Urlaubsjahr 2020 keinen Tag gearbeitet und auch keinen Tag arbeiten können. Auch ein Anspruch des Klägers aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz komme nicht in Betracht. Allen drei durch den Kläger benannten Mitarbeitern sei gemeinsam, dass diesen im Jahr des Austritts tatsächlich Erholungsurlaub gewährt worden sei und zwar in einem Umfang, welcher über den erworbenen Teilurlaub des Klägers deutlich hinausgehe. Die Beklagte habe in diesen Fällen gleichsam im Vorgriff Urlaubsansprüche gewährt, mit der Konsequenz, dass die Mitarbeiter aufgrund der Urlaubsgewährung im Jahr des Austritts keine tatsächliche Arbeitsleistung mehr erbracht hätten. Im Fall des Klägers sei der Sachverhalt hingegen anders gelagert, da der Kläger im Gesamtzeitraum des Jahres seines Austritts arbeitsunfähig gewesen sei und dementsprechend die Beklagte auch auf einen entsprechenden Antrag des Klägers hin gar keine Möglichkeit gehabt habe, ihm im Vorgriff Erholungsurlaub zu gewähren. Nach der Aufgabe der Surrogatstheorie sei zudem eine umfassende Gleichbehandlung von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen nicht mehr geboten.
Das Urteil des Arbeitsgerichts ist dem Kläger ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses Bl. 61 d.A. am 01.02.2021 zu Händen seines Prozessbevollmächtigten zugestellt worden. Am 15.02.2021 und damit fristgerecht hat der Kläger gegen dieses Urteil Berufung eingelegt (Bl. 64ff. dA). Mit Schriftsatz vom 09.03.2021, am gleichen Tage bei dem erkennenden Gericht eingegangen, hat der Kläger seine Berufung fristgerecht begründet (vgl. Bl. 76ff. dA).
Der Kläger hat zur Begründung seiner Berufung geltend gemacht, das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft verkannt, dass er seine Ansprüche zum einen auf ein von der Interpretation der Beklagten abweichendes Verständnis der Regelung des § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie, zum anderen aber auch auf einen Anspruch aufgrund betrieblicher Übung und des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes stützen könne. Die Regelung in § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie sei, soweit sie für das Entstehen von Urlaubsansprüchen an tatsächlich geleistete Arbeit anknüpfe, unwirksam. Die Regelung differenziere nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub, der von einer solchen Bedingung nicht abhängig gemacht werden könne, und dem vertraglichen Mehrurlaub. Sie sei daher in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub unzulässig, was zur Unwirksamkeit der gesamten Klausel, soweit sie an die Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistung anknüpfe, führe. Ohne die Freistellung sei der Kläger weiterhin zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen, daher habe weder die Freistellung noch die Arbeitsunfähigkeit das Entstehen des Urlaubsanspruchs und des daraus folgenden Urlaubsabgeltungsanspruchs gehindert. Der Kläger könne die Zahlung der Urlaubsabgeltung auch in Anwendung des Rechtsinstituts der betrieblichen Übung bzw. des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes verlangen, denn neben den vom Kläger erstinstanzlich bezeichneten drei Mitarbeitern hätten auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter B., P., T., Te. und O. im Jahr ihres Ausscheidens trotz gleichliegender Voraussetzungen wie beim Kläger ihren vollen Urlaub erhalten bzw. abgegolten erhalten.
Der Kläger hat vor dem erkennenden Gericht beantragt:
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts D-Stadt vom 18.01.2021 zu Aktenzeichen 4 Ca 319/20 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger Urlaubsabgeltung in Höhe von 11.660,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2020 zu zahlen.
Die Beklagte hat zweitinstanzlich beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt weitergehend aus, der Kläger vergleiche sich zu Unrecht mit Mitarbeitern, die im Unterschied zu ihm in dem Jahr der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht arbeitsunfähig gewesen seien. Dies betreffe insbesondere die erstinstanzlich vom Kläger bezeichneten Mitarbeiter K., Sch. und T., aber auch die zweitinstanzlich weiter angeführten Mitarbeiter B., P., T. und Te.. Anders liege dies einzig und allein für den vom Kläger benannten Herrn O., der im Jahr vor seinem Ausscheiden bereits ausgesteuert gewesen sei. Allein aufgrund dessen könne sich der Kläger weder auf eine betriebliche Übung noch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz berufen. Eine betriebliche Übung entstehe nicht, wenn der Arbeitgeber durch sein Verhalten lediglich einer nach seiner (rechtsirrigen) Auffassung bestehenden Verpflichtung nachkommen wolle. Die Beklagte habe stets beabsichtigt, die tarifvertragliche Regelung des §10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie korrekt abzubilden und umzusetzen. Eine etwaige vom Tarif abweichende Handhabung sei der Beklagten nicht bewusst und von ihr auch nie beabsichtigt gewesen. Erst nach der Abwicklung des Beschäftigungsverhältnisses von Herrn O. sei es zu einer internen Überprüfung gekommen, in deren Zuge der Rechtsirrtum aufgefallen sei. Seither wende die Beklagte den Tarifvertrag konsequent in der im vorliegenden Rechtsstreit vertretenen Auslegung an. Soweit der Kläger meine, dass § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie unwirksam sei, weil er nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglichen Mehrurlaub differenziere, trete sie dem entgegen. Nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und darüberhinausgehenden Urlaub differenzierende tarifliche Urlaubsregelungen seien nur hinsichtlich des Eingriffs in die unabdingbaren gesetzlichen Urlaubsansprüche unwirksam und würden im Übrigen aufrechterhalten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 30.03.2022 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Dem Kläger steht über den von der Beklagten abgerechneten und ausbezahlten Anspruch auf Abgeltung von 7 Urlaubstagen hinaus ein Anspruch auf Abgeltung von weiteren 15 Urlaubstagen nebst Urlaubsgeld zu. Für die restlichen 13 Urlaubstage, die den vollen Jahresurlaubsanspruch (einschließlich des Zusatzurlaubes für schwerbehinderte Menschen) von gesamt 35 Tagen ausmachen würden, kann er jedoch keine Abgeltung verlangen, wie das Arbeitsgericht insoweit zutreffend erkannt hat.
I.
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. c) ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO.
II.
Die Berufung ist teilweise begründet. Der klageweise geltend gemachte Anspruch auf Urlaubsabgeltung ist iHv. 15 Urlaubstagen noch von der Beklagten zu begleichen.
1.
Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf den gesetzlichen Mindesturlaub sowie auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen gem. § 208 SGB IX erfüllt. Der Mindesturlaub nach dem BUrlG beträgt jährlich 24 Werktage (§ 3 BUrlG), diese Vorschrift ist bezogen auf eine Sechs-Tage-Woche, bei einer Fünf-Tage-Woche ergeben sich 20 Arbeitstage Urlaubsanspruch für das Kalenderjahr. Der Zusatzurlaub gem. § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX beträgt bei einer Fünf-Tage-Woche 5 Arbeitstage im Urlaubsjahr. Aufgrund des Ausscheidens des Klägers (nach erfüllter Wartezeit) in der ersten Hälfte des Kalenderjahres findet die Kürzungsregelung des § 5 Abs. 1 Buchstabe c) BUrlG auf seinen gesetzlichen Urlaubsanspruch Anwendung, das Ausscheiden zum 31.03.2020 führt zu einer Viertelung des Jahresurlaubsanspruchs, sodass genau 5 Arbeitstage Urlaub verblieben. Ebenso ist eine Zwölftelungs-Regelung in § 208 Abs. 2 S. 1 SGB IX enthalten, diese führt zu einem Zusatzurlaub für das Jahr 2020 iHv. 1,25 Tagen. Die Aufrundungsregelung des § 208 Abs. 2 S. 2 SGB IX greift nicht, da kein Bruchteil von mindestens einem halben Tag vorhanden ist. Mithin ergibt sich ein gesetzlicher Gesamturlaubsanspruch des Klägers für die Zeit vom 01.01. bis zum 31.03.2020 iHv. 6,25 Tagen. Diesen Anspruch hat die Beklagte, die dem Kläger 7 Urlaubstage abgegolten hat, erfüllt, sie hat auch das hierauf entfallende Urlaubsgeld iHv. 50 % abgerechnet und gezahlt.
2.
Dem Kläger steht in Anwendung von § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie ein über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehender tarifvertraglicher Mehrurlaubsanspruch zu. Dieser besteht, da nach zutreffender Auslegung der Norm 22 Arbeitstage des Klägers im Jahr 2020 als gearbeitet zu bewerten sind, in gleicher Höhe, wobei die von der Beklagten bereits abgerechneten 7 Urlaubstage mindernd zu berücksichtigen sind, sodass sich ein noch abzugeltender Urlaubsanspruch iHv. 15 Tagen ergibt.
a.
Tarif- und Arbeitsvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, Urlaubsansprüche, die den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch übersteigen, nach ihrem Ermessen zu regeln. Die Regelung des BUrlG finden nur insoweit Anwendung, als die Parteien von der ihnen zustehenden Regelungsmacht keinen Gebrauch machen.
Mit § 10 Ziff .4 MTV Metallindustrie haben die Tarifvertragsparteien eine offenbar bereits seit Jahrzehnten bestehende (vgl. den Tatbestand in BAG, Urteil v. 31.05.1990 - 8 AZR 161/89, NZA 1990, 942), inhaltlich allerdings durchaus nicht gängige, Regelung getroffen. Danach erhält ein Beschäftigter, der wegen Inanspruchnahme einer Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente ausscheidet, den vollen Urlaub, sofern er 10 Jahre ununterbrochen dem Betrieb angehört hat, jedoch nur so viele Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat.
Unstreitig erfüllte der Kläger im Jahr 2020 die ersten beiden Anspruchsvoraussetzungen. Sein Arbeitsverhältnis endete aufgrund seiner Verrentung und er wies zu diesem Zeitpunkt auch eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von (deutlich mehr als) 10 Jahren auf. Die Tarifvertragsparteien haben diese - vor allem bei einem Ausscheiden in den ersten Monaten des Jahres durchaus großzügige - Regelung jedoch dahingehend eingeschränkt, dass dem Arbeitnehmer für das Jahr insgesamt nur so viele Arbeitstage Urlaubstage zustehen sollen, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat. Diese Regelung ist inhaltlich nicht zu beanstanden.
Die zur Urlaubsrichtlinie 2003/88/EG ergangene Rechtsprechung des EuGH (24.1.2012 - C-282/10 - Dominguez) betrifft ebenso wie die zum BUrlG ergangene Rechtsprechung des BAG (28.1.1982 - 6 AZR 571/79 - BAGE 37, 382) nur den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch.
Nur in Bezug auf diesen gilt, dass die Urlaubsgewährung nicht von einer auch nur irgendwie gearteten tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig gemacht werden kann.
Tarifvertragsparteien steht bei ihrer Normsetzung ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Ihnen kommt eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind. Darüber hinaus verfügen sie über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelung. Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (BAG 24. Oktober 2019 - 2 AZR 158/18 - Rn. 34; 11. Juli 2019 - 6 AZR 460/18 - Rn. 29; 3. Juli 2019 - 10 AZR 300/18 - Rn. 19). Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (vgl. BAG 28. August 2019 - 10 AZR 549/18 - Rn. 44; BAG 19. Dezember 2019 - 6 AZR 563/18 -, BAGE 169, 163-179, Rn. 26).
Die Tarifpartner können den über die Gewährung des gesetzlichen Mindesturlaubs (zzgl. des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen) hinausgehenden Anspruch auf übergesetzlichen Urlaub somit zulässigerweise auch von der Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistung abhängig machen.
b.
Der Passus "jedoch nur so viel Tage, wie er im Urlaubsjahr gearbeitet hat" bedarf der Auslegung.
aa.
Unmittelbar haben die Tarifvertragsparteien mit dem Begriff "gearbeitet" die Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistung in Bezug genommen. Darüber hinaus umfasst dieser Begriff aber auch diejenigen Fälle, in denen der Arbeitnehmer den ihm für das betreffende Jahr seines Ausscheidens zustehenden Urlaub noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses nimmt, und zwar auch dann, wenn er in Folge dessen nicht mehr so viele Tage tatsächlich arbeiten kann, dass diese zahlenmäßig dem vollen Jahresurlaubsanspruch entsprechen. Würde man dies anders sehen, wäre der Arbeitnehmer gezwungen, seinen Urlaub nicht während des laufenden Arbeitsverhältnisses zu nehmen, sondern durchzuarbeiten, um sodann den vollen Jahresurlaubsanspruch in Form von Urlaubsabgeltung verlangen zu können. Dies widerspräche allerdings dem für das gesamte Urlaubsrecht und grundsätzlich auch für übergesetzlichen Urlaub geltenden Grundsatz, dass Urlaub bevorzugt in Natur zu nehmen ist. Um sachwidrige und dysfunktionale Zirkelschlüsse zu vermeiden, ist der Begriff "gearbeitet" in § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie daher dahingehend auszulegen, dass davon auch Zeiten der Urlaubnahme umfasst sind. Dies gilt im Übrigen nicht nur für denjenigen im Jahr des Ausscheidens tatsächlich genommenen Urlaub, der auch im Jahr des Ausscheidens verdient worden ist, sondern ebenso für noch nicht befriedigte Urlaubsansprüche der Vorjahre. Auch für diese gilt der Grundsatz, dass Urlaub vorrangig in Natur zu nehmen und zu gewähren ist. Wie die ständig praktizierte Übung der Beklagten zeigt, hat sie die Norm auch in diesem Sinne interpretiert, denn sie hat Arbeitnehmern, die im Jahr ihres Ausscheidens lediglich noch den ihnen zustehenden Urlaub genommen und daher keine tatsächliche Arbeitsleistung mehr erbracht haben, dennoch den vollen Jahresurlaub gewährt.
bb.
Nach Auffassung der Kammer ist § 10 Ziff 4.4 MTV Metallindustrie darüber hinaus so auszulegen, dass im Jahr des Ausscheidens gelegene Zeiten, in denen der Arbeitnehmer - wie hier - zum Ausgleich bzw. zur Einlösung in Vorjahren "vorgearbeiteter" Zeiten bezahlt von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt wird, ebenfalls als "gearbeitet" iSd. Tarifnorm gelten.
Wie aus der "Freistellungsvereinbarung" (Bl. 9, 10 d.A.) ersichtlich wird, hat der Kläger im Rahmen eines Modells zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit in vorgelagerten Jahren eine zeitlich höhere als die für das jeweilige Jahr geschuldete Arbeitsleistung erbracht. Es entspricht Sinn und Zweck des Modells zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit, dass der Arbeitnehmer die erwirtschaften Zeitguthaben in den letzten Monaten des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung einer bezahlten Freistellung in Natur einlöst und nicht etwa am Ende des Arbeitsverhältnisses zusätzlich ausbezahlt erhält. Der Verwirklichung dieses Zwecks würde es widersprechen, würde man die im Jahr des Ausscheidens gelegenen bezahlten Freistellungszeiträume zum Ausgleich dieser erwirtschafteten Zeitguthaben nicht als gearbeitete Zeiten iSv. § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie ansehen.
cc.
Gegen die Anrechnung der im Monat März 2020 erfolgten bezahlten Freistellung des Klägers als "gearbeitet" spricht auch nicht, dass der Kläger während der gesamten Zeit vom 01.01. bis 31.03.2020 arbeitsunfähig erkrankt war und somit in dem Fall, dass die Parteien die Freistellungsvereinbarung vom 06.11.2019 nicht getroffen hätten, aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit im Jahr 2020 keinerlei Arbeitsleistung erbracht hätte. Tatsächlich wirkte sich die Erkrankung des Klägers zwar in den Monaten Januar und Februar, nicht aber im Monat März 2020 aus. Die getroffene Vereinbarung der bezahlten Freistellung war wirksam und wurde auch durch die nachträglich eingetretene Arbeitsunfähigkeit nicht beseitigt. Dass sich die Krankheit des Klägers im Monat März 2020 nicht auswirkte, ist auch daran zu erkennen, dass der Kläger, eben weil er in diesem Monat bezahlt freigestellt war, kein Krankengeld von der Krankenkasse erhielt.
Nach alledem steht die gleichzeitig bestehende Arbeitsunfähigkeit einer Bewertung der Zeit der bezahlten Freistellung zum Ausgleich im Rahmen eines Wertkontensystems "vorgearbeiteter" Zeiten als "gearbeitet" iSd. Tarifnorm nicht entgegen.
dd.
Zeiten, in denen der Arbeitnehmer aufgrund von Arbeitsunfähigkeit gefehlt hat, können hingegen nicht als "gearbeitet" iSd. Tarifnorm verstanden werden. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich - wie dies im Fall des Klägers für die Zeit vom 01.01. bis zum 06.01.2020 der Fall gewesen sein dürfte - um nach dem EFZG entgeltzahlungspflichtige oder aber - wie dies beim Kläger ab dem 07.01.2020 der Fall gewesen sein dürfte - um nicht entgeltfortzahlungspflichtige Zeiträume handelt.
Die Parteien haben in der streitgegenständlichen Tarifnorm nicht auf irgend geartete "vergütungspflichtige" Zeiten abgestellt. Sie haben vielmehr durch die Benutzung des Begriffes "gearbeitet" zum Ausdruck gebracht, dass sie den vollen Jahresurlaubsanspruch nur denjenigen Arbeitnehmern zukommen lassen wollen, bei denen im Jahr des Ausscheidens keine bzw. keine gravierende Störung des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung aus in der Sphäre des Arbeitnehmers liegenden Gründen - wie zB Krankheit - eingetreten ist. Die vorstehend zum Urlaub als auch zur bezahlten Freistellung getätigten wertenden Erwägungen, die letztlich darauf gründen, dass es der Erbringung tatsächlicher Arbeitsleistung gleichsteht, wenn der Arbeitnehmer in diesen Zeiträumen ihm zustehende "Zeitguthaben" einlöst, greifen im Fall der Störung des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung in Folge einer Erkrankung gerade nicht.
3.
Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auf Zahlung weiterer Urlaubsabgeltung auch weder auf das Rechtsinstitut der betrieblichen Übung noch auf den arbeitsrechtlichen Gleichberechtigungsgrundsatz stützen.
a.
Eine betriebliche Übung entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber durch sein Verhalten lediglich einer seiner Ansicht nach ohnehin bestehenden Verpflichtung nachkommen will (BAG 25.02.2004 - 5 AZR 179/03 - EZA § 3 EFZG Nr. 12; BAG 22.01.2002 - 3 AZR 554/00 - AP BetrVG 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 4; BAG 16.10.2002 - 4 AZR 467/01 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 22; BAG 05.11.2003 - 5 AZR 108/03 - AP Nr. 65 zu § 4 EntgFG).
Auch setzen Ansprüche aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz voraus, dass der Arbeitgeber mehreren anderen Arbeitnehmern durch bewusstes und gewolltes Verhalten freiwillig eine diesen ansonsten nicht zustehende Leistung zukommen lässt. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist dagegen nicht anwendbar, wenn der Arbeitgeber in bloß tatsächlichem oder vermeintlichem Vollzug einer tariflichen oder arbeitsvertraglich eingegangenen Verpflichtung handelt bzw. handelt will.
Vorliegend hat der Kläger keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, noch sind solche aus dem Akteninhalt ersichtlich, dass der Kläger aus dem Verhalten der Beklagten in der Vergangenheit schließen konnte, sie wolle sich außerhalb der tarifverträglichen Regelung bzw. über diese hinausgehend zur Gewährung von Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung verpflichten.
b.
Darüber hinaus hat der Kläger auch nicht hinreichend zu den tatbestandlichen Voraussetzungen für das Entstehen einer betrieblichen Übung vorgetragen. Die vom Kläger benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter K., Sch., T., B., P., T. und Te. haben allesamt im Jahr ihres Ausscheidens jeweils für die Erlangung des vollen Jahresurlaubsanspruchs hinreichende Zeiten entweder im Wege tatsächlicher Urlaubnahme oder bezahlter Freistellung zum Ausgleich von Zeitguthaben absolviert. Die Gewährung des vollen Jahresurlaubsanspruchs für das Jahr des Ausscheidens durch die Beklagte geschah somit - nach der hier vertretenen und ausführlich begründeten Auffassung - in Vollzug der Tarifnorm und nicht etwa in Gestalt einer darüber hinaus gehenden, grundsätzlich freiwilligen, Leistung der Beklagten.
Einzig im Falle des Mitarbeiters O. hat die Beklagte den vollen Jahresurlaub für das Jahr des Ausscheidens gewährt, obwohl Herr O. im Jahre des Ausscheidens lediglich durch Krankheit verursachte Arbeitsunfähigkeitszeiten aufwies. Dieser Einzelfall vermag selbst dann, wenn die Beklagte Herrn O. diese Leistung bewusst und gewollt über ihre Verpflichtung aus dem Tarifvertrag hinaus gewährt haben sollte - wofür nichts ersichtlich ist -, keine betriebliche Übung zu Gunsten des Klägers zu begründen.
c.
Auch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann der Kläger seinen Anspruch nicht stützen, weil er insoweit seiner Darlegungslast nicht nachgekommen ist.
Vergütet ein Arbeitgeber Arbeitnehmer mit ähnlicher Tätigkeit unterschiedlich, hat der Arbeitgeber darzulegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört. Der Arbeitnehmer hat dann darzulegen, dass er die vom Arbeitgeber vorgegebenen Voraussetzungen der Leistung erfüllt. Die Beklagte als Arbeitgeber hat vorliegend vorgetragen, lediglich die tarifliche Norm vollzogen zu haben, dies insbesondere auch im Falle O. getan zu haben, wenn auch in unzutreffender Weise. Der Kläger hat als "begünstigten Personenkreis", der trotz durchgängiger Arbeitsunfähigkeit den vollen Jahresurlaubanspruch abgegolten erhielt, lediglich Herrn O. benannt. Aus diesem Einzelfall vermag der Kläger nicht die Anwendung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes für sich herzuleiten.
4.
Im Hinblick auf die Berechnung des sich nach allem Ausgeführten allein aus § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie ergebenden Urlaubsabgeltungsanspruchs des Klägers gilt folgendes:
Der Monat März 2020 hatte 22 Arbeitstage. Diese gelten nach dem oben Ausgeführten als "gearbeitet" iSd. Tarifnorm.
Die Regelung in § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie ist nach der Auffassung der Kammer des Weiteren so zu verstehen, dass die gearbeiteten Tage zunächst auf den gesetzlichen Mindesturlaub angerechnet werden, dass also nur die Zahl derjenigen gearbeiteten Tage, die über den gesetzlichen Mindestjahresurlaubsanspruch hinausgehen, in Vollzug des § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie darüber hinaus als übergesetzlicher Urlaub gewährt bzw. abgegolten werden sollen.
22 gearbeitete Tage abzgl. 6,25 Tagen Mindesturlaub ergäben einen Anspruch auf übergesetzlichen Urlaub iHv. 15,75 Tagen. Allerdings hat die Beklagten dem Kläger nicht lediglich den gesetzlichen Mindestjahresurlaubsanspruch von 6,25 Tagen, sondern bereits 7 Tage Urlaub abgegolten. 22 Tage abzgl. 7 bereits abgegoltener Tage ergeben noch abzugeltende 15 Urlaubstage.
Die Berechnung des Klägers, bei der sich bei einem Bruttomonatsgehalt von 6.038,50 € ein Bruttotagessatz von 277,63 € ergibt, ist rechnerisch nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat auch keine Einwendungen der Höhe nach erhoben. 277,63 € x 15 abzugeltende Tage ergibt einen Betrag von 4.164,50 €. Hinzu kommen 50 % Urlaubsgeld iHv. 2.082,25 €. Mithin ergibt sich der im Tenor ausgeworfene Betrag von 6.246,75 € brutto als dem Kläger für 15 Tage noch zustehende Urlaubsabgeltung und Urlaubsgeld. Dieser Anspruch war zum 31.03.2020 fällig, so dass die Beklage wie vom Kläger beantragt ab dem 01.04.2020 hierauf Verzugszinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen hat.
III.
Gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 1 ZPO waren die Kosten des gesamten Rechtsstreits zwischen den Parteien im Verhältnis ihres Obsiegens zum Unterliegen zu verteilen. Da der Kläger Urlaubsabgeltung für 28 Urlaubstage begehrte, jedoch nur iHv. 15 Tagen zugesprochen bekommen hat, war er zu Tragung der Kosten des Rechtsstreits iHv. 13/28, die Beklagte entsprechend iHv. 15/28 zu verurteilen.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung besitzt. Streitig ist die Interpretation des § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie. Hierbei handelt es sich augenscheinlich um eine in jahrzehntelanger Praxis von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Norm, die für zahlreiche unter diesen Tarifvertrag fallende Arbeitsverhältnisse Bedeutung besitzt. Es ist bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden und im Übrigen, soweit ersichtlich, auch noch keine obergerichtliche Rechtsprechung dazu nachgewiesen, wie der in § 10 Ziff. 4.4 MTV Metallindustrie verwendete Begriff "gearbeitet" auszulegen ist. Diese Rechtsfrage ist vorliegend auch entscheidungserheblich, da es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf ankommt, ob neben Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung auch Zeiten der Urlaubnahme bzw. Zeiten einer bezahlten Freistellung in Vollzug der Auflösung von Zeitguthaben aus einem Wertkontensystem oder gar Zeiten entgeltfortzahlungspflichtiger oder nicht entgeltfortzahlungspflichtiger Arbeitsunfähigkeit unter diesen Begriff zu subsumieren sind.