Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.06.2022, Az.: 12 Sa 434/21

Beweisaufnahme; Beweisvereitelung; Entscheidung nach Lage der Akten; fristlose Kündigung; Kündigungserklärungsfrist; sexuelle Belästigung; Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung von Praktikantinnen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.06.2022
Aktenzeichen
12 Sa 434/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 41908
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2022:0620.12Sa434.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 14.04.2021 - AZ: 1 Ca 333/20

Fundstellen

  • AA 2023, 18
  • AA 2023, 18
  • EzA-SD 11/2023, 16
  • EzA-SD 11/2023, 4
  • FA 2022, 327

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Fortgesetzte sexuelle Belästigungen einer bzw. mehrerer Praktikantinnen können die fristlose Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers auch dann rechtfertigen, wenn eine einschlägige Abmahnung nicht vorausgegangen ist.

  2. 2.

    Das Gewicht der entsprechenden Pflichtverletzung wird dadurch erheblich erhöht, dass der Belästiger durch Hinweise auf seine bessere Verankerung im Betrieb und seine Kompetenz, das Zeugnis der Praktikantinnen zu schreiben, die Duldung der von ihm ausgehenden Übergriffe zu erzwingen versucht.

  3. 3.

    Wenn ein Prozessbevollmächtigter einen vom Gericht auf seinen Antrag hin geladene Zeugen eigenmächtig nach Hause schickt, obwohl das Gericht gerade noch über einen Ablehnungsantrag berät und den Termin zur mündlichen Verhandlung nicht aufgehoben hat, kann dies als eine seiner Partei zuzurechnende Beweisvereitelung gewertet werden.

  4. 4.

    Zu den Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten (§ 251a ZPO) und die Durchführung einer Beweisaufnahme trotz Ausbleibens der Partei (§ 367 ZPO).

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.04.2021 - 1 Ca 333/20 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie auf Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 80 % und die Beklagte zu 20%.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen bzw. ordentlichen Kündigung, einen von deren Wirksamkeit abhängigen Weiterbeschäftigungsanspruch und einen Zeugniserteilungsanspruch des Klägers.

Der am 00.00.1974 geborene, verheiratete und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.04.2002 bei der Beklagten beschäftigt. Zuletzt übte der Kläger eine Funktion als Marktforscher und Marketingplaner bei V. im Werk in H. in der Abteilung NV-DZ/D aus, welche unter anderem für den Verkauf von Fahrzeugen an Behörden und Direktkunden zuständig ist. In dieser Funktion erhielt der Kläger zuletzt eine Bruttovergütung von 5.503,50 EUR brutto entsprechend der Entgeltstufe 15.

Bei der Beklagten gilt seit dem 01.08.1977 eine "Arbeitsordnung" in Form einer Betriebsvereinbarung, welche unter § 4 "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" eine Störung des Arbeits- oder Betriebsfriedens als möglichen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung nennt. § 22 der Arbeitsordnung verpflichtet alle Werksangehörigen zur Erhaltung des Arbeitsfriedens. Ferner verpflichtet ein bei der Beklagten geltender "Code of Conduct (Bl. 104 ff. d. A.) alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, jede Art von Diskriminierung (z. B. durch Benachteiligung, Belästigung, Mobbing) zu unterlassen und ein respektvolles, partnerschaftliches Miteinander zu ermöglichen. Die Betriebsvereinbarung 2/96 mit dem Titel "Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz" mit Gültigkeit ab dem 01.01.2007 erklärt unter Ziffer 2. jede Art von Diskriminierung z. B. in Form der sexuellen Belästigung für nicht statthaft. Der Begriff der sexuellen Belästigung wird sodann wie folgt näher definiert: "Sexuelle Handlungen und Aufforderung zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen. Was als sexuelle Belästigung empfunden wird, ist durch das subjektive Empfinden des Betroffenen bestimmt" (Bl. 110 d. A.). Diese betrieblichen Regelungen sind im Intranet für alle Beschäftigten der Beklagten frei zugänglich und damit jederzeit einsehbar.

Ab dem 05. bzw. 08.03.2018 waren dem Kläger in seiner Abteilung die Zeuginnen N. und M. als Praktikantinnen zur Betreuung zugewiesen. Die Praktikumsphase unter Betreuung des Klägers dauerte bei der Zeugin N. 1 1/2 Monate und bei der Zeugin M. bis Mitte September 2018.

Im Zeitraum September 2019 bis September 2020 war die Zeugin F. A. F. als Werksstudentin im Bereich Vertrieb Deutschland - Direktkunden tätig. Ab Sommer 2020 war die Zeugin F. im selben Großraum-Büro wie der Kläger tätig. Praktikumsbetreuer der Zeugin F. war der Mitarbeiter V. H.. Am 09.09.2020 beschwerte sich die Zeugin F. über vom Kläger ausgehende sexuelle Belästigungen.

Ob der Kläger sich belästigend/übergriffig gegenüber Praktikantinnen und Werkstudentinnen verhalten hat, sowie die Einzelheiten der Informationsweitergabe und Aufklärung der behaupteten Vorfälle seitens der Beklagten sind zwischen den Parteien streitig.

Am 28.09.2020 wurde ein entsprechender Untersuchungsauftrag an das sogenannte "Aufklärungs-Office" erteilt (Anlage 07 des Anlagenkonvoluts zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.06.2021). Dieser Untersuchungsauftrag wurde im Folgenden federführend von Herrn S. W. und Frau N. B. bearbeitet. Im Rahmen der Aufklärung wurden unter anderem die Zeuginnen F., M. und N. befragt. Am 03.11.2020 wurde der Kläger durch die Mitarbeiterin C. R. und den Mitarbeiter A. B. ausführlich zu den Tatsachen befragt, aus denen sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung durch den Kläger ergeben könnte. Ergebnis dieser Befragung war ein insgesamt zehn Seiten umfassendes Protokoll (Anlage 33 des Anlagenkonvoluts zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.06.2021), welches der Kläger unterzeichnet hat. Insgesamt wurden im Rahmen der Untersuchung von der Beklagten mehr als zehn Personen aus dem beruflichen Umfeld des Klägers ausführlich befragt. Der abschließende Untersuchungsbericht der Konzernsicherheit trägt das Datum vom 20.11.2020 (Anlage 35 des Anlagenkonvoluts zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.06.2021). In der "Sanktionsempfehlung vom 24.11.2020" wird die Kündigung des Klägers empfohlen. Mit Wirkung zum 25.11.2020 wurde der Kläger von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung freigestellt und erhielt mit Datum vom selben Tag ein Einladungsschreiben zu einer Anhörung. Ein weiteres Einladungsschreiben vom 27.11.2020 zu der für den 02.12.2020 vorgesehenen Anhörung des Klägers enthielt detaillierter die gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe (Anlage 28 des Anlagenkonvoluts zum Schriftsatz der Beklagten vom 22.06.2021).

Am Mittwoch, den 02.12.2020 wurde der Kläger ab 10:00 Uhr im Sektor 10 des Betriebsgeländes der Beklagten in H. im ersten Obergeschoss, Raum 115 arbeitgeberseitig von den Zeugen J. und Dr. F. M. zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen u.a. der sexuellen Belästigung angehört. Der Kläger befand sich dabei in Begleitung der ihn zum damaligen Zeitpunkt vertretenen Rechtssekretärin E. M. Ferner nahmen die damalige Vorsitzende des vom Betriebsrats gebildeten Personalausschusses, Frau R. B. sowie deren Stellvertreter, Herr C. E. vor Ort an der Anhörung des Klägers teil. Die weiteren Mitglieder des Personalausschusses, Herr M. K., Herr J. P. und Herr J. H. waren der Anhörung per Skype zugeschaltet. Lediglich das weitere Mitglied des Personalausschusses Herr S. hat an der Anhörung des Klägers nicht teilgenommen. Der Geschäftsverteilungsplan des Betriebsrats für die Wahlperiode 2018 - 2022 regelt unter IV. die Zuständigkeit des Personalausschusses für "die Behandlung und Beschlussfassung nach § 102 BetrVG hinsichtlich der Mitbestimmung bei Kündigungen (Bl. 696 d. A.).

Im unmittelbaren Anschluss an die Anhörung des Klägers hat die Beklagte - eine Anregung des Klägers aufgreifend - noch dessen aktuelle Praktikantin Frau L. und den aktuellen Praktikanten Herrn M. K. zu den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen angehört.

Am selben Tage hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten Personalausschuss zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Die Einzelheiten und der exakte zeitliche Ablauf der Anhörung des Personalausschusses sind zwischen den Parteien streitig.

Mit Schreiben vom 08.12.2020, welches dem Kläger noch am selben Tage zugegangen ist, erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber eine außerordentliche, fristlose Kündigung. Mit Schreiben vom 10.12.2020 kündigte die Beklagte dem Kläger hilfsweise fristgerecht mit Wirkung zum 30.06.2021.

Nach einer ergänzenden schriftlichen Anhörung des Klägers am 28.07.2021 und einer ergänzenden Anhörung des Personalausschusses am 05.08.2021 sprach die Beklage mit Schreiben vom 10.08.2021 eine weitere außerordentliche fristlose Kündigung sowie mit Schreiben vom 13.08.2021 eine weitere ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 31.03.2022 aus.

Mit am 16.12.2020 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger zunächst vertreten durch die D. GmbH Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen vom 08. und 10.12.2020 erhoben. Mit Schriftsatz vom 23.12.2020 hat sich sodann Rechtsanwalt I. für den Kläger legitimiert.

Der Kläger hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung und auch die weiteren von der Beklagten als Kündigungsgründe herangeführten Umstände (Arbeitszeitbetrug, Verstoß gegen das Verbot, im Werk privat Fotos anzufertigen, etc.) bestritten. Die vier ihn mit ihren vorgerichtlichen Aussagen belastenden Praktikantinnen bzw. Werksstudentinnen seien eng miteinander befreundet. Er könne sich die gegen ihn erhobenen, unwahren Vorwürfe nur so erklären, dass sich die Zeuginnen zu seinen Lasten abgesprochen hätten. Motiv für das Erheben der ungerechtfertigten Vorwürfe könne seitens Frau N. sein, dass er dieser wegen schlechter Arbeitsergebnisse ein entsprechendes Zeugnis habe in Aussicht stellen müssen. Das Vertrauensverhältnis zu Frau N. sei auch gestört, weil Frau N. einen Unfall auf dem Werksgelände mit Sachschaden bewusst länger verschwiegen habe. Hinsichtlich der von der Zeugin F. erhobenen Vorwürfe hat der Kläger vermutet, dass sie diese erhoben habe, weil sie sich von ihm nicht ausreichend unterstützt gefühlt habe und im Ergebnis nicht in ein festes Arbeitsverhältnis bei der Beklagten übernommen worden sei. Die von der Beklagten als sexistisch beanstandete Postkarte von der I. habe er stets in seiner Schreibtischschublade verwahrt. Sie sei lediglich einmal versehentlich herausgefallen und von der Zeugin M.-O.. zur Kenntnis genommen worden. Am 08.09.2020 hätten die Zeugin F. und die Zeugin M.-O. gegen 15:00 Uhr zeitgleich Feierabend gemacht.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe von den Kündigungsvorwürfen spätestens am 14.09.2020 Kenntnis gelangt. An diesem Tag habe ein Aufklärungsgespräch mit Herrn S., Herrn K., dem Kläger und Herrn S. stattgefunden. Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist sei daher schon lange vor Ausspruch der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung abgelaufen. In seiner Anhörung am 02.12.2020 habe der Kläger zahlreiche ihn entlastende Umstände angesprochen. Diesen sei die Beklagte jedoch nicht vollständig nachgegangen.

Hinsichtlich der Anhörung des Klägers am 02.12.2020 hat der Kläger bestritten, dass deren Inhalte an den Betriebsrat bzw. dessen Personalausschuss weitergeleitet worden seien. Zudem seien dem Betriebsrat entlastende Tatsachen nicht zur Kenntnis gebracht worden. Mit Rücksicht auf die mehr als 16-jährige beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit des Klägers seien die ihm gegenüber ausgesprochenen Kündigungen jedenfalls unverhältnismäßig. Er habe zuvor keine einschlägige Abmahnung erhalten.

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08.12.2020 nicht aufgelöst ist

  2. 2.

    hilfsweise für den Fall, dass der vorstehende Klagantrag Erfolg hat:

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die ordentliche Kündigung vom 10.12.2020 nicht aufgelöst ist.

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.

    Für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu Ziff. 1 und/oder 2

  4. 4.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des vorliegenden Rechtsstreits zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Marktforscher/Marketingplaner weiter zu beschäftigen.

    Für den Fall es Unterliegens mit den Klaganträgen zu Ziff. 1 und Ziff. 2

  5. 5.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung im Arbeitsverhältnis erstreckt.

  6. 6.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 10.12.2020 nicht beendet wird.

  7. 7.

    im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 6. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Marktforscher und Marketingplaner weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigungen seien wegen diverser vom Kläger begangener Pflichtverstöße gerechtfertigt.

Dem Kläger sei in mehrfacher Hinsicht die sexuelle Belästigung der ihn anvertrauten Praktikantinnen und Werksstudentinnen zur Last zu legen. Der Kläger habe die Zeugin N. und die Zeugin M. gleich zu Beginn von deren Einsatz gefragt, ob sie einen Freund hätten und habe sie darauf hingewiesen, dass man, wenn man im Vertrieb arbeite, "zweigleisig fahren" müsse. Er habe ihnen erklärt, dass ihre Partner ohnehin fremdgehen würden, das mache jeder Mann so. Er habe zudem gefragt, ob sie ihn geil finden würden. Darüber hinaus habe er gegenüber den beiden Praktikantinnen behauptet, dass er es im Kopierraum schon mit einer anderen Praktikantin "getrieben" habe und die beiden sich nicht so anstellen sollten, man könne sich bei V. auch "hochschlafen", so wie dies Y. S. getan habe. Der Kläger habe ferner behauptet, dass er After-Work-Partys für den Betrieb organisiere und dort jeder mit jedem etwas haben würde. Er habe geäußert, dass er so etwas wie ein "Vermittler" sei, wenn seine männlichen Kollegen Kontakt mit Praktikantinnen haben wollten. Während einer gemeinsamen Dienstreise mit der Zeugin K. am 20.03.2018 habe er unaufgefordert deren Koffer in ihr Hotelzimmer getragen und gefragt, ob er gleich bei ihr bleiben könne. Zudem habe er gegenüber der Zeugin K. während ihrer Praktikumszeit mehrfach geäußert: "M., denk daran, dass ich auch dein Praktikumszeugnis schreibe!". Der Kläger habe die Werksstudentin und Zeugin F. im ersten Gespräch nach ihren Vorlieben im Hinblick auf Dildos ausgefragt und ihr mindestens dreimal eine Postkarte mit dem Motiv eines V.-B. mit rosa Hintergrund gezeigt mit der Aufschrift: "B., du anatolischer Sexgott, gib' mir, was du brauchst, und ich will." Er habe im Beisein der Zeugin F. bei telefonischen Anrufen, die seitens der Praktikanten angenommen worden seien, nach dem Geschlecht des Anrufers gefragt und bei zwei Anrufen jeweils von Journalistinnen geäußert: "Die muss erstmal mit mir ins Bett gehen, bevor ich der ein Auto verkaufe." Der Zeugin M. habe er im Laufe des Praktikums mehrfach über die Schulter gestrichen und sie gelobt. Er habe ihr zudem auf den Oberschenkel geklopft mit den Worten "Dies ist doch keine sexuelle Belästigung". Er habe eines Morgens dazu angesetzt, die Zeugin N. zu massieren und habe ihr, als er neben ihr am Schreibtisch saß, auf den Bauch gefasst und gefragt, ob sie mit ihm Mittagessen gehen wolle. Der Kläger habe, entgegen der ausdrücklichen Aufforderung, dies zu unterlassen, von der Zeugin N. heimlich ein Foto von ihr mit ihrer Jeanshose gemacht.

Der Kläger habe zudem einen Arbeitszeitbetrug begangen, indem er die Zeugin N. aufgefordert habe, ihn damit zu entschuldigen, dass er Termine im Werk habe, obwohl er tatsächlich bereits nach der Mittagspause nach Hause gefahren sei, um den Bau seines privaten Hauses zu beaufsichtigen. Er habe ferner von Februar 2018 bis September 2018 mehrfach über eine Stunde Mittagspause gemacht, ohne die über eine Stunde hinausgehenden Zeiten nachzuarbeiten. Diese Differenzen seien dem Kläger jeweils vergütet worden, obwohl der Kläger in dieser Zeit nicht gearbeitet habe.

Die Beklagte hat behauptet, die kündigungsberechtigten Mitarbeiter Dr. M. und J. hätten erst am 24.11.2020 Kenntnis vom vollständigen Kündigungssachverhalt erlangt. In der Anhörung des Klägers am 02.12.2020 sei es diesem nicht gelungen, die Kündigungsvorwürfe zur Überzeugung der Beklagten zu entkräften. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zulasten des Klägers zu berücksichtigen, dass die Praktikantinnen und die Werksstudentin sich ihm gegenüber in einem Unterordnungsverhältnis befunden hätten und er seiner Vorbildfunktion nicht gerecht geworden sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes in der ersten Instanz wird auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 14.04.2021 und die von den Parteien in erster Instanz gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 14.04.2021 verwiesen.

Mit Urteil vom 14.04.2021 hat das Arbeitsgericht Hannover der Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben, die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung und zur Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verurteilt. Die Unwirksamkeit der streitbefangenen Kündigungen hat das Arbeitsgericht daraus abgeleitet, dass dem Betriebsrat bzw. Personalausschuss das vom Kläger vorgebrachte Entlastungsvorbringen nicht bekannt gewesen sei. Diese Entscheidung wurde am 16.04.2021 an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt. Die hiergegen gerichtete Berufungsschrift ist am 07.05.2021 und die dazugehörige Berufungsbegründung am 22.06.2021 und damit noch vor Ablauf der bis zum 16.07.2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Im Rahmen ihrer Berufungsbegründung vom 22.06.2021 macht die Beklagte zunächst geltend, dass dem beim Betriebsrat gebildeten Personalausschuss das Entlastungsvorbringen des Klägers insofern vollständig bekannt gewesen sei, als an der der Kündigung vorausgehenden Anhörung des Klägers am 02.12.2020 die Vorsitzende des Personalausschusses Frau B. und deren Stellvertreter Herr E. in Präsenz sowie drei weitere Mitglieder des insgesamt 6-köpfigen Personalausschusses im Rahmen einer Videoschaltung teilgenommen hätten. Nach der vom Kläger angeregten ergänzenden Befragung der aktuellen Praktikanten des Klägers habe die Beklagte dem Personalausschuss in der am Nachmittag des 02.12.2020 stattfindenden Anhörung alle relevanten Ermittlungsunterlagen überreicht und diese dem Personalausschuss zuvor auch eingehend mündlich erläutert. Bis zum Ablauf der für die außerordentliche Kündigung maßgeblichen 3-Tages-Frist am Montag, den 07.12.2020 bzw. bis zum Ablauf der für die ordentliche Kündigung maßgeblichen Wochenfrist am 09.12.2020 sei eine Stellungnahme des Personalausschusses bei der Beklagten nicht eingegangen. Die Beklagte habe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Personalausschuss nicht ordnungsgemäß konstituiert worden sei oder keine ordnungsgemäße Sitzung zu den streitbefangenen Kündigungsbegehren durchgeführt habe.

Hinsichtlich der Kündigungsgründe wiederholt und vertieft die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag. Insoweit wird vollumfänglich auf die Berufungsbegründung vom 22.06.2021 nebst der dortigen Anlagen Bezug genommen.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 22.11.2021 beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.04.2021 - 1 Ca 333/20 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 22.11.2021 beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

In seiner Berufungserwiderung vom 24.08.2021 rügt der Kläger weiter die fehlerhafte Anhörung des Personalausschusses bzw. des Betriebsrats. Die Beklagte habe sich schon vor der Anhörung des Personalausschusses unabänderlich zum Ausspruch der Kündigung entschlossen. Die Beklagte habe gegenüber dem Personalausschuss nicht hinreichend deutlich gemacht, dass sie diesen auch zu einer Verdachtskündigung anhören wolle. Dem Personalausschuss hätten am 02.12.2020 nicht alle zur Beurteilung des Falles erforderlichen Unterlagen vorgelegen.

Die Beklagte habe im Hinblick auf den Ausspruch der fristlosen Kündigung die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nicht eingehalten. Die Beklagte habe von den Kündigungsvorwürfen spätestens am 14.09.2020 Kenntnis erlangt. An diesem Tag habe ein Aufklärungsgespräch mit Herrn S., Herrn K., dem Kläger und Herrn S. stattgefunden.

Der Kläger bestreitet mit Nichtwissen, dass die Beklage über ihr Hinweisgebersystem am 20.09.2020 eine anonyme E-Mail mit dem Hinweis erhalten habe, dass es in den vergangenen Jahren wiederholt zu sexuellen Belästigungen von Praktikantinnen durch den Kläger und dessen Kollegen P. K. gekommen sei. Der Kläger bestreitet insgesamt die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der sexuellen Belästigung. Die Zeuginnen hätten sich zu seinen Lasten abgesprochen. Zudem handele es sich bei den von der Beklagten erhobenen Vorwürfen nicht um "schwere Regelverstöße" im Sinne des Hinweisgebersystems, sondern allenfalls um "sonstige Regelverstöße". Dem Aufklärungsoffice der Beklagten wirft der Kläger "unzulässige Vernehmungsmethoden" vor. So soll die Mitarbeiterin R. in einem nachgelagerten Telefonat zu ihrer innerbetrieblichen Vernehmung mit den Worten angegangen worden sein: "Ihre Aussage gefällt uns nicht, überlegen Sie sich das nochmal." Trotz entsprechender Hinweise des Klägers habe es die Beklagte unterlassen, Umstände zu ermitteln, die für den Kläger entlastend seien.

Ergänzend wird auf die Berufungserwiderung vom 24.08.2021 verwiesen.

In der Kammerverhandlung am 22.11.2021 wurde vor dem Landesarbeitsgericht durch Vernehmung der Zeugin B., des Zeugen J., des Zeugen M. und des Zeugen E. über den Informationsstand des Personalausschusses und die Anhörung des Personalausschusses am 02.12.2020 Beweis erhoben. Ferner wurde durch Vernehmung der Zeugin M. die Beweisaufnahme zu den materiellen Kündigungsgründen begonnen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme am 22.11.2021 wird auf das Protokoll dieser Sitzung (Bl. 764 - 782 d. A.) verwiesen.

Auf einen erneuten entsprechenden Antrag der Beklagten wurde am 29.11.2021 ohne mündliche Verhandlung die Zwangsvollstreckung des Weiterbeschäftigungsanspruchs des Klägers aus dem erstinstanzlichen Urteil vorläufig eingestellt (vgl. auch zur Begründung dieser Entscheidung Bl. 812 ff. d. A.). Mit Beschluss vom 10.12.2021 wurde Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung und Beweisaufnahme anberaumt auf Montag, den 25. April 2022, 10:00 Uhr im Sitzungssaal 13 des Fachgerichtszentrums in der Leonhardtstraße 15 in Hannover. Dieser Terminierungsbeschluss umfasste die prozessleitende Ladung der Zeuginnen und Zeugen N., W., F., M.-O., M. und J.. Ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisses (Bl. 859 d. A.) ist dieser Ladungsbeschluss am 13.12.2021 an den damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 11.03.2022 hat dieser gegenüber dem Gericht mitgeteilt, dass er den Kläger nicht mehr vertrete und dass das Mandat bereits mit Wirkung zum 24.02.2022 beendet worden sei. Mit gerichtlichem Schreiben vom 25.03.2022 wurde der Kläger auf den Vertretungszwang nach § 11 Abs. 4 ArbGG hingewiesen und vorsorglich an den für den 25.04.2022, 10:00 Uhr anberaumten Kammertermin erinnert. Die dem aktuellen Prozessbevollmächtigten des Klägers erteilte Prozessvollmacht (Bl. 869 d. A.), ist diesem bereits am 24.02.2022 erteilt worden. Mit Schreiben vom 31.03.2022 hat sich der aktuelle Prozessbevollmächtigte des Klägers dann gegenüber dem Gericht legitimiert und angekündigt, dass weitere Erklärungen "kurzfristig" folgen würden (Bl. 868 d. A.).

Am Sitzungstag, den 25. April 2022 um 09:23 Uhr reichte der Prozessbevollmächtigte des Klägers beim Pförtner des Fachgerichtszentrums Hannover in Papierform einen Ablehnungsantrag gegen den geschäftsplanmäßigen Vorsitzenden der 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen ein (Bl. 883 bis 889 d. A.). Eine Einreichung auf elektronischen Wege erfolgte nicht (vgl. Vermerk der Gerichtsangestellten L. vom 27.04.2022, Bl. 905 d. A.) Nach Aufruf der Sache hat der nach dem richterlichen Geschäftsverteilungsplan zuständige Befangenheitsvertreter des Vorsitzenden der 12. Kammer, Herr VRiLAG Kubicki, den anwesenden Verfahrensbeteiligten die dienstliche Stellungnahme des abgelehnten Richters Walkling vom 25.04.2022 (Bl. 890 d. A.) zugänglich gemacht. Weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter sind bei Aufruf erschienen. Nach geheimer Beratung mit den geschäftsplanmäßigen ehrenamtlichen Richtern der 12. Kammer hat die Kammer unter Vorsitz von VRiLAG Kubicki das gegen VRiLAG Walkling gerichtete Befangenheitsgesuch als unbegründet zurückgewiesen, diesen Beschluss in öffentlicher Verhandlung verkündet und die Gründe dafür zu Protokoll gegeben. Nach erneutem Aufruf der Sache hat ab 11:00 Uhr der geschäftsplanmäßige Vorsitzende VRiLAG Walkling die Verhandlung fortgeführt. Für den Kläger ist niemand erschienen.

Im Folgenden wurden in öffentlicher Sitzung die Zeuginnen N. und F. zu den streitbefangenen Kündigungsgründen und der Zeuge J. zur Frage der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB vernommen. Wegen des Ergebnisses dieses Teils der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 25.04.2022 (Bl. 894 bis 901 d. A.) verwiesen.

Zum Ende der Sitzung haben die Vertreter der Beklagten mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Erlass eines Versäumnis-Urteils stellten, sondern eine Entscheidung nach Lage der Akten gemäß § 251 a ZPO anregten. Das Gericht hat daraufhin Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf Montag, den 20.06.2022, 12:00 Uhr anberaumt.

Entscheidungsgründe

Die statthafte (§ 64 ArbGG) und von der der Beklagten form- und fristgerecht eingelegte (§ 66 ArbGG) Berufung ist insgesamt zulässig und überwiegend begründet.

Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 08.12.2020 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang am 08.12.2020 beendet. Dementsprechend hat der Kläger keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Die Beklagte war antragsgemäß zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen.

A.

Trotz des Ausbleibens des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten im Termin am 25.04.2022 konnte das Gericht durch streitiges Urteil entscheiden.

I.

Das Gericht hat nach Lage der Akten entschieden (§§ 251a ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG, 525 ZPO). Für die Anwendung des § 251a ZPO reicht es aus, wenn nur eine Partei nicht erschienen ist, die andere aber keinen Antrag stellt. (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 251a Rn. 6). Ausweislich des elektronischen Empfangsbekenntnisse vom 13.12.2021 ist der Kläger durch Zustellung des Ladungsbeschlusses vom 10.12.2021 zum Temin am 25.04.2022 auf 10.00 Uhr ordnungsgemäß geladen worden. Der Kläger hat weder einen Antrag auf Verlegung dieses Termins gestellt, noch ist der Termin von Amts wegen aufgehoben worden. Wollte man in dem am 25.04.2022 an der Pforte des Fachgerichtszentrums abgegebenen Ablehnungsantrag des Klägers gegen den planmäßigen Vorsitzenden der 12. Kammer zugleich einen konkludenten Antrag auf Terminsaufhebung sehen, ist dieser durch den Befangenheitsvertreter, Herr VRiLAG Kubicki, mit der Entscheidung über den Ablehnungsantrag ebenfalls konkludent zurückgewiesen worden. Im Ergebnis ist die Klägerseite im Termin am 25.04.2022 unentschuldigt ausgeblieben. In der vorangegangenen mündlichen Verhandlung am 22.11.2021 hatten die Parteien ihre streitigen Sachanträge gestellt. Damit lagen die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten vor.

II.

Die Beweisaufnahme konnte am 25.04.2022 trotz des Ausbleibens des Klägers fortgesetzt werden. Beiden Parteien wurde im gebotenen Umfang rechtliches Gehör gewährt.

Nach § 367 Abs. 1 ZPO ist die Beweisaufnahme durchzuführen, insoweit dies nach Lage der Sache geschehen kann, auch wenn eine oder beide Parteien in dem Termin zur Beweisaufnahme nicht erscheinen. Voraussetzung ist, dass den Parteien der Zeitpunkt und Ort der Beweisaufnahme ordnungsgemäß mitgeteilt worden ist. Wenn jedoch das Ausbleiben der beweisführungsbelasteten Partei die Erhebung des Beweises verhindert, beispielsweise weil sie ein Augenscheinobjekt vorlegen sollte, dann ist sie vorbehaltlich der in Absatz 2 getroffenen Regelung mit dem Beweis ausgeschlossen. Anderenfalls hat das Gericht die Gründe für das Nichterscheinen der Partei zu werten und insbesondere festzustellen, ob ihr Verhalten als beweisvereitelnd anzusehen ist (MüKoZPO/Heinrich, 6. Aufl. 2020, ZPO § 367 Rn. 2).

Die Parteien können auf eine Verhandlung über das Beweisergebnis verzichten. Möglich ist es ebenfalls, dass die Parteien einverständlich darauf verzichten, in der mündlichen Verhandlung das Beweisergebnis zu erörtern. Stattdessen können die Parteien ihre Stellungnahmen auch schriftlich abgeben. Ist eine Partei im Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme insgesamt säumig, so soll dennoch die Beweisaufnahme durchgeführt werden, soweit dies möglich ist (vgl. § 367 ZPO). Sind beide Parteien im gesamten Termin zur mündlichen Verhandlung und zur Beweisaufnahme säumig, so ist in gleicher Weise die Beweisaufnahme nach Möglichkeit durchzuführen. In diesem Fall kann anschließend eine Vertagung oder das Ruhen des Verfahrens beschlossen werden oder es kann eine Entscheidung nach Lage der Akten ergehen (vgl. §§ 128 Abs. 2, 252a ZPO). Das Beweisergebnis kann in diesem Falle verwertet werden (MüKoZPO, ZPO § 285 Rn. 4, 5, beck-online).

Im vorliegenden Fall waren die Parteien durch den Beschluss der Kammer vom 22.11.2021 und den Inhalt des Ladungsbeschlusses des Vorsitzenden vom 10.12.2021 darüber informiert, dass am 25.04.2022 die Beweisaufnahme fortgesetzt werden wird. Der Kläger bzw. sein aktueller Prozessbevollmächtigter haben sehenden Auges darauf verzichtet, dabei mitzuwirken.

B.

Infolge der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 08.12.2020 ist das Arbeitsverhältnis mit diesem Tage beendet worden und der Kläger hat keinen Weiterbeschäftigungsanspruch, sondern lediglich einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Endzeugnisses.

I.

Die außerordentliche Kündigung vom 08.12.2020 erweist sich als rechtswirksam. Das Verhalten des Klägers ist als sexuelle Belästigung zu werten und "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden, und zwar als Tat-, sowie als Verdachtskündigung. Das Verhalten wiegt zudem derart schwer, dass eine Abmahnung entbehrlich war. Denn selbst die einmalige Hinnahme der sexuellen Belästigungen war der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Kläger erkennbar - ausgeschlossen.

1.

Das Verhalten des Klägers ist "an sich" geeignet, einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Durch die sexuelle Belästigung der Praktikantinnen Frau I. und Frau N. hat der Kläger seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gem. § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt. Die Beklagte hat ein eigenes schutzwürdiges Interesse daran, dass ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich der Praktikantinnen und Praktikanten respektvoll miteinander umgehen und gedeihlich zusammenarbeiten. Sie ist nach § 12 Abs. 1 und 3 AGG darüber hinaus gesetzlich verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexuellen Belästigungen zu schützen (BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 23, juris).

a)

Nach dem Ergebnis der am 22.11.2021 und 25.04.2022 durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten, vielfältigen, beharrlichen und erheblichen sexuellen Belästigungen zu Lasten der Zeuginnen N. und M. tatsächlich begangen hat.

aa)

Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG ist gem. § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten, die "an sich" als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet ist (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 15, BAGE 159, 267; 20. November 2014 - 2 AZR 651/13 - Rn. 15, BAGE 150, 109). Sie liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 17, aaO). Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 18, aaO). Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem oder mehreren anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden (Köhler/Koops BB 2015, 2807, 2808). Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 18, aaO; BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 24, juris). Bei Handlungen, deren Sexualbezogenheit aus sich heraus nicht zwingend ist, wie beispielsweise Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund der mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 18, aaO; 2. März 2017 - 2 AZR 698/15 - aaO). Eine solche kann auch darin bestehen, den Betroffenen unter Verletzung seines Rechts auf Selbstbestimmung sexualbezogen zu beschämen. Geht es dagegen um ein Verhalten, das das Geschlechtliche im Menschen unmittelbar zum Gegenstand hat, genügt für das "Bewirken" iSv. § 3 Abs. 4 AGG der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 20, aaO; 9. Juni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 19). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit verlangt - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG - nicht, dass der Betroffene seine ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht hat. Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 21, aaO; BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 24, juris).

bb)

Die Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin M. am 22.11.2022 sowie die Vernehmung der Zeuginnen N. und F. am 25.04.2022 haben zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kläger gegenüber diesen in Vergleich zum Kläger wesentlichen jüngeren Mitarbeiterinnen durch das situationsinadäquate fortwährende Ansprechen sexueller Themen ein Klima der sexuell gefärbten Zudringlichkeit geschaffen hat. Dabei hat der Kläger seine gefestigte und hierarchisch übergeordnete Stellung im Betrieb dazu ausgenutzt, die überwiegend konkludente teils aber auch explizite Abwehr der Zeuginnen zu überspielen. Aus dieser Situation heraus hat der Kläger die Zeuginnen gegen deren aus der Situation heraus erkennbare Ablehnung mehrfach sexualbezogen berührt. Im Einzelnen hat die Beweisaufnahme ergeben:

aaa)

Die Zeugin M. hat ausgesagt, dass der Kläger sie und die Zeugin N. schon zu Beginn von deren Praxisphase im März 2020 gefragt hat, ob die Zeuginnen jeweils einen Freund hätten. Als die Zeuginnen dies bejahten, meinte der Kläger, dass man im Betrieb aber "zweigleisig fahren" müsse. Die Freunde der Zeuginnen würden ja auch fremdgehen. In der Nähe des Kopierraums habe der Kläger geäußert, dass er es hier auch schon einmal mit einer Praktikantin "getrieben" habe. Die Zeuginnen sollten uns hier nicht so anstellen. Man könne sich bei V. auch "hochschlafen". Die Zeugin M. hat bekundet, dass sie sich bei dieser sexualisierten Ansprache durch den Kläger sehr unwohl gefühlt habe.

Die Zeugin M. hat auch eine Situation erinnert, in der sie gemeinsam mit dem Kläger von oben einen Blick auf den Empfang des Kundencenters hatte. Der Kläger habe dann behauptet, dass die Kolleginnen dort auf ihn ganz geil wären und wenn man sie mit ihm zusammenlassen würde, könne keiner verantworten, was dann geschehe. Bei anderer Gelegenheit habe der Kläger behauptet, dass er früher für den Vertrieb After-Work-Partys organisiert habe, bei denen wohl jeder was mit jedem gehabt habe. Da seien ihm Kollegen auch noch etwas schuldig, weil er ihnen Praktikantinnen vermittelt habe. Diese Bemerkungen seien vor dem Werksurlaub in den Monaten Mai/Juni/Juli gefallen.

Die Zeugin M. hat im Zeugenstand eine Situation geschildert, in der sie in der Nähe des Schreibtisches Akten auf einem Aktentisch sortieren musste. In diesem Zusammenhang habe sie sich bücken müssen. Der Kläger habe dann dazu angesetzt, ihren Nacken zu massieren. Der Zeugin sei dies unangenehm gewesen. Sie habe dann aber nichts gesagt, sondern habe sich nur weggeduckt. Dies sei gegen Ende ihres Einsatzes gewesen. Die Zeugin M. hat weiter bekundet, dass sie der Kläger im Juni oder Juli auch am Oberschenkel berührt habe, mit der Bemerkung, dass dies ja wohl keine sexuelle Belästigung sei. Für die Zeugin habe sich diese Berührung seltsam/unpassend angefühlt. In der Situation sei sie mit dem Kläger alleine gewesen.

Die Aussagen der Zeugin M. sind glaubhaft. Die Zeugin konnte das Geschehen detailreich und widerspruchsfrei schildern. Die Darstellung bei der gerichtlichen Vernehmung stimmt im Wesentlichen mit dem überein, was die Zeugin M. bei ihrer betrieblichen Befragung am 26.10.2020 (vgl. Anlage 10,11 und 12 des Anlagenkonvoluts zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.06.2021) gegenüber Herrn A. B. und Frau C. R. detailreich zu Protokoll gegeben hatte. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin M. leidet auch nicht darunter, dass die Zeugin die einzelnen Vorfälle nicht mehr auf den Tag genau zuordnen konnte. Das ist einerseits erklärlich, weil zwischen den Vorfällen und er gerichtlichen Vernehmung mehr als 1 1/2 Jahre Zeit vergangen sind. Zum anderen war die Zeugin M. im Frühjahr und Sommer 2020 noch bemüht, die Vorfälle zu verdrängen und sich "wegzuducken". Diese Haltung erklärt, warum die Zeugin beispielsweise davon abgesehen hat, sich zeitnah Notizen oder Gedächtnisprotokolle zu fertigen. Eine Belastungstendenz war bei der Zeugin nicht zu erkennen. Sie hat die Vorgänge weder dramatisiert noch gegenüber ihren Angaben in den innerbetrieblichen Vernehmungen aufgebauscht. Für das Gericht haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das die Zeugin M. in Schädigungsabsicht gegenüber dem Kläger und in Absprache mit den Zeuginnen N. und F. Vorgänge bekundet hat, die es in der Realität gar nicht gegeben hat. Der Zeugin M. war es vielmehr erkennbar unangenehm über die von ihr als beschämend empfundenen Vorgänge in öffentlicher Verhandlung aussagen zu müssen. Die Zeugin hat nicht den Eindruck vermittelt, dass sie mit dem Kläger "abrechnen" wolle, vielmehr wäre es ihr lieber gewesen, wenn sich diese Vorfälle niemals zugetragen hätten.

Die Zeugin M. ist in ihrer Person glaubwürdig. Sie hat bei ihrer gerichtlichen Vernehmung etwas eingeschüchtert und verschämt gewirkt. Dies führt das Gericht einerseits auf das schambehaftete Thema zurück und anderseits darauf, dass es der inzwischen älteren und gereifteren Zeugin in der Rückschau unangenehm ist, dass sie sich nicht sofort entschlossen gegen die Zudringlichkeiten des Klägers zur Wehr gesetzt hat bzw. nicht früher eine Anzeige bei den dafür zuständigen innerbetrieblichen Stellen erstattet hat.

bbb)

Die Zeugin N. hat bei ihrer Vernehmung am 25.04.2022 ausgesagt, dass sie sich während der fachlichen Betreuung durch den Kläger sehr unwohl gefühlt habe. Dies habe unter anderen daran gelegen, dass der Kläger häufig sexuelle Themen angesprochen habe. Zudem habe der Kläger eines Morgens im Büro dazu angesetzt, die Zeugin N. zu massieren, indem er ihr beide Hände auf die Schultern gelegt habe. In einer anderen Situation habe der Kläger zur Mittagszeit, als er am Schreibtisch neben der Zeugin saß, dieser seine Hand auf den Bauch gelegt und sie gefragt hat, ob sie wohl Hunger habe und ob sie gemeinsam mit ihm essen gehen wolle. Die Zeugin sei in dieser Situation zunächst zusammengezuckt und quasi erstarrt, weil es ihr so unangenehm gewesen sei. Die Zeugin meinte sich zu erinnern, dass sie dem Kläger auch mindestens einmal gesagt habe, dass sie es nicht möchte, dass er sie anfasst. Von Seiten der Zeugin hab es keine Ebene der körperlichen Berührung mit dem Kläger gegeben. Es sei allein der Kläger gewesen, der die Grenze zur Körperlichkeit überschritten habe.

Der Kläger habe ausgiebig erzählt, dass er es angeblich mit einer vormaligen Praktikantin im Kopierraum getrieben habe, also Geschlechtsverkehr mit dieser Praktikantin gehabt habe. Er habe ausführlich geschildert, dass dies die Praktikantin angeblich unbedingt so hätte haben wollen. Er habe der Zeugin N. Komplimente zu ihrer Figur gemacht und habe dabei ganz explizit auf eine Jeanshose Bezug genommen, die sie getragen habe. Gegen den erklärten Willen der Zeugin habe der Kläger ein Foto von ihr in dieser Jeans gemacht.

Schon zu Beginn ihres Praktikums habe der Kläger zu der Zeugin N. gesagt, dass man sich bei V. auch gut "hochschlafen" könne und dabei immer "zweigleisig fahren" müsse. Die Zeugin solle sich das doch auch mal überlegen. Dies seien für die Zeugin nicht nur allgemeine Erwägungen gewesen - sie habe sich dadurch direkt vom Kläger bedrängt gefühlt. Der Kläger habe sich auch erkundigt, ob die Zeugin denn einen Freund habe. Als sie dies bejahte, habe der Kläger behauptet, dass der doch auch fremdgehen könne, und dass es ihm schon gelingen werde, die Zeugin und ihren Freund auseinander zu bringen.

Mitte März 2018 habe der Kläger auf einer gemeinsamen Dienstreise unaufgefordert den Koffer der Zeugin in deren Hotelzimmer getragen. Der Kläger sei dann im Zimmer der Zeugin stehen geblieben und habe diese gefragt, ob er gleichbleiben könne. Für die Zeugin habe dies sehr ernst geklungen. Sie sei darüber geschockt gewesen und habe ihm gesagt: "Nein, natürlich nicht." Der Kläger habe daraufhin sinngemäß gesagt, die Zeugin solle sich doch mal lockermachen.

Etwa zur Mitte ihrer Praktikumszeit habe sich die Zeugin N. aufgerafft, dem Kläger zu sagen, dass sie sein Verhalten für "unprofessionell" halte. Gemeint habe sie damit die sexualisierten Zudringlichkeiten. Die Zeugin hatte den Eindruck, dass dies dem Kläger auch klar gewesen sei. Er habe ihr daraufhin gesagt, sie könne ihm dankbar sein, dass er sie überhaupt eingestellt habe. Ihr würde im Zweifel sowieso niemand glauben. In Situationen, in denen die Zeugin aus Sicht des Klägers "nicht locker genug" war, habe er sie mit den Worten ermahnt "M., denk dran, dass ich auch dein Praktikumszeugnis schreibe". Als Reaktion auf die Zudringlichkeiten des Klägers habe sich die Zeugin entschieden, ihren Kleidungsstil zu ändern und habe darauf geachtet, möglichst keine figurbetonte Kleidung zu tragen. Die Zeugin N. war über diese Vorfälle während ihres Praktikums sehr verstört. Das Thema habe sie auch über den Feierabend hinaus beschäftigt.

Auch die Aussagen der Zeugin N. sind glaubhaft. Es hat sich für das Gericht in etwa das gleiche Bild wie bei der Vernehmung der Zeugin M. ergeben. Auch die Zeugin N. konnte das Geschehen detailreich und widerspruchsfrei schildern. Die Darstellung der Zeugin N. bei ihrer gerichtlichen Vernehmung stimmt im Wesentlichen mit dem überein, was die Zeugin bei ihrer betrieblichen Anhörung bereits am 09.11.2020 (vgl. Anlage 19 und 20 des Anlagenkonvoluts zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.06.2021) gegenüber Herrn A. B. und Frau C. R. detailreich zu Protokoll gegeben hatte. Die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin M. leidet auch nicht darunter, dass die Zeugin die einzelnen Vorfälle nicht mehr auf den Tag genau zuordnen konnte. Das ist einerseits erklärlich, weil zwischen den Vorfällen und er gerichtlichen Vernehmung mehr als 1 1/2 Jahre Zeit vergangen sind. Zum anderen war auch die Zeugin N. zunächst noch bemüht, die Vorfälle zu verdrängen. Diese Haltung erklärt, warum die Zeugin beispielsweise davon abgesehen hat, sich zeitnah Notizen oder Gedächtnisprotokolle zu fertigen. Eine Belastungstendenz war auch bei dieser Zeugin nicht zu erkennen. Sie hat die Vorgänge weder dramatisiert noch gegenüber ihren Angaben in den innerbetrieblichen Vernehmungen aufgebauscht. Für das Gericht haben sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das die Zeugin N. in Schädigungsabsicht gegenüber dem Kläger und in Absprache mit den Zeuginnen M. und F. Vorgänge bekundet hat, die es in der Realität gar nicht gegeben hat. Der Zeugin M. war es vielmehr erkennbar unangenehm über die von ihr als beschämend empfundenen Vorgänge in öffentlicher Verhandlung aussagen zu müssen. Auch die Zeugin N. hat nicht den Eindruck vermittelt, dass sie mit dem Kläger "abrechnen" wolle, vielmehr wäre es ihr lieber gewesen wäre, wenn sich diese Vorfälle niemals zugetragen hätten.

Die Zeugin N. wirkte in ihrer Person glaubwürdig. Sie hat bei ihrer gerichtlichen Vernehmung etwas eingeschüchtert und verschämt gewirkt. Dies führt das Gericht einerseits auf das schambehaftete Thema zurück und anderseits darauf, dass es der inzwischen älteren und damit auch lebenserfahreneren Zeugin in der Rückschau unangenehm ist, dass sie sich nicht sofort entschlossen gegen die Zudringlichkeiten des Klägers zur Wehr gesetzt hat bzw. nicht früher eine Anzeige bei den dafür zuständigen innerbetrieblichen Stellen erstattet hat.

ccc)

Die Zeugin F. hat im Rahmen ihrer Vernehmung am 25.04.2022 unter anderem bekundet, dass sie am 08.09.2020 in dem Großraumbüro, in welchem sie mit dem Kläger tätig gewesen sei, in besonders unangenehmer Weise vom Kläger bedrängt worden sei. Der Kläger habe sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor der Zeugin F. aufgebaut und sinngemäß zu ihr gesagt: "Können die das wohl verantworten, uns hier alleine zu lassen? Kannst dich ja schon mal warm machen, gleich geht's hier ab". Die Zeugin habe diese Äußerung des Klägers als mögliche Ankündigung eines sexuellen Übergriffs verstanden und habe daraufhin zusammen mit der Zeugin M.-O. fluchtartig den Betrieb verlassen. Dabei habe die Zeugin M.-O. schon vorher darum gebeten, so früh Feierabend machen zu dürfen, dass sie einen Zug vor 15 Uhr würde erreichen können. Die Zeugin F. habe indes eigentlich noch länger arbeiten wollen. Aufgrund der von ihr als bedrohlich empfundenen Bemerkung des Klägers, habe sie sich dann zu einem sofortigen Aufbruch entschlossen. Die Zeugin F. konnte nicht erinnern, ob die Zeugin M.-O. die von der Zeugin als bedrohlich empfundene Bemerkung des Klägers ("Kannst dich ja schon mal warm machen ...") mitbekommen hat oder ob sich die Zeugin M.-O. zu diesem Zeitpunkt auf der Toilette befunden habe. Die Zeugin F. hat ferner bekundet, dass der Kläger sie am Folgetag damit konfrontiert habe, dass er sich vom Praktikumsbetreuer der Zeugin M. das "O.K." dafür geholt habe, dass diese "auftauen" dürfe, die Zeugin sei ja so verklemmt und müsste erstmal lockergemacht werden. Diese weitere Entwicklung habe der Zeugin F. Angst gemacht und sie bewogen, die vom Kläger ausgehenden Übergriffe zu melden.

Der Kläger habe sich generell empört geäußert, wenn er von einer Frau in seine Schranken gewiesen wurde, weil er wohl meinte, dass ihm alle Frauen zu Füßen liegen müssten.

Diese Bekundungen der Zeugin F. hält das Gericht für glaubwürdig. Die Schilderungen der Zeugin F. bei ihrer gerichtlichen Vernehmung am 25.04.2022 waren zwar bezüglich des Vorfalls von Anfang September 2020 detaillierter als diejenigen Angaben, die die Zeugin bereits bei ihrer betriebsinternen Befragung am 26.10.2020 (vgl. Anlage 08 und 09 des Anlagenkonvoluts zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.06.2021) gegenüber Herrn A. B. und Frau C. R. zu Protokoll gegeben hatte. Im Rahmen der Befragung am 26.10.2020 hatte die Zeugin F. schwerpunktmäßig nur das Geschehen am Folgetag geschildert. Der Kläger habe sich bei ihrem Praktikumsbetreuer, Herrn V. H., über sie beschwert, weil sie so schüchtern und introvertiert sei - der Kläger werde die Zeugin "erstmal wach küssen". Ein sich zunächst andeutender inhaltlicher Widerspruch zwischen dem Vortrag der Beklagten und dem insofern substantiierten Bestreiten des Klägers hat sich in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2022 aufgelöst: Derweil die Beklagte zunächst vorgetragen hatte, dass es zu der, von der Zeugin F. als bedrohlich empfundenen, Szene am 08.09.2020 erst gekommen sei, nachdem der Kläger die Zeugin M.-O. gegen 15:00 Uhr nach Hause geschickt habe, ergibt sich aus der oben wiedergegebenen Aussage der Zeugin F., dass sich zwar zunächst abzeichnete, dass die Zeugin M.-O. früher als die Zeugin F. Feierabend machen werde, dass sich die Zeugin F. dann aber wegen der Übergriffigkeit des Klägers zu einem sofortigen Verlassen der Arbeitsstätte entschlossen habe. Das Gericht hat in der Aussage der Zeugin F. keine Anhaltspunkte dafür entdecken können, dass die Zeugin F. - wie vom Kläger behauptet - Vorgänge bekundet, die in der Realität nicht stattgefunden hätten.

Die Zeugin F. wirkte bei ihrer Vernehmung entschlossener und selbstbewusster, als die Zeuginnen M. und N. bei ihrer Vernehmung gewirkt haben. Die Zeugin F. hat auch thematisiert, dass sie vom Verhalten der Beklagten als Arbeitgeberinnen enttäuscht gewesen sei, weil jene einen effektiven Schutz vor sexuellen Belästigungen nicht habe gewährleisten können. Diese emotionale Haltung der Zeugin F. ist für das Gericht angesichts der jetzt aufgeklärten Umstände nachvollziehbar. Die Zeugin F. zeigte dennoch zulasten des Klägers keine Belastungstendenz und ist dabei geblieben, dass der Kläger ihr gegenüber nicht körperlich übergriffig geworden sei. Damit hat die Zeugin F. einen glaubwürdigen Eindruck gemacht.

ddd)

Zum Beweis des hier von der Kammer als tragend angesehenen Kündigungsgrundes bedurfte es keiner weiteren Zeugenvernehmungen. Soweit sich der Kläger gegenbeweislich u.a. auf das Zeugnis zahlreicher weiterer Zeuginnen und Zeugen bezogen hat, brauchten diese nicht vom Gericht gehört zu werden, weil die in deren Wissen gestellten Tatsachen zugunsten des Klägers als wahr unterstellt werden können, ohne dass sich an der Feststellung und der Beurteilung der hier einschlägigen Kündigungsgründe etwas ändert. Es mag sein, dass die Vorgesetzten des Klägers diesem im September 2020 erklärt haben, dass sie "zu hundert Prozent hinter ihm stünden und dass nichts unternommen werden müsste". Entscheidend ist, dass die nachfolgenden Ermittlungen des Aufklärungsoffices ergeben haben, dass der Kläger schwerwiegende Vertragsverletzungen in Form fortgesetzter sexueller Belästigungen zu Lasten jedenfalls der Zeuginnen I. und K. begangen hat.

Es ist gut möglich, dass der Kläger die Zeuginnen S. K., A. T., M. S., K. Z. und B. C. nicht sexuell belästigt hat, und sich diesen gegenüber jederzeit korrekt und zuvorkommend verhalten hat. Tragender Kündigungsgrund ist nicht, dass der Kläger alle mit ihm zusammenarbeitenden weiblichen Kolleginnen sexuell belästigt haben soll, sondern dass er dies gegenüber den Zeuginnen M. und N. getan hat. Es kann auch zutreffen, dass sich u.a. die Zeugin S. K., die Zeugin B. C. und der Zeuge T. S. erfreut darüber geäußert haben, dass die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 14.04.2021 erstinstanzlich erfolgreich gewesen ist. Dadurch werden die Art und das Gewicht der jetzt festgestellten Kündigungsgründe nicht in Frage gestellt.

Das Gericht stellt hiermit ausdrücklich fest, dass sich die Rechtfertigung der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung vom 08.12.2020 bereits aus den von den Zeuginnen M. und N. bekundeten sexuellen Belästigungen selbstständig tragend ergibt.

Die Kammer hatte die Absicht, den Sachverhalt durch Vernehmung der vom Kläger benannten Entlastungszeugin M.-O. weiter aufzuklären. Diese ist entsprechend der ihr vom Gericht übermittelten Ladung zum Termin des zweiten Teils der Beweisaufnahme am 25.04.2022 pflichtgemäß erschienen. Mit handschriftlicher Einlassung vom 05.05.2022 (Bl. 911 d.A.) hat die Zeugin jedoch mitgeteilt, dass ihr am Tag der Beweisaufnahme am 25.04.2022 "auf Anweisung vom Rechtsanwalt K. [...] um 10.25 Uhr übermittelt [worden sei], dass der Termin ausfällt bzw. verschoben wird." Darin liegt der Fall einer vom Prozessbevollmächtigten des Klägers zu vertretenen Beweisvereitelung. Nur dem Gericht steht es zu, die von ihm geladenen Zeuginnen und Zeugen wieder abzuladen. Es ist eine erhebliche Pflichtwidrigkeit des Prozessbevollmächtigten des Klägers, dass er die Zeugin nach Hause geschickt hat oder dies über sein Büropersonal veranlasst hat. Diese Pflichtwidrigkeit ist in entsprechender Anwendung von § 85 Abs. 2 ZPO dem Kläger zuzurechnen. Insofern ist es dem Gericht möglich gewesen, die Aussage der Zeugin J. ohne ergänzende Vernehmung der Zeugin M.-O. abschließend zu würdigen.

b)

Die gegenüber dem Kläger mit Schreiben vom 08.12.2020 ausgesprochene fristlose außerordentliche Kündigung ist auch als sogenannte Verdachtskündigung wirksam.

aa)

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr. Senat, beispielsweise 14. September 1994 - 2 AZR 164/94 - BAGE 78, 18; zuletzt 6. Dezember 2001 - 2 AZR 496/00 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 36 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11). Es entspricht den Besonderheiten des wichtigen Grundes bei einer Verdachtskündigung, die Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers als Voraussetzung einer wirksamen Verdachtskündigung anzusehen. Der vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Anders als bei einem auf Grund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt besteht bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr, dass ein "Unschuldiger" betroffen ist. Deshalb ist es gerechtfertigt, strenge Anforderungen an sie zu stellen und vom Arbeitgeber zu verlangen, alles zu tun, um den Sachverhalt aufzuklären. Die Kündigung verstößt anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu entkräften und Entlastungstatsachen anzuführen. Die Anhörung des Arbeitnehmers hat im Zuge der gebotenen Aufklärung des Sachverhalts zu erfolgen. Ihr Umfang richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Sie muss jedenfalls nicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG gestellt werden (BAG 13. September 1995 - 2 AZR 587/94 - BAGE 81, 27; Hoefs Die Verdachtskündigung S 196). Die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung und Information des Betriebsrats einerseits und an die Anhörung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Verdachtskündigung andererseits dienen anderen Zwecken und sind schon deshalb im Ansatz nicht vergleichbar (Höland Anm. zu BAG AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 25; Kraft Anm. BAG EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Dennoch reicht es grundsätzlich nicht aus, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen einer Anhörung zu einer Verdachtskündigung lediglich mit einer unsubstantiierten Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen konkretisierten Sachverhalt beziehen. Nur dann hat der Arbeitnehmer überhaupt die Möglichkeit, sich zum Verdachtsvorwurf und den ihn tragenden Verdachtsmomenten substantiiert zu äußern. Der Arbeitgeber darf deshalb dem Betroffenen keine wesentlichen Erkenntnisse vorenthalten, die er im Anhörungszeitpunkt bereits besitzt. Er muss alle relevanten Umstände angeben, aus denen er den Verdacht ableitet (Berkowsky Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung 3. Aufl. § 26 Rn. 8; Busch MDR 1995, 217, 218; Hoefs aaO S 199; Kraft aaO; Schönfeld NZA 1999, 299, 300). Andernfalls würden die Einlassungs- und Verteidigungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers unzulässig beschränkt (BAG, Urteil vom 26. September 2002 - 2 AZR 424/01 -, Rn. 32 - 34, juris).

bb)

im vorliegenden Fall sind die Voraussetzungen für den Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung erfüllt. Bereits am 03.11.2020 wurde der Kläger durch die Mitarbeiterin C. R. und den Mitarbeiter A. B. erstmals ausführlich zu den Tatsachen befragt, aus denen sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung ergeben könnte. Was die Beklagte dem Kläger im Einzelnen vorwirft, hat sie sodann im ergänzenden Einladungsschreiben vom 27.11.2020 übersichtlich und konkret zusammengefasst. Der Kläger hatte die Möglichkeit, sich im Rahmen seiner Anhörung am 02.12.2020 ab 10:00 Uhr im Sektor 10, 1. OG, Raum 114 im Werk der Beklagten in H. zu diesen Vorwürfen zu äußern. Der Kläger befand sich dabei in Begleitung der ihn in dieser Verfahrensphase vertretenen Rechtssekretärin M. Der Kläger hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in Gänze in Abrede gestellt und unter anderem verlangt, die Praktikantin, Frau M.-O., und den Praktikanten, Herrn M. K., zu den Vorwürfen anzuhören. Dem ist die Beklagte am selben Tage im Anschluss an die Anhörung des Klägers nachgekommen. Damit ist dem vor Ausspruch einer Verdachtskündigung bestehenden Anhörungserfordernis umfassend Rechnung getragen worden.

Inhaltlich ergibt sich der die Verdachtskündigung tragende dringende Tatverdacht gegen den Kläger aus den Tatsachen, welche bereits unter B. I. 1. a) der Entscheidungsgründe zur Rechtfertigung der Tatkündigung gewürdigt worden sind.

2.

Aufgrund der Schwere der vom Kläger begangenen Pflichtverletzungen war eine vorherige Abmahnung vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung entbehrlich. Die vorzunehmende umfassende Interessenabwägung ergibt, dass der Beklagten noch nicht einmal die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten gewesen wäre.

a)

Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 27. Februar 2020 - 2 AZR 570/19 - Rn. 23, BAGE 170, 84; 13. Dezember 2018 - 2 AZR 370/18 - Rn. 30; 29. Juni 2017 - 2 AZR 302/16 - Rn. 28, BAGE 159, 267). Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen (vgl. BAG 27. Februar 2020 - 2 AZR 570/19 - Rn. 24, aaO). Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das "Klima", in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt. BAG, Urteil vom 20. Mai 2021 - 2 AZR 596/20 -, Rn. 27, juris).

b)

Nach diesen Grundsätzen war eine Abmahnung des Klägers im Vorfeld der streitbefangenen außerordentlichen Kündigung entbehrlich, weil die vom Kläger begangenen Pflichtverletzungen so schwerwiegend sind, dass sie die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage irreparabel zerstört haben. Konkret ergibt sich die Schwere der begangenen Pflichtverletzungen aus den sexualisierten körperlichen Übergriffen gegenüber den Zeuginnen (Hand auf den Oberschenkel bzw. den Bauch gelegt, angedeutete Massagebewegungen im Nacken oder auf den Schultern der Zeuginnen) in Zusammenschau mit der unerwünschten und unangebrachten Thematisierung sexueller Inhalte im Arbeitsverhältnis, durch welche ein Klima geschaffen wurde, das denn Zeuginnen suggerierte, ihre Ablehnung sexueller Kontakte sei nicht akzeptabel, weil "steif" oder "nicht locker genug". Dabei hat der Kläger gezielt seine gefestigte hierarchische Stellung bei der Beklagten und die tatsächliche bzw. vom Kläger suggerierte Abhängigkeit der weiblichen Praktikantinnen und Werkstudentinnen von ihm ausgenutzt. Der Kläger hat dabei konkludent zum Ausdruck gebracht, dass die ihm zugeordneten Praktikantin bzw. Werkstudentinnen ihre berufliche Entwicklung bei der Beklagten dadurch befördern könnten, dass sie seinen sexuellen Zudringlichkeiten nachgeben. Ein solches Verhalten ihrer Beschäftigten kann die Beklagte auch in Einzelfällen nicht hinnehmen.

Im Übrigen ergibt die im Rahmen jeder (außer-)ordentlichen Kündigung vorzunehmende umfassende Interessenabwägung, dass in diesem Fall dem Beendigungsinteresse der Beklagten der Vorrang vor dem Bestandschutzinteresse des Klägers gebührt.

Im Rahmen der Interessenabwägung waren zugunsten des Klägers seine bis zum Ausspruch der Kündigung mehr als sechzehnjährige Betriebszugehörigkeit, der Umstand, dass das Arbeitsverhältnis bislang formal unbelastet gewesen ist, sowie seine Unterhaltspflichten gegenüber seiner Frau und seinem minderjährigen Kind zu berücksichtigen.

Auf Seiten der Beklagten war zu berücksichtigen, dass diese nach § 12 AGG in einem umfassenden Sinne dazu verpflichtet ist, die bei ihr Beschäftigten (vgl. § 6 Abs. 1 AGG) vor Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Grundes zu schützen. Dazu gehört insbesondere ein effektiver Schutz vor sexuellen Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen der Arbeitgeberin im Rahmen der Auswahl der geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen, zu denen auch die Kündigung gehört, insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu "unterbinden" hat. Nach § 12 Abs. 3 AGG hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen der Arbeitgeber als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab (BAG 20. November 2014, 2 AZR 651/13 Rn. 15, BAGE 150, 109; 9. Juni 2011, 2 AZR 323/10, Rn. 16). Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (BAG 29. Juni 2017, 2 AZR 302/16, Rn. 29, BAGE 159, 267 - 277).

Insoweit die Beklagte diesen gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, besteht für sie das Risiko, mit Schadensersatzansprüchen diskriminierten Beschäftigten konfrontiert zu werden. Für den erforderlichen Schutz hat die Beklagte u.a. durch den bei ihr geltenden "Code of Conduct", die Betriebsvereinbarung 2/96 mit dem Titel "Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz" und das installierte Hinweisgebersystem zwar die strukturellen Voraussetzungen geschaffen. Gerade das vom Kläger an den Tag gelegte Verhalten war indes in besonders gefährlicher Weise dazu geeignet, diese Schutzmechanismen zu unterlaufen. Der Kläger hat sich als Opfer der von ihm begangenen sexuellen Belästigungen diejenigen Mitarbeiter aus der Belegschaft ausgewählt, die nach ihrem Vertragsstatus und ihrer sozialen Einbindung noch am wenigsten bei der Beklagten etabliert und daher am angreifbarsten waren. Der Kläger war sich dieses Machtgefälles bewusst und hat es gezielt ausgenutzt. Dies zeigt sich an den von der Zeugin N. bekundeten Äußerungen des Klägers, er sei im Betrieb hervorragend vernetzt und ihr, der Praktikantin, werde im Zweifel niemand Glauben schenken. Die Beklagte hat insofern auch ein legitimes generalpräventives Interesse daran, dass für die Belegschaft sichtbar wird, dass derart schwere Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften zum Schutz der Persönlichkeit und der sexuellen Integrität konsequent und effizient geahndet werden. Zu Lasten des Klägers wirkt sich in der Interessenabwägung überdies aus, dass die genannten Äußerungen des Klägers den Schluss zulassen, dass er sich der Rechtswidrigkeit der von ihm begangenen Belästigungen bewusst war. Denn nur aus diesem Bewusstsein heraus konnte der Kläger die Situation vorausdenken, dass er sich möglicherweise innerbetrieblich für sein Verhalten rechtfertigen müsste und dass es dann auf seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubwürdigkeit der ihm unterstellten Praktikanten ankommen könnte.

Insgesamt überwiegt daher das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung der vertraglichen oder gesetzlichen Kündigungsfrist die sozialen Interessen des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

3.

Mit Ausspruch der fristlosen Kündigung am 08.12.2020 hat die Beklagte die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, welche mit dem Ende der Anhörung des Klägers am 2. Dezember 2020, frühestens jedoch mit Kenntnis der kündigungsberechtigten Mitarbeiter Dr. M. und J. vom Abschlussbericht vom 20. November 2020 am 24.11.2020 zu laufen begonnen hatte.

a)

Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG 25. April 2018 - 2 AZR 611/17 - Rn. 50). Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 18; 1. Juni 2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 61, BAGE 159, 192). Von der völligen - und sei es grob fahrlässigen - Unkenntnis des Kündigungssachverhalts ist der Fall zu unterscheiden, dass schon einige Tatsachen bzw. Umstände bekannt sind, die auf einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung hindeuten. Dann kann der Lauf der Ausschlussfrist ausgelöst werden (vgl. KR/Fischermeier 12. Aufl. § 626 BGB Rn. 337). Allerdings darf der Kündigungsberechtigte, der bislang lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt indes nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, die ihm die Entscheidung darüber ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (vgl. BAG 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 23; 1. Juni 2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 66, BAGE 159, 192). Das Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist setzt allerdings stets voraus, dass dem Kündigungsberechtigten die Tatsachen bereits im Wesentlichen bekannt und nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sind oder doch erscheinen dürfen, wie etwa die Anhörung des Betroffenen bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen (BGH 2. Juli 2019 - II ZR 155/18 - Rn. 30; 9. April 2013 - II ZR 273/11 - Rn. 15).

Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um eine juristische Person, ist grundsätzlich die Kenntnis des gesetzlich oder satzungsgemäß für die Kündigung zuständigen Organs maßgeblich. Sind für den Arbeitgeber mehrere Personen gemeinsam vertretungsberechtigt, genügt grundsätzlich die Kenntnis schon eines der Gesamtvertreter (BAG 1. Juni 2017 - 6 AZR 720/15 - Rn. 61, BAGE 159, 192; 18. Juni 2015 - 2 AZR 256/14 - Rn. 48). Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat (BAG 27. Juni 2019 - 2 ABR 2/19 - Rn. 19; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 55). Die Kenntnis anderer Personen ist für die Zwei-Wochen-Frist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt selbst dann, wenn ihnen Vorgesetzten- oder Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind. Nur ausnahmsweise muss sich der Arbeitgeber die Kenntnis auch anderer Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen. Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb oder in der Verwaltung innehaben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, den Sachverhalt so umfassend zu klären, dass mit ihrem Bericht an den Kündigungsberechtigten dieser ohne weitere Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann. Voraussetzung dafür, dem Arbeitgeber solche Kenntnisse zuzurechnen, ist ferner, dass die Verspätung, mit der er in eigener Person Kenntnis erlangt hat, auf einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 47, BAGE 157, 69; 16. Juli 2015 - 2 AZR 85/15 - Rn. 55). Beide Voraussetzungen (ähnlich selbständige Stellung und schuldhafter Organisationsmangel in Bezug auf die Kenntniserlangung) müssen kumulativ vorliegen (BAG 23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22) und bei einer Zurechnung vom Gericht positiv festgestellt werden (BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 - 2 AZR 570/19 -, BAGE 170, 84-97, Rn. 29 - 32).

b)

Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich, dass die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist nicht bereits mit dem ersten Gespräch zu der Problematik zwischen dem Kläger, Herrn S. und Herrn S. am 14.09.2020, sondern frühestens am Dienstag, den 24.11.2020, als die beiden kündigungsberechtigten Mitarbeiter Dr. M. und J. den Abschlussbericht vom 20.11.2020 und die darauf bezogene Sanktionsempfehlung vom 24.11.2020 zur Kenntnis erhalten haben, zu laufen begonnen hat. Die Frist endete mithin frühestens am Dienstag, den 08.12.2020 - dem Tag des Zugangs der fristlosen Kündigung beim Kläger. Das am 14.09.2020 mit dem Kläger geführte Gespräch mag Teile der späteren Kündigungsvorwürfe zum Gegenstand gehabt haben. Als fristauslösendes Ereignis kommt dieses Gespräch einerseits deshalb nicht in Betracht, weil weder Herr S. noch Herr S. die Kompetenz zum Ausspruch von Kündigungen besitzen oder im Unternehmen eine entsprechend hervorgehobene Führungsposition im Unternehmen der Beklagten bekleiden. Der Kündigungsberechtigte Herr J. hat - wie er im Zeugenstand am 25.04.2022 bekundet hat - an dem Gespräch am 14.09.09.2022 nicht teilgenommen und hat auch erst im Nachhinein erst davon erfahren, dass ein solches Gespräch überhaupt stattgefunden hat. Anderseits lagen nach Aussage des kündigungsberechtigten Zeugen J. im September 2020 zum Kündigungssachverhalt nur "völlig rudimentäre und nicht überprüfte Informationen" (Aussage des Zeugen J. am 25.04.2022, Bl. 900 d.A.) vor. Diese Aussage des Zeugen J. erweist sich unter anderem deswegen als glaubwürdig, weil sie zu der dem Gericht vorliegenden Aktenlage passt. Aus dieser ergibt sich, dass die planmäßige Aufklärung der dem Kläger vorgeworfenen Verfehlungen erst mit dem Untersuchungsauftrag vom 28.09.2020 an das sog. Aufklärungsoffice begann. Vorher ist von den gegen den Kläger erhobenen Vorwürfen praktisch nichts aktenkundig geworden. Der Zeuge J. machte bei seiner Vernehmung insofern einen glaubwürdigen Eindruck, als er die Vorgänge in seiner Aussage ruhig und sachlich rekonstruieren konnte, ohne dabei etwa einen gegen den Kläger gerichteten "Jagdeifer" an den Tag zu legen.

Die weitere von der Beklagten veranlasste Sachverhaltsaufklärung erfolgte zügig und mit einem dem komplexen Sachverhalt angemessenen Aufwand. Insgesamt wurden von der Beklagten ca. ein Dutzend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem beruflichen Umfeld des Klägers sehr ausführlich befragt. Es ist im Lichte der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, dass die Aufarbeitung dieses komplexen Kündigungssachverhalts bis zur Vorlage des Abschlussberichts am 24.11.2020 insgesamt ca. zwei Monate in Anspruch genommen hat.

4.

Nach der am 22.11.2021 vor dem Landesarbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der bei der Beklagten für die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte aus § 102 BetrVG zuständige Personalausschuss vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 08.12.2020 ordnungsgemäß beteiligt worden ist.

a)

Dies gilt zunächst für die Anhörung des Personalausschusses vor Ausspruch der außerordentlichen Tatkündigung

aa)

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG). Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (BAG 26. März 2015 - 2 AZR 417/14 - Rn. 46, BAGE 151, 199). Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser besteht darin, den Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige - objektive - Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung ermöglichen (vgl. BAG 22. September 2016 - 2 AZR 700/15 - Rn. 25; BAG, Urteil vom 07. Mai 2020 - 2 AZR 678/19 -, BAGE 170, 191-198, Rn. 14 - 15).

bb)

Diesen Anforderungen ist die Beklagte dadurch gerecht geworden, dass den Personalausschuss des Betriebsrats am frühen Nachmittag des 02.12.2022 ab ca. 14 Uhr in H. über die Sozialdaten des Klägers und die Umstände, die die Beklagte zum Ausspruch einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung bewogen haben, informiert hat. Die hierzu am 22.11.2021 durchgeführte Beweisaufnahme hat eindeutig ergeben, dass schon an der am Vormittag desselben Tages durchgeführten Anhörung des Klägers zu den ihm vorgehaltenen Pflichtverletzungen fünf der sechs Mitglieder des Personalausschusses teilgenommen haben. Die damalige Vorsitzende des Personalausschusses, die Zeugin B., sowie ihr Stellvertreter E. haben live an der Anhörung des Klägers teilgenommen und hatten auch die Möglichkeit, Fragen an den Kläger zu richten. Die weitern Mitglieder des Personalausschusses K., Herr P. und Herr H. waren der Anhörung per Skype zugschaltet und hatten auch die Möglichkeit, Fragen an den Kläger zu stellen. Der vom Arbeitsgericht Hannoer in seiner Entscheidung vom 14.04.2021 gerügte Mangel, der Personalausschuss des Betriebsrats habe keine konkrete Kenntnis von etwaigem Entlastungsvorbringen des Klägers gehabt, hat demnach tatsächlich nicht vorgelegen.

In Rahmen der sich ab ca. 14 Uhr desselben Tages anschließenden mündlichen Information des Personalausschusses haben seitens der Beklagten die Zeugen J. und Dr. M. die Tatsachen, auf die die Kündigung gestützt werden soll noch einmal im Einzelnen dargelegt. Die mündliche Darstellung der Kündigungsgründe wurde schließlich durch die Übergabe eines umfangreichen schriftlichen Informationspakets und der Übersendung des Protokolls der Befragung der Frau M.-O. und des Herrn M. K. abgeschlossen. Hinsichtlich des Ergebnisses der vom Landesarbeitsgericht am 22.11.2021 durchgeführten Beweisaufnahme zur Beteiligung des Personalausschusses wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung (Bl. 764 ff. d.A.) verwiesen. Nach dieser Beweisaufnahme hat der Kläger spezifische Rügen zur Anhörung des Personalausschusses nicht mehr erhoben.

Durch den Geschäftsverteilungsplan des bei der Beklagten für den Standort H. gebildeten Betriebsrats für die Wahlperiode 2018 - 2022 ist unter IV. die Zuständigkeit des Personalausschusses für "die Behandlung und Beschlussfassung nach § 102 BetrVG hinsichtlich der Mitbestimmung bei Kündigungen geregelt (Bl. 696 d.A). Insofern hat die Beklagte das richtige betriebsverfassungsrechtliche Organ beteiligt. Es gibt keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Personallausschuss nicht oder nicht in der gehörigen Form konstituiert worden wäre. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass etwaige Mängel in dieser Hinsicht der Beklagten zuzurechnen oder auch nur bekannt gewesen wären.

Bis zum Ablauf der dreitägigen Frist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG am 07.12.2020 hat der Personalausschuss zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers keine Stellungnahme abgegeben. Er hat insbesondere keine Fragen mehr zum Kündigungssachverhalt gestellt oder sonst einen Bedarf an weiterer Information formuliert.

b)

Auch zu einer hilfsweise von der Beklagten beabsichtigten Verdachtskündigung ist der Personalausschuss des Betriebsrats ordnungsgemäß angehört worden. Auf dem entsprechenden die Anhörung des Personalausschusses einleitenden Formular ist ausdrücklich "(x) Verdachtskündigung" angekreuzt. Es ergibt sich aber auch aus den von der Beklagten durchgeführten umfangreichen Ermittlungen, dass die Beklagte sich bemüht hat, die Kündigungsgründe so gründlich wie möglich aufzuklären. Die Beklagte betrachtet dabei den Kläger als der fortgesetzten sexuellen Belästigung überführt - hilfsweise geht sie davon aus, dass gegen den Kläger ein dringender nicht zu entkräftender Verdacht besteht. Dies lässt sich auch dem an den Kläger gerichteten Einladungsschreiben vom 27.11.2020 entnehmen, welches dem Personalausschuss vorgelegen hat. Dort ist ausdrücklich davon die Rede, dass gegen den Kläger "zumindest der dringende Tatverdacht" der sexuellen Belästigung bestehe (vgl. Seite 1 Anlage 38 des Anlagenkonvoluts zur Berufungsbegründung der Beklagten vom 22.06.2021). Damit ist auch für den Personalausschuss deutlich geworden, dass er auch zu einer Verdachtskündigung angehört worden ist.

5.

Das Kündigungsschreiben vom 08.12.2020 wahrt die durch § 623 BGB vorgeschriebene Schriftform. Es ist dem Kläger ausweislich der Angabe in der Klagschrift vom 14.12.2020 am 08.12.2020 zugegangen. Zu diesem Zeitpunkt hat das Arbeitsverhältnis der Parteien geendet.

II.

Der Antrag zu 2 ist nicht zur Entscheidung angefallen, da er nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 gestellt worden ist.

III.

Ein Weiterbeschäftigungsanspruch ist ebenfalls nicht zur Entscheidung angefallen, weil er nur hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 und/oder dem Antrag zu 2 gestellt wurde.

IV.

Der Anspruch des Klägers auf ein von der Beklagten zu erstellendes qualifiziertes Abschlusszeugnis folgt aus dem Umstand, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Zugang der fristlosen Kündigung vom 08.12.2020 beendet worden ist, der Kläger ein solches Zeugnis im Laufe des Verfahrens bereits eingefordert hat und die Beklagte im Verhandlungstermin am 25.04.2022 eingeräumt hat, dem Kläger bislang noch kein Endzeugnis erteilt zu haben.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 92 Abs. 1 ZPO wonach die Kosten bei teilweisem Obsiegen verhältnismäßig zu teilen sind. Bei der zu bildenden Kostenquote hat das Gericht den Verlust des Kündigungsschutzverfahrens und die Abweisung des Weiterbeschäftigung mit insgesamt vier Bruttomonatsgehältern und den erfolgreichen Zeugniserteilungsantrag des Klägers mit einem Bruttomonatsgehalt bewertet.

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG), bestanden nicht.

Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 a ArbGG) und der sofortigen Beschwerde (§ 72 b ArbGG) wird hingewiesen.