Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.09.2022, Az.: 4 Ta 143/22

Kostenerstattung gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO auch bei nur vorsorglich eingelegtem Rechtsmittel; Erforderliche Maßnahmen des bestellten Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Licht des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
29.09.2022
Aktenzeichen
4 Ta 143/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 36161
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2022:0929.4Ta143.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Emden - 15.06.2022 - AZ: 2 Ca 310/19

Fundstellen

  • ArbR 2022, 603
  • FA 2022, 337
  • NZA-RR 2022, 649-650

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass ein Beteiligter eines Verfahrens, in dem diese Vorschrift Anwendung findet, einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen.

  2. 2.

    Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts zu unterscheiden ist die Frage, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für notwendig iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO halten darf.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Arbeitsgerichts Emden vom 15. Juni 2022 - 2 Ca 310/19 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Der Beklagte wendet sich gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Juni 2022, nach welchem er an den Kläger Kosten in Höhe von 1.055,29 € zu erstatten hat.

Die Kläger wandte sich in erster und zweiter Instanz erfolgsreich ua. gegen die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, begehrte seine Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte.

Nach Zustellung des Berufungsurteils am 15. Dezember 2021 legte der Beklagte am 17. Januar 2022 Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht ein. Mit Schreiben vom gleichen Tag informierte er die Prozessbevollmächtigte des Klägers über die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde und teilte außerdem mit, dass die Einlegung des Rechtsmittels zunächst nur zur Fristwahrung erfolge. Er bat die Klägervertreterin, sich noch nicht beim Bundesarbeitsgericht zu legitimieren und Anträge zu stellen.

Noch vor Ablauf der Begründungsfrist beantragte die Klägervertreterin mit Schreiben vom 11. Februar 2022 die Abweisung der Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht. Unter dem Datum des 15. Februar 2022 nahm der Beklagte die Nichtzulassungsbeschwerde zurück.

Mit Antrag vom 9. März 2022 beantragte der Kläger die Festsetzung der Kosten für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde und brachte hier eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3507 VV RVG in Ansatz sowie die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 15. Juni 2022 (Bl. 312 der Akte) die aufgrund des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Februar 2022 von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 1.055,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz festgesetzt.

Gegen diesen dem Beklagten am 16. Juni 2022 zugestellten Beschluss richtet sich die am 29. Juni 2022 eingelegte Beschwerde des Beklagten, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 318 der Akte).

Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 5. August 2022 (Bl. 328 der Akte) nicht abgeholfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf Blatt 296 bis 328 der Akte Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG iVm. § 104 Abs. 3 Satz 1, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig. Sie ist form- sowie fristgerecht eingelegt worden (§ 569 ZPO). Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,- € (§ 567 Abs. 2 ZPO).

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet. Eine 1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 3507 VV RVG iVm. Nr. 3201 VV RVG zzgl. der Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG hat der Beklagte zu erstatten.

1.

Gemäß § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO gehören zu den erstattungsfähigen Kosten die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei. Daraus ist zu entnehmen, dass ein Beteiligter eines Verfahrens, in dem diese Vorschrift Anwendung findet, einen Rechtsanwalt zu Hilfe nehmen darf und die dadurch entstandenen Kosten auch erstattungsfähig sind. Eine Einschränkung dieses Grundsatzes für die Fälle, in denen ein Rechtsmittel nur vorsorglich eingelegt wird, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen (vgl. BGH 28. Februar 2013 - V ZB 132/12 - Rn. 11 mwN).

Von der grundsätzlichen Anerkennung der Notwendigkeit der Beauftragung eines Rechtsanwalts zu unterscheiden ist die Frage, welche Maßnahmen der einmal bestellte Rechtsanwalt zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung für notwendig iSv. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO halten darf. Das gilt insbesondere, wenn ein Gegenantrag, der eine zunächst nur teilweise angefallene Gebühr in voller Höhe entstehen lässt oder eine zusätzliche Gebühr auslöst, in einem Zeitpunkt gestellt wird, in dem noch nicht feststeht, ob ein Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt wird. In diesen Fällen besteht im Normalfall kein Anlass für den Rechtsmittelgegner mit der Vertretungsanzeige seines Verfahrensbevollmächtigten zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung des Rechtsmittels zu stellen bzw. anzukündigen, und zwar unabhängig davon, ob das Rechtsmittel ausdrücklich nur zur Fristwahrung eingelegt wurde oder nicht (vgl. BGH 28. Februar 2013 - V ZB 132/12 - Rn. 13 mwN).

2.

Hiernach ist die vom Kläger lediglich geltend gemachte verminderte Verfahrensgebühr nach Nr. 3507 VV RVG iVm. Nr. 3201 VV RVG nach § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO entstanden. Diese Gebühr entsteht, wenn der Rechtsanwalt einen Auftrag zur Vertretung in einem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren erhält. Dabei ist die bloße Entgegennahme des Nichtzulassungsbeschwerdeschriftsatzes nicht ausreichend (§ 19 Nr. 9 RVG). Es genügt aber, dass der Verfahrensbevollmächtigte auf einen Auftrag des Mandanten hin pflichtgemäß prüft, ob etwas für diesen zu veranlassen ist. Das Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht ist nicht erforderlich (vgl. BGH 28. Februar 2013 - V ZB 132/12 - Rn. 8).

Der Beklagte tritt diesen Grundsätzen im Schriftsatz vom 26. September 2022 grundsätzlich nicht weiter entgegen. Er meint aber, dass für den Fall, dass die Prüfung ergibt, dass nichts zu veranlassen ist, auch keine Verfahrensgebühr entstanden ist. Dem folgt die Beschwerdekammer nicht. Die Gebühr entsteht vielmehr ungeachtet des Ergebnisses der Prüfung, mithin auch in dem Fall, dass die anwaltliche Prüfung ergibt, dass derzeit nichts zu veranlassen ist.

Die von dem Beklagten zitierte Rechtsprechung des BGH vom 6. Dezember 2007 - IX ZB 223/06 - bestätigt das Entstehen einer verminderten Verfahrensgebühr nach Nr. 3507 VV RVG iVm. Nr. 3201 VV RVG. In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hat der BGH nur deshalb das Entstehen einer (verminderten) Verfahrensgebühr des erstinstanzlich vertretenen, zweitinstanzlich sich selbst vertretenen Rechtsanwalts verneint, weil dieser nicht in gleicher Weise von einer risikobehafteten Situation ausgehen kann, wie eine juristisch unerfahrene Partei. Diese darf anwaltlichen Rat in einer als risikobehaftet empfundenen Situation für erforderlich halten, während der Anwalt, der sich selbst vertritt, die Situation nicht in gleicher Weise als risikobehaftet empfindet (vgl. BGH 6. Dezember 2007 - IX ZB 223/06 -).

Die sofortige Beschwerde des Beklagten war deshalb kostenpflichtig zurückzuweisen.

III.

Ein Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, lag unter Berücksichtigung der von dieser Entscheidung abweichenden Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 8. September 2021 - 26 Ta (Kost) 6166/21 - nach § 78 Satz 2 ArbGG, § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG vor.