Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 15.06.2004, Az.: 1 B 120/04
Aktuelle Einberufungspraxis; Einberufung; seit 1.7.2003; Wehrpflicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 15.06.2004
- Aktenzeichen
- 1 B 120/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50676
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 3 Abs 1 GG
- § 21 Abs 1 S 1 WPflG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es kann dahinstehen, ob die aktuelle Einberufungspraxis des Bundeswehr rechtswidrig ist, ein Wehrpflichtiger kann selbst in diesem Fall mangels eigener Rechtsverletzung sich gegen seine Einberufung nicht erfolgreich zur Wehr setzen.
Gründe
Der sinngemäß gestellte Antrag,
die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 27.3.2004 (Az: 1 A 119/04) gegen den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes vom 4.3.2004 anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen einen Einberufungsbescheid erhobenen Klage fordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes und der Kammer eine Abwägung zwischen dem gesetzlich anerkannten öffentlichen Interesse an der Erfüllung der staatsbürgerlichen Wehrpflicht unabhängig von einem schwebenden Rechtsmittelverfahren einerseits und dem Interesse des einzelnen Wehrpflichtigen an der Verschiebung bzw. Aufhebung seiner Einberufung andererseits. Dabei kommt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Betracht, wenn diese bereits nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich Erfolg haben wird. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Die Kammer lässt offen, ob die aktuelle Einberufungspraxis der Nichtheranziehung von Wehrpflichtigen über die gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände hinaus gesetzwidrig ist. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, kann der Antragsteller hieraus nichts herleiten. Das Auswahlermessen im Rahmen des § 21 Abs. 1 S. 1 WPflG dient nämlich ausschließlich dem öffentlichen Interesse an einer optimalen Personalbedarfsdeckung der Bundeswehr und nicht zugleich auch privaten Interessen des Wehrpflichtigen. Der Wehrpflichtige hat kein subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung bei der Auswahl der zur Einberufung anstehenden Wehrpflichtigen. Schon mangels einer Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seine Einberufung kann der Antragsteller sich auch nicht durchgreifend auf den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG berufen. Sollte die derzeitige Einberufungspraxis tatsächlich rechtswidrig sein, kann sich der Antragsteller darüber hinaus auch deshalb nicht erfolgreich auf eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG berufen, weil diese Vorschrift keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gewährt.
Der Antragsteller wird durch seine Einberufung auch nicht willkürlich diskriminiert. Willkürlich wäre die Auswahl des Antragstellers zur Einberufung nur dann, wenn dessen Heranziehung zum Wehrdienst ein sachlicher Bezug fehlte (siehe hierzu BVerwG, Urteil vom 26.02.1993 - 8 C 20/92 -, BVerwGE 92, 153-197 m. w. N.). Dies ist jedoch nicht der Fall.
Mit dem Verzicht auf die Einberufung von T 3 gemusterten Wehrpflichtigen ist jedenfalls auch die bestmögliche Deckung des Personalbedarfs der Streitkräfte beabsichtigt. So bestimmt § 8 a Abs. 2 S. 1 WPflG die Verwendungsgrade T 1 mit „voll verwendungsfähig“ und T 2 mit „verwendungsfähig mit Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten“, während der Verwendungsgrad T 3 lediglich „verwendungsfähig mit Einschränkungen in der Grundausbildung und für bestimmte Tätigkeiten“ bedeutet. Die Orientierung am Verwendungsgrad als Auswahlkriterium für eine Einberufung ist daher nicht willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG, sondern sachgerecht. Nicht willkürlich ist aber auch die Nichtheranziehung von Verheirateten und in gleichgeschlechtlichen, eingetragenen Lebenspartnerschafen lebenden Wehrpflichtigen, da diese dem besonderen Schutz von der in Art. 6 GG geschützten Ehe und Familie dient. Die Berücksichtigung von ausbildungs- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten bei dem einmaligen Verzicht auf die Heranziehung von ca. 70.000 Wehrpflichtigen, die im Jahre 2003 das 23. Lebensjahr vollendet hatten, und bei der Zurückstellung von Fachoberschülern und Abiturienten, die bereits eine Ausbildung begonnen haben, ist ebenso wenig willkürlich. Dies zeigt sich bereits darin, dass diese Gesichtspunkte auch im Wehrpflichtgesetz selbst in § 12 Abs. 4 Nr. 3 WPflG Berücksichtigung gefunden haben. Nach alledem folgt die Kammer in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Rechtsprechung (z. B. Verwaltungsgericht Koblenz, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 L 616/04. KO -) nicht dem Verwaltungsgericht Köln (Urteil vom 21.4.2004 - 7 K 154/04 -).