Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.06.2004, Az.: 2 A 244/03
atypischer Fall; Außenbereich; Befreiung; Härte; im Zusammenhang bebauter Ortsteil; Innenbereich; Standort; Stätte der Leistung; Werbeanlage; Wohl der Allgemeinheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 29.06.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 244/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50671
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 49 Abs 3 S 1 BauO ND
- § 49 Abs 3 S 2 BauO ND
- § 86 Abs 1 Nr 1 BauO ND
- § 35 BBauG
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung zweier Werbeanlagen.
Die Klägerin betreibt ein Möbelhaus im Gewerbegebiet von D.. Um Kunden und den Anlieferungsverkehr auf den Standort des Möbelhauses aufmerksam zu machen, beabsichtigt die Klägerin, jeweils eine 2 x 4 Meter große zweifarbige Werbetafel mit dem Namen des Möbelhauses, einem Hinweispfeil und einer Entfernungsangabe („K. 250 m“) an zwei Buswartehäuschen im Bereich der Gemarkung D., anzubringen. Beide Buswartehäuschen, befinden sich auf einem Grünstreifen, der zwischen der alten B 27 (L.) und der neuen B 27 liegt. Nordwestlich der L., die in diesem Bereich etwa 8 Meter breit ist, beginnt die Wohnbebauung; südwestlich der B 27 liegen unbebaute landwirtschaftliche Nutzflächen. Im Flächennutzungsplan ist das bebaute Gebiet als gemischte Baufläche ausgewiesen. Ein Bebauungsplan ist für diesen Bereich nicht aufgestellt.
Die von der Klägerin am 6.12.2001 beantragte Baugenehmigung für die Anbringung der Werbetafeln an den Buswartehäuschen lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 20.6.2002 ab, nachdem die Beigeladene zu 1) zuvor ihr Einvernehmen erklärt hatte. Der Beklagte begründete seine Ablehnung damit, dass sich die Bushaltestellen in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil befänden, der sich als Dorfgebiet im Sinne von § 49 Abs. 4 Satz 1 NBauO darstelle. In einem solchen Bereich seien Werbeanlagen nicht zulässig. Im Übrigen habe der Beigeladene zu 2) als zuständiges Straßenbauamt straßenbauliche Bedenken wegen des Anbauverbots des § 9 Abs. 1 Nr. 1 FStrG geäußert und eine Befreiung von diesem Verbot gemäß § 9 Abs. 8 FStrG nicht in Aussicht gestellt.
Den Widerspruch der Klägerin gegen die Ablehnung der Baugenehmigung wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 14.5.2003 mit der Begründung zurück, die geplanten Standorte der Werbeanlagen befänden sich im Außenbereich. Hier seien gemäß § 49 Abs. 3 NBauO Werbeanlagen generell unzulässig. Daher komme es nicht darauf an, ob sich die Unzulässigkeit auch aus straßenrechtlichen Gründen ergebe.
Die Klägerin hat am 13.6.2003 Klage erhoben.
Sie ist der Ansicht, die Bushaltestellen befänden sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils. Ein Bebauungszusammenhang könne sich im Einzelfall auch über das letzte bebaute Grundstück hinaus erstrecken. Im streitigen Falle bilde erst die vielbefahrene B 27 diese Grenze, nicht jedoch die L., auf der sehr wenig Verkehr stattfinde. Sie rügt ferner, dass sich der Beklagte nicht mit der Frage auseinandergesetzt habe, ob durch die Anlage, sofern sie im Außenbereich liege, öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt würden. Sie meint, durch die Nutzung eines bereits vorhandenen Buswartehäuschens werde lediglich das äußere Erscheinungsbild der Anlage verändert, so dass keine zusätzliche Beeinträchtigung öffentlicher Belange entstehe. Wegen der Atypik des Falles sei entsprechend den Ausnahmen des § 49 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 und 5 NBauO eine Befreiung vom Verbot des § 49 Abs. 3 S. 1 NBauO gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 NBauO denkbar, die der Kläger ausdrücklich beantragt habe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 20.06.2002 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.05.2003 zu verpflichten, über den Bauantrag des Klägerin vom 06.12.2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung Braunschweig an, dass die betreffenden Bushaltestellen im Außenbereich liegen. Die geschlossene Bebauung ende an der L.. Der Bereich, in dem sich die Bushaltestellen befinden, werde durch deren Verlauf optisch getrennt und sei aufgrund seiner intensiven Begrünung mit Büschen und Bäumen deutlich von der vorhandenen Bebauung zu unterscheiden. Auch die Bushaltestellen könnten optisch keinen Bebauungszusammenhang herstellen, da sie schon von ihrer Zweckbestimmung her dem Straßenbereich zuzuordnen seien.
Die Beigeladene zu 1), die ebenso wie der Beigeladene zu 2) einen Antrag nicht stellt, unterstützt das Klagevorbringen, der Beigeladene zu 2) tritt dem Vorbringen des Beklagten bei, soweit es straßenrechtliche Erwägungen enthält.
Die Kammer hat in der mündlichen Verhandlung auf den Beschluss vom gleichen Tag Beweis erhoben über die Frage, ob die streitbefangenen Werbeanlagen im Außenbereich oder im unbeplanten Innenbereich von D. stehen sollen, durch Einnahme des Augenscheins. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird - soweit es nicht bereits im Tatbestand dargestellt ist - auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre gewechselten Schriftsätze und auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der angegriffene Bescheid des Beklagten vom 20.06.2002 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 14.05.2003 sind rechtmäßig, da sie die Erteilung der begehrten Baugenehmigung gemäß § 75 Abs. 1 NBauO zu Recht versagen. Die Errichtung der geplanten Werbeanlagen widerspricht dem öffentlichen Baurecht, so dass die Klägerin einen Anspruch auf erneute Entscheidung des Beklagten nicht hat (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Die Errichtung einer Werbeanlage ist gemäß §§ 68 Abs. 1, 2 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 5 NBauO eine genehmigungsbedürftige Baumaßnahme.
Die begehrte Baugenehmigung kann nach § 75 Abs. 1 NBauO nicht erteilt werden, da die Baumaßnahme dem öffentlichen Baurecht widerspricht. Der Baugenehmigung steht das in § 49 Abs. 3 Satz 1 NBauO ausgesprochen Verbot, im Außenbereich Werbeanlagen zu errichten, entgegen.
Die geplanten Standorte der Werbeanlagen befinden sich nach dem Ergebnis der in der mündlichen Verhandlung durchgeführten Augenscheinseinnahme im Außenbereich. Der Begriff des „Außenbereichs“ in § 49 Abs. 3 NBauO entspricht dem planungsrechtlichen Begriff in § 35 BauGB (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 49 Rn. 21) und meint den Bereich, der außerhalb des Geltungsbereiches eines qualifizierten Bebauungsplanes und außerhalb der „im Zusammenhang bebauten Ortsteile“ (§ 34 BauGB) liegt. Unter den Begriff der Bebauung im Sinne von § 34 BauGB fällt nicht jede beliebige bauliche Anlage, sondern es fallen darunter nur Bauwerke, die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind. Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu prägen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (BVerwG, Urteil vom 14.9.1992 -4 C 15.90-, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 152; Urteil vom 17.2.1984 -4 C 55.81-, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 97).
Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht zwischen der Wohnbebauung nordwestlich der L. und den Buswartehäuschen auf dem Grünstreifen zwischen der L. und der neuen B 27 ein Bebauungszusammenhang nicht. Die Buswartehäuschen können als bauliche Anlagen diesen Zusammenhang im Sinne des § 34 BauGB nicht herstellen, weil sie zwar optisch wahrnehmbar sind, ihnen jedoch der prägende städtebauliche Charakter im oben dargestellten Sinne fehlt. Die beiden Unterstände haben vielmehr aufgrund ihrer Insellage auf dem Grünstreifen zwischen den Straßen eine deutlich abgegrenzte räumliche Position, die es ihnen nicht ermöglicht, den auf der anderen Straßenseite liegenden Ortsteil charakteristisch zu prägen. Im Übrigen dienen sie nicht dem ständigen Aufenthalt von Menschen.
Auch als unbebautes Grundstück vermag der zwischen L. und neuer B 27 gelegene Grünstreifen einen Bebauungszusammenhang nicht herzustellen. Dies würde voraussetzen, dass sich das unbebaute Grundstück an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil anschließt. Denn ein unbebautes Grundstück nimmt dann am Bebauungszusammenhang teil, wenn eine sich aus der Situation ergebende natürliche Grenze wie eine Straße, ein Fluss, Graben oder Berg, den Eindruck vermittelten, dass das unbebaute Grundstück noch zum Bebauungszusammenhang gehört, weil erst die natürliche Grenze den Innenbereich abschließt. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Denn der Grünstreifen, auf dem sich die Bushaltestellen befinden, liegt gerade nicht am äußeren Rand des bebauten Bereiches, sondern ist deutlich durch die an dieser Stelle etwa 8 Meter breite L. von diesem getrennt. Der Umstand, dass die erheblich breitere und stärker befahrene B 27, die den betreffenden Bereich nach Südosten begrenzt, ebenfalls eine natürliche Grenze in diesem Sinne darstellt, ist insoweit daher unerheblich. Durch die intensive Begrünung und die Bebauung mit den Wartehäuschen weist der Grünstreifen zudem einen völlig anderen Charakter auf als die Wohnbebauung auf der anderen Straßenseite.
Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 3 Satz 2 NBauO, unter denen ausnahmsweise Werbeanlagen im Außenbereich zulässig sind, sind - auch nach Ansicht der Klägerin - im vorliegenden Falle nicht erfüllt. Insbesondere handelt es sich bei den Werbeanlagen nicht um solche an der Stätte der Leistung im Sinne von § 49 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 NBauO, da das klägerische Unternehmen in einer Entfernung von ca. 200 Metern vom Standort der geplanten Werbeanlagen ansässig ist.
Eine Befreiung von dem Verbot, Werbeanlagen im Außenbereich zu errichten, kommt tatbestandlich nicht in Betracht.
Gemäß § 86 Abs. 1 Nr. 1 NBauO kann von § 49 Abs. 3 NBauO auf Antrag eine Befreiung erteilt werden, wenn das Verbot zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Das Verbot die Werbeanlagen aufzustellen stellt für die Klägerin keine nicht beabsichtigte Härte dar. Die Klägerin wird von ihm wie jeder andere potentiell Werbewillige betroffen. Eine nicht beabsichtigte Härte begründet sich auch nicht daraus, dass der Klägerin eine andere Form des Hinweises auf ihre Geschäftsräume unmöglich ist. Zum einen weist ein an der B 27 in Höhe des Grünstreifens aufgestelltes Hinweisschild auf das Gewerbegebiet hin, in dem auch die Klägerin ansässig ist. Es dürfte sowohl für potentielle Kunden wie auch für den Anlieferverkehr nahe liegen, dass in diesem Gewerbegebiet auch die Klägerin ihre Geschäftsräume hat. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass die von der Klägerin gewünschte Werbung in einem der in § 49 Abs. 4 NBauO genannten Gebiete D. s hier unmöglich wäre.
Es reicht für die Annahme einer nicht beabsichtigten Härte ferner nicht aus, dass ein atypischer Fall der Werbung vorliegt und die Werbung hier möglicherweise deshalb keine erhebliche Belästigung darstellt, weil die Anlage an einer bereits vorhandenen Anlage, den Buswartehäuschen, angebracht werden soll. Der Wunsch, Werbung an einer bereits vorhandenen Anlage anzubringen, ist auch im Außenbereich kein atypischer Fall. Der Gesetzgeber hat von dem generellen Verbot von Werbeanlagen im Außenbereich nur in bestimmten Fällen Ausnahmen vorgesehen, die er in § 49 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 bis 5 NBauO abschließend aufgezählt hat. Es würde der Intention des Gesetzgebers, den Außenbereich grundsätzlich von Werbung freizuhalten, widersprechen, wenn diese Ausnahmen über den Befreiungstatbestand des § 86 NBauO auf andere Fälle ausgeweitet werden, ohne dass eine nicht beabsichtigte Härte für den Betroffen vorliegt.
Schließlich folgt eine nicht beabsichtigte Härte auch nicht aus dem Umstand, dass Verkehrsteilnehmer, die auf der B 27 auf dem Weg zur Klägerin sind, die Einfahrt dabei aber verpassen, verkehrsordnungswidrig auf der B 27 wenden, um zu der Klägerin zu gelangen. Zum einen trifft die sich aus diesem Verhalten ergebende Härte die übrigen Verkehrsteilnehmer, nicht aber die Klägerin; zum anderen vermag pflichtwidriges Verhalten Dritter schon gesetzessystematisch eine Befreiung von einem ansonsten geltenden Verbot nicht zu begründen. Deshalb führt dieser Gesichtspunkt auch nicht dazu, dass das Wohl der Allgemeinheit im Sinne von § 86 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBauO, das ansonsten ersichtlich nicht beeinträchtigt ist, eine Befreiung erfordert.
Da die Baugenehmigung bereits aus bauordnungsrechtlichen Gründen versagt werden musste, hat sich die Beklagte zu Recht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Errichtung der Werbeanlagen gemäß § 35 Abs. 2 BauGB unter bauplanungsrechtlichen Gesichtspunkten genehmigungsfähig wäre. Denn die Vorschriften des Bauordnungsrechts bleiben gemäß § 29 Abs. 2 BauGB von den planungsrechtlichen Vorgaben unberührt.
Auf die Frage, ob die Voraussetzungen einer straßenbaurechtlichen Befreiung nach § 9 Abs. 8 FernStrG vom Anbauverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 FernStrG vorliegen, braucht das Gericht nicht einzugehen, da diese Gegenstand eines eigenständigen straßenrechtlichen Verfahrens, das gegen den Beigeladenen zu 2) zu führen wäre, zu sein hätte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.