Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 15.06.2004, Az.: 2 A 238/03

Altenteil; Altenteilsvertrag; Anspruchsübergang; Geldrentenanspruch eines Altenteilers; Nachrangigkeit des Sozialhilfe; Negativevidenz; Sparsamkeit; Wirtschaftlichkeit; Überleitung; Überleitungsanzeige

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
15.06.2004
Aktenzeichen
2 A 238/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50670
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Überleitungsanzeige des Beklagten, mit der dieser einen vermeintlichen Geldrentenanspruch aus einem Altenteilsvertrag, den ihre Mutter; die am K. geborene Frau L. M., gegen sie haben soll, auf sich übergeleitet hat.

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Der Beklagte gewährt Frau M. seit dem 01.11.2000 Hilfe zur Pflege gem. §§ 68 ff. BSHG in Höhe der nicht gedeckten Heimpflegekosten für ihre Unterbringung im Altenpflege- und Seniorenheim „N.“ in G..

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Frau M. und ihr bereits verstorbener Ehemann hatten mit Übergabevertrag vom 15.07.1976 ihren Grundbesitz in D. auf die Klägerin übertragen. In diesem Vertrag wurde ihnen in § 4 ein Altenteil am übertragenen Grundstück eingeräumt, das ein Wohn- und Nutzungsrecht an bestimmten Räumen, einen Anspruch auf Verpflegung sowie auf Wartung und Pflege in Alter und Krankheit umfasst. Mit notariellem Vertrag vom 21.06.1990 verkaufte die Klägerin diesen Grundbesitz an ihren Sohn und ihre Schwiegertochter, wobei das als Reallast im Grundbuch eingetragene Altenteilsrecht für Frau M. aufgrund eines Löschungsantrages vom 16.02.1990 gelöscht worden war.

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Mit Bescheid vom 17.10.2002 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, dass Frau M. seit der Heimaufnahme gegen sie aufgrund des nicht mehr ausgeübten Altenteils gem. §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB ein Anspruch auf Zahlung einer monatlichen Geldrente zustehe. Dieser Anspruch werde gem. § 90 BSHG auf ihn, den Beklagten, übergeleitet.

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Den hiergegen unter dem 04.11.2002 eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2002 zurück.

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Am 10.06.2002 hat die Klägerin Klage erhoben, die sie im Wesentlichen damit begründet, dass die Überleitung ins Leere gehe, da das Altenteilsrecht bereits 1990 erloschen sei und der Klägerin mit der Veräußerung des Grundeigentums eine Erfüllung der ehemaligen vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Frau M. unmöglich geworden sei. Im Übrigen habe der Beklagte durch die im Verwaltungsrechtsstreit 2 A 2148/01 gegenüber Frau M. erklärte Übernahme der ungedeckten Heimkosten zu erkennen gegeben, dass ein Altenteilsanspruch nicht mehr bestehe.

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Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

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den Bescheid des Beklagten vom 17.10.2002 und seinen Widerspruchsbescheides vom 21.05.2003 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er nimmt zur Begründung im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide Bezug. Es sei nicht offensichtlich, dass der geltend gemachte und übergeleitete Anspruch nicht bestehe. Unabhängig von der Löschung der Reallast, die zugunsten der Frau M. im Grundbuch eingetragen sei und die Sicherung einer vertraglichen Abrede darstelle, bestehe die Verpflichtung der Klägerin aus dem Altenteilsvertrag vom 15.07.1976 fort. Dieser Vertrag sei nicht durch die Löschung oder die Veräußerung des Hausgrundstücks im Jahre 1990 konkludent aufgehoben worden. Auch aus dem Verwaltungsrechtsstreit 2 A 2148/01 könne die Klägerin nichts für sich herleiten, da der Beklagte dort nur deshalb nachgegeben habe, weil seinerzeit Frau M. keine bereiten Mittel aus dem Altenteil zur Verfügung gestanden hätten und sie deshalb einen Sozialhilfeanspruch gehabt habe.

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Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten A) Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

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Hat ein Sozialhilfeempfänger für die Zeit, für die ihm Hilfe zur Pflege gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen, der Leistungsträger im Sinne des § 12 SGB I ist, kann der Träger der Sozialhilfe gem. § 90 Abs. 1 BSHG durch schriftliche Anzeige an diesen anderen bewirken, dass der Anspruch des Hilfeempfängers bis zur Höhe der Aufwendungen des Sozialhilfeträgers auf diesen übergeht. Der Übergang des Anspruchs darf nur insoweit bewirkt werden als bei rechtzeitiger Leistung des anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre. Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen eine solche nach § 90 Abs. 1 BSHG angezeigte Überleitung vertraglicher Ansprüche prüft das Verwaltungsgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur insoweit, als nach objektivem materiellen Recht ein Anspruch von vornherein ausgeschlossen erscheint, d. h. ob das Nichtvorliegen des übergeleiteten Anspruchs offenkundig ist (sog. „Negativevidenz“, vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 - 5 C 7.92 - , NJW 1994, 64). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Bestehen eines vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Überleitungsanzeige ist. Es reicht vielmehr aus, dass - quasi abstrakt begrifflich - ein Anspruch aus dem konkreten Sachverhalt heraus gegeben sein könnte.

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In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die angefochtene Überleitung des vermeintlichen Altenteilsanspruchs der Frau M. gegen die Klägerin rechtmäßig ist.

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Form- und Verfahrensvorschriften hat der Beklagte nicht verletzt; insbesondere ist die Überleitungsanzeige, wie nach § 90 Abs. 1 BSHG erforderlich, schriftlich erfolgt.

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Das Gericht ist ferner - und das ist der Kern des Rechtsstreits - davon überzeugt, dass hier kein Fall der sog. „Negativevidenz“ vorliegt.

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Ob der 1976 durch notariellen Vertrag begründete Altenteilsanspruch der Frau M. 1990 konkludent aufgehoben wurde oder sich anderweitig erledigt hat, sind schwierige zivilrechtliche Rechtsfragen, deren Beantwortung keineswegs (im Sinne der Auffassung der Klägerin) auf der Hand liegt und somit - in einem möglichen Folgeprozess - den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit vorbehalten bleiben muss. Denn es ist nicht so, dass ausschließlich die Darstellung der Rechtslage durch die Klägerin die Richtige sein kann.

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Aus verwaltungsrechtlicher Sichtweise ist die Überleitung rechtlich nicht zu beanstanden.

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Der vom Beklagten übergeleitete Anspruch ist - wenn denn seine zivilrechtlichen Voraussetzungen vorliegen sollten - ein Geldrentenanspruch eines Altenteilers nach §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB.

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Der Anwendungsbereich der Bestimmungen ist eröffnet sein, denn bei den zwischen der Klägerin und ihren Eltern 1976 getroffenen notariellen Abreden handelt es sich in § 4 um einen Altenteilsvertrag im Sinne von § 5 Nds. AGBGB i.V.m. Art. 96 EGBGB. Ein solcher zeichnet sich dadurch aus, dass einem Berechtigten u.a. vertraglich ein Inbegriff von Nutzungen und Leistungen zugewandt werden, die dessen langfristiger persönlicher Versorgung dienen soll und der Verpflichtete in eine die Existenz zumindest teilweise begründende wirtschaftliche Einheit, hier das Grundstück, nachrückt (vgl. Putzo in Palandt, BGB, 51. Aufl., EG 96 Rdnr. 1). Dies ist hier der Fall, da § 4 des Kaufvertrages nicht nur ein lebenslängliches unentgeltliches Wohnrecht für die Abgeber vorsieht, sondern auch die Verpflichtung der Klägerin zur Pflege der Abgeber in kranken und bedürftigen Tagen regelt. Gemäß §§ 16, 15 Abs. 2 Nr. 1 Nds. AGBGB kann der Altenteiler vom Übernehmer eine angemessene monatliche Geldrente fordern, wenn er, der Altenteiler, das Grundstück für dauernd verlässt. Tatsächlich hat Frau M. das Grundstück am 01.11.2001 verlassen. Bei rechtzeitiger Erfüllung des übergeleiteten Anspruchs (so er denn zivilrechtlich bestanden haben sollte) durch die Klägerin wäre ihrer Mutter Hilfe zur Pflege nicht in der vom Beklagten geleisteten Höhe gewährt worden, weil Frau M. in Anwendung des Vorrangs der Selbsthilfe nach § 2 BSHG insoweit nicht hilfeberechtigt gewesen wäre.

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Die Entscheidung des Beklagten zur Überleitung des Anspruchs erging auch ermessensfehlerfrei. Dies ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden, die auch das private Interesse der Klägerin hinreichend berücksichtigt haben. Denn dass der Beklagte sein Ermessen in Fällen wie dem Vorliegenden kaum anders wird rechtmäßig ausüben können, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe gemäß § 2 Abs. 1 BSHG. Diese Vorschrift legt fest, dass Sozialhilfe derjenige nicht erhält, der sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen erhält oder erhalten kann. Hierbei zählt zur Selbsthilfe auch die Geltendmachung von Ansprüchen. Unabhängig davon unterliegt der Beklagte selbstredend dem Gebot der öffentlichen Hand, wirtschaftlich und sparsam mit öffentlichen Mitteln umzugehen. Es ergeben sich demgegenüber keine Anhaltspunkte dafür, dass hier außergewöhnliche Umstände zu Gunsten der Klägerin vorliegen würde, die ein Absehen von der Überleitung geboten hätten. Solche können u.a. dann anzunehmen sein, wenn die Klägerin Frau M. vor Eintritt der Sozialhilfebedürftigkeit weit über das Maß der sie treffenden Verpflichtung hinaus gepflegt und den Sozialhilfeträger dadurch bereits im Vorfeld der Heimaufnahme erheblich entlastet hätte oder wenn infolge der Anspruchsüberleitung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten gewesen wäre oder schließlich der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) verletzt würde (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 - 5 C 7.92 -, NJW 1994, 64). Dass einer dieser Ausnahmetatbestände hier gegeben sein könnte, ist weder aus dem Akteninhalt noch dem Vorbringen der Beteiligten für das Gericht ersichtlich.

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Schließlich ist es rechtlich unbedenklich, dass Geldrentenansprüche ab dem 01.11.2000, also rückwirkend, geltend gemacht werden. Es gibt nämlich weder eine gesetzliche Vorschrift noch einen ungeschriebenen Rechtsgrundsatz, der besagt, dass erst Ansprüche ab dem Zeitpunkt des Zugangs des Überleitungsbescheides geltend gemacht werden dürfen. Grenzen für das Recht der Überleitung des Beklagten sind insoweit lediglich durch Verjährung und Verwirkung gesetzt, beides greift im vorliegenden Fall allerdings nicht ein.

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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO; ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.