Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 07.06.2004, Az.: 2 B 107/04
Dorfgebiet; Hobbytierhaltung; Nebenanlage; Pferd
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 07.06.2004
- Aktenzeichen
- 2 B 107/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 50675
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 2 BauGB
- § 14 Abs 1 S 1 BauNVO
- § 14 Abs 1 S 2 BauNVO
- § 5 Abs 1 BauNVO
- § 5 Abs 2 BauNVO
Gründe
Der Antrag,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 5. Februar 2004 gegen die den Beigeladenen durch den Antragsgegner erteilte Baugenehmigung vom 5. November 2003 anzuordnen und dem Antragsgegner aufzugeben, den Beigeladenen die Fortführung der Bauarbeiten zur Errichtung eines Carports auf dem Grundstück I. in J., K. zu untersagen und die Baustelle durch unverzügliche Entsendung des Baukontrolleurs stillzulegen,
ist nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 212a BauGB statthaft und auch sonst zulässig. Insbesondere steht seiner Zulässigkeit nicht entgegen, dass der Antragsteller gegen den angefochtenen Bescheid nur im eingeschränkten Umfang Widerspruch eingelegt hätte. Der in entsprechender Anwendung von § 58 Abs. 2 VwGO fristgerecht erhobene Widerspruch des Antragstellers vom 5. Februar 2004 ist vielmehr unbeschränkt gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 5. November 2003 eingelegt.
Der Antrag hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Der Widerspruch des Antragstellers erscheint der Kammer bei der gebotenen summarischen Prüfung des Eilantrages als wenig erfolgversprechend. Das Interesse des Antragstellers, vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache von der Schaffung vollendeter Tatsachen verschont zu bleiben, überwiegt daher nicht das Interesse der Beigeladenen an der alsbaldigen Verwirklichung ihres Vorhabens. Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Antragsteller durch die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung in seinen Rechten verletzt wird.
Das Begehren des Antragstellers hätte nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung eine Rechtsnorm verletzen würde, die zumindest auch dem Schutz des Antragstellers als Nachbarn dient, die also drittschützende Wirkung hat. Dies ist - nach der in diesem Verfahren nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage - vorliegend nicht der Fall.
Rechtliche Bedenken gegen die in der angefochtenen Verfügung enthaltene Genehmigung zur Errichtung eines Pferdeunterstandes im nördlichen Teil des den Beigeladenen gehörenden Grundstücks sind weder vorgetragen noch sonst für das Gericht ersichtlich.
Auch die Baugenehmigung für die Errichtung eines offenen Carports mit einer Gesamtlänge von 9 Metern, einer Breite von 4 Metern und einer maximalen Höhe von 3 Metern verstößt voraussichtlich nicht gegen nachbarschützende Bauvorschriften.
In dieser Größe ist die Errichtung einer Garage gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 NBauO ohne Grenzabstand zulässig. Insoweit kann dem Carport gemäß § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO auch nicht entgegengehalten werden, seine Benutzung führe zu unzumutbaren Belästigungen oder zu einer Gefährdung der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, Kommentar zur NBauO, 7. Aufl., § 46 Rdnr. 43).
Soweit sich der Antragsteller auf Brandschutz beruft, bleibt sein Vortrag unsubstantiiert. Es ist für die Kammer nicht ersichtlich, dass die Baugenehmigung vom 5. November 2003 brandschutzrechtliche Bestimmungen, wie sie für Garagen insbesondere in der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen (Garagenverordnung -GaVO-, Nds. GVBl. 1989, 327) festgelegt sind, missachtet.
Auch soweit sich der Antragsteller für sein Begehren auf seinem Haus drohende Feuchtigkeitsschäden beruft, führt dies nicht zum Erfolg des Antrags. Denn das Oberflächenwasser soll antragsgemäß vom Garagendach auf das Grundstück der Beigeladenen abgeleitet werden. Soweit der Antragsteller Beeinträchtigungen seines Eigentums durch Spritzwasser befürchtet, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass solches auch ohne das Carport vorhanden ist, indem es derzeit vom Boden abspritzt, so dass eine erst durch das Bauvorhaben entstehende Beeinträchtigung nur schwer zu erkennen ist. Ferner ist auch in diesem Zusammenhang der oben dargestellte Aspekt des § 46 Abs. 1 Satz 2 NBauO zu beachten. Der Gesetzgeber hat es für Carports der hier fraglichen Größe für zulässig erachtet, diese an der Grenze zum Nachbargrundstück zu errichten, so dass aus diesem Umstand keine unzulässige Beeinträchtigung des Eigentums des Nachbarn abgeleitet werden kann. Hinzu kommt, dass der Antragsteller selbst gemäß §§ 19 Satz 1, 30 Abs. 2 NBauO rechtlich gehalten ist, gegen Feuchtigkeitsschäden Vorsorge zu treffen. Gemäß § 19 Satz 1 NBauO müssen bauliche Anlagen u.a. so beschaffen sein, dass durch Wasser und Feuchtigkeit unzumutbare Belästigungen nicht entstehen. Gemäß § 30 Abs. 2 NBauO müssen Wände gegen aufsteigende und gegen eindringende Feuchtigkeit hinreichend geschützt sein und Außenwände müssen u.a. aus gegen Niederschläge widerstandsfähigen Baustoffen hergestellt oder mit einem Witterungsschutz versehen sein. Die rechtliche Verpflichtung, sein Haus gegen Spritzwasser zu schützen, trifft mithin den Antragsteller. Dies schließt aus, dass er sich gegenüber den Beigeladenen auf Feuchtigkeitsschäden berufen kann, die durch ein ansonsten baurechtlich zulässiges Bauvorhaben entstehen.
Schließlich ist rechtlich voraussichtlich auch nichts gegen die Genehmigung der Umnutzung einer Garage in einen Pferdestall zur Unterbringung von zwei Pferden durch die Beigeladenen einzuwenden.
Für die rechtliche Beurteilung der Baugenehmigung insoweit geht das Gericht entsprechend der im Baugenehmigungsverfahren eingeholten Stellungnahme der Gemeinde K. mit den Beteiligten davon aus, dass der nicht beplante Bereich von J. einem Dorfgebiet im Sinne von § 5 BauNVO entspricht. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Umnutzung richtet sich deshalb nach § 34 Abs. 2 BauGB. Diese Vorschrift ist im gleichen Umfang nachbarschützend, wie es die entsprechenden Festsetzungen in einem Bebauungsplan wären. Insoweit besteht für den Nachbarn ein Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart (Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 31 Rdnr. 77 und 63). Einen solchen Anspruch macht der Antragsteller der Sache nach geltend, weil er die mit der Pferdehaltung einhergehenden Lärm- und Geruchsbelästigungen für unzumutbar hält und darin einen Verstoß gegen das in § 15 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot erkennt. Diese Ansicht teilt die Kammer nach summarischer Rechtmäßigkeitsprüfung indes nicht.
Zwar gehört die Unterbringung von zwei Reitpferden zum Zwecke der Freizeitgestaltung nicht zu den nach § 5 Abs. 2 BauNVO in einem Dorfgebiet zulässigen Nutzungsarten. Insbesondere wird das Grundstück der Beigeladenen durch die Unterbringung dieser Tiere nicht zu einer Wirtschaftsstelle eines landwirtschaftlichen Betriebes. Die Hobbyhaltung von zwei Reitpferden stellt sich nach Ansicht der Kammer in einem Dorfgebiet jedoch als eine bauplanungsrechtlich zulässige Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO dar.
Die als Stall genutzte Garage der Beigeladenen ist allerdings keine untergeordnete Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1 S. 2 BauNVO, da sie nicht der Kleintierhaltung dient. Pferde gehören nicht zu den Kleintieren (OVG Lüneburg, Urteil vom 25.07.1988 - 1 A 46/87 -, BRS 48, Nr. 38; Urteil vom 23.11.1979 - I A 183/87 -, BRS 29, Nr. 163; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.05.1990 -3 S 218/90 -, zitiert nach Juris). Jedoch führt dies nicht dazu, dass die Unterbringung von Reitpferden oder Ställe für andere „Großtiere“ als Nebenanlagen ausgeschlossen sind. Ihre Zulässigkeit richtet sich vielmehr nach § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO (Fickert/Fieseler, Baunutzungsverordnung, 9. Auflage, § 14 Rn 7; OVG Lüneburg, Urteil vom 25.07.1988, a.a.O.).
Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 BauNVO sind außer den in § 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Diese Voraussetzungen sieht die Kammer sämtlich als gegeben an.
Bei einer Gesamtgröße des Grundstücks der Beigeladenen von 1914 m2 handelt es sich bei dem 16,56 m2 großen Stall um eine untergeordnete Nebenanlage im Sinne dieser Bestimmung.
Dieser Pferdestall dient auch dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke. Gemäß § 5 Abs. 1 BauNVO dienen Dorfgebiete der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Das Dorfgebiet ist damit von einem Mit- und Nebeneinander der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung, der Wohnnutzung und der gewerblichen Nutzung geprägt (ländliches Mischgebiet). Dabei beeinflusst die landwirtschaftliche Nutzung das Gebiet insbesondere auch durch das Vorhandensein von Großtieren. Solche (Rinder und Schweine) hält nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Beigeladenen auch der Antragsteller. Unter dieser Voraussetzung gehört die Hobbytierhaltung von zwei Reitpferden nach der Verkehrsanschauung zu einer zeitgemäßen, den berechtigten Wohnerwartungen und Wohngewohnheiten entsprechenden Wohnnutzung, die zudem der Eigenart des Dorfgebiet nicht wider-, sondern eher entspricht (anders für ein Allgemeines Wohngebiet, Urteil der Kammer vom 20. August 2003 -2 A 2137/02-, ebenso: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 28.09.1988 - 3 F 735/88 -, zitiert nach Juris). Ein anderes Ergebnis erschiene der Kammer lebensfremd, da die Hobbyhaltung von Pferden ohne Ausweisung als Sondergebiet in einem entsprechenden Bebauungsplan (vgl. dazu OVG Lüneburg, Urteil vom 5.4.2001 -1 K 2758/00-, Nds.Rpfl. 2001, 378) nur nach § 35 Abs. 2 BauGB als nicht privilegiertes Vorhaben im Außenbereich zulässig wäre. Dies deckte sich nicht mit der Lebenswirklichkeit. Hieraus folgt, dass der Antragsteller auch die mit der Pferdehaltung einhergehenden Geräusch- und Geruchsimmissionen hinzunehmen hat, da sie über das für ein Dorfgebiet übliche Maß nicht hinausgehen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen stützt sich auf § 162 Abs. 3 VwGO. Die Erstattungsfähigkeit entspricht hier der Billigkeit, da die Beigeladenen einen Antrag gestellt und sich so dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG. Die Kammer folgt im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung den Empfehlungen der Bausenate des Nds. Oberverwaltungsgerichts (Nds.VBl. 2002, 192), die für Nachbarklagen bei einer Beeinträchtigung von gewerblichen (entsprechend landwirtschaftlichen) Betrieben einen Streitwertrahmen von 5.000,00 bis 100.000,00 Euro vorsehen. Die Kammer hält für das Hauptsacheverfahren einen Streitwert von 10.000,00 Euro für angemessen, den es im Hinblick auf die Vorläufigkeit der begehrten Regelung halbiert.