Landgericht Braunschweig
Urt. v. 14.01.2004, Az.: 9 O 3380/03 (415)
allgemeines Persönlichkeitsrecht; Arbeitnehmerversammlung; Belegschaftsversammlung; Beleidigung; Beseitigungsanspruch; Diffamierungsabsicht; Drittes Reich; ehrenrührige Behauptung; ehrenrührige Äußerung; Ehrkränkung; Ehrverletzung; Eingriffsmöglichkeit; Empfängerhorizont; Erhängung; Galgen; Galgen-Tribunal; Individualsphäre; KZ-Schänder; Meinungsfreiheit; Meinungsäußerung; Menschenwürde; Nationalsozialismus; Nazi-Zeit; Persönlichkeitsrechtsverletzung; Pogrom; Pogrom-Tribunal; Puppe; rechtliche Möglichkeit; Redebeitrag; Redner; sachliche Kritik; Schadensersatzanspruch; Schmähkritik; Schutzgesetzverletzung; Sinngehalt; symbolische Hinrichtung; tatsächliche Möglichkeit; Tribunal; Unterlassungsanspruch; unwahre Tatsachenbehauptung; Veranstaltereigenschaft; Verleumdung; Versammlungsgeschehen; Versammlungsleiter; Versammlungsleitung; Wahrheitsgehalt; üble Nachrede
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 14.01.2004
- Aktenzeichen
- 9 O 3380/03 (415)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50924
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - 10.12.2003 - AZ: 9 O 3380/03
- nachfolgend
- OLG - 07.07.2004 - AZ: 2 U 29/04
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs 1 BGB
- § 823 Abs 2 BGB
- § 1004 Abs 1 BGB
- Art 1 Abs 1 S 1 GG
- Art 2 Abs 1 GG
- Art 5 Abs 1 S 2 GG
- § 186 StGB
Tenor:
1. Die durch Beschluss erlassene einstweilige Verfügung des Landgerichts Braunschweig vom 10.12.2003 - 9 O 3380/03 (415) - wird bestätigt.
2. Der Verfügungsbeklagte hat die weiteren Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 100.000 Euro festgesetzt.
Tatbestand:
Der Verfügungskläger nimmt den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung diverser Äußerungen in Anspruch, welche der Verfügungsbeklagte in einem Kommentar auf seiner eigenen Website www... veröffentlicht hat.
Beide Parteien sind ehemalige Vorstandsmitglieder der ... Der Verfügungsbeklagte hatte die Position des Vorstandsvorsitzenden inne, der Verfügungskläger, Mitglied der IG-Metall, war Arbeitsdirektor und zugleich stellvertretender Vorstandsvorsitzender.
Am 16.02.1999 fand eine außerordentliche Konzernbelegschaftsversammlung der ... auf deren Gelände in der Halle Z statt. Hierbei ging es maßgeblich um eine etwaige Eingliederung des Unternehmens in die luxemburgische Stahlgruppe ... Die Mehrheitsaktionäre hatten dem AG-Vorstand am 08.02.1999 eine entsprechende, bei ihnen vorhandene Absicht eröffnet. In einem Vorstandsbeschluss vom 10.02.1999 (Anlage AG 7b) heißt es unter anderem:
„Grundsätzlich steht der Vorstand partnerschaftlichen Lösungen aufgeschlossen gegenüber. Der Vorstand ist sich im Klaren, dass das skizzierte Konzept eine völlige Umkehr unserer bisherigen Unternehmensphilosophie bedeutet. Damit sind Chancen und Risiken verbunden.“
Die genannte Versammlung war zuvor in der Belegschaft seitens des Betriebsrates durch einen entsprechenden Aushang angekündigt worden, der unter anderem den Satz enthielt: „Der Vorstandsvorsitzende steht Rede und Antwort“ (Anlage ASt 9). Sowohl Verfügungskläger als auch Verfügungsbeklagter erhielten vom Konzernbetriebsrat eine förmliche Einladung zu dieser Versammlung, wobei lediglich das an den Verfügungsbeklagten gerichtete Schreiben die Klarstellung enthält, dass er als Redner vorgesehen sei.
Diese Halle Z befindet sich in der Nähe einer Gedenkstätte für die Opfer eines auf dem Werksgelände der ... zu Zeiten des Dritten Reiches befindlichen Konzentrationslagers, das den Namen ..., trug. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sich auch die Halle Z selbst auf ehemaligem KZ-Gelände befindet.
An dieser Versammlung nahmen neben 5000 bis 6000 Belegschaftsmitgliedern auch Vertreter der Presse, Politiker aus den Reihen der SPD sowie der Grünen und weitere Mitglieder der Gewerkschaft IG-Metall teil.
Unter den Arbeitnehmern herrschte eine aufgebrachte Stimmung. Zahlreiche von diesen präsentierte Schilder und Transparente richteten sich gegen den Verfügungsbeklagten persönlich, mitunter auch mit beleidigendem Inhalt. In der Nähe des Rednerpultes befand sich ein Hubwagen, an welchem eine Puppe in Lebensgröße an einem Galgenstrick aufgehängt war.
Die Rede des Verfügungsbeklagten wurde durch häufige gegen seine Person gerichtete Zwischenrufe und Pfiffe gestört. Nach Beendigung dieser Rede trat der Verfügungskläger nach vorheriger Abstimmung mit weiteren auf der Rednerbühne anwesenden Vorstandsmitgliedern an das Mikrofon und wandte sich mit den folgenden Worten an die Belegschaft:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich war eigentlich gar nicht vorgesehen, hier zu sprechen: Aber nachdem Herr … vor der Belegschaft erklärt, dass das, was er Ihnen vorgetragen hat, im Vorstand abgestimmt ist, muss ich Ihnen mitteilen, dass das hier mit den Vorständen, die hier sitzen, Herr …, Herr …, Herr … und Herr ... und mit mir nicht abgestimmt ist.
Wenn ein Vorstandsvorsitzender Erklärungen im Namen des Vorstandes abgibt, so hat er die Verpflichtung, dass er es mit seinen Kollegen entsprechend vereinbart. Dies ist hier nicht geschehen. Zu der von Herrn … verlesenen Erklärung des Vorstandes fehlen vom Vorstand ganz wichtige festgelegte Erklärungen. Ich lese das vor, was Herr … nicht hier wiedergegeben hat:
1. Punkt: Wir haben festgelegt, der Standort … darf aus etwaigen kartellrechtlichen Auflagen nicht gefährdet werden.
Den Punkt 4, Herr …, haben wir gemeinsam formuliert. Herr …, Sie haben es vergessen, obwohl sie die Erklärung zitiert haben: Aufgrund der Größe der deutschen Gruppe innerhalb des zukünftigen Flachstahlbereiches strebt der Vorstand die Führerschaft der Produktgruppe … an.
Nun komme ich zu einem ganz wesentlichen Punkt:
Der Vorstand sieht noch einen dringenden Informations- und Beratungsbedarf. Mit Blick auf wirtschaftliche und rechtliche Implikationen der vorgesehenen Transaktion und mit Blick auf betriebliche und unternehmensverfassungsrechtliche Organe, zu dem wir eingeschaltet sein müssen.
Vor diesem Hintergrund ist der Vorstand bereit, diesen Vorgang konstruktiv zu begleiten, aber nur vor diesem Hintergrund. Wir haben noch viele, viele Fragen zu klären, die alle noch offen sind und das ist die Wahrheit“.
Mit seiner sich hieran anschließenden Gegenrede drang der Verfügungsbeklagte wegen der von der anwesenden Belegschaft produzierten Lärmgeräusche nur zum Teil durch.
Am 15.03.1999 legte der Verfügungsbeklagte das Amt des Vorstandsvorsitzenden nieder und schied aufgrund einer Vereinbarung mit der …, welche unter anderem eine so genannte „Wohlverhaltensregelung“ (Anlage ASt 12) enthielt, aus dieser aus.
Am 16.11.2003 kommentierte der Verfügungsbeklagte die bekannt gemachte Absicht der Stadt …, dem Verfügungskläger wegen seines Einsatzes für den Stahlstandort einen Ehrenring zu verleihen, auf seiner Homepage, indem er ausführlich auf den Verlauf der Konzernbelegschaftsversammlung vom 16.02.1999 Bezug nahm. Der vollständige Text lautet wie folgt:
Der Verfügungskläger erfuhr am 25.11.2003 vom Inhalt dieser website und forderte den Verfügungsbeklagten am 08.12.2003 vergeblich dazu auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben.
Das Landgericht Braunschweig hat dem Verfügungsbeklagten am 10.12.2003 durch eine im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung untersagt, in Bezug auf den Verfügungskläger Folgendes zu äußern:
a) dieser sei zusammen mit anderen Veranstalter eines Pogrom-Tribunals gewesen,
b) er habe zusammen mit anderen in der Nähe einer KZ-Gedenkstätte und/oder auf ehemaligem KZ-Gelände einen Galgen und/oder ein reales Mordwerkzeug errichtet,
c) an diesem Galgen und/oder Mordwerkzeug habe er zusammen mit anderen den Antragsgegner symbolisch aufgehängt,
d) er und andere hätten mit dem Galgen gezeigt, wie sie mit Menschen umgehen würden, die sie aus dem Weg räumen wollen, wenn man sie ließe,
e) er und andere hätten all dies schandvoll auf Blut getränktem KZ-Boden demonstriert,
f) er sei einer der Haupttäter auf dem Gelände des Arbeits- und Konzentrationslagers D.,
g) mit der Verleihung des Ehrenringes der Stadt . an ihn, einen KZ-Schänder, werde das Andenken an 3.500 Opfer der Nazi-Zeit mit Füßen getreten,
h) er habe eine KZ-Schändung begangen.
Der Verfügungskläger beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 10.12.2003 zu bestätigen.
Der Verfügungsbeklagte beantragt,
die einstweilige Verfügung vom 10.12.2003 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Er behauptet, dem Verfügungskläger sei schon vor der Konzernbelegschaftsversammlung vom 16.02.1999 bekannt gewesen, dass sich sein Name auf einer vom Betriebsrat geführten Rednerliste befunden habe. Der Verfügungskläger habe auch von der Errichtung eines symbolischen Galgens gewusst.
Der Verfügungsbeklagte behauptet außerdem, dass die oben wiedergegebenen Ausführungen des Verfügungsklägers im Anschluss an die Rede des Verfügungsbeklagten inhaltlich unrichtig seien.
Der Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, dass der Verfügungskläger als Mitveranstalter der Versammlung anzusehen sei und demzufolge hinsichtlich der gegen den Verfügungsbeklagten gerichteten, zum Teil beleidigenden Aktionen als „mittelbarer Täter“ einzustufen sei, weil er seinen Redebeitrag unter Ausnutzung der für den Verfügungsbeklagten außerordentlich belastenden Begleitumstände in einem entscheidenden Moment dazu eingesetzt habe, die Atmosphäre zu Ungunsten des Verfügungsbeklagten weiter „anzuheizen“.
Der Verfügungsbeklagte ist des Weiteren der Ansicht, dass der Verfügungskläger als Gewerkschaftsmitglied und Arbeitsdirektor verpflichtet gewesen sei, sich um eine Deeskalation der Veranstaltung zu bemühen, insbesondere für die Fortschaffung des symbolischen Galgens zu sorgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die zur Akte gereichten Unterlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 14.01.2004 beide Parteien persönlich angehört und mit diesen die als Anlage zum Protokoll gereichten Unterlagen erörtert.
Entscheidungsgründe
Auf den zulässigen Widerspruch des Verfügungsbeklagten war der Beschluss vom 10.12.2003 auf seine Rechtmäßigkeit zu prüfen. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung war die einstweilige Verfügung zu bestätigen, da sich der Antrag auf ihren Erlass weiterhin als zulässig und begründet erweist.
Dem Verfügungskläger steht gegen den Verfügungsbeklagten hinsichtlich sämtlicher angegriffener Aussagen ein Unterlassungsanspruch auf der Grundlage des § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit einer analogen Anwendung des § 1004 Abs. 1 BGB zu. Diese Vorschriften begründen unter anderem ein Abwehrrecht gegenüber solchen Äußerungen, die sich als rechtswidriger Eingriff in das so genannte Allgemeine Persönlichkeitsrecht erweisen.
Die in der Antragsschrift aufgeführten Textstellen auf der Homepage des Verfügungsbeklagten stellen eine solche Verletzung dieser absolut geschützten Rechtsposition dar.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht leitet sich aus den elementaren Verfassungsvorschriften der Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 Abs. 1 GG ab und gewährt jedem Einzelnen ein Recht auf Achtung und Entfaltung der Person (BVerfGE 99, 185; BGHZ 13, 334). Die Intensität dieses Ehrschutzes richtet sich danach, welcher Teilbereich des menschlichen Wirkens betroffen ist. Das öffentliche, wirtschaftliche und berufliche Auftreten einer Person unterfällt der so genannten Individualsphäre. Sie gewährt dem Einzelnen das Recht, über das Hervortreten seiner persönlichen Eigenarten in seinen Beziehungen zur Umwelt selbst zu bestimmen (BVerfGE 73, 118 [BVerfG 04.11.1986 - 1 BvF 1/84]; 97, 125). Diese Individualsphäre des Verfügungsklägers ist hier betroffen, da sich die Äußerungen des Verfügungsbeklagten auf seiner Internetseite damit befassen, in welcher Form der Verfügungskläger an einer Veranstaltung teilgenommen hat, die einem breiten Publikum zugänglich war.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht eines Menschen kann grundsätzlich sowohl durch die Behauptung von Tatsachen als auch durch die Kundgabe von Werturteilen beeinträchtigt werden. Dies setzt zunächst voraus, dass sich die betreffenden Aussagen ihrem Inhalt nach als Angriff gegen die persönliche Ehre erweisen, indem sie den hiervon Betroffenen in einen Kontext bringen, der nach Einschätzung der beteiligten Verkehrskreise seinem Ansehen abträglich und grundsätzlich geeignet ist, ihn in einem negativen Licht erscheinen zu lassen (BVerfGE 99, 185 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]).
Diese Eignung kommt sämtlichen beanstandeten Äußerungen des Verfügungsbeklagten zu. Sie haben ausnahmslos die Zielrichtung, den Verfügungskläger als an gegen den Verfügungsbeklagten gerichteten Aktionen beteiligt erscheinen zu lassen, welche von jedem verständigen Leser dieses Kommentars als moralisch fragwürdig angesehen werden.
Diese in den Äußerungen des Verfügungsbeklagten liegenden Verletzungshandlungen sind auch widerrechtlich.
Eine solche Rechtswidrigkeit ist gegeben, wenn sich die betreffenden Aussagen nach einer umfassenden Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen und Rechtsgüter der Parteien als nicht von der ebenfalls grundrechtlich durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit oder die Ausübung eines anderen, im konkreten Fall als höherrangig zu bewertenden Rechtes, gedeckt erweisen (BVerfG NJW 2001, 2957; NJW 2003, 1303 [BVerfG 11.03.2003 - 1 BvR 426/02]; BGH NJW 1997, 2513 [BGH 25.03.1997 - VI ZR 102/96]). Insofern ist zwischen solchen Äußerungen, welche eine Tatsachenbehauptung darstellen, und solchen, die ausschließlich oder zumindest überwiegend Werturteile zum Ausdruck bringen, zu unterscheiden.
Als Tatsachenbehauptung wird allgemein jede Aussage verstanden, welche einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BVerfG, NJW 2000, 199 [BVerfG 16.03.1999 - 1 BvR 734/98]; BGH NJW 1998, 1223 [BGH 25.11.1997 - VI ZR 306/96]). Auch eine wertende Elemente enthaltende Stellungnahme kann sich demzufolge als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei den Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. So liegt es nach Ansicht der Kammer bei den in der Beschlussverfügung unter b) und c) aufgeführten Aussagen des Verfügungsbeklagten. Diese sind nach ihrem Sinngehalt darauf gerichtet, dem Leser zu verstehen zu geben, dass sich der Verfügungskläger in irgendeiner Form mittelbar oder unmittelbar an der Aufstellung eines während der Belegschaftsversammlung präsenten Galgens sowie dem Aufhängen einer den Verfügungsbeklagten symbolisierenden Puppe beteiligt habe.
Die Intensität des sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergebenden Schutzes von Tatsachenbehauptungen richtet sich nach ihrem subjektiven Wahrheitsgehalt aus der Sicht des die betreffende Behauptung Aufstellenden zum Zeitpunkt ihrer Äußerung (BVerfGE 99, 185 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]; BVerfG NJW 2000, 199 [BVerfG 16.03.1999 - 1 BvR 734/98]). Im Bewusstsein ihrer Unwahrheit aufgestellte Behauptungen über ehrenrührige Tatsachen sind dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit aus Art 5 Abs. 1 GG von vornherein entzogen (BVerfG a.a.O.).
Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den unter b) und c) der Beschlussverfügung genannten Behauptungen um solche Tatsachen handelt, von denen der Verfügungsbeklagte beim Verfassen des Kommentars auf seiner Homepage positiv gewusst hat, dass sie inhaltlich unzutreffend sind.
Da diese Aussagen dem Verfügungskläger ein zumindest symbolisch begangenes Tötungsdelikt unterstellen und sie somit als massiv ehrkränkend anzusehen sind, gilt jedenfalls der Grundsatz, dass den Äußernden eine erweiterte Darlegungslast trifft. Er hat glaubhaft zu machen, dass er zu seiner Behauptung aufgrund einer - gemessen an der Intensität des Eingriffes in das Persönlichkeitsrecht des von der Behauptung Betroffenen - hinreichend sorgfältig durchgeführten Recherche gelangt ist (BVerfGE 99, 185; BGH NJW 1987, 2225 [BGH 12.05.1987 - VI ZR 195/86]). Dies setzt insbesondere voraus, dass der Äußernde grundsätzlich nachprüfbare Indizien für die Richtigkeit der Behauptung vorzulegen hat (BVerfGE 85, 1, 22; BGH NJW 1974, 1710). Genügt er dieser besonderen Darlegungslast nicht, ist seine Behauptung als unwahr zu behandeln und demzufolge nicht durch den von Art. 5 Abs. 1 GG gewährten Grundrechtsschutz erfasst (BVerfGE 99, 185 [BVerfG 10.11.1998 - 1 BvR 1531/96]).
Der Verfügungsbeklagte gelangt zu den unter b) und c) der Beschlussverfügung genannten Tatsachenbehauptungen lediglich aufgrund einer von ihm gehegten Vermutung, wonach der Verfügungskläger schon vor der Belegschaftsversammlung im Februar 1999 in Form einer, wie auch immer gearteten, Intrige seine Nähe zu Betriebsrat und Belegschaft der … genutzt habe, um den Verfügungsbeklagten aus seinem Amt als Vorstandsvorsitzender zu treiben.
Der Verfügungsbeklagte hat im Verlauf des Verfahrens keine konkreten Fakten genannt, die für einen unbefangenen Betrachter darauf hindeuten könnten, dass der Verfügungskläger mittelbar oder unmittelbar die Herbeischaffung eines Hubwagens zum Zwecke der symbolischen Erhängung einer Puppe organisiert, initiiert, gutgeheißen oder hiervon überhaupt nur gewusst habe.
Der Verfügungsbeklagte nimmt außerdem - losgelöst von der genannten Vermutung - aufgrund einer objektiv kaum nachvollziehbaren rechtlichen Würdigung eine Verantwortlichkeit des Verfügungsbeklagten für die Präsenz des symbolischen Galgens während der Belegschaftsversammlung an. Diese Sichtweise berechtigt den Verfügungsbeklagten jedoch allenfalls zu Meinungsäußerungen, die sich im grundrechtlich geschützten Bereich des Art. 5 Abs. 1 GG halten müssten, nicht jedoch zur Behauptung von ehrenrührigen Tatsachen, deren Richtigkeit er nicht glaubhaft zu machen vermag.
Das Gericht verkennt nicht, dass Grundlage für die Bewertung jeder Äußerung die Ermittlung ihres Sinngehaltes ist. Bei einer möglicherweise gegebenen Mehrdeutigkeit bedarf es demzufolge einer Auseinandersetzung mit diesen verschiedenen Interpretationsvarianten (BVerfGE 94, 1, 10 f. [BVerfG 13.02.1996 - 1 BvR 262/91]; BVerfG NJW 2003, 1303). Maßgebend ist insoweit die Sichtweise eines verständigen Empfängers unter Berücksichtigung der für ihn wahrnehmbaren, den Sinn der Äußerung mitbestimmenden Umstände (BVerfGE 93, 266, 295; BVerfG NJW 2003, 1303, 1304 [BVerfG 11.03.2003 - 1 BvR 426/02]).
Die Kammer hat sich deshalb mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Aussagen zu b) und c) der Beschlussverfügung - abweichend von ihrer eigenen Einschätzung - unter Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizontes auch eine Deutung als bloße Werturteile erlauben und somit unabhängig von der Frage des subjektiven Wahrheitsgehaltes vom Schutz der Meinungsfreiheit erfasst sein könnten. Diese Frage war zu verneinen. Im Kommentar des Verfügungsbeklagten wird der Verfügungskläger - kenntlich gemacht als Arbeitsdirektor - mehrfach ausdrücklich zu den „Veranstaltern“ eines Tribunals gezählt. Von diesen wird auf der Homepage gesagt, dass sie den vorhandenen Galgen errichtet und den Verfügungsbeklagten hieran symbolisch aufgehängt hätten. Es finden sich im gesamten Text keinerlei angedeutete oder ausdrückliche Hinweise darauf, dass der Verfügungsbeklagte die Bezeichnung „Veranstalter“ in einem solchen übertragenen Sinne verstanden wissen wollte, dass nach seiner Lesart hierunter auch diejenigen Teilnehmer fallen, deren Beteiligung sich in einem Wortbeitrag erschöpft. Auf diese Interpretationsmöglichkeit kann der unbefangene Leser auch deshalb nicht verfallen, weil die auf der Belegschaftsversammlung geäußerte Erwiderung des Verfügungsklägers auf die Rede des Verfügungsbeklagten in dem Kommentar mit keinem Wort erwähnt wird.
Hinsichtlich der Behauptungen zu b) und c) der Beschlussverfügung vom 10.12.2003 ergibt sich der Unterlassungsanspruch des Verfügungsklägers daneben auch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 186 StGB.
Die unter a) sowie d) bis h) der Beschlussverfügung aufgeführten Aussagen des Verfügungsbeklagten entbehren nach Ansicht der Kammer hingegen eines Tatsachenkerns in dem oben dargelegten Sinn, so dass es sich hierbei um Meinungsäußerungen handelt. Diese sind entscheidend durch Elemente der Stellungnahme gekennzeichnet, welche das Publikum auf eine bestimmte Wertung des Äußernden hinweisen sollen (BVerfG NJW 2000, 199 [BVerfG 16.03.1999 - 1 BvR 734/98]; NJW 2003, 1856 [BVerfG 06.12.2002 - 1 BvR 802/00]).
Dies trifft trotz der Verwendung des zumindest mit Hilfstatsachen in seinem Bedeutungsgehalt ausfüllungsfähigen Begriffes „Veranstalter“ auf die oben unter a) genannte Aussage zu. Denn diese wird maßgeblich von der Bezeichnung „Pogrom-Tribunal“ geprägt. Dass diese Begrifflichkeit als Etikett für eine Konzernbelegschaftsversammlung - unabhängig von deren äußeren Begleitumständen - nicht im eigentlichen Wortsinne, sondern vielmehr in einem übertragenen Sinn, mithin wertend, verstanden werden soll, liegt auf der Hand.
Die Aussage unter d), wonach der Verfügungskläger als Mitveranstalter mit dem Galgen gezeigt habe, wie er am liebsten mit Menschen umginge, die er aus dem Weg räumen wolle, bringt erkennbar eine vom Verfügungsbeklagten subjektiv gezogene Schlussfolgerung und damit ebenfalls eine Wertung zum Ausdruck.
Die unter e) bis h) aufgeführten Äußerungen stellen einen auch für den informierten Leser nicht ohne weiteres erkennbaren inneren Zusammenhang zwischen der Belegschaftsversammlung und den in die Zeit des so genannten Dritten Reiches fallenden Vorgängen im Konzentrationslager der … her. Indem Worte wie „schandvoll“, „Haupttäter“ und „KZ-Schänder“ benutzt werden, liegt der Schwerpunkt auch hier auf einer wertenden Stellungnahme, ohne dass es auf die zwischen den Parteien streitige Frage der genauen geographischen Gegebenheiten ankäme.
Werturteile werden umfassend vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit erfasst. Dies bedeutet, dass auch öffentlich geübte Kritik an einer in breiten Kreisen bekannten Persönlichkeit erlaubt ist, obwohl sie womöglich in scharfer, schonungsloser oder auch ausfälliger Art und Weise geübt wird (BVerfGE 54, 129, 138 f.; 93, 266, 289; BGHZ 45, 296, 308). Unzulässig werden solche in polemischer Form vorgebrachten und gegebenenfalls stark überspitzt formulierten Werturteile über Personen jedoch stets, wenn es sich um eine reine Schmähkritik handelt. Hierunter versteht die verfassungsrechtliche Rechtsprechung Äußerungen, bei denen es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache geht, sondern die Diffamierung des Betroffenen ganz im Vordergrund steht, weil dieser gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (BVerfGE 93, 266, 289; 99, 185; BVerfG NJW 1993, 1462; NJW 2003, 3760). Stellt dieses Ziel der persönlichen Kränkung und Herabsetzung das sachliche Anliegen auf diese Weise völlig in den Hintergrund, so verliert die Meinungsfreiheit ihren grundsätzlichen Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz (BVerfG a.a.O.). Der Begriff der Schmähkritik ist dabei wegen seiner grundrechtsbeschränkenden Wirkung eng auszulegen (BVerfGE 82, 272 [BVerfG 26.06.1990 - 1 BvR 1165/89]; BVerfG NJW 1993, 1462 [BVerfG 25.02.1993 - 1 BvR 151/93]; NJW 2003, 3760). Für diese Qualifizierung ist deshalb zu verlangen, dass das betreffende Werturteil zum einen eine besonders schwerwiegende Ehrkränkung enthält und es zum anderen deutlich losgelöst von dem anlassgebenden Sachverhalt getroffen wird.
Die oben unter a) sowie d) bis h) aufgeführten Äußerungen des Verfügungsbeklagten erfüllen diese Voraussetzungen für die Annahme einer Schmähkritik.
Sie stellen inhaltlich einen deutlich ehrverletzenden Angriff auf die Menschenwürde des Verfügungsklägers dar. Mit der Äußerung, der Verfügungskläger sei Mitveranstalter eines Pogrom-Tribunals gewesen, bringt der Verfügungsbeklagte zum Ausdruck, dass dieser sich - entsprechend der gängigen Definition dieses Begriffes - an einer gewaltsamen Massenausschreitung gegenüber einer Minderheit, verbunden mit extremen Gewalttätigkeiten, beteiligt habe. Mit der Äußerung unter d) unterstreicht der Verfügungsbeklagte diesen beim Leser von ihm hervorgerufenen Eindruck, weil er dem Verfügungskläger die generelle Bereitschaft unterstellt, ihm unliebsame Menschen zu töten, also ein potentieller Gewalttäter zu sein. Indem der Verfügungsbeklagte den Verfügungskläger als KZ-Schänder bezeichnet, bezichtigt er ihn sinngemäß einer Entweihung des ehemaligen KZ-Geländes sowie eines bei ihm grundsätzlich vorhandenen Willens zur Wiederholung dort begangener Verbrechen. Wegen der insoweit in der deutschen Bevölkerung bestehenden besonderen Sensibilität lassen diese Aussagen den Verfügungskläger aus der Sicht eines verständigen Lesers als auf sittlich tiefster Stufe stehend erscheinen, weil sie Assoziationen zu den während der Nazi-Zeit in deutschen Konzentrationslagern begangenen Gräueltaten wecken.
Diese Äußerungen stellen eine nicht mehr akzeptable, den Verfügungskläger in seiner Menschenwürde tangierende Reaktion des Verfügungsbeklagten auf lediglich vermeintliche Handlungen des Verfügungsklägers im Vorfeld bzw. während der Belegschaftsversammlung vom 16.02.1999 dar. Sie erweisen sich somit als reine Diffamierungen des Verfügungsklägers.
Unabhängig von der Frage einer generell nicht rechtfertigungsfähigen Verletzung der Menschenwürde des Verfügungsklägers ist die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik hier deshalb überschritten, weil die betreffenden Aussagen des Verfügungsbeklagten den tatsächlichen Bezug zu irgendwelchen gegen ihn gerichteten Aktionen des Verfügungsklägers vollständig auflösen.
Der bloße Umstand, dass der Verfügungskläger von seinem Rederecht als Mitglied des Vorstandes … auf dieser Belegschaftsversammlung Gebrauch gemacht hat, bietet keinen ausreichenden tatsächlichen Anknüpfungspunkt dafür, eine irgendwie geartete Verantwortlichkeit des Verfügungsklägers für die aus Sicht des Verfügungsbeklagten äußerst negativen Begleitumstände dieser Versammlung zu begründen. Ein erkennbarer Zusammenhang zwischen diesem Redebeitrag und der schon während der Rede des Verfügungsbeklagten herrschenden emotionalisierten Atmosphäre fehlt so deutlich, dass es auf die zwischen den Parteien streitige Frage einer möglichen Kenntnis des Verfügungsklägers vom Inhalt der seitens des Betriebsrates geführten Rednerliste nicht ankommt. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob die oben wiedergegebenen Aussagen des Verfügungsklägers auf der Versammlung inhaltlich richtig sind oder nicht.
In Ermangelung eines solchen faktischen Bezugspunktes stellt sich die Bezeichnung des Verfügungsklägers als „Veranstalter eines Pogrom-Tribunals“ als nicht mehr tolerable ehrverletzende Stigmatisierung dar.
Der Belegschaftsversammlung dieses Etikett zu verleihen, mag aus der Sicht des Verfügungsbeklagten, der sich einer großen gegen ihn aufgebrachten Menschenmenge gegenübersah, noch als stark überspitzte Formulierung hinzunehmen sein. Ohne einen über die Ausübung seines ihm zustehenden Rederechtes hinaus gehenden Beitrag des Verfügungsklägers an der Gestaltung dieser Versammlung ist seine Einstufung als „Veranstalter“ eines solchen Tribunals jedoch nicht nachvollziehbar und demzufolge nicht mehr von der Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt. Diese Aussage kann von einem verständigen Leser des Kommentars auch nicht in dem Sinne interpretiert werden, dass der Verfügungskläger lediglich als Veranstalter der Belegschaftsversammlung bezeichnet werden sollte, die sich - möglicherweise ohne sein Zutun - zu einem „Tribunal“ für den Verfügungsbeklagten entwickelt hat. Dieser Deutungsmöglichkeit steht die Verwendung des Begriffes „Haupttäter“ und „KZ-Schänder“ an anderer Stelle entgegen.
Die gedankliche Konstruktion des Verfügungsbeklagten, den Verfügungskläger deshalb als „Veranstalter“ der gegen ihn gerichteten Aktionen bezeichnen zu dürfen, weil er seinen Redebeitrag gezielt in einem entscheidenden Moment eingesetzt habe, ist abwegig. Wenn sich der Verfügungskläger veranlasst sah, aus seiner subjektiven Sicht unzutreffende Äußerungen des Verfügungsbeklagten zu kommentieren und gegebenenfalls richtig zu stellen, so kam hierfür als Zeitpunkt nur die Beendigung der Rede des Verfügungsbeklagten in Betracht. Dem Verfügungskläger kommt auch nicht eine aus seiner Stellung als Arbeitsdirektor resultierende Garantenstellung in dem Sinne zu, dass er allein deshalb als Unterlassungstäter anzusehen wäre, weil er nicht für die Fortschaffung des Galgens gesorgt hat.
Die Betitelung des Verfügungsklägers als „KZ-Schänder“ oder „Haupttäter“ stellt aus den oben genannten Gründen ebenfalls einen massiven Eingriff in seine persönliche Ehre dar. Eine Verwendung dieser Terminologie ließe sich auf der Grundlage der Meinungsäußerungsfreiheit allenfalls dann rechtfertigen, wenn das Verhalten des Verfügungsklägers einen über den hier gegebenen zufälligen geographischen Kontext hinausgehenden Bezug zur Nazivergangenheit Deutschlands aufwiese. Hieran fehlt es jedoch.
Das Bestehen eines Verfügungsgrundes im Sinne der für eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu fordernden besonderen Dringlichkeit ergibt sich aus der besonderen Tragweite des in den Äußerungen des Verfügungsbeklagten liegenden Eingriffes in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verfügungsklägers.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Kammer hat den Streitwert für das Verfahren abweichend von der am 10.12.2003 ergangenen Beschlussverfügung auf 100.000,00 € festgesetzt. Maßgeblich ist insoweit das aufgrund der obigen Ausführungen als besonders hoch einzustufende Interesse des Verfügungsklägers an der Durchsetzung seines Unterlassungsanspruches. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Parteien jeweils um relative Personen der Zeitgeschichte handelt, die zumindest eine erhöhte regionale Bekanntheit erlangt haben, erschien es der Kammer angezeigt, den Streitwert im sechsstelligen Bereich anzusiedeln. Da es sich jedoch um Äußerungen des Verfügungsbeklagten handelt, welche er als Privatperson auf seiner Internet-Homepage, also einem nicht per se der breiten Öffentlichkeit zugewandten Medium, gemacht hat, erschien der in der Beschlussverfügung festgesetzte Streitwert als überhöht.