Landgericht Braunschweig
Urt. v. 15.04.2004, Az.: 4 S 643/03
Abgrenzung; Begriffsbestimmung; Drucksituation; Entscheidungsfreiheit; Erkennbarkeit; Erlebnisorientierung; Erlebniswert; Event; Freizeitcharakter; Freizeitveranstaltung; Gruppenzwang; Harz & Heide; Haustürgeschäft; Kaffeefahrt; Kaminofen; Kaufentschluss; Kaufvertrag; Messebesucher; Messehalle; räumliche Abgrenzung; Schutzbedürfnis; Unterhaltungsbereich; Verbrauchermesse; Verbraucherschutz; Verbraucherverkaufsausstellung; Verkaufsbereich; Verkaufsveranstaltung; Widerruflichkeit; Überrumpelungseffekt
Bibliographie
- Gericht
- LG Braunschweig
- Datum
- 15.04.2004
- Aktenzeichen
- 4 S 643/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 51066
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 05.12.2003 - AZ: 16 C 142/03
Rechtsgrundlagen
- § 326 Abs 1 BGB
- § 1 Abs 1 S 1 Nr 2 HTürGG
- § 3 HTürGG
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 05.12.2003 abgeändert und wie folgt neu gefasst: Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 505,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.11.2002 zuzüglich 5,- € vorgerichtlicher Mahnkosten zu zahlen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils für die Klägerin vollstreckbaren Betrages.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird auf 505,51 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt vom Beklagten eine Abstandssumme wegen Nichtabnahme eines im Mai 2001 auf der Messe “Harz & Heide” gekauften Kaminofens.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel Bezug genommen. Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem Beklagten habe ein Widerrufsrecht zugestanden, weil es sich bei der Messe “Harz & Heide” um eine Freizeitveranstaltung i.S.d. HaustürWG gehandelt habe; es sei gerichtsbekannt, dass die Veranstaltung jedes Jahr ähnlich ablaufe.
Gegen dieses Urteil, welches den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 09.12.2003 zugestellt wurde, richtet sich die am 17.12.2003 eingelegte Berufung.
Die Klägerin ist der Meinung, der Beklagte sei darlegungs- und beweisfällig dafür geblieben, dass es sich um eine Freizeitveranstaltung gehandelt habe. Im Übrigen sei die Messe mit der “Grünen Woche” vergleichbar, für welche der Bundesgerichtshof dieses verneint habe.
Sie beantragt,
wie erkannt.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es sich bei der Messe “Harz & Heide” um eine Freizeitveranstaltung handelt und bezieht sich auf den Internetauftritt der Ausrichtergesellschaft und auf den Prospekt der Messe für 2003, der unstreitig dem für 2001 entspricht. Ferner behauptet er im Rahmen der Berufungserwiderung erstmals, er habe aufgrund der geschickten Ausführungen des Verkäufers geglaubt, auf der Messe lediglich eine unverbindliche Reservierung unterschrieben zu haben. Im Übrigen bestreitet der Kläger nunmehr die Höhe des geltend gemachten Anspruchs und ist der Auffassung, dass die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen unschlüssig sei.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt, und auch begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf 505,51 € aus § 326 Abs. 1 BGB a.F. Die Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Der Beklagte befand sich mit der Abnahme des Kaminofens im Verzug. Eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung liegt auch mit dem Schreiben der Klägerin vom 09.07.2002 (Bl. 23 d.A.) vor.
Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg auf einen wirksamen Widerruf des zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrages gemäß § 3 i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG berufen. Denn eine Freizeitveranstaltung i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG liegt nach Überzeugung der Kammer nicht vor.
Unter dem Begriff der Freizeitveranstaltungen werden solche gewerblichen oder gewerblich motivierten Veranstaltungen erfasst, deren Gesamtbild von einem Freizeiterlebnis ausgeht, die der Belehrung oder Unterhaltung der Teilnehmer dienen und bei denen Freizeitangebot und Verkaufsveranstaltung organisatorisch so miteinander verbunden sind, dass der Verbraucher in freizeitlich unbeschwerte Stimmung versetzt wird und sich dem auf einen Geschäftsabschluss gerichteten Angebot aufgrund der Organisation der Veranstaltung nur schwer entziehen kann (BGH NJW 2002, 3100 ff. [BGH 10.07.2002 - VIII ZR 199/01]; Palandt-Putzo, 60. Aufl., HausTW , § 1, Rn. 13 m.w.N.). Keine Freizeitveranstaltungen sind daher reine Verbraucherverkaufsausstellungen, bei denen der Freizeitcharakter nicht prägend ist (Palandt-Putzo, a.a.O.).
Die Kammer verkennt nicht, dass die Ausstellung „Harz & Heide“ einen Freizeitcharakter hat, den Besucher in freizeitliche Stimmung versetzen will und die Besucher weniger aufgrund der Darstellung der gewerblichen Angebote sondern vielmehr durch das Unterhaltungsprogramm angelockt werden. Bei der Beurteilung des Freizeitcharakters der Veranstaltung ist deren tatsächliche Ausgestaltung, aber auch ergänzend deren Ankündigung und Bewerbung zu berücksichtigen (BGH NJW 1990, 3265 ff. [BGH 21.06.1990 - I ZR 303/88]). Der Internetauftritt der Ausstellergesellschaft spricht davon, dass dem Trend der Besucher zur mehr Erlebnisorientierung Rechnung getragen werden soll und daher „hochkarätige Sonderschauen“ und „außergewöhnliche Events“ das Ziel der Veranstaltung sind. Auch aus dem Prospekt zur Veranstaltung geht hervor, dass es neben den überwiegend verkaufsorientierten Hallen auf der Messe auch solche Hallen und Freiflächen gibt, die der Unterhaltung der Besucher dienen sollen. Es mag auch sein, dass flächenmäßig der größere Teil der Ausstellungsfläche nicht dem Verkauf von Produkten und Dienstleistungen sondern der Unterhaltung dient.
Dies allein genügt jedoch nicht, um die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG zu bejahen. Der Auffassung, dass es für das Widerrufsrecht aufgrund eines Kaufs bei einer Freizeitveranstaltung nicht darauf ankommt, dass in den Kaufsituationen durch psychologisch wirksame Mechanismen Abhängigkeits- oder Dankbarkeitsgefühle geschaffen werden (so aber z.B. LG Braunschweig, Urt. v. 14.05.2003, 1 S 621/02), vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Zwar ist dieser Rechtsmeinung zuzugeben, dass der reine Gesetzeswortlaut eine solche Situation, in denen typischerweise die Entschließungsfreiheit des Verbrauchers eingeschränkt wird, nicht voraussetzt. Bei der Auslegung des Begriffes der „Freizeitveranstaltung“ ist aber auch der Schutzzweck des Gesetzes bzw. die gesetzgeberische Intention zu berücksichtigen. Der Verbraucher soll nicht pauschal bei allen Veranstaltungen mit Freizeitcharakter ein Widerrufsrecht eingeräumt bekommen und vor allen Vertragsabschlüssen bei solchen Veranstaltungen unabhängig von der konkreten Ausgestaltung umfassend geschützt werden. Das HaustürWG dient vielmehr dem Schutz des Verbrauchers vor der Gefahr, in bestimmten, dafür typischen Situationen bei der Anbahnung und dem Abschluss von Geschäften unter Beeinträchtigung seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit überrumpelt oder sonst auf unzulässige Weise zu unüberlegten Geschäftsabschlüssen gedrängt zu werden (BGH NJW 2002, 3190 ff. [BVerwG 31.10.2001 - BVerwG 2 C 61/00]). Dies ist nach Auffassung des Gerichts bei der Messe „Harz & Heide“ nicht der Fall.
Für das Vorliegen einer für von § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG vorausgesetzten Überrumpelungsgefahr kommt es nicht auf das subjektive Empfinden des Beklagten an. Es ist daher unerheblich, dass er die Messe „Harz & Heide“ lediglich mit dem Ziel aufsuchte, sich die Freizeitangebote anzusehen, dies auch bis in den Nachmittag hinein tat und er sich zum Erwerb des Kaminofens eher spontan von einem geschulten Verkäufer verleiten ließ, d.h. sich möglicherweise nach seinem eigenen Empfinden überrumpelt fühlte.
Ob nämlich eine solche, die rechtsgeschäftliche Entschließungsfreiheit beeinflussende Gefahr vorliegt, beurteilt sich danach, ob das Freizeitangebot und die Verkaufsveranstaltung organisatorisch derart miteinander verwoben sind, dass der Verbraucher in eine freizeitlich unbeschwerte Stimmung versetzt wird und sich dem auf einen Geschäftsabschluss gerichteten Angebot nur schwer entziehen kann (BGH NJW 1992, 1889 ff. [BGH 26.03.1992 - I ZR 104/90]). Aus dem vom Beklagten eingereichten Prospekt ergibt sich, dass sich die Unterhaltungsangebote auf einige bestimmte Hallen und auf bestimmte Teile des Freigeländes erstrecken. Auf der restlichen Ausstellungsfläche werden fast ausschließlich durch gewerbliche Anbieter Produkte und Dienstleistungen angeboten. Es liegt daher schon eine räumliche Trennung zwischen den Freizeitangeboten und den einzelnen Angeboten der Verkaufsausstellungen vor. Der Verbraucher kann deswegen zwischen Unterhaltungs- und Verkaufsangeboten leicht unterscheiden.
Die Kammer sieht auch bei der Messe „Harz & Heide“ nicht die typische Drucksituation gegeben, wie sie bei sog. „Kaffeefahrten“ der Fall ist. Zwar ist der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG nicht auf die Fälle der „Kaffeefahrten“ beschränkt. Nach der gesetzgeberischen Intention ist eine das HaustürWG anwendbare Organisationsform der Veranstaltung dann gegeben, wenn die Möglichkeit der Überlegung und der Umkehr vom Kaufentschluss dadurch eingeschränkt wird, dass der Verbraucher entweder Gefühlen von Gruppenzwang oder Gefühlen von Dankbarkeit ausgesetzt wird. Bei der Messe „Harz & Heide“ wird der Verbraucher aber weder einem Gruppenzwang noch einem Dankbarkeitsgefühl ausgesetzt. Der Verbraucher kann sich nämlich wegen der Vielzahl der Besucher und Stände leicht den Angeboten eines Ausstellers entziehen, den Stand verlassen und in der Masse untertauchen. Ein Gefühl, gerade jedem einzelnen Aussteller verpflichtet zu sein, entsteht nicht, weil der Besucher den Eintrittspreis an den Veranstalter und nicht an den Verkäufer zahlt und sich damit den Genuss der Unterhaltungsmöglichkeiten bewusst erkauft (so auch LG Braunschweig, Urt. v. 14.05.2003, 1 S 621/02; LG Braunschweig, Urt. 29.10.2003, 2 S 317/03). Die Kammer stuft daher die Messe „Harz & Heide“ als Verbraucherschau mit Einkaufsmöglichkeiten ein, die dem Schutzzweck des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 HaustürWG nicht unterfällt. Dass derartige Messen und Märkte wie beispielsweise auch besondere Aktionen in großen Kauf- oder Möbelhäusern mit einem Eventcharakter ausgestaltet sind, ändert daran nichts, sondern entspricht vielmehr dem Trend der Verbraucher, weg von der reinen Einkaufsmöglichkeit hin zu einem damit verbundenen Erlebniswert.
Sofern der Beklagte im Rahmen des Berufungsrechtszuges erstmals behauptet, er habe bei Vertragsabschluss keinen Rechtsbindungswillen gehabt, ist er mit diesem neuen Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO abgeschnitten. Es wäre ihm bereits möglich gewesen, in der ersten Instanz diese Einwendung vorzubringen. Darüber hinaus macht ein fehlender Rechtsbindungswille einer Partei den Vertrag nicht schon per se unwirksam, sondern berechtigt grundsätzlich nur zur Anfechtung der Willenserklärung gemäß § 119 Abs. 1 BGB.
Die Höhe des geltend gemachten Anspruchs war erstinstanzlich unstreitig. Sofern der Beklagte nunmehr die Höhe bestreitet, ist er damit ebenfalls gemäß § 531 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen. Denn es handelt sich um ein neues Verteidigungsmittel, welches der Beklagte bereits in der ersten Instanz hätte vorbringen können. Dieses hat er versäumt. Einfache Fahrlässigkeit reicht für den Novenausschluss nach § 531 Abs. 2 ZPO aus.
Der Anspruch über 5,- € auf Erstattung der außergerichtlichen Mahnkosten ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 284 BGB.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 284 BGB, weil der Beklagte sich spätestens seit dem 27.11.2002 im Verzug befand.
Das angefochtene Urteil war daher mit der Kostenfolge des § 91 Abs. 1 ZPO abzuändern.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S.1 und S. 2 ZPO.
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 ZPO zuzulassen, weil angesichts unterschiedlicher Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten über Widerrufsrechte über die auf der Messe „Harz & Heide“ geschlossenen Verträge die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Der Streitwert wurde gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 12 GKG festgesetzt und entspricht der Höhe der geltend gemachten Hauptforderung.