Landgericht Braunschweig
Urt. v. 17.12.2004, Az.: 5 O 2075/04 (404)

Insolvenzrechtliche Ausgestaltung der Qualifizierung einer Forderung aus einem unmittelbaren Übergang der Haftpflichtansprüche vom Haftpflichtgläubiger auf den Versicherer; Anforderungen an das Vorliegen einer Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung i.S.d. Insolvenzrechts

Bibliographie

Gericht
LG Braunschweig
Datum
17.12.2004
Aktenzeichen
5 O 2075/04 (404)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 38211
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBRAUN:2004:1217.5O2075.04.404.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Braunschweig - 17.10.2005 - AZ: 7 U 11/05
BGH - 21.06.2007 - AZ: IX ZR 29/06

In dem Rechtsstreit
...
hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig
im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 08.12.2004
am 17.12.2004
durch
den Richter am Landgericht ... als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Mit Beschluss vom 14.01.2003 eröffnete das Amtsgericht Braunschweig unter der Geschäftsnummer 273 IN 505/02 auf Antrag des Beklagten das Insolvenzverfahren über sein Vermögen. Der Beklagte stellte zwischenzeitlich einen Antrag auf Restschuldbefreiung gemäß § 287 InsO.

2

Die Klägerin meldete die durch den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Braunschweig vom 24.01.1995 (Geschäftsnummer: 70 B 5780/94) titulierte Forderung in Höhe von 129.482,21, die sich am 24.02.2003 zzgl. Zinsen und Kosten auf einen Gesamtbetrag von 150.749,74 ? erhöht hatte, am 06.03.2003 mit Ergänzung vom 11.07.2003 als Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung zur Insolvenztabelle an.

3

Der Beklagte erhob unter dem 24.06.2004 Widerspruch gegen die Feststellung des Privilegs der vorsätzlichen unerlaubten Handlung.

4

Die Klägerin begehrt mit der Klage die Feststellung der Unbegründetheit des Widerspruchs des Beklagten.

5

Der titulierten und angemeldeten Forderung liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

6

Der Beklagte versicherte unter 02.02.1993 seinen PKW Renault Clio mit dem amtl. Kennzeichen ... bei der Klägerin gegen Kfz-Haftpflichtversicherungsschäden. Wegen Zahlungsverzuges erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 06.09.1993 und 21.09.1993 die Kündigung des Versicherungsvertrages. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung in der Klageschrift, S. 5 f. Bezug genommen.

7

Der Beklagte verursachte mit seinem PKW Renault Clio, amtl. Kennzeichen ... am 15.10.1993 in Salzgitter einen schweren Verkehrsunfall, aufgrund dessen der Beifahrer schwerste Verletzungen, u.a. eine noch andauernde Querschnittslähmung, erlitt. Zum Zeitpunkt des Unfalls war der Beklagte mit einer BAK von 1,37 g Promille alkoholisiert. Der Beklagte wurde aufgrund dieser Tat durch das Amtsgericht Salzgitter (Geschäftsnummer: 10 Ds 106 Js 53890/93) mit Urteil vom 26.05.1994 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung rechtskräftig verurteilt. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Unfallhergang und den erlittenen Verletzungen des Beifahrers wird auf die Feststellungen des Urteils (Ablichtung als zur Klagschrift, Bl. 20 ff. d.A.) Bezug genommen.

8

Die Klägerin zahlte als Schadensersatz an das Unfallopfer einen Betrag i.H.v. 993.494,87 DM.

9

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der vom Beklagten in dem über sein Vermögen vor dem Amtsgericht Braunschweig - Insolvenzgericht - anhängigen Insolvenzverfahren 273 IN 505/02 am 24.06.2004 erhobene Widerspruch gegen das Privileg der unerlaubten Handlung der der Klägerin gem. Vollstreckungsbescheid des AG Braunschweig vom 24.01.1995 (Geschäftsnummer: 70 B 5780/94) zustehenden titulierten und im Insolvenzverfahren am 06.03.2003 angemeldeten Forderung unbegründet ist.

10

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Der Beklagte ist der Auffassung, dass das Privileg der vorsätzlichen unerlaubten Handlung verfristet angemeldet und infolgedessen Verwirkung eingetreten sei. Ferner behauptet er, dass das Privileg der unerlaubten vorsätzlichen Handlung nicht auf die Forderung zutreffe, da er seinerzeit hinsichtlich der Rechtsgüter Gesundheit und körperliche Unversehrtheit lediglich aufgrund fahrlässiger Verursachung und nicht wegen einer vorsätzlichen Straftat schuldig gesprochen wurde.

Entscheidungsgründe

12

Die Feststellungsklage der Klägerin ist zulässig aber unbegründet.

13

I.

Das Landgericht Braunschweig ist gem. § 180 Abs. 1 S. 3 InsO zuständig für die statthafte Feststellungsklage.

14

Gemäß § 184 InsO ist die klagweise Feststellung der Unbegründetheit des Widerspruchs des Beklagten das zulässige Rechtsmittel, da der Klägerin gem. § 87 InsO der Weg über die Leistungsklage im Rahmen des anhängigen Insolvenzverfahrens verwehrt ist.

15

Das gem. § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Festellungsinteresse der Klägerin folgt aus §§ 302 Nr. 1, 174 Abs. 2 InsO, da im Fall der begehrten Feststellung die titulierte Forderung nicht von der Wirkung der Restschuldbefreiung gem.§ 301 InsO erfasst würde.

16

II.

In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg.

17

Der Widerspruch des Beklagten ist begründet.

18

Der Klägerin steht zwar die geltend gemachte Forderung zu, denn sie ist gem. § 426 Abs. 2 BGB infolge der Leistungen der Klägerin an das Unfallopfer auf sie übergegangen. Es handelt sich dabei um einen unmittelbaren Übergang der Haftpflichtansprüche vom Haftpflichtgläubiger auf den Versicherer (so/Schlegelmilch, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, Kap. 13, Rn. 15). Mit der Befriedigung der Ansprüche des Unfallopfers hat die Klägerin eine eigene Verpflichtung gem. § 3 Nr. 4 PflVersG erfüllt, da aus Billigkeitsgründen dem Unfallopfer nicht zur Last gelegt werden kann, dass der Versicherte sich mit der Zahlung seiner Prämien in Verzug befand. Insofern kann es dahinstehen, ob der Vertrag zwischen Klägerin und Beklagtem seinerzeit ordnungsgemäß gekündigt war.

19

Jedoch handelt es sich bei der von der Klägerin im Insolvenzverfahren des Beklagten angemeldeten Forderung nicht um eine privilegierte Forderung aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung i.S.d.§ 302 Nr. 1 InsO.

20

Derjenige, welcher die Forderung als privilegiert anmeldet, hat darzulegen, dass diese aus einer vorsätzlichen Handlung resultiert, wobei bedingter Vorsatz hinsichtlich der Rechtsgutsverletzung ausreichend ist. Dies ist der Klägerin nicht gelungen.

21

Auszugehen ist dabei von den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Salzgitter vom 26.05.1994 (Geschäftsnummer: 10 Ds 106 Js 53890/93), auf die sich die Klägerin zur Substantiierung bezogen hat und die vom Beklagten nicht angegriffen wurden.

22

Der Beklagte wurde wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung gem. §§ 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 1, 230, 232, 52 StGB verurteilt.

23

Daraus folgt, dass der Kläger die Straßenverkehrsgefährdung durch Trunkenheit mindestens bedingt vorsätzlich begangen hat. Dies folgt aus der ausdrückliche Feststellung auf S. 3, vorletzter Abs. des Urteils (Bl. 22 d.A.) sowie der Angabe der angewendeten Vorschriften, in denen § 315 c Abs. Nr. 1 lit. a StGB zitiert wird.

24

In Hinblick auf die Verletzung der Rechtsgüter "Gesundheit" und "körperliche Unversehrtheit" hat der Strafrichter jedoch allein eine fahrlässige Begehung festgestellt, was aus der eindeutigen Formulierung im Tenor sowie aus dem Verweis auf §§ 315 c Abs. 3 Nr. 1, 230, 232 StGB hervorgeht.

25

Nach den auch hier zugrunde zu legenden Feststellungen des Strafrichters kann daher kein Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung der Rechtsgüter "Gesundheit" und "körperliche Unversehrtheit" festgestellt werden.

26

Auch bei nochmaliger eigener Würdigung der tatsächlichen Feststellungen des strafrichterlichen Urteils lassen sich keine Anzeichen dafür erkennen, dass der Beklagte zumindest billigend in Kauf genommen hätte, dass das Unfallopfer verletzt oder gar getötet werden könnte. Dafür ergeben sich keine Anhaltspunkte.

27

Der Beklagte ist zwar volltrunken und mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren, obschon er einen Beifahrer neben sich hatte. Der Vorsatz hinsichtlich der Gefährdung von Leib und Leben einer anderen Person kann jedoch nicht bereits schon deshalb bejaht werden, weil sich Menschen in der Gefahrenzone befinden (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Auflg., § 315 c, Rn. 15). Dies gilt erst recht für den Vorsatz, einen anderen zu verletzen.

28

Dem Beklagten ist nicht zu widerlegen, dass er davon ausging, dass er die Fahrt trotz der erheblichen Alkoholisierung und derüberhöhten Geschwindigkeit gemeinsam mit dem Beifahrer unversehrtüberstehe. Dies mag bewusste oder grobe Fahrlässigkeit darstellen; ein auch nur bedingter Vorsatz, die Gesundheit oder die körperliche Unversehrtheit des Opfers zu verletzen, lässt sich daraus nicht ableiten.

29

Für die Frage, ob das Privileg des § 302 Nr. 1 InsO greift, kommt es jedoch nicht darauf an, ob der Beklagte überhaupt zu einer Vorsatztat verurteilt wurde, sondern, ob die Rechtsgutsverletzung, aus der nunmehr der Anspruch hergeleitet wird, vorsätzlich begangen wurde oder nicht.

30

Dies ergibt sich im Wege der Auslegung des § 302 Nr. 1 InsO. Zweck der Norm ist die Versagung der Wirkungen der Restschuldbefreiung. Der Erfüllung von Verbindlichkeiten aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung soll sich der Schuldner nicht entziehen können. Der Gesetzgeber hat dabei ausdrücklich die Restschuldbefreiung für Forderungen aus fahrlässig begangener unerlaubter Handlung bestehen lassen. Dies zeigt, dass er nur den vorsätzlichen unerlaubten Angriff auf Rechtsgüter für derart verwerflich hält, die Restschuldbefreiung zu versagen.

31

Die dem Unfallopfer zugefügten Rechtsgutsverletzungen sind jedoch - wie ausgeführt - fahrlässig erfolgt. Demnach bestand in Hinblick auf diese Rechtsgutsverletzungen keine derart verwerfliche Gesinnung des Täters, die eine Versagung der Restschuldbefreiung begründen könnte.

32

Der Klägerin ist zwar darin zuzustimmen, dass§ 315 c StGB auch den Schutz der Gesundheit von Dritten bezweckt. Wenn das Amtsgericht - zutreffend - den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs tenorierte, liegt dies jedoch allein an der durch § 11 Abs. 2 StGB ausgesprochenen Folge, dass auch sog. "Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen" als Vorsatztat anzusehen sind. Hintergrund dieser gesetzlichen Anordnung ist jedoch allein, im Zusammenspiel mit §§ 18, 22, 15 StGB die Strafbarkeit von Teilnahme und Versuch zu ermöglichen.

33

Demnach war die Klage abzuweisen.

34

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.