Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.11.2000, Az.: 5 K 62/98
Voraussetzungen der Unternehmereigenschaft; Qualifizierung von Domizilgesellschaft als inländische Unternehmerin
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.11.2000
- Aktenzeichen
- 5 K 62/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 14441
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:1130.5K62.98.0A
Fundstellen
- DStRE 2001, 484-486 (Volltext mit amtl. LS)
- IWB 2001, 488
- UStB 2001, 139
Tatbestand
Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin Unternehmerin ist.
Sie wurde am 1987 in Gibraltar nach dortigem Recht als company limited by shares (Ltd) gegründet. Gründungsgesellschafter waren die S Ltd und die C Ltd. Beide sind 1989 ausgeschieden. An ihre Stelle traten die P Ltd. - später zusammen mit D - als Geschäftsführer (Director) und die S Ltd. als Schriftführer (secretary). Beide sind ebenfalls Gesellschaften nach dem Recht von Gibraltar. Sie halten die Anteile an der Klägerin treuhänderisch für D und V P.
Der Gesellschaftszweck der Klägerin ist sehr vielfältig .Hauptsächlich beschäftigt sie sich mit dem Handel von Chemikalien, insbesondere Petrochemieprodukten, Düngemitteln und synthetischen Gummiprodukten. Die Klägerin hält zusammen mit der M Anteile an einem russischen Kunstgummiwerk und tätigt für dieses Exportgeschäfte. Das Erdölgeschäft war ursprünglich mit der ehemaligen Sowjetunion geplant. Es hat sich infolge der dortigen wirtschaftlichen Entwicklung nach Westeuropa verlagert.
In Gibraltar unterhält die Klägerin kein Geschäftslokal. Sie verfügt dort auch nicht über Angestellte. Das Büro des Geschäftsführers D befindet sich in Moskau.
Die Klägerin hat Tochtergesellschaften in Luxemburg und Bukarest. Alleingesellschafterin der A S.A. in Luxemburg ist die Klägerin. Diese wiederum war in den Streitjahren Alleingesellschafterin der "Enkelgesellschaft" E S.A. in der Schweiz - im folgenden: S.A. -. Verwaltungsrat der S.A. ist der Zeuge H. Die Klägerin unterhält in Brüssel, Moskau, Tampa, Luxemburg und London Repräsentationsbüros. In Deutschland besteht keine Betriebsstätte. Dennoch war die Klägerin in den Streitjahren hier in Reihengeschäfte mit deutschen Unternehmern eingeschaltet und tätigte Exportgeschäfte und innergemeinschaftliche Lieferungen. Nach ihren Angaben berührte etwa ein Drittel ihrer gesamten Geschäftstätigkeit die Bundesrepublik Deutschland. Die Klägerin trat bei diesen Geschäften durch die Schweizer S.A. und die Brüsseler "Koordinierungsstelle" auf. Zwischen der S.A. und der Klägerin besteht seit 1995 ein "Dienstvertrag". Darin verpflichtet sich S.A., den Einkauf und Verkauf der Handelsprodukte der Klägerin wie z.B. von Methanol, Paraxylen, Orthoxylen und Downstream Produkten zu übernehmen. Die S.A. schloss die Verträge mit namhaften deutschen Unternehmen im Namen der Klägerin von der Schweiz aus ab. Sie wird dabei in der Regel durch den Zeugen H vertreten. Der Zeuge besitzt eine von den vertretungsberechtigten Organen (Director und secretary) unterzeichnete Generalvollmacht der Klägerin. Generalvollmacht, für die Klägerin zu handeln, haben ebenfalls die Schweizer Staatsbürger R und A-R , die gelegentlich bei den Geschäften mit deutschen Unternehmern aufgetreten sind.
Die S.A. führte einen erheblichen Teil der Koordinations- und Verwaltungstätigkeit für die Klägerin aus. Neben - meist telefonischen - Vertragsabschlüssen fertigte sie die schriftlichen Bestätigungen der Verträge und die Rechnungen an die Kunden, verwaltete die eingehenden Gelder auf Schweizer Konten und erstellte die Buchführung der Klägerin. Logistik und Transporte steuert das Brüsseler Büro. Dabei handelt Herr V. Herr V gab auch die Umsatzsteuererklärungen für die Klägerin ab.
Für das Streitjahr 1995 erklärte die Klägerin ... DM Umsätze und ... DM Vorsteuern, insgesamt eine Zahllast von ... DM. Die Steuern sind bezahlt. Aus den Umsatzsteuererklärungen 1996 und 1997 ergaben sich jeweils Vorsteuerüberhänge.
Der Beklagte änderte die als Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung geltende Umsatzsteuererklärung für 1995 und versagte die Zustimmung zu den Erklärungen für 1996 und 1997, weil die Klägerin eine Domizilgesellschaft sei und deshalb nicht als Unternehmerin behandelt werden könne. Gleichzeitig setzte er die erklärte Umsatzsteuer gemäß § 14 Abs. 3 UStG als in Rechnungen zu Unrecht ausgewiesene Steuer in den angefochtenen Bescheiden fest. Ein Vorsteuerabzug blieb unberücksichtigt.
Gegen die erwähnten Bescheide wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Sie trägt vor: Sie erbringe Lieferungen und Leistungen und sei deshalb Unternehmerin. Dass sie selbst von Gibraltar aus nicht tätig werde, stehe nicht entgegen. Sie handele durch ihre Tochter- und Enkelgesellschaften an vielen Orten der Welt, was bei juristischen Personen nicht unüblich sei. In Deutschland trete sie durch die ordnungsgemäß beauftragte und bevollmächtigte S.A. auf.
Der Beklagte bestreitet nicht, dass die aus den vorgelegten Rechnungen ersichtlichen Lieferungen und Leistungen tatsächlich erbracht worden sind. Auch die in den Erklärungen enthaltenen Umsätze und Vorsteuerbeträge seien der Höhe nach nicht anzuzweifeln. Sie seien jedoch nicht der Klägerin zuzurechnen. Gegebenenfalls kämen die hinter der Klägerin stehenden Personen als Unternehmer in Betracht.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Die Klägerin war als Unternehmerin zu veranlagen. Der Beklagte hat die auf die erklärten Umsätze entfallende Steuer zu Unrecht gemäß § 14 Absatz 3 UStG festgesetzt.
Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, unterliegen der Umsatzsteuer, § 1 Absatz 1 Nr. 1 UStG. Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Das ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, § 2 Absatz 1 Satz 1 und 3 UStG. Auf die Rechtsform und Rechtsfähigkeit des Unternehmers kommt es dabei nicht an. Diese bestimmt sich in der Regel nach inländischem Zivil- und Handelsrecht oder nach dem öffentlichen Recht. Daneben sind nichtrechtsfähige Personenzusammenschlüsse als Unternehmer denkbar, sofern sie Lieferungen und Leistungen erbringen (z.B. in Form der Gesellschaft Bürgerlichen Rechts). Nach denselben Grundsätzen ist die Unternehmereigenschaft von Kapitalgesellschaften zu werten, die - wie die Klägerin - nach dem Recht der übrigen Gemeinschaft wirksam entstanden sind (vgl. die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 1999 - Rs. C-212/97; Centros Ltd / Erhvervs - og Elskabsstyrelsen, DB 1999, 625).
Entgegen der Ansicht des Beklagten gilt das in gleicher Weise für die sogenannten Domizilgesellschaften. Das sind Kapitalgesellschaften ausländischen Rechts, die im Gründungsstaat keinerlei wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben (dürfen) und ihr Einkommen ausschließlich aus ausländischen Quellen beziehen (vgl. Schmidt, IStR 99, 398 ). Für das Ertragsteuerrecht mag die Qualifizierung dieser Gebilde als Domizilgesellschaft wichtig sein. Die Umsatzsteuer hängt an den Lieferungen und Leistungen. Deshalb richtet sich die Unternehmereigenschaft einer Domizilgesellschaft in Inland allein danach, ob sie hier Lieferungen und Leistungen erbracht hat (vgl. das Urteil des BFH vom 21. April 1994 V R 105/91, BStBl II 1994, 671 [672] und den Beschluss vom 9. Juli 1998 V B 143/97, BFH NV 1999, 221).
Lieferungen und Leistungen sind demjenigen zuzurechnen, der sie im eigenen Namen selbst oder durch einen Beauftragten ausführt. Der Beauftragte muss dabei berechtigterweise im Namen des Geschäftsherrn auftreten. Tritt der tatsächlich Handelnde im eigenen oder unter fremden Namen auf, sind die Lieferungen und Leistungen diesem zuzurechnen, vgl. Urteil des BFH vom 21. April 1994 a.a.O.
Auch diese Grundsätze gelten für Domizilgesellschaften. Dagegen kann nicht eingewandt werden, Domizilgesellschaften seien zur Ausführung von Lieferungen und Leistungen nicht fähig; denn die Umsatzsteuer besteure tatsächliche Vorgänge. Die Domizilgesellschaft könne mangels eigenen Geschäftsbetriebes nicht tatsächlich handeln (s. Schmidt, IStR 1999, 398 <402>). Tatsächliche Vorgänge besteuern heißt: Die Umsatzsteuer knüpft an den Leistungsaustausch als Lebensvorgang an und erfasst keine Rechtsgeschäfte. Dabei muss der Unternehmer jedoch nicht in Person tätig werden. Er kann die Umsätze durch andere Unternehmer ausführen lassen.
Die Klägerin hat die in den Streitjahren erklärten Umsätze als Unternehmerin ausgeführt. Sie ist dabei mit Hilfe der S.A. tätig geworden. Die S.A. ist, wenn sie für die Klägerin die schuldrechtlichen Lieferverträge abgeschlossen und vollzogen hat, stets im Namen der Klägerin für diese aufgetreten. Sie war aufgrund des Dienstvertrages dazu berechtigt und verpflichtet. Außerdem hatte ihr Vertreter, der Zeuge H, zusätzlich eine Generalvollmacht der Klägerin, für diese zu handeln. Diese Vollmacht hatten die dazu berechtigten Vertreter der Klägerin (Director und Secretary) erteilt.
Die Ansicht des Beklagten, die Lieferungen und Leistungen hätte nicht die Klägerin sondern die hinter ihr stehenden Personen getätigt, findet in den Geschehensabläufen, wie sie sich aus den Unterlagen und den Schilderungen in der mündlichen Verhandlung ergeben, keine Stütze. Zwar leugnet die Klägerin nicht, dass hinter ihren Gesellschaftern die Treugeber stehen. Gleichwohl wickeln diese die Geschäfte nicht selbst ab und verbergen sich dabei hinter der Klägerin. Nach dem Gesamtbild, das der erkennende Senat nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, steht die Klägerin im Vordergrund, zumal sie die Umsätze durch Personen, die nicht ihre Inhaber sind, ausführt.
Die Steuer für die Umsätze, die die Klägerin somit als Unternehmerin ausgeführt hat, hat der Beklagte zu Unrecht in den angefochtenen Bescheiden gemäß § 14 Absatz 3 UStG festgesetzt.