Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.11.2000, Az.: 7 K 428/90

Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über den begrenzten Abzug von Vorsorgeaufwendungen; Aussetzung des Verfahrens bei Anhängigkeit eines Musterverfahrens beim Bundesverfassungsgreicht (BVerfG)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
14.11.2000
Aktenzeichen
7 K 428/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 19712
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:1114.7K428.90.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Für den Veranlagungszeitraum 1989 bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der eingeschränkten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen im Rahmen der Sonderausgaben-Höchstbetragsregelung des § 10 Abs. 3 EStG, da zwischen der für diesen Veranlagungszeitraum geltenden Regelung und den für die Veranlagungszeiträume 1977, 1980 und 1985 geltenden Regelungen, für die das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit bejaht hat, keine beachtenswerte Unterschiede erkennbar sind.

  2. 2.

    Die Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO kommt deshalb nicht in Betracht, weil ein Musterverfahren, welches die beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen zum Gegenstand hätte, beim Bundesverfassungsgericht nicht anhängig ist.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Eheleute. Der Kläger erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte führte zunächst auf Antrag der Kläger einen Lohnsteuerjahresausgleich für das Streitjahr durch. Gegen den entsprechenden Bescheid vom 20. Juni 1990 erhoben die Kläger nach vorherigem Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 17. September 1990 Klage. Sie machten deutlich, dass die Klageerhebung nur vorsorglich erfolge, weil seinerzeit die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages nach § 32 a EStG noch nicht abschließend geklärt sei.

2

Durch geänderten Lohnsteuerjahresausgleichsbescheid vom 13. März 1991 erklärte der Beklagte den Jahresausgleich hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrages für vorläufig nach§ 165 AO. Die Kläger machten den Änderungsbescheidüber § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens und beantragten die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerkes. Eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache könne nicht angenommen werden, so lange keine endgültige Entscheidung des Verfassungsgerichts über die bislang vorgetragene Streitfrage vorläge. Im übrigen richte sich die Klage nunmehr auch gegen die Höhe des Abzugs der Vorsorgeaufwendunge.

3

Am 24. März 1993 änderte der Beklagte erneut den Lohnsteuerjahresausgleich. Auch dieser Bescheid wurde zum Gegenstand des Klageverfahrens erklärt.

4

Der damalige Berichterstatter setzte mit Beschluss vom 17. Mai 1993 das Klageverfahren aus, bis über die Höhe des Grundfreibetrages, der Nichtabziehbarkeit privater Schuldzinsen und der beschränkten Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen durch das Bundesverfassungsgericht entschieden sei.

5

Der Beklagte änderte durch Einkommensteuerbescheid vom 18. Januar 1995 erneut die Steuerfestsetzung und berücksichtigte nunmehr zusätzliche Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit. Mit weiterem Bescheid vom 26. Februar 1996 erklärte der Beklagte die Steuerfestsetzung für endgültig. Beide Steuerfestsetzungen wurden erneut klägerseits über§ 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

6

Im Mäsrz 1999 wies der Berichterstatter die Kläger darauf hin, dass nicht erkennbar sei, dass verfassungsgerichtlich die bisherigen Streitfragen noch offen seien, die Ursache für die seinerzeitige Verfahrensaussetzung gewesen seien. Die Kläger wurden aufgefordert gegebenenfalls die Klage zu begründen.

7

Dies geschah nicht. Der Vorsitzende bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 25. Januar 2000. Die Sache wurde vertagt, weil der Prozessbevollmächtigte wegen Krankheit nicht an der Sitzung teilnehmen konnte.

8

Der Vorsitzende bestimmte mit Verfügung vom 17. August 2000 erneut Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 14. November 2000.

9

Der Prozessbevollmächtigte beantragte mit Schriftsatz vom 29. August 2000,

die Aufhebung der mündlichen Verhandlung und das Ruhen des Verfahrens nach § 74 Finanzgerichtsordnung. Letzteren Antrag wiederholte der Prozessbevollmächtigte im Termin vom heutigen Tage.

10

Den Antrag begründete der Prozessbevollmächtigte im wesentlichen wie folgt:

11

Vor dem Bundesverfassungsgericht seien Verfahren anhängig, die sich mit der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Pensionsbezügen und Renteneinkünften beschäftigen. Es sei zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gleichbehandlung herbeiführe und dabei die bisherige Regelung, wonach Renten lediglich mit dem Ertragsanteil zu besteuern seien, aufhebe. Dies erfordere eine Übergangsregelung erheblichen Ausmaßes, weil bisher auch die Beiträge zur Rentenversicherung nicht vollständig steuermindernd berücksichtigt worden seien. Um erhebliche Härten zu vermeiden, müsse eine zeitliche Übergangsphase von mehr als 15 Jahren angenommen werden. Diese müsse mindestens 25 Jahre betragen. Damit müsse eine solche Übergangsregelung sich auch noch rückwirkend auf das Streitjahr 1989 beziehen. Das Finanzgerich dürfe über den Fall deshalb nicht jetzt, nämlich zur Unzeit entscheiden, weil dadurch die Kläger in der Ausübung ihrer Rechte behindert werden. Es sei zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2001 über die skizzierte Streitfrage entscheide.

12

In der Sache begehren die Kläger die Herabsetzung der Einkommensteuer in der Weise, dass die Beiträge zur Rentenversicherung des Klägers vollständig das zu versteuernde Einkommen mindern.

13

Die Kläger beantragen,

das Verfahren nach § 74 FGO auszusetzen,

14

hilfsweise

die Einkommensteuer auf 7.782,00 DM herabzusetzen.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Die bisherige Steuerfestsetzung, die die vom Kläger geleisteten Rentenbeiträge im Rahmen des Sonderausgabenhöchstabzugs berücksichtigten, entspräche der gültigen Gesetzeslage.

17

Es sei nicht ersichtlich, dass beim Bundesfinanzhof oder beim Bundesverfassungsgericht Verfahren für das Jahr 1989 anhängig seien, die sich mit der Frage nach der Besteuerung von Pensionsbezügen oder Renteneinkünften beschäftigten. Die Frage, ob es verfassungsrechtlich zulässig sei, dass Vorsorgeaufwendungen nur beschränkt steuerlich abzugsfähig seien, sei bereits an das Verfassungsgericht herangetragen gewesen. Dieses habe darin keine Verletzung des Gleichheitssatzes gesehen.

18

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug benommen auf die Gerichtsakte.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist unbegründet.

20

Die angefochtene Steuerfestsetzung erweist sich als zutreffend. Der Beklagte hat im angefochtenen Steuerbescheid die Versicherungsbeiträge der Kläger in einer Gesamtsumme von 11.848,00 DM im Rahmen der Grenzen, die das Gesetz in § 10 Abs. 3 EStG für beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben setzt, steuermindernd in Höhe von 7.804,00 DM berücksichtigt. Der Senat hat keinrlei verfassungsrechtliche Zweifel an der eingeschränkten steuerlichen Berücksichtigung der vom Kläger geleisteten Rentenbeiträge. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Beschluss vom 24. Dezember 1984 I BvR 1471/84 (HFR 1985, 337) für die Jahre 1977 und 1980 entschieden, dass die eingeschränkte steuerliche Berücksichtigung sogenannter Arbeitnehmeranteile im Rahmen der Sonderausgaben-Höchstbetragsregelung verfassungsgemäß ist. Gleiches gilt für das Jahr 1985 (Beschlüsse vom 20. August 1997 1 BvR 1523/88 und 1 BvR 1300/89). Der Senat folgt dieser Auffassung. Da erkennbar keine beachtenswerten Unterschiede zwischen den Regelungen, die für die Jahre 1977, 1980 und 1985 galten, und dem Streitjahr bestehen, begegnet die eingeschränkte Berücksichtigung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

21

Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 74 FGO kam nicht in Betracht. Nach der vorgenannten Vorschrift kann das Gericht das Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Rechtsprechung nimmt über den Wortlaut des Gesetzes hin an, dass die Aussetzung auch dann geboten sein kann, wenn ein nicht als offensichtlich aussichtslos erscheinendes Musterverfahren beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist, dessen Gegenstand die Verfassungsmäßigkeit einer im Streitfall entscheidungzserheblichen gesetzlichen Regelung ist (vgl. Gräber / Koch § 74 FGO Anmerkung 12 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen.)

22

Ein Musterverfahren, welches die beschränkte Abzugsfähigkeit von Vorsorgeaufwendungen zum Gegenstand hätte, ist beim Bundesverfassungsgericht nicht anhängig. Soweit die Kläger auf die anhängigen Verfahren wegen der unterschiedlichen Besteuerung der Alteseinkünfte verweisen, so treffen diese einen anderen Problemkreis. Ob mit einem verfassungsrechtlich gebotenen Einklang der Besteuerng der Alterseinkünfte zwingend die unbeschränkte Abzugsfähigkeit der dafür zu leistenden Beiträge gekoppelt sein müßte, ist eine Frage hypothetischer Natur, auf die durch die möglicherweise im Jahr 2001 anstehenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine Antwort nicht zwingend erforderlich ist. Eine Rechtfertigung für eine Verfahrensaussetzung ist daraus jedenfalls nicht herleitbar.

23

Zu Gunsten der Kläger nimmt der Senat an, dass der Antrag auf Verfahrensaussetzung nicht der Hauptantrag des Klageverfahrens ist. Denn wäre anzunehmen, dass die Kläger an einer Sachentscheidung des Gerichts kein Interesse hätten, so wäre die Klage bereits mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen.

24

Der Senat sieht keinen Rechtsgrund für eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.