Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.11.2000, Az.: 5 K 135/95

Berechtigung zum Vorsteuerabzug und Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden nach§ 176 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) aufgrund des Grundsatzes der Aufkommensneutralität

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.11.2000
Aktenzeichen
5 K 135/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21988
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:1101.5K135.95.0A

Fundstellen

  • DStRE 2001, 725-726 (Volltext mit amtl. LS)
  • EFG 2001, 600-601 (Volltext mit red. LS)
  • UStB 2001, 196

Tatbestand

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Der Kläger ist Geschäftsführer der O. Bürosystem GmbH (GmbH). Zugleich ist er einer der Gesellschafter der GmbH. Im Jahr 1989 begann der Kläger mit der Errichtung eines Gebäudes, das er nach dessen Fertigstellung im Jahr 1990 anteilig an die GmbH steuerpflichtig vermietete und im Übrigen privat nutzte. Der Umfang der steuerpflichtigen Vermietung betrug in den Streitjahren 1990 und 1991 59,2 v.H.

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Mit seinen Umsatzsteuererklärungen machte er die Vorsteuern aus den Leistungsbezügen anläßlich der Errichtung und Erhaltung des Gebäudes geltend soweit diese anteilig auf die steuerpflichtige Vermietung entfielen. Dabei machte der Kläger den vollen Vorsteuerbetrag auch aus Endrechnungen geltend, denen zuvor bereits Abschlagsrechnungen vorausgegangen waren, aus denen er ebenfalls die darin ausgewiesenen Steuer als Vorsteuer abgezogen hatte. Hier bei handelte es sich um Vorsteuern

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für 1990

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aus den Rechnungen H. vom 30. Dezember 1989, R. vom 7. März 1990 und L. vom 6. Juni 1990 über insgesamt 8.074,62 DM; davon waren bereits Vorsteuern in Höhe von 5.180,00 DM in Abschlagsrechnungen ausgewiesen und geltend gemacht,

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für 1991

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aus den Rechnungen H. und K. über insgesamt 8.329,75 DM; davon waren bereits Vorsteuern in Höhe von 4.970,00 DM in Abschlagsrechnungen ausgewiesen und geltend gemacht.

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Im Streitjahr 1992 änderte sich gegenüber den Vorjahren der Umfang der steuerpflichtigen Nutzung des Gebäudes. In den Monaten Mai bis September vermietete der Kläger das Haus zu 100 v.H., in den Monaten Oktober bis Dezember zu 80 v.H. an die GmbH. Der Kläger machte deshalb weitere Vorsteuern aus einer Berichtigung nach§ 15a Abs. 1 UStG geltend. Diese ermittelte er, indem er die um 40,8 v.H. für die Monate Mai bis September und 20,8 v.H. für die Monate Oktober bis Dezember erhöhte steuerpflichtige Nutzung auf den Berichtigungszeitraum von 120 Monaten verteilte und den darauf entfallenden Anteil der gesamten Vorsteuern errechnete. Der Beklagte folgte dem im Ergebnis nicht und ließ für die Streitjahre 1990 und 1991 die anteilig auf die steuerpflichtige Vermietung entfallenden Vorsteuern nur soweit zum Abzug zu, wie sie noch nicht zuvor in Abschlagsrechnungen gesondert ausgewiesen und vom Kläger geltend gemacht worden waren. Auch die Vorsteuerberichtigung für das Streitjahr 1992 erkannte der Beklagte nur in dem Umfang an, in dem sie nicht auf doppelt erfaßte Vorsteuerbeträge zurückzuführen war.

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Hiergegen richtet sich nach insoweit erfolglosem Vorverfahren die Klage. Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe Anspruch auf den vollen Vorsteuerabzug sowohl aus den Abschlagsrechnungen als auch aus den Schlußrechnungen. In beiden Fällen seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 UStG erfüllt. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug ergebe sich auch aus dem umsatzsteuerrechtlichen Grundsatz Aufkommensneutralität, d.h. die Umsatzsteuerschuld des leistenden Unternehmers könne nicht höher sein als der Vorsteuererstattungsanspruch des Leistungsempfängers. Folgerichtig habe der Bundesfinanzhof (BFH) in mehreren Urteilen entschieden, dass gesondert ausgewiesene Steuern den Leistungsempfänger selbst dann zum Vorsteuerabzug berechtigten, wenn sie fehlerhaft zu hoch ausgewiesen sind. Die sich hieraus ergebende Gefährdung des Steueraufkommens werde über die Regelung des§ 14 Abs. 2 UStG beseitigt, die den Rechnungsaussteller zur Zahlung des vollen ausgewiesenen Steuerbetrages verpflichte.

9

Einer Anwendung der inzwischen geänderten Rechtsprechung des BFH stehe der Vertrauensschutz wie er in § 176 Abs. 1 Nr. 3 Abgabenordnung (AO) seinen Ausdruck gefunden habe, entgegen. Auch der Bundesminister der Finanzen (BMF) habe in seinem Schreiben vom 23. Dezember 1998 klargestellt, dass die geänderte Rechtsprechung des BFH aus Vertrauensschutzgründen nur für die Zukunft zur Geltung komme.

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Der Kläger beantragt,

weitere Vorsteuern für 1990 in Höhe von 3.066,56 DM, für 1991 in Höhe von 2.942,24 DM und für 1992 in Höhe von 225,33 DM zum Abzug zuzulassen.

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Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er ist der Ansicht, ein Steuerpflichtiger könne aus einer Schlußrechnung nur den Betrag als Vorsteuer abziehen, der auf die verbleibende Restzahlung entfalle. Das gelte insbesondere auch dann, wenn in der Schlußrechnung die im voraus gezahlten Teilentgelte und die darauf entfallenden Steuerbeträge nicht oder nicht vollständig abgesetzt worden seien. Zur Begründung seiner Rechtsauffassung beruft sich der Beklagte auf Abschnitt 193 Abs. 5 der Umsatzsteuerrichtlinien (UStR).

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Im Klageverfahren hat der Beklagte die Umsatzsteuerbescheide 1990 bis 1992 geändert und dabei den inzwischen zwischen den Beteiligten unstreitig gewordenen Umfang der steuerpflichtigen Nutzung berücksichtigt. Der Kläger hat beantragt, die geänderten Bescheide zum Gegenstand des Verfahrens zu machen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Der Beklagte hat zu Recht nur die Vorsteuern anerkannt, die nicht zuvor bereits aus Abschlagsrechnungen geltend gemacht worden sind. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 UStG setzt voraus, dass eine Steuer vom Leistenden aufgrund eines steuerpflichtigen Umsatzes und nicht nur wegen der gesonderten Inrechnungstellung geschuldet wird (Urteile des BFH vom 2. April 1998 V R 34/97, BStBl II 1998, 695; vom 10. Mai 1999 V B 1/99, BFH/NV 1999, 1526).

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Soweit über die von den leistenden Unternehmern erbrachten Leistungen bereits in Abschlagsrechnungen abgerechnet worden ist, wird die Umsatzsteuer nicht aufgrund des erbrachten Umsatzes geschuldet, sondern gemäß § 14 Abs 2 UStG, weil der Steuerbetrag zu Unrecht gesondert ausgewiesen ist (UStR, Abschnitt 193 Abs. 5; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist, UStG, § 14 Rz. 211; Reiß/Kräusel/Langer, UStG, § 14 Rz. 257; Wagner in Sölch/Ringleb/List, UStG, § 14 Rz. 117e; Schwarze, StbKongrRep. 1980, 91, 95; offengelassen, ob § 14 Abs. 2 in allen Fällen doppelter Rechnungsausstellung anzuwenden ist von BFH Urteil vom 27. April 1994 XI R 54/93, BStBl II 1994, 718). Dieses Ergebnis folgt aus der Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG. Danach sind im Falle der Erteilung einer Endrechnung die vor Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung vereinnahmten Teilentgelte und die auf sie entfallenden Steuerbeträge abzusetzen, wenn über die Teilentgelte Rechnungen im Sinne des § 14 Abs. 2 UStG ausgestellt worden sind. Soweit das nicht geschehen ist, sind die überschiessenden Beträge zu Unrecht ausgewiesen.

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Der Vorsteuerabzug aus den in Endrechnungen ausgewiesenen Steuerbeträgen steht dem Kläger nicht zu soweit sie nach§ 14 Abs. 2 UStG geschuldet werden, weil die Steuer bereits in Abschlagszahlungen gesondert ausgewiesen gewesen ist. Diese Einschränkung des Vorsteuerabzugs ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 1 UStG. Diese nationale Regelung läßt die Frage, ob jeder als Steuer ausgewiesene Betrag oder nur der für die Leistung geschuldete Steuerbetrag abziehbar ist, unbeantwortet. Die Beschränkung der Vorsteuerabzugsberechtigung folgt aber aus Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie). Nach Art. 17 Abs. 2 Buchstabe a der 6. EG-Richtlinie ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer u.a. die im Inland geschuldete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden, abzuziehen. Das Tatbestandsmerkmal "geschuldete Steuer" ist dahin auszulegen, dass das Recht auf Vorsteuerabzug nur für diejenigen Steuern besteht, die mit einem der Mehrwertsteuer unterworfenen Umsatz im Zusammenhang stehen. Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in einer Rechnung gesondert ausgewiesen ist (Urteil des EuGH vom 13. Dezember 1989, C-342/87, EuGHE 1989, 4227, 4242; UR 1991, 83).

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§ 15 Abs. 1 UStG ist richtlinienkonform auszulegen. Das heißt die Auslegung muß sich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen Richtlinienbestimmung orientieren und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH berücksichtigen (Urteile des EuGH vom 26. September 1996, C-168/95, EuGHE 1996, I-4705, 4719, 4730; vom 7. Dezember 1995, C-472/93, EuGHE 1995, I-4321, 4338, 4345).

19

Die frühere Rechtsprechung des BFH (Urteile vom 19. Mai 1993 V R 110/88, BStBl II 1993, 779 -zu hoher Steuerausweis in einer Gutschrift-; vom 29. Oktober 1987 V R 154/83, BStBl II 1988, 508, -Steuerausweis trotz steuerfreier Leistung-), derzufolge die Berechtigung zum Vorsteuerabzug unabhängig davon bestand, aus welchem Rechtsgrund der Leistende die Steuer schuldete, ist überholt, weil sie nicht mehr im Einklang mit der 6. EG-Richtlinie und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH steht.

20

Der Kläger kann sich auf die frühere Rechtsprechung des BFH auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes in Gestalt des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO berufen. Danach darf bei derÄnderung eines Steuerbescheides nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

21

§ 176 Abs. 1 Nr. 3 AO setzt voraus, dass der früher entschiedene Sachverhalt im wesentlichen genauso gelagert ist wie der der geänderten Rechtsprechung zugrunde liegende. Bloße Schlußfolgerungen, die aus früheren Entscheidungen gezogen werden, genießen keinen Vertrauensschutz (Rüsken in Klein, AO, 7. Auflage,§ 176 Rz. 17). Die frühere Rechtsprechung des BFH betraf zum einen den Vorsteuerabzug aus einer Rechnung über steuerfreie Umsätze, in der gleichwohl die Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen worden war (Urteil vom 29. Oktober 1987 V R 154/83, BStBl II 1988, 508) und zum anderen einen zu hohen Steuerausweis in einer Gutschrift (Urteil vom 19. Mai 1993 V R 110/88, BStBl II 1993, 779). Die Berechtigung zum Vorsteuerabzug aus Endrechnungen, in denen unter Verstoß eggen § 14 Abs. 1 Satz 6 UStG die bereits abgerechneten Abschlagsrechnungen nicht abgesetzt sind, ist höchstrichterlich nicht entschieden gewesen. Es handelt sich insoweit nicht um einen zu den zuvor genannten Fällen gleich gelagerten Sachverhalt.

22

Darüber hinaus kommt § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO auch deshalb nicht zur Anwendung, weil der Beklagte die frühere Rechtsprechung des BFH den von ihm erlassenen Steuerbescheiden nicht zugrunde gelegt hat. § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO erfaßt nur Fälle, in denen sich die höchstrichterliche Rechtsprechung nach dem Erlaß des ursprünglichen Bescheides geändert hat und die Finanzverwaltung bis dahin die frühere Rechtsprechung angewandt hat (Rüsken in Klein, AO, 7. Auflage,§ 176 Rz. 18). Der Beklagte hat den im Streit befindlichen Vorsteuerabzug bereits in den Umsatzsteuerbescheiden vom 10. Februar 1993 (für 1990), 15. November 1993 (für 1991) und 11. Januar 1994 (für 1992) und damit vor der neueren Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BStBl II 1998, 695) nicht anerkannt. Die bisherige Rechtsprechung des BFH ist vom Beklagten damit gerade nicht angewandt worden.

23

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

24

Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.