Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.1994, Az.: 12 L 5847/93

Fahrerlaubnis; Entziehung der Fahrerlaubnis; Verkehrsunfall; Fahrlässige Körperverletzung; Medizinisch-psychologisches Gutachten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.1994
Aktenzeichen
12 L 5847/93
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 14015
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:0124.12L5847.93.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 01.09.1993 - AZ: 5 A 867/93
nachfolgend
BVerwG - 11.05.1994 - AZ: BVerwG 11 B 66.94

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 5. Kammer Hannover - vom 1. September 1993 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Der am 2. November 1930 geborene Kläger wendet sich gegen die Entziehung der ihm erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3.

2

Am 26. April 1990 verursachte der Kläger als Führer eines Renault-Personenkraftwagens in Hannover beim Abbiegen von der ... in den ... einen Verkehrsunfall, bei dem ein Radfahrer verletzt wurde. Er wurde deshalb wegen fahrlässiger Körperverletzung vom Amtsgericht Hannover mitUrteil vom 13. Juni 1991 - 218-365/90/218 Cs 712 Js 29900/90 a - zu einer Geldstraße in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 60,-- DM verurteilt. Die hiergegen eingelegte Berufung nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor der 9. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover am 10. Oktober 1991 zurück.

3

Mit Schreiben vom 23. Oktober 1991 regte die Staatsanwaltschaft Hannover beim Beklagten eine Überprüfung der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen an, weil nach Ansicht des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 1991 der Kläger "geistig leicht behindert" sein könnte. Da die vom Beklagten angestellten Ermittlungen insoweit zu keinem eindeutigen Ergebnis führten, forderte er den Kläger mit Schreiben vom 13. Mai 1992 auf, zu seiner Eignung, ein Kraftfahrzeug zu führen, ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorzulegen. Da der Kläger das geforderte Gutachten auch nach Erinnerung und Hinweis auf eine mögliche Entziehung der Fahrerlaubnis nicht beibrachte, entzog der Beklagte dem Kläger mit Verfügung vom 30. September 1992 die Fahrerlaubnis. Den vom Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Hannover mit Bescheid vom 19. Januar 1993 als unbegründet zurück. Außerdem setzte die Bezirksregierung in einem weiteren Bescheid vom 19. Januar 1993 die Kosten für das Widerspruchsverfahren auf 104,-- DM fest. Der Widerspruchsbescheid und der Kostenfestsetzungsbescheid wurden dem Kläger am 21. Januar 1993 mit Postzustellungsurkunde - durch Niederlegung - zugestellt.

4

Der Kläger hat am 23. Februar 1992 beim Verwaltungsgericht - durch Telefax - Klage erhoben und gleichzeitig beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist zu gewähren. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages hat er vorgetragen:

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Unter dem 20. Februar 1993, einem Samstag, habe er mittels Telefax bei der Bezirksregierung Hannover gegen den Widerspruchsbescheid Rechtsbehelf eingelegt. Das Telefaxgerät der Bezirksregierung sei aber am 20. Februar und am 21. Februar 1993 nicht betriebsbereit gewesen. Erst am 23. Februar 1993 habe ihn ein Bediensteter der Bezirksregierung darauf hingewiesen, daß er seine Klage direkt beim Verwaltungsgericht erheben müsse, dies habe er dann auch umgehend getan.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist die Verfügung des Beklagten vom 30. 9. 1992 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 19. 1. 1993 aufzuheben.

8

Der Beklagte, der die Klage wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig angesehen hat, hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

10

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 1. September 1993 die Klage als unzulässig abgewiesen und hierzu im wesentlichen ausgeführt:

11

Der Kläger habe die Klagefrist versäumt. Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Widerspruchsbescheid sei dem Kläger durch Niederlegung bei der Post am 21. Januar 1993 zugestellt worden. Mithin hätte die Klage nach § 74 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung spätestens am Montag, dem 22. Februar 1993, bei Gericht eingehen müssen. Tatsächlich sei sie jedoch erst am 23. Februar 1993 und damit verspätet beim Verwaltungsgericht eingegangen. Dem Kläger könne auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gewährt werden; denn er sei nicht ohne Verschulden daran gehindert gewesen, die Klagefrist einzuhalten. Der Kläger habe gegen den Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1993 "Rechtsbehelf" (Klage) bei der Bezirksregierung Hannover erhoben, die dieser erst am 23. Januar per Telefax zugegangen sei. Zum einen habe bei der Bezirksregierung eine Klage nicht fristwahrend erhoben werden können, zum anderen habe der Kläger offensichtlich Kenntnis davon gehabt, daß das Telefaxgerät der Bezirksregierung am Wochenende, und zwar am 20. sowie am 21. Februar 1993 nicht betriebsbereit gewesen sei. Er hätte aber nicht nur Veranlassung, sondern auch hinreichend genug Zeit gehabt, seine Klage zum Zwecke der Fristwahrung unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzureichen. Daß er gehindert gewesen sei, diesen Weg der Klageerhebung zugleich einzuschlagen, habe der Kläger weder behauptet, geschweige denn glaubhaft gemacht.

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Der Kläger hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts fristgerecht Berufung eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt:

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Ihm könne nicht vorgehalten werden, daß er seine Klage gegen - die Entziehungsentscheidung nur beim Verwaltungsgericht hätte anbringen können. Da der Kostenfestsetzungsbescheid vom 19. Januar 1993 in der Betreffzeile den unterstrichenen Zusatz "Anlagen 2" gehabt habe, habe er bei verständiger Würdigung hieraus schließen können und müssen, daß für den Widerspruchsbescheid auch die Rechtsbehelfsbelehrung des Kostenfestsetzungsbescheides gelte. In dieser sei er aber darauf hingewiesen worden, Widerspruch bei der Bezirksregierung und nicht etwa Klage beim Verwaltungsgericht einzulegen. Auf jeden Fall sei der Zusatz hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung irreführend, was zur Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung führen müsse.

14

Der Kläger beantragt sinngemäß,

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das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Entziehungsverfügung des Beklagten vom 30. September 1992 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Hannover vom 19. Januar 1993 aufzuheben.

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Der Beklagte, der die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides für ordnungsgemäß erachtet, beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Zur weiteren Sachdarstellung und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakte A) und der Bezirksregierung Hannover (Beiakte B) Bezug genommen; diese Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

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II.

Die Berufung ist nach einstimmiger Auffassung des Senats unbegründet, so daß hier gemäß § 130 a Satz 1 VwGOüber die Berufung durch Beschluß entschieden werden kann. Die Beteiligten sind gemäß § 130 a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

20

Das Verwaltungsgericht hat zu Recht ausgeführt, daß eine Aufhebung der angefochtenen Entziehungsentscheidung (vom 30. September 1992/19. Januar 1993) nicht in Betracht kommen kann, weil der Kläger die Klagefrist versäumt hat und ihm auch nicht nach § 60 Abs. 1 VwGO wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Darstellung seiner Entscheidungsgründe nach § 130 b VwGO ab und macht sich insoweit die Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu eigen.

21

Im Hinblick auf das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren wird ergänzend folgendes ausgeführt: Entgegen der Auffassung des Klägers war gegen die angefochtene Entziehungsverfügung innerhalb eines Monats (§ 74 Abs. 1 VwGO) Klage zu erheben, was vom Kläger versäumt worden ist; die Rechtsmittelbelehrung des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 1993 war auch nicht fehlerhaft im Sinne des § 58 Abs. 2 VwGO, weshalb hier nicht die Jahresfrist, sondern die Monatsfrist für die Klageerhebung galt. Im Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1993 wird eindeutig und ordnungsgemäß auf den nur noch möglichen Rechtsbehelf, und zwar die Klageerhebung beim Verwaltungsgericht hingewiesen. Da in einem gesonderten Bescheid Kosten für das Widerspruchsverfahren festgesetzt wurden und nur in diesem Bescheid sich als Rechtsmittelbelehrung der Hinweis auf eine Widerspruchsmöglichkeit fand, konnten beim Kläger keine vernünftigen Zweifel daran aufkommen, daß er gegen den Widerspruchsbescheid, der die Entziehung der Fahrerlaubnis betraf, nur Klage beim Verwaltungsgericht hätte erheben können. Hieran konnten für den Kläger auch deshalb keine Zweifel bestehen, weil im Kostenfestsetzungsbescheid selbst, und zwar in seinem abschließenden Absatz darauf hingewiesen wurde, daß der Kläger, wenn er gegen den Ausgangsbescheid Klage erheben sollte, zunächst nicht verpflichtet war, die für den Widerspruchsbescheid festgesetzten Kosten zu zahlen. Wenn der Kläger gleichwohl trotz der eindeutigen Rechtsmittelbelehrungen meinte, gegen einen Widerspruchsbescheid bei der Widerspruchsbehörde erneut einen Rechtsbehelf einlegen zu können, so geht dieser Irrtum zu seinen Lasten. Im übrigen wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, sich bei etwaigen, bei ihm trotz der eindeutigen Rechtsmittelbelehrungen aufgetretenen Zweifel rechtskundig beraten zu lassen.

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Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger gemäß § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Gründe, die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.

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Atzler

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Radke

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Petersen