Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.01.1994, Az.: 12 L 7136/91
Anerkennung; Asyl; Sri Lanka; Politische Verfolgung; Asylantrag; Nachfluchtgrund
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.01.1994
- Aktenzeichen
- 12 L 7136/91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 14037
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1994:0127.12L7136.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 18. 06.1987 - AZ: 9 VG A 98/87
- nachfolgend
- BVerwG - 01.07.1994 - AZ: BVerwG 9 B 181.94
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem einzelnen durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale wie Volkszugehörigkeit, Geschlecht oder Alter gezielt Rechtsgutverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen.
- 2.
Ein Angehöriger der tamilischen Volksgruppe hat ein Recht auf Anerkennung als Asylberechtigter. Ihm droht als Angehörigen der tamilischen Volksgruppe bei einer Rückkehr nach Sri Lanka aufgrund seiner Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, die einen asylrechtlich beachtlichen objektiven Nachfluchtgrund darstellt, weil der Nachfluchtgrund vom Betroffenen nicht nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland aus eigenem Willensentschluss geschaffen worden ist.
Tenor:
Die Berufung des Bundesbeauftragen für Asylangelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 9. Kammer Hannover - vom 18. Juni 1987 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verpflichtet wird, festzustellen, daß in der Person des Beigeladenen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten trägt die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Beigeladene begehrt seine Anerkennung als Asylberechtigter.
Der Beigeladene, ein lediger srilankischer Staatsangehöriger tamilischer Volkszugehörigkeit, wurde am 9. Oktober 1958 in Atchuvely - rund 20 km nordöstlich Jaffna - geboren. Am 30. Dezember 1984 verließ er mit einem im Jahre 1981 ausgestellten Reisepaß, der sich später als Totalfälschung erwies (Untersuchungsbericht der Grenzschutzdirektion Koblenz vom 2. Juni 1984), sein Heimatland auf dem Luftwege und gelangte am darauffolgenden Tag in die Bundesrepublik Deutschland. Dort stellte er am 19. Februar 1985 in Bremerhaven einen Asylantrag, den er in der Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) am 29. August 1985 wie folgt begründete: Nach dem Schulbesuch, den er im Jahre 1974 mit Erreichen des O(rdinary)-Levels abgeschlossen habe, habe er bis zum Jahre 1977 bei seinen Eltern in Atchuvely gelebt, ohne einer Beschäftigung nachzugehen. Von 1977 bis 1980 habe er seinem Vater, der in Atchuvely Landwirt gewesen sei, in dessen Landwirtschaft geholfen. Von 1982 bis zu seiner Ausreise aus Sri Lanka Ende 1984 habe er sich bei Bekannten in Kokuvil - 5 km nördlich Jaffna - und in Jaffna-Kondavil versteckt gehalten. Im Frühjahr 1983 habe er sich als Tourist in der Schweiz, u.z. in Genf aufgehalten, um einen seiner Brüder zu besuchen. Er sei dann nach Sri Lanka zurückgekehrt, weil seine Mutter krank geworden sei. Seit dem Jahre 1982 sei er Anhänger der Peoples Liberation Organization Tamil Eelam (PLOTE) gewesen und habe für diese Organisation Propaganda gemacht; allerdings habe er sich an gewalttätigen Aktionen der PLOTE nicht beteiligt. Am 3. Januar 1984 - auf Vorhalt berichtigt in 3. Dezember 1983 - sei er von Armeeangehörigen erstmals in Kokuvil verhaftet und in das Anairavu-Militärcamp gebracht worden. Dort habe man ihn zwei Monate lang festgehalten. Ein weiteres Mal sei er am 6. März 1984 in Kondavil wiederum von Armeeangehörigen festgenommen und erneut ins Anairavu-Camp gebracht worden, wo er ebenfalls zwei Monate hätte bleiben müssen. Beide Male sei er verhört und hierbei gefoltert worden. Das erste Mal sei er freigekommen, nachdem er verhört worden sei. Ihm sei jedoch zur Auflage gemacht worden, einmal die Woche in das Militärcamp zu kommen und dort eine Unterschrift zu leisten. Weil er dies nicht getan habe, sei er erneut festgenommen worden. Bei den Verhören sei er danach gefragt worden, ob er mit tamilischen Befreiungsbewegungen zusammenarbeite und ob ihm Angehörige der Befreiungsbewegungen bekannt seien. Er habe wahrheitswidrig diese Fragen mit "Nein" beantwortet. Bei seiner zweiten Inhaftierung habe er am 16. April 1984 - auf Vorhalt berichtigt in Mai 1984 - aus dem Militärcamp flüchten können.
Im September 1984 sei einer seiner Brüder und sei auch seine Mutter von Armeeangehörigen in ihrem Haus in Atchuvely erschossen worden. Hierzu sei es gekommen, nachdem die Soldaten keine Antwort darauf erhalten hätten, wo er - der Beigeladene - sich aufhalte.
Ergänzend wies der Beigeladene darauf hin, daß er sich in der Bundesrepublik für zwei Monate in stationärer Heilbehandlung befunden habe, er habe sich wegen "Verrücktheit" untersuchen lassen müssen. Er selbst möchte sich "auch als leicht verrückt betrachten, die Ärzte" hätten "auch festgestellt, daß" sein "Gehirn nicht in Ordnung" sei. Er nehme an, "daß dies mit dem Vorfall zusammenhänge", bei dem sein Bruder und meine Mutter erschossen worden seien.
Das Bundesamt erkannte den Beigeladenen mit Bescheid vom 9. März 1987 unter Berufung auf eine dem Beigeladenen als Tamilen drohende politische (Gruppen-)Verfolgung als Asylberechtigten an. Die hiergegen vom Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragten) fristgerecht erhobene Klage ist vom Verwaltungsgericht durch Urteil vom 18. Juni 1987 unter Hinweis auf eine dem Beigeladenen wegen seiner Volkszugehörigkeit bei Rückkehr drohende staatliche Verfolgung abgewiesen worden. Wegen der Einzelheiten der Urteilsgründe wird auf das Urteil vom 18. Juni 1987 Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung des Bundesbeauftragten, die er wie folgt begründet:
Entgegen der Einschätzung des Verwaltungsgerichts drohe dem Beigeladenen bei einer Rückkehr in sein Heimatland keine politische Verfolgung. Er werde allenfalls Maßnahmen der Terroristenfahndung ausgesetzt, die aber mangels entsprechender Gerichtetheit nicht asylrelevant seien; die Maßnahmen der srilankischen Sicherheitskräfte dienten vielmehr allein der Bekämpfung des Bürgerkriegsgegners.
Der Bundesbeauftragte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 1987 aufzuheben.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung des Bundesbeauftragten mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß die Beklagte verpflichtet wird, festzustellen, daß in der Person des Beigeladenen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen.
Er macht geltend:
Er sei das erste Mal im Dezember 1983 und nicht im Januar 1984 von Armeeangehörigen verhaftet worden. Die Flucht anläßlich seiner zweiten Verhaftung sei ihm mit anderen Gefangenen deswegen gelungen, weil die zur Bewachung abgestellten beiden Soldaten sich kurzfristig entfernt hätten. Sofern an seiner Glaubwürdigkeit Zweifel bestünden, müsse er darauf hinweisen, daß er nicht nur im Sommer 1985 für zwei Monate wegen einer psychischen Erkrankung, sondern auch noch später mehrmals in einem Landeskrankenhaus behandelt worden sei. Eine endgültige Entscheidung über die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zu dem von ihm erlittenen Verfolgungsschicksal dürfte daher ohne sachverständige Hilfe nicht möglich sein.
Zwar wohnten Verwandte von ihm im Norden Sri Lankas, zu diesen habe er aber seit drei Jahren keinen Kontakt mehr; im Süden der Insel habe er weder Verwandte noch Bekannte.
Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren - wie im erstinstanzlichen Verfahren - nicht geäußert und stellt einen Antrag nicht.
Der ursprünglich zur Entscheidung im Berufungsverfahren zuständig gewesene 21. Senat des ehemaligen Oberverwaltungsgerichtes für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein hat durch Urteil vom 17. Juli 1989 - 21 OVG A 709/87 - unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichtes den Bescheid des Bundesamtes vom 9. März 1987 aufgehoben und den Asylantrag des Beigeladenen abgelehnt. Diese Entscheidung ist u.a. damit begründet worden, daß sich der Beigeladene auf eine Vorverfolgung nicht berufen könne. Zum einen seien die Tamilen auf Sri Lanka vor der Ausreise des Beigeladenen nicht als Gruppe verfolgt worden, zum anderen sei der Beigeladene vor dem Verlassen seines Heimatlandes einer individuellen politischen Verfolgung nicht ausgesetzt gewesen. Im übrigen drohe dem Beigeladenen bei einer Rückkehr nach Sri Lanka weder als Tamile noch aus individuellen Gründen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Wegen der Einzelheiten der Urteilsgründe wird auf das Urteil vom 17. Juli 1989 Bezug genommen.
Der Beigeladene hat gegen das Urteil vom 17. Juli 1989, gegen das die Revision nicht zugelassen war, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, die mit Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. November 1989 - BVerwG 9 B 445.89 - zurückgewiesen worden ist. Hierauf hat der Beigeladene Verfassungsbeschwerde erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluß vom 7. Februar 1991 - 2 BVerfG 2023/89 - das Urteil des 21. Senats vom 17. Juli 1989 aufgehoben, den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichtes vom 10. November 1989 für gegenstandslos erklärt und die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht u.a. ausgeführt, daß entgegen der im Urteil vom 17. Juli 1989 vertretenen Auffassung keinesfalls ausgeschlossen werden könne, daß die Maßnahmen der srilankischen Sicherheitskräfte, denen der Beigeladene ausgesetzt gewesen sein wolle, als politische Verfolgungsmaßnahmen zu qualifizieren seien. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschlußbegründung wird auf den Beschluß vom 7. Februar 1991 verwiesen.
Im Laufe des Berufungsverfahrens ist dem Beigeladenen unter dem 8. November 1991 von der srilankischen Botschaft in Bonn ein bis zum 7. November 1996 gültiger srilankischer Nationalpaß ausgestellt worden.
Dem Senat haben neben den Gerichts- und Verwaltungsakten, auf die zur weiteren Sachdarstellung und zur Darstellung des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen verwiesen wird, die in der Verfügung des Berichterstatters vom 6. Januar 1994 bezeichneten Erkenntnismittel vorgelegen; diese Erkenntnismittel sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Der Senat hat den Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung angehört.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragten), ist unbegründet; denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) hat den Beigeladenen mit Bescheid vom 9. März 1987 zu Recht als Asylberechtigten anerkannt, weshalb die Berufung des Bundesbeauftragten zurückzuweisen ist, auch ist - wegen des im Laufe des Berufungsverfahrens erweiterten Gehalts des Asylbegehrens - die Verpflichtung der Beklagten auszusprechen, daß in der Person des Beigeladenen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz vorliegen.
Für die Richtigkeit der Anerkennungsentscheidung (auch aus heutiger Sicht) ist folgendes auszuführen:
Der Beigeladene ist zu Recht als Asylberechtigter anerkannt worden; denn ihm droht als Angehörigen der tamilischen Volksgruppe bei einer Rückkehr nach Sri Lanka aufgrund seiner Volkszugehörigkeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung, die einen asylrechtlich beachtlichen objektiven Nachfluchtgrund darstellt, weil der Nachfluchtgrund vom Beigeladenen nicht nach seiner Ausreise aus seinem Heimatland aus eigenem Willensentschluß geschaffen worden ist. Kann sich der Beigeladene für seine Anerkennung auf einen (beachtlichen) objektiven Nachfluchtgrund berufen, so kann der Senat offenlassen, ob dem Vorbringen des Beigeladenen zu von Folterungen begleiteten Inhaftierungen Ende 1983 und im Frühjahr 1984 Glauben geschenkt werden kann; ebenfalls kann offenbleiben, ob dem Beigeladenen aus individuellen Gründen - etwa mit Rücksicht auf die von ihm behauptete Zugehörigkeit zur PLOTE - bei einer Rückkehr in sein Heimatland politische Verfolgung droht.
Als politisch Verfolgter im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz (vom 23. 5. 1949, BGBl. S. 1, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. 6. 1993, BGBl. I S. 1002 - GG -) genießt derjenige Asyl, der wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beschränkungen seiner persönlichen Freiheit ausgesetzt ist oder solche Verfolgungsmaßnahmen begründet befürchtet (BVerwG, Urt. v. 17. 5. 1983 - BVerwG 9 C 36.83 -, BVerwGE 67, 184 (185 f.) [BVerwG 17.05.1983 - 9 C 36/83]). Politische Verfolgung liegt vor, wenn dem einzelnen durch den Staat oder durch Maßnahmen Dritter, die dem Staat zuzurechnen sind, in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentsscheidung oder für ihn unverfügbare Merkmale wie Volkszugehörigkeit, Geschlecht oder Alter gezielt Rechtsgutverletzungen zugefügt werden, die nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und ihn aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen (BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE 80, 315 (334 f.) = DVBl. 1990, 101 = NVwZ 1990, 151; berichtigt durch Beschluß vom 9. 1. 1990, NVwZ 1990, 248). Hierbei ist von wesentlicher Bedeutung, ob der Asylbewerber vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Ist der Asylsuchende nämlich wegen bestehender oder unmittelbar bevorstehender politischer Verfolgung ausgereist und war ihm ein Ausweichen innerhalb seines Heimatlandes nicht zuzumuten (weil eine inländische Fluchtalternative fehlte), so ist er als Asylberechtigter anzuerkennen, sofern die fluchtbegründenden Umstände im maßgeblichen Zeitpunkt fortbestehen; er ist aber auch dann anzuerkennen, wenn die fluchtgegründenden Umstände zwar entfallen sind, eine Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen aber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (BVerfG, Beschl. vom 2. 7. 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 -, BVerfGE 54, 341 (361); BVerwG, Urt. v. 25. 9. 1984 - BVerwG 9 C 17.84 -, BVerwGE 70, 169 ff.). Hat der Asylsuchende seinen Heimatstaat hingegen unverfolgt verlassen, so kann er nur dann als Asylberechtigter anerkannt werden, wenn ihm bei Rückkehr in sein Heimatland aufgrund eines asylerheblichen Nachfluchttatbestandes politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989, aaO, S. 345 f.). Für diesen Maßstab ist ausschlaggebend, ob dem Asylsuchenden bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung droht, so daß ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Hierbei sind alle festgestellten Umstände zu gewichten, gegeneinander abzuwägen und hinsichtlich ihrer Bedeutung zu bewerten, wobei es darauf ankommt, ob bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden aufgrund dieser Umstände Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann. Mithin ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhaltes die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. 3. 1988 - BVerwG 9 C 278.86 -, BVerwGE 79, 143 (151) [BVerwG 15.03.1988 - 9 C 278/86]).
Droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in einem Landesteil politische Verfolgung, so ist es unerheblich, ob dieser Landesteil die Heimatregion des Asylbewerbers ist oder - falls dies nicht der Fall sein sollte -ob es aus sonstigen Gründen wahrscheinlich ist, daß der Asylbewerber sich im Falle seiner Rückkehr in den Heimatstaat gerade in diese Region begeben wird. Zwar hat der letzte Wohn- oder Aufenthaltsort des Asylsuchenden vor seiner Ausreise aus dem Heimatstaat Bedeutung für die aufgrund einer Rückschau zu beantwortende Frage, ob der Asylbewerber vor seiner Ausreise von politischer Verfolgung betroffen war, für die Zukunftsprognose einer politischen Verfolgung ist aber das jeweilige Staatsgebiet in seiner Gesamtheit in Blick zu nehmen. Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluß vom 10. Juli 1989 in bezug auf unverfolgt ausgereiste Asylbewerber, denen aufgrund beachtlicher Nachfluchttatbestände politische Verfolgung drohte - ohne auf das Herkunftsland innerhalb das Verfolgerstaates abzustellen - ausgeführt: "Droht diese Gefahr nur in einem Teil des Heimatstaates, so kann der Betroffene auf Gebiete verwiesen werden, in denen er vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist, es sei denn, es drohen dort andere als nach den ... dargelegten Grundsätzen unzumutbare Nachteile und Gefahren" (BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989, aaO, S. 346).
Die von dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 26. Juli 1993, 12 UE 2439/89 -) an der eben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, der sich das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen hat, (BVerwG, Urt. v. 16. 2. 1993 - BVerwG 9 C 31.92 - AuAS 1993, 25 und Urt. v. 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 59.92 -, InfAuslR 1993, 354 (356) sowie Urteil vom 13. Mai 1993, BVerwG 9 C 58.92 -) geäußerten Zweifel teilt der Senat nicht. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof übersieht mit seinen Überlegungen im Urteil vom vom 26. Juli 1993, daß das Bundesverfassungsgericht (aaO) und auch das Bundesverwaltungsgericht (aaO) maßgebend auf die Gebietshoheit abstellen, die der Verfolgerstaat in seinem gesamten Staatsgebiet innehat.
Üben die Sicherheitskräfte des Heimatstaates im Kampf gegen Guerillabewegungen Gegenterror aus, zerstören sie Siedlungen, richten sie Massaker unter der Zivilbevölkerung an, führen sie Großrazzien durch, bei denen sämtliche Bewohner eines Dorfes oder eines Flüchtlingslagers festgehalten und dann zahlreiche Einzelpersonen herausgegriffen, mißhandelt und häufig auch heimlich umgebracht werden, sind solche Übergriffe nach ihrer Intensität politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG, wenn sie an eine bestimmte Volkszugehörigkeit der Opfer anknüpfen (BVerwG, Urt. v. 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 59.92 -, aaO, S. 355). Es handelt sich dann um einen Kampf, den die Kräfte des Verfolgerstaates in einer Weise führen, die auf die physische Vernichtung von auf der Gegenseite stehenden oder ihr zugerechneten und nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Personen gerichtet ist, obwohl diese keinen Widerstand mehr leisten wollen oder können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989, aaO, S. 340). Sind die Übergriffe Gegenterror, so verlieren sie nicht ihre Eigenschaft als Akte staatlicher Verfolgung, wenn sie nicht Ausfluß der effektiven Gebietsgewalt des Staates sind. Stellen sich nämlich die Maßnahmen des Verfolgerstaates als Gegenterror dar, so übt er auch bei dem Fehlen effektiver Gebietsgewalt politische Verfolgung im Sinne von Art. 16 a Abs. 1 GG aus (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. 7. 1989, aaO, S. 340 f. und BVerwG, Urt. v. 13. 5. 1993 - BVerwG 9 C 59.92 -, aaO, S. 355).
In den von der srilankischen Armee beherrschten Gebieten des Nordens (u.a. der Jaffna-Halbinsel) droht Angehörigen der tamilischen Volksgruppe - der Beigeladene hat sich vor seiner Ausreise auf der Jaffna-Halbinsel aufgehalten -, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch Handlungen der srilankischen Regierungstruppen, die dort gegen die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kämpfen. Dies gilt auch für die Gebiete, die auf der Jaffna-Halbinsel von der LTTE beherrscht werden. Die die tamilische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten betreffenden Maßnahmen und Übergriffe der srilankischen Regierungstruppen stellen sich nach den dargestellten Grundsätzen als eine Gruppenverfolgung der Tamilen in diesen Bereichen dar. Die srilankischen Regierungstruppen verfolgen die Angehörigen der tamilischen Zivilbevölkerung durch schwerwiegende Rechtsverletzungen, die darauf gerichtet sind, die dort lebenden Tamilen wegen ihrer Volkszugehörigkeit zu treffen (ebenso für die Rückeroberung der Insel Kayts durch srilankischer Regierungstruppen VGH Bad.-Württ., Urt. v. 20. 8. 1993 - S 925/93 -). Dabei handelt es sich in den von der LTTE beherrschten Gebieten nicht um staatliche Verfolgung in Ausübung effektiver Gebietsgewalt des srilankischen Staates, weil die Friedensordnung dort aufgehoben ist (allerdings übt die LTTE ihrerseits ein brutales Terrorregime aus, vgl. amnesty international, Sri Lanka, Bewertung der Menschenrechtslage, Januar 1993, S. 31). Die militärischen Maßnahmen der srilankischen Streitkräfte, die auch - etwa durch Luftangriffe auf das von der LTTE beherrschte Gebiet einwirken, sind aber deshalb asylrelevant, weil sie über Handlungen hinausgehen, die im Interesse der Wiederherstellung der staatlichen Friedensordnung notwendig sind. Die Aktionen der Streitkräfte sind seit etwa Mitte des Jahres 1990 bei einer Vielzahl von Angriffen bewußt auch gegen die tamilische Zivilbevölkerung in diesen Gebieten gerichtet. Die Zivilbevölkerung wird nicht geschont, obwohl dies nach den Erklärungen der Regierung Sri Lankas der Fall sein sollte (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. August 1990 an den Hess. VGH; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 29. August 1990; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Dezember 1990 an das VG Ansbach; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. November 1991 und 22. Januar 1992 an das VG Gelsenkirchen). Tatsächlich werden aber häufig Zivilpersonen das Ziel von Angriffen (Gutachten Keller-Kirchhoff vom 23. April 1992 an den Hess. VGH). Hierbei werden auch wahllos Zivilobjekte bombardiert (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Dezember 1990; Gutachten Keller-Kirchhoff vom 7. September 1991 an den VGH Baden-Württemberg; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 5. November 1991 an das VG Gelsenkirchen). Verluste unter der Zivilbevölkerung werden dabei so bewußt und regelmäßig in Kauf genommen, daß zwischen Angriffen auf militärische und zivile Ziele kaum noch zu unterscheiden ist (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. November 1990 an das VG Köln). Auch sonst kommt es häufig zu Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Solche Übergriffe nimmt die militärische Führung hin (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 29. November 1990 an das VG Köln). Die Aktionen der Armee dienen oft nur der Einschüchterung und Abschreckung der Zivilbevölkerung (Gutachten Keller-Kirchhoff vom 23. Januar 1991 an das VG Köln und vom 25. Januar 1990 an das VG Ansbach). Die Angehörigen der srilankischen Armee nehmen es in Kauf, unbeteiligte Zivilisten zu verletzen oder gar zu töten. Dabei wird in Menschenansammlungen geschossen (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6. November 1991 an das VG Gelsenkirchen). Tempel, Kirchen, Schulen und auch Krankenhäuser sind von Angriffen der Luftwaffe betroffen (Keller-Kirchhoff, Rückkehr in Sicherheit und Würde ? - Situationsbericht zur Lage in Sri Lanka vom 14. Oktober 1992). In einem Falle wurden 23 tamilische Volkszugehörige durch Granaten, die von einem nahegelegenen Militärlager abgefeuert wurden, getötet; 30 wurden verletzt (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 31. August 1992 an den Bay. VGH). Bombardierungen sind häufig. Bei Aktionen der Streitkräfte gab es zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung (Gutachten Hellmann-Rajanayagam vom 14. Juni 1993 an das VG Karlsruhe). Nach (erfolgreichen) Attentaten der LTTE auf Generäle der srilankischen Armee und ranghohe Marinekommandeure - z.B. auf die Heereskommandeure Generalmajor Kobbekaduwa und Brigadier Wimalaratne am 8. August 1992 (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Oktober 1992) sowie auf Vizeadmiral Fernando am 16. November 1992 (FR vom 17./18. November 1992) - reagierten die srilankischen Sicherheitskräfte mit wahllosen Übergriffen gegen Zivilpersonen (amnesty international, Einschätzung der Menschenrechtssituation in Sri Lanka, Dezember 1992). Damit läßt sich der Schluß ziehen, daß bei den Handlungen der srilankischen Armee nicht nur gelegentlich und zufällig auch tamilische Zivilisten getötet oder verletzt werden; diese Angriffe zielen vielmehr bewußt auf die tamilische Zivilbevölkerung (Keller-Kirchhoff, Situationsbericht zur Lage in Sri Lanka, Gutachten für das VG Karlsruhe, Stand: September 1993). Die Übergriffe der srilankischen Sicherheitskräfte werden sich nach ihrer schweren Niederlage bei den Kämpfen um den Stützpunkt Pooneryn/Jaffna-Distrikt (s. dazu Keller, in: taz, vom 11. November 1993; SZ vom 12. November 1993; taz vom 15. November 1993; Venzky, in: FR vom 16. November 1993; Imhasly, in: taz vom 16. November 1993) noch verstärken, zumal die srilankische Armee eine militärische Großoffensive einleiten will.
Die humanitären Vorgaben der Regierung Sri Lankas werden von den Streitkräften bei ihren Operationen vor Ort, also auf der Jaffna-Halbinsel durchweg nicht eingehalten. Vielmehr läßt sich feststellen, daß bei der Bombardierung auch ziviler Ziele viele Zivilpersonen ums Leben kommen; das gilt auch für Angriffe, die unter Einsatz von Panzern vorgetragen werden.
Hierbei sind für die Frage der Asylerheblichkeit nicht die subjektiven Gründe oder Motive der Angehörigen der Streitkräfte zu betrachten, sondern die nach objektiven Maßstäben zu bestimmende "erkennbare Gerichtetheit der Maßnahmen selbst" (BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989, aaO, S. 335; s. auch BVerwG, Urt. v. 20. November 1990 - BVerwG 9 C 74.90 -, BVerwGE 87, 152 (153) [BVerwG 20.11.1990 - 9 C 74/90]). Diese erkennbare Gerichtetheit der Maßnahmen der Streitkräfte nimmt die Regierung Sri Lankas zumindest stillschweigend hin. Ihr sind deshalb die Maßnahmen als unmittelbare staatliche Verfolgung zuzurechnen. Allerdings setzt die srilankische Regierung bei Übergriffen Untersuchungskommissionen ein (vgl. amnesty international, Sri Lanka, Bewertung der Menschenrechtslage, Januar 1993). Die Übergriffe von Armeeangehörigen werden jedoch - mit Ausnahme eines angesichts der zahlreichen Übergriffe nicht ins Gewicht fallenden Falles (amnesty international, Jahresbericht 1993, S. 484 (486)) - nicht strafrechtlich verfolgt (Gutachten Keller-Kirchhoff vom 7. September 1991 an den VGH Baden-Würtemberg), so daß diese Verhaltensweisen nicht als Exzesse einzelner Amtswalter einzustufen sind.
Dieser Bewertung steht schließlich nicht entgegen, daß die Regierung Sri Lankas auch darum bemüht ist, die Bevölkerung der Jaffna-Halbinsel mit Hilfe internationaler humanitärer Organisationen mit Lebensmitteln zu versorgen (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Juli 1993). Insoweit stellt sich der srilankische Staat als ein "mehrgesichtiger" Staat dar, der einerseits einer Bevölkerungsminderheit hilft, andererseits es aber zuläßt, daß seine Militärkräfte auf eine Art und Weise opererieren, daß die Zivilbevölkerung in ihrer Gesamtheit asylrechtlich relevanten Übergriffen ausgesetzt ist.
Die dargstellten Bewertungen gelten uneingeschränkt für alle Teile des Nordens Sri Lankas, gleichgültig, ob sie von den Angehörigen der LTTE oder von den Kräften der srilankischen Armee beherrscht werden. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 13. Mai 1993 - BVerwG 9 C 59.92 -, aaO, S. 355) ist auch anzunehmen, daß der Gegenterror durch Regierungstruppen ein konkretes asylrelevantes Geschehen und nicht nur ein vorübergehender, nicht faßbarer Stand in einem ständig wechselnden Kriegsgeschehen ist. Allerdings kann der ständige Wechsel der Situation als Element und Bestandteil einer kriegerischen Auseinandersetzung nicht jeweils ein neu entstandes Element im Sinne eines Nachfluchttatbestandes sein. Vielmehr stellt sich ein Nachfluchttatbestand als ein herausragendes Ereignis, als faßbares Geschehen dar, welches eine grundlegende Änderung eines vorherigen Zustandes bedeutet und daher als objektiver Nachfluchttatbestand zu qualifizieren ist. Dieses konkret faßbare asylrelevante Geschehen liegt im Norden Sri Lankas in dem verstärkt und gezielt auf die Zivilbevölkerung ausgerichteten Vorgehen der Regierungsstreitkräfte nach dem Abzug der indischen Friedenstruppe im Kampf gegen die Angehörigen der LTTE seit etwa Mitte 1990. Die bewußt auch gegen die Zivilbevölkerung gerichteten Aktionen stellen eine neue Dimension der Kriegsführung dar.
Es kann dahinstehen, ob für den Osten Sri Lankas die Verhältnisse ebenso zu beurteilen sind. Das könnte nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen (Urt. v. 8. Juli 1992 - 21 A 364/91.A -) anzunehmen sein, kann aber nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Juli 1993 in Zweifel gezogen werden, weil nach diesem Lagebericht die Situation im Osten ruhiger und sicherer geworden sei; denn die Armee habe ihre Position dort festigen können, auch habe die LTTE einen Großteil ihrer Kämpfer aus diesem Landesteil abgezogen.
Für den Beigeladenen besteht eine (zumutbare) inländische Fluchtalternative nicht. Eine solche Alternative muß nach dem Dargelegten (vgl. insbesondere BVerwG, Urt. v. 13. Mai 1993, - BVerwG 9 C 59.92 -, aaO, S. 356, unter Hinweis auf BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989, aaO, S. 346) bestehen, wenn dem Beigeladenen eine Rückkehr in sein Heimatland zuzumuten ist. Eine (zumutbare) inländische Fluchtalternative besteht dann, wenn ein nur regional von politischer Verfolgung betroffener Asylbewerber in anderen Teilen seines Heimatstaates, in denen ihm politische Verfolgung mit hinreichender Sicherheit nicht droht, eine zumutbare Zuflucht finden kann, und wenn ihm in dem Landesteil, der als inländische Fluchtalternative in Frage kommt, nicht andere, ihm nicht zuzumutende Nachteile und Gefahren drohen. Der Betreffende muß also dort vor politischer Verfolgung hinreichend sicher sein, auch dürfen ihm keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Heimatort so nicht bestünde (BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989, aaO, S. 343 f.).
In der Rechtsprechung des Senates (s. z.B. die Urteile vom 14. Dezember 1992 - 12 L 7145/91 - und vom 22. April 1993 - 12 L 7115/91 -) ist geklärt, daß ein tamilischer Volkszugehöriger in den hier nur zu betrachtenden Gebieten (Osten, zentrales Hochland, Süden und Westen) unabhängig von den ihm dort drohenden politischen Verfolgungsmaßnahmen auf Dauer ein Leben unter dem wirtschaftlichen Existenzminimum zu erwarten hätte, es sei denn, er habe vor seiner Ausreise dort gelebt und habe deshalb familiäre oder andere Bindungen in diesen Teilen der Insel. Der Beigeladene hat in seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft vorgetragen, er habe im Süden Sri Lankas, insbesondere im Großraum Colombo weder Verwandte noch Bekannte, an die er sich bei einer Rückkehr um Unterstützung beim Aufbau einer Existenz oder bezüglich der Bestreitung seines Lebensunterhaltes wenden könnte; soweit er Verwandte habe, die sich noch auf Sri Lanka aufhielten, lebten diese auf der umkämpften Jaffna-Halbinsel, allerdings sei der Kontakt zu den Verwandten vor drei Jahren abgebrochen. Damit könnte der Beigeladene nach der Überzeugung des Senats bei einer Rückkehr in sein Heimatland beim Aufbau einer neuen Existenz in Sri Lanka weder auf die Hilfe seiner Verwandten noch auf die von Bekannten hoffen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß gerade bei Rückkehrern, die wie der Beigeladene lange Jahre in Europa gelebt haben, besondere Schwierigkeiten für einen beruflichen Neuanfang in Sri Lanka bestehen. Die Rückkehrer aus Europa haben sich nämlich infolge des langjährigen Aufenthalts in einem fremden Kulturkreis - im Fall des Beigeladenen 9 Jahre - der sozio-ökonomischen Struktur ihres Heimatlandes entfremdet. Hierdurch würden sie aber zu den ohnehin aufgrund der schwierigen Wirtschaftssituation auf Sri Lanka bestehenden Schwierigkeiten zusätzlich beim Aufbau einer neuen Existenz benachteiligt; denn in Sri Lanka spielen für den geschäftlichen Erfolg persönliche, insbesondere verwandtschaftliche Beziehungen eine große Rolle (Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 30. Januar 1992 an den Hess. VGH). Über derartige Beziehungen verfügt der Beigeladene aber nicht, zumal sich seine Verwandten auf der umkämpften und in einer hoffnungslosen wirtschaftlichen Situation befindlichen Jaffna-Halbinsel aufhalten und der Kontakt zu diesen seit drei Jahren abgebrochen ist. Der Beigeladene wäre daher bei einer Rückkehr nach Sri Lanka nicht in der Lage, sich eine neue Existenz aufzubauen oder auf andere Weise sein Existenzminimum zu sichern. An dieser Beurteilung hält der Senat trotz der ihm bekannten abweichenden Auffassung des Hess. VGH (Urt. v. 26. 7. 1993 - 12 UE 2439/89 -) fest, weil dieses Gericht auf der Grundlage derselben Unterlagen lediglich vom Senat abweichende Schlüsse gezogen hat und seine Überlegungen auch darauf gestützt hat, daß Angehörige der tamilischen Bevölkerungsgruppe bei Verwandten oder Bekannten leben könnten. So räumt der Verwaltungsgerichtshof ein, für einen aus Deutschland nach Sri Lanka zurückkehrenden Tamilen dürfte es schwierig sein, in einem von der Regierung betriebenen Flüchtlingslager eine Unterkunft zu finden (Keller-Kirchhoff schließt es im Gutachten vom 7. September 1991 an VGH Bad.-Württ. aus, daß ein aus dem westlichen Ausland nach Sri Lanka zurückkehrender Tamile in ein von der Regierung Sri Lankas im Süden der Insel unterhaltenes Flüchtlingslager aufgenommen wird), und beschränkt sich auf die Bemerkung, die das Gericht nicht nicht näher belegt, ein notdürftiges Unterkommen bei Verwandten oder Bekannten oder in einfachen Behausungen ohne Familienrückhalt sei grundsätzlich möglich. Soweit sich der Verwaltungsgerichtshof auf Auskünfte des Auswärtigen Amtes (Auskunft vom 31. August 1992 an den Bay.VGH und jetzt vom 9. März 1993 ebenfalls an den Bay.VGH) bezieht, gilt für die Bewertung des Auswärtigen Amtes dasselbe wie für die Überlegungen des Hess. Verwaltungsgerichtshofs. Eine ausreichende Grundlage, die die gezogenen Schlußfolgerungen belegt, ist nicht vorhanden (vgl. auch den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 21. Juli 1993), zumal die Äußerungen Keller-Kirchhoffs (Rückkehr in Sicherheit und Würde? - Oktober 1992) und Vorbrodts (Stellungnahme pax christi vom 20. September 1993 an VG Karlsruhe), die der Senat für zutreffend hält, das Gegenteil belegen. Auch die vom Staat ausgegebenen Nahrungsmittelrationen sichern nicht das Existenzminimum (Keller-Kirchhoff, Gutachten vom 7. September 1991 an den VGH Bad.-Württ.).
Abgesehen davon sind Angehörige der tamilischen Minderheit nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland im Osten, im zentralen Hochland sowie im Süden und Westen Sri Lankas auch vor politischer Verfolgung nicht hinreichend sicher. Für Rückkehrer besteht nämlich die Gefahr (zumal bei der Schwierigkeit, Personalausweispapiere - national identity card - zu erlangen), wegen häufiger Razzien ("round-ups"), die oftmals nur durch Gerüchte ausgelöst werden, als potentielle LTTE-Angehörige für längere Zeit verhaftet und anläßlich der Verhaftung durch die srilankische Polizei menschenrechtswidrig mißhandelt zu werden (Keller-Kirchhoff, Stellungnahme vom 5. Oktober 1993 an den Bay.VGH); so sind im Jahre 1993 bis zum September des Jahres im Großraum Colombo achttausend Tamilen verhaftet worden. Vereinbarungen zwischen dem Präsidenten Sri Lankas und tamilischen Ministern halten die oft anti-tamilisch eingestellten Sicherheitskräfte nicht ein (Keller-Kirchhoff, Stellungnahme vom 5. Oktober 1993).
Hierbei reicht den Sicherheitskräften als "Anfangsverdacht" (für eine Verhaftung) schon aus, daß es sich bei dem Betreffenden um einen Tamilen handelt, zumal wenn er aus dem Norden der Insel stammt, ein anderweitiger die Verhaftung rechtfertigender Verdacht muß nicht bestehen (Keller-Kirchhoff, Stellungnahme vom 5. Oktober 1993). Auch das Auswärtige Amt (Auskunft vom 13. Oktober 1993 an den Bay.VGH) räumt im Ergebnis ein, daß es zu Verhaftungen kommt, gibt aber die Zahl der Verhafteten nicht an, sondern äußert sich nur allgemein und damit nicht nachprüfbar, Rückkehrer hätten keine Schwierigkeiten mit den Sicherheitskräften. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die geschilderte Gefahr der Verhaftung (und menschenrechtswidriger Mißhandlungen) den Rückkehrern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht oder nicht; denn hierauf kommt es in dem hier zu erörternden Zusammenhang des Bestehens oder Nicht-Bestehens einer inländischen Fluchtalternative nicht an. Vielmehr ist insoweit der herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab anzulegen und zu fragen, ob Rückkehrer vor einer Verhaftung (und menschenrechtswidriger Mißhandlung) hinreichend sicher sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Juli 1980, aaO, S. 360 f. und BVerwG, Urt. v. 25. September 1984, aaO, S. 170). Diese Frage ist aber nach dem soeben Ausgeführten zu verneinen; eine derartige Sicherheit bestünde für den Beigeladenen nicht (und wird auch nicht vom Auswärtigen Amt angenommen, vgl. die Auskunft vom 13. Oktober 1993 an den Bay.VGH).
Schließlich steht der Anerkennung des Beigeladenen als Asylberechtigten nicht entgegen, daß er sich im Laufe des Berufungsverfahrens von der srilankischen Botschaft in Bonn einen neuen Nationalpaß hat ausstellen lassen. Die Bestimmung des § 72 Abs. 1 Nr. 1 Asylverfahrensgesetz (i.d.F. der Bekanntmachung v. 27. Juli 1993, BGBl I S. 1361, geändert durch Art. 2 des 5. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht v. 2. August 1993, BGBl I S. 1442 (1444)) (= § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG 1982) gilt nur für anerkannte Asylberechtigte (BVerwG, Urt. v. 20. Oktober 1987 - BVerwG 9 C 277.86 -, BVerwGE 78, 152 = DÖV 1988, 171 f. - zu § 15 AsylVfG 1982). Dem genannten Verhalten des Beigeladenen kommt auch nicht das Indiz zu, er habe sich dem Schutz seines Heimatstaates erneut unterstellt. Bei einem Staat, der wie der srilankische Staat "mehrgesichtig" auftritt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. Juli 1989, aaO, S. 342), kann nämlich aus dem Umstand, daß eine Auslandsvertretung einen Nationalpaß ausstellt, nicht der Schluß gezogen werden, sie nehme an, der Staatsangehörige habe sich (wieder) dem Schutz des Staates unterstellt, vielmehr zeigt dieses Verhalten nur, daß nicht alle Behörden des Zentralstaates die Verfolgung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zu ihrer Angelegenheit machen. Damit wirkt sich die Tatsache der Paßerneuerung durch die srilankische Botschaft in Bonn hier auch beim Beigeladenen nicht auf die - überdies an Gruppenmerkmale anknüpfende - Verfolgungsprognose aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. Oktober 1987, aaO, S. 172).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe, die Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.
Atzler
Radke
Petersen