Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.1994, Az.: 18 L 6444/92

Wirksamkeit von Personalratswahlen; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist; Beanstandung von Wahlvorschlägen zur Personalratswahl

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.1994
Aktenzeichen
18 L 6444/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 18712
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:0124.18L6444.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 23.10.1992

Verfahrensgegenstand

Wahlanfechtung (Streichung eines Kandidaten)

In dem Rechtsstreit
hat der 18. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Laadespersonalvertretungssachen -
auf die mündliche Anhörung vom 24. Januar 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Uffhausen
und den Richter am Verwaltungsgericht Schiller
sowie den ehrenamtlichen Richter Thiem
und die ehrenamtliche Richterin Zöllmer
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerden der Antragstellerin gegen die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Stade - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - vom 23. Oktober 1992 werden als unzulässig verworfen.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten um die Frage der Wirksamkeit der Wahlen der Arbeiter-Vertreter in den Personalrat der Dienststelle "Kreisverwaltung" und den Gesamtpersonalrat beim Landkreis ... am 10. März 1992.

2

Nach den Wahlausschreibungen vom 7. Februar 1992 (Kreisverwaltung) und vom 23. Januar 1992 (Gesamtpersonalrat) waren in die beiden Personalräte ein bzw. zwei Vertreter der Beamten, fünf bzw. sechs Vertreter der Angestellten und jeweils drei Vertreter der Arbeiter zu wählen. Für die Gruppe der Arbeiter wurden zwei Wahlvorschläge eingereicht, u. a. einer von der Antragstellerin. Dieser enthielt drei bzw. sechs Namen, darunter jeweils den des Kraftfahrers L. Dieser ist (seit 1991) Kreistagsabgeordneter. Im Hinblick darauf beanstandete der Wahlvorstand den Vorschlag unter Hinweis auf § 10 Abs. 3 Nds. PersVG (sowie den Beschluß des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - vom 12.3.1991 - 9 A 2618/90; inzwischen geändert durch Senatsbeschluß vom 4.11.1992 - 18 L 8463/91). Da die Antragstellerin diese Rechtsauffassung zur Frage der Wählbarkeit des L. nicht teilte, wurde dieser vom Wahlvorstand aus der jeweiligen Bewerberliste gestrichen (§ 10 Abs. 5 Satz 3 der Wahlordnung). Nach den abgegebenen Stimmen entfielen auf die Wahlvorschläge der Antragstellerin entsprechend den Grundsätzen der Verhältniswahl (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nds. PersVG) ein Sitz im Personalrat "Kreisverwaltung" und zwei Sitze im Gesamtpersonalrat.

3

Am 23. März 1992 hat die Antragsgegnerin die Personalratswahlen hinsichtlich der jeweiligen Wahlen der Arbeiter-Vertreter angefochten mit dem Begehren, diese jeweils für unwirksam zu erklären. Sie hat gemeint, daß mit dem Ausschluß ihres Kandidaten L. gegen wesentliche Vorschriften über die Wählbarkeit verstoßen worden sei. L. sei weder als Arbeiter noch als Kreistagsabgeordneter zu selbständigen Entscheidungen in Personalratsangelegenheiten der Dienststelle befugt. Demgegenüber hat der Beteiligte zu 1) gemeint, daß L. in entsprechender Anwendung von § 10 Abs. 3 Nds. PersVG nicht wählbar gewesen sei. Bei Entscheidungen des Kreistages in Personalsachen befinde sich ein Kreistagsmitglied, das zugleich Mitglied des Personalrates sei, in einem Interessenwiderstreit. Im Kreistag entscheide jedes Mitglied eigenverantwortlich und unabhängig. Die Mitwirkung eines Abgeordneten bei einem Kreistagsbeschluß entspreche so einer "selbständigen Entscheidungsbefugnis". Die insoweit bestehende Gesetzeslücke sei im Wege der analogen Anwendung zu schließen. Die beteiligten Personalräte haben insbesondere darauf hingewiesen, daß eine Nichtwählbarkeit des L. in den jeweiligen Personalrat dessen Freiheit, sich in den Kreistag wählen zu lassen oder Abgeordneter zu bleiben, beeinträchtige, was eine erweiternde Auslegung des § 10 Abs. 3 Nds. PersVG verbiete.

4

Die Fachkammer hat die (in zwei Verfahren verfolgten) Anträge mit Beschlüssen vom 23. Oktober 1992 abgelehnt. Die Streichung des L. aus der Kandidatenliste sei zulässig gewesen. L. sei (unmittelbar) gemäß § 10 Abs. 3 Nds. PersVG nicht wählbar gewesen. Zwar könne er als Arbeiter nicht selbständige Personalentscheidungen treffen, wohl aber als Kreistagsmitglied. Die Entscheidung des Kreistages sei selbständig im Sinne von § 10 Abs. 3 Nds. PersVG. Die "Teilnahme an der Willensbildung anderer", wie es bei einem Kollegium gleichberechtigter Mitglieder der Fall sei, nehme der Entscheidung nicht den Charakter der Selbständigkeit, zumal jedes Mitglied seine Meinung vertreten und damit auf die Willensbildung einwirken, mit seiner Stimme sogar den Ausschlag geben könne. Die Anwendung des § 10 Abs. 3 Nds. PersVG auf Kreistagsmitglieder verfehle auch nicht den Regelungszweck dieser Bestimmung, nämlich, den Personalrat von solchen Mitgliedern freizuhalten, die in einem hervorgehobenen Loyalitätsverhältnis zur Dienststelle stünden, weil sie dort in beteiligungspflichtigen Angelegenheiten selbständig entschieden.

5

Gegen diese, ihr am 2. Dezember 1992 zugestellten Beschlüsse richten sich die am 28. Dezember 1992 eingelegten und am 4. Februar 1993 begründeten Beschwerden der Antragstellerin. Sie meint, daß im Rahmen des § 10 Abs. 3 Nds. PersVG allein darauf abzustellen sei, ob ein Kandidat in der Dienststelle selbständig Personalangelegenheiten entscheiden könne. Das Kreistagsmandat des L. sei deshalb unerheblich.

6

Nachdem die Antragstellerin unter dem 2. September 1993 auf die Versäumung der Begründungsfrist hingewiesen worden war, beantragte sie mit Schriftsatz vom 7. September 1993,

ihr Wiedereinsetzung zu gewähren.

7

Zur Begründung dieses Antrags gibt sie an, ihr sei am 4. Januar 1992 auf Anfrage von der Geschäftsstelle des Oberverwaltungsgerichts (einer weiblichen Person, die nicht namentlich bekannt sei) mitgeteilt worden, daß die Beschwerde an diesem Tage eingegangen sei. Dieses Datum sei dann auf den Entwürfen der Beschwerdeschriften vermerkt und dem weiteren Verfahren zugrunde gelegt worden. Die Abschrift der an die Beteiligten gerichteten Verfügungen des Senatsvorsitzenden vom 19. Januar 1993, in denen auch das Datum des Eingangs der Beschwerden genannt worden ist, will sie nicht erhalten haben (sondern nur einen sie betreffenden Zusatz, der sich auf dem Übersendungsschreiben befunden hat).

8

In der Sache beantragt die Antragstellerin sinngemäß,

die angefochtenen Beschlüsse zu ändern und festzustellen, daß die Wahlen zum Personalrat Kreisverwaltung und Gesamtpersonalrat des Landkreis ... vom 10. März 1992 insoweit unwirksam sind, als es jeweils die Vertreter der Arbeiter betrifft.

9

Die Beteiligten zu 2) und 3) schließen sich diesem Antrag an.

10

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

11

Er hält sie für unzulässig, da die Begründungsfrist schuldhaft versäumt worden sei.

12

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze verwiesen.

13

Im Termin vom 24. Januar 1994 hat der Senat die beiden Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

14

II.

Die Beschwerden haben keinen Erfolg. Sie sind unzulässig, weil die Antragstellerin die Frist für ihre Begründung versäumt hat. Wiedereinsetzung ist der Antragstellerin nicht zu gewähren. Ihre Beschwerden sind deshalb zu verwerfen.

15

Nach § 85 Abs. 2 Nds. PersVG in Verbindung mit §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 516 und 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses zu erheben und innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung zu begründen, wobei beides Voraussetzung ihrer Zulässigkeit ist (§ 519 b Abs. 1 ZPO). Hier hat die Antragstellerin indessen nur die Beschwerdefrist gewahrt. Nach Zustellung der angefochtenen Beschlüsse vom 23. Oktober 1992 an sie am 2. Dezember 1992 hat sie dagegen am 28. Dezember 1992 (rechtzeitig) Beschwerden eingelegt. Damit lief die Frist für die Begründung dieser Beschwerden am 28. Januar 1993 ab. Demgegenüber sind die (per Telefax eingereichten) Beschwerdebegründungen (vom 3.2.92) erst am 4. Februar 1992, also verspätet, eingegangen. Diese Fristversäumnis war schuldhaft, so daß dagegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 85 Abs. 2 Nds. PersVG i.V.m. §§ 87 Abs. 2 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG und § 233 ZPO) nicht gewährt werden kann. Die Angaben der Antragstellerin zu der Frage des Verschuldens sind als nicht glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) anzusehen.

16

Auszugehen ist zunächst davon, daß die Antragstellerin die an die Beteiligten gerichteten Verfügungen des Vorsitzenden vom 19. Januar 1993, die die Mitteilung enthielten, daß die Beschwerden am 28. Dezember 1992 eingegangen seien, in Form von Abschriften als Anlage zu den unmittelbar an sie gerichteten Verfügungen vom gleichen Tage (am 21.1.1993) erhalten hat. Dieses Verfahren der Eingangsbestätigung wird von dem Senat seit langer Zeit praktiziert und mußte der Antragstellerin und ihren Verfahrensbevollmächtigten aus anderen Personalvertretungssachen auch durchaus geläufig sein. Ob die Bevollmächtigten der Antragstellerin diese Mitteilung in den vorliegenden beiden Fällen zur Kenntnis genommen haben, mag dahinstehen. Jedenfalls hätten sie die Möglichkeit gehabt, und wäre die Nichtwahrnehmung dieser Möglichkeit damit von der Antragstellerin zu vertreten.

17

Nicht glaubhaft ist demgegenüber die Einlassung der Antragstellerin, sie habe die Verfügungen vom 19. Januar 1993 ohne die als Anlage angehefteten Abschriften der Verfügungen an die Beteiligten erhalten. Die Antragstellerin hat die an sie gerichteten Verfügungen im Original vorgelegt und eine andere Erklärung für die dort befindlichen Heftlöcher nicht abgegeben, so daß die Vermutung, daß diese Verfügungen die genannten Abschriften als Anlage enthalten haben, nicht widerlegt worden ist. Danach konnte die Antragstellerin am 21. Januar 1993 aus den genannten Anlagen ersehen, daß die Frist zur Begründung der Beschwerden am 28. Januar 1993 ablief. Selbst wenn die Antragstellerin aber jeweils nur die an sie selbst gerichteten Verfügungen (ohne die Anlagen) erhalten hätte, würde eine unverschuldete Unkenntnis des Beginns (und damit Ablaufs) der Beschwerdebegründungsfrist nicht vorliegen. In diesem Falle hätte es ihr oblegen, das Fehlen der Anlagen zu beanstanden, so daß sie dann im Wege deren Nachreichung ebenfalls Kenntnis vom Eingangsdatum der Beschwerdeschriften erhalten hätte.

18

Nicht glaubhaft gemacht ist ferner, daß der Angestellten der Antragstellerin, Frau E. ..., auf ihren Anruf vom 4. Januar 1993 (nach Absendung der Beschwerden am 23. Dezember 1992 und Beendigung ihres Urlaubs) gesagt worden sein soll, daß die Beschwerden erst an diesem Tage eingegangen seien.

19

Ein entsprechender Vermerk zu diesem Eingangsdatum befindet sich zwar auf den Entwürfen der Beschwerdeschriften, jedoch weder eine Unterschrift noch eine Angabe über die (angeblich weibliche) Auskunftsperson, die mithin nicht befragt werden kann. Der Geschäftsstellenbeamte des Senates jedenfalls stellt eine derartige (unrichtige) Auskunft unter Berufung auf die gespeicherten Daten in Abrede; auch sei nach dem Eingangsdatum gar nicht gefragt worden. Tatsächlich dürfte es am 4. Januar 1993 im Hinblick auf den Ablauf der Bes chwerdefrist an diesem Tage offenbar auch lediglich um die Frage gegangen sein, ob die Beschwerden (bis zu diesem Zeitpunkt) eingegangen seien. Die diesbezügliche bejahende Auskunft wäre auch zutreffend gewesen. Dagegen hätte eine Auskunft des Inhalts, daß eine am 23. Dezember 1992 (Mittwoch) in ... zur Post gebrachte Sendung erst am sechsten darauffolgenden Werktag (einschließlich Heiligabend und Silvester) eingegangen sei, auch deutlichere Verwunderung hervorrufen müssen, als sie hier sichtbar geworden ist. Darin, daß jedenfalls dies offenbar niemandem aufgefallen ist, läge überdies auch ein weiteres Verschulden des oder der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin selbst, das diese sich - anders als das einer "sonst zuverlässigen Hilfsperson" - durchaus zurechnen lassen müßte. Darauf weist der Beteiligte zu 1) zu Recht hin. Im übrigen ist aber, wie gesagt, davon auszugehen, daß die Antragstellerin am 21. Januar 1993 Kenntnis davon erhalten hat, daß ihre Beschwerden am 28. Dezember 1992 eingegangen sind. Damit wäre selbst eine falsche Auskunft korrigiert worden.

20

Angesichts dieser prozessualen Situation - Unzulässigkeit der Beschwerden - ist nicht mehr zu prüfen, ob die Personalratswahlen vom 10. März 1992 hinsichtlich der Arbeiter-Vertreter unwirksam sind (was nach dem Beschluß des Senates vom 4. November 1992 - 18 L 8493/91 - zu bejahen wäre). Vielmehr sind die Beschwerden als unzulässig zu verwerfen.

21

Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluß ist nicht gegeben (§ 85 Abs. 2 Nds. PersVG i.V.m. § 89 Abs. 3 Satz 2 ArbGG).

Dr. Dembowski,
Schiller,
Dr. Uffhausen,
G. Zöllmer,
Thiem