Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.1994, Az.: 4 L 5766/92

Kostenbeitrag; Verwaltungsakt; Kostenerstattungsanspruch; Stationäre Betreuung; Behinderte

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
26.01.1994
Aktenzeichen
4 L 5766/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 14034
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:0126.4L5766.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade 28.09.1992 - 1 A 86/91
nachfolgend
BVerwG - 07.04.1995 - AZ: BVerwG 5 B 36/94

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 1. Kammer Stade - vom 28. September 1992 teilweise geändert und wie folgt neu gefaßt.

Die Bescheide des Landkreises ... über die Heranziehung des Klägers zur Zahlung von Kostenbeiträgen für die Monate Mai 1990 bis Februar 1991 (jeweils einschließlich) sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. April 1992 werden aufgehoben, soweit darin höhere Kostenbeiträge festgesetzt worden sind, als sie sich aus der Anwendung von Nr. 5.6.2 des Runderlasses des Niedersächsischen Ministers für Soziales vom 30. November 1979 (Nds. MBl. 1980, S. 148) auf das Entgelt ergeben, das der Kläger für seine Tätigkeit in der Werkstatt für Behinderte erhalten hat.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Kläger trägt sieben Achtel, der Beklagte ein Achtel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,-- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Belastung mit Kostenbeiträgen für den Aufenthalt in den von-Bodelschwinghschen Anstalten in ....

2

Der am 16. November 1958 geborene Kläger leidet unter einem cerebralen Anfallsleiden und erhält deswegen Eingliederungshilfe. Bis zum Jahre 1977 wohnte er bei seinen Eltern in .... Am 8. März 1977. wurde er in die von-Bodelschwinghschen Anstalten in ... aufgenommen. Die Kosten trug zunächst die Krankenkasse und ab 15. September 1977 der Landschaftsverband .... Der Kläger wird seit dem 9. März 1978 - zusätzlich - im Produktionsbereich der Gemeinschaftswerkstätten teilstationär betreut und erzielt dort Arbeitseinkommen. In der Zeit vom 13. Juni bis zum 22. November 1979 wurde er wegen eines Beinbruchs im Krankenhaus behandelt.

3

Auf den Kostenerstattungsanspruch des Landschaftsverbandes ... vom 3. Mai 1984 gab der Funktionsvorgänger des Beklagten, das Landessozialamt Niedersachsen, gegenüber dem herangezogenen Landkreis Stade am 5. September 1984 ein Kostengrundanerkenntnis für die stationäre Betreuung des Klägers und am 20. Oktober 1986 ein Kostengrundanerkenntnis für die teilstationäre Betreuung in den Gemeinschaftswerkstätten ab, und zwar jeweils rückwirkend ab 1. Januar 1984. Der Landkreis Stade gewährte dem Kläger daraufhin durch Bescheid vom 24. April 1985 für die stationäre Betreuung und durch Bescheid vom 11. November 1986 für die teilstationäre Betreuung Eingliederungshilfe, und zwar jeweils rückwirkend ab 1. Januar 1984 für die Dauer von zwei Jahren. In der Folgezeit ergingen jeweils Bescheide über die Weitergewährung der Hilfe für zwei Jahre.

4

Seit Beginn seiner Arbeitstätigkeit in den Gemeinschaftswerkstätten Bethel wurden vom Arbeitseinkommen des Klägers Kostenbeiträge abgezogen. Deren Höhe bestimmte sich nach den Richtlinien des Landschaftsverbandes ... zur Gewährung von Zuwendungen an Behinderte, die in stationären Einrichtungen für Behinderte beschäftigt werden. Nach diesen wird dem Behinderten zunächst ein Achtel des für den Anstaltsort maßgeblichen Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes belassen, vom verbleibenden Arbeitseinkommen werden weitere 25 v. H. freigelassen. Bis zum 31. Juli 1987 wurden die auf dieser Grundlage ermittelten Beträge von den von-Bodelschwinghschen Anstalten einbehalten und in Vierteljahresbeträgen an den Landschaftsverband ... und ab November 1984 an den Landkreis ... überwiesen. Ab dem 1. August 1987 wurden die entsprechenden Beträge von den Kosten abgesetzt, die die von-Bodelschwinghschen Anstalten dem Beklagten/dem Landkreis ... für die (teil-)stationäre Betreuung des Klägers in Rechnung stellten.

5

Mit Schreiben vom 8. Mai 1990, das am 19. Mai 1990 bei dem Landkreis ... einging, widersprach der Kläger dem "monatlich erlassenen Kostenbescheid und den damit verbundenen Heimkostenbeiträgen". Sie stünden nicht mehr in angemessenem Verhältnis zur Höhe seines Einkommens. Die hierfür maßgeblichen Rechtsgrundlagen würden in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Dadurch komme es zu einer rechtswidrigen Ungleichbehandlung behinderter Menschen. Der ihm abverlangte Kostenbeitrag sei auf eine angemessene Höhe zu reduzieren.

6

Auf Anweisung des Beklagten verpflichtete der Landkreis ... den Kläger daraufhin durch Bescheid vom 26. Februar 1991, ab dem 1. März 1991 eine Eigenleistung von vorläufig 190,-- DM je Monat zu erbringen. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch ist bislang - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden.

7

Durch Widerspruchsbescheid vom 17. April 1991 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers vom 8. Mai 1990 mit folgender Begründung zurück: Der abgeführte Kostenbeitrag sei nicht unangemessen hoch. Der Kläger habe nicht vorgetragen, daß ihm von seinem Arbeitseinkommen nur ein so geringer Betrag verbleibe, daß ein Anreiz zur weiteren Arbeit nicht mehr bestehe. Die Höhe des geforderten Kostenbeitrages orientiere sich an der Kostenstaffel des Landschaftsverbandes ... und nicht nach den in Niedersachsen geltenden Richtlinien, damit alle in dieser Einrichtung betreuten Behinderten gleich hohe Kostenbeiträge leisteten.

8

Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger ergänzend im wesentlichen geltend gemacht: Angesichts der geringen Höhe seines Arbeitseinkommens sei seine Heranziehung zu einem Kostenbeitrag grundsätzlich, aber auch deshalb unzumutbar, weil ihm durch den beabsichtigten Umzug in eine eigene Wohnung, für Urlaubsreisen und die behindertengerechte Einrichtung seines derzeit bewohnten Raumes Aufwendungen entstünden. Es verstoße gegen den Gleichheitssatz, zur Bemessung des Kostenbetrages die Richtlinien anderer Sozialhilfeträger nur deshalb anzuwenden, weil er in deren Zuständigkeitsbereich untergebracht sei, und stationär untergebrachten Behinderten einen deutlich höheren Kostenbeitrag abzuverlangen als denjenigen, die zwar außerhalb der Einrichtung lebten, dort jedoch einer Beschäftigung nachgingen.

9

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

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den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. April 1991 aufzuheben.

11

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit der angegriffenen Entscheidung stattgegeben. Darin hat es im wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei in entsprechender Anwendung von § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO als Anfechtungsklage zulässig, obwohl ein Ausgangs-Verwaltungsakt nicht existiere. Der Kläger sei durch den Widerspruchsbescheid indes beschwert, weil er das weitere Verhalten des Klägers praktisch vorherbestimme. Die Klage sei auch begründet. Denn der Widerspruchsbescheid decke den früher praktizierten "Quellenabzug", obwohl dieser rechtswidrig, weil im Gesetz nicht vorgesehen, sei.

12

Zur Begründung seiner Berufung führt der Beklagte aus:

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Verwaltungsakte könnten auch mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Das sei hier dadurch geschehen, daß die Kostenbeiträge in monatlich bestimmter Höhe vom Arbeitseinkommen des Klägers einbehalten worden seien. Die hierbei festgesetzten Beträge seien aus den im angefochtenen Widerspruchsbescheid angegebenen Gründen nicht zu beanstanden.

14

Der Beklagte beantragt,

15

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade vom 28. September 1992 zu ändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Er verteidigt die angegriffene Entscheidung und wiederholt seine Auffassung, daß der geforderte Kostenbeitrag zu hoch sei; er dürfe 15 v. H. des Arbeitsentgeltes nicht übersteigen.

19

Wegen der Einzelheiten von Vortrag und Sachverhalt wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

20

Die Berufung ist zum größten Teil begründet. Die Belastung des Klägers mit Kostenbeiträgen unterliegt in zeitlichen Grenzen der sachlichen Nachprüfung. Diese ergibt, daß vom Kläger (etwas) zu hohe Kostenbeiträge gefordert worden sind.

21

Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sind vom Kläger die streitigen Kostenbeiträge in Gestalt von Verwaltungsakten verlangt worden, die im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X in anderer Weise erlassen worden sind. Erforderlich hierzu ist, daß eine einseitige verbindliche hoheitliche Einzelfallregelung mit Wissen und Wollen der dies veranlassenden Behörde dem Betreffenden zur Kenntnis gebracht wird (vgl. Kopp, VwVfG, 5. Aufl., § 37 Rdnr. 17). Tatsächliche Handlungen der Behörde - wie etwa die Auszahlung von Geld oder (wie hier) das Gegenteil, nämlich dessen Einzug - können danach Verwaltungsakte sein, wenn eine Würdigung der den Einzelfall kennzeichnenden Umstände ergibt, daß die Behörde damit verbindliche Entscheidungen mit unmittelbarer Auswirkung hat treffen wollen (vgl. Jakobs, NVwZ 1984, 28, 29) [OVG Saarland 08.12.1982 - 3 W 2078/82] und der Betreffende nicht nur diese Absicht, insbesondere den Inhalt der Regelungen, sondern auch hat erkennen können, welche Behörde ihm gegenüber handelt.

22

In Anwendung dieser Grundsätze liegen in anderer Weise erlassene Verwaltungsakte über die Kostenbeiträge vor. Der Kläger hat im Erörterungstermin vom 4. Oktober 1993 eingeräumt, erkannt zu haben, daß ihm nicht der volle im Werkstattvertrag vereinbarte Lohn ausgezahlt und die Differenz offenbar in Erfüllung einer gegenüber einer Behörde obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflicht abgeführt worden sei. Die Tatsachen, daß er den "Hinter"-Grund dieser Verfahrensweise den Mitgliedern der Delegation, die die von-Bodelschwinghschen-Anstalten Anfang 1990 besuchte und durch ihre Äußerungen im Kläger den Entschluß zur Einleitung des Widerspruchsverfahrens hervorriefen, hatte schildern können und daß er das Widerspruchsschreiben vom 8. Mai 1990 direkt an den Landkreis ... richtete, zeigen, daß er nicht nur über den Inhalt der Regelung, die im Lohnabzug lag (in der Sprache des Widerspruchsschreibens vom 8. Mai 1990: monatlich erlassene Kostenbescheide und damit verbundene Heimkostenbeiträge), sondern auch über die dies veranlassende Behörde in einer zur Anwendung des § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X hinreichende Kenntnis besaß.

23

Dementsprechend hat der Kläger auch in der Klageschrift die Existenz von Bescheiden des Landkreises ... nicht bestritten, sondern beantragt, "den Bescheid des Landkreises ... über die Festsetzung des Kostenbeitrages gemäß § 43 Abs. 1 BSHG - Az. ....." aufzuheben. Nehmen jedoch beide Beteiligten eines Verwaltungsverfahrens vor diesem Hintergrund übereinstimmend an, es existiere ein bestimmter Verwaltungsakt, darf das Verwaltungsgericht dessen Existenz im Klageverfahren nicht mehr aufgrund vermeintlich objektiver Umstände leugnen (vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1990, 2270, 2271).

24

Selbst wenn danach noch eine die Anwendung des § 33 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz SGB X ausschließende Zweifel am Verwaltungsaktcharakter des "Lohnabzugs" bestanden haben sollten, wären diese durch den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. April 1991 in einer zur Annahme von Verwaltungsakten nötigenden Weise beseitigt worden (vgl. BVerwG NVwZ 1988, 51, 52) [BVerwG 26.06.1987 - 8 C 21/86]. Denn darin war der Widerspruch des Klägers gegen die Heranziehung zum Kostenbeitrag durch den Landkreis Stade ohne weitere Erörterung als zulässig, diese also als durch Verwaltungsakt erfolgt angesehen worden. Die Tatsache, daß ein Bediensteter des Beklagten - wie das Verwaltungsgericht zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung hervorhebt - in einem verwaltungsinternen Vermerk vom 29. November 1990 in Frageform seine Verwunderung über den vermeintlich fehlenden Bescheid notiert hat, ändert am Inhalt der im Widerspruchsbescheid enthaltenen Erklärung nichts.

25

Diese Erkenntnis führt indes nicht dazu, daß der Berufung mit dem Argument vollen Umfangs stattzugeben wäre, der Kläger greife die seiner Inanspruchnahme zugrunde liegenden Verwaltungsakte ausweislich des Wortlauts seines unveränderten Antrages nicht (mehr) an. In dem Antrag auf isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides drückt sich vielmehr nur aus, daß der Kläger in erster Linie die Rechtsauffassung verfolgt, es fehle an Verwaltungsakten, die der Bestandskraft fähig seien und daher seinem mit der Klage zumindest vorbereiteten Anliegen, alle an den Beklagten/den Landkreis Stade je abgeführten Kostenbeiträge zurückzuerhalten, entgegengehalten werden könnten. Durch seinen ergänzenden Vortrag, die Belastung mit Kostenbeiträgen sei auch der Sache nach - unter anderem wegen Überhöhung und Gleichheitssatzverstoßes - zu beanstanden, hat der Kläger vielmehr zu erkennen gegeben, für den Fall, daß entgegen seiner Rechtsauffassung doch Verwaltungsakte existierten, greife er diese mit dem Ziel der Aufhebung (hilfsweise) an.

26

Eine inhaltliche Überprüfung aller seit dem Jahre 1984 auf andere Weise erlassenen Kostenbeitragsbescheide kann der Kläger indes nicht verlangen. Das kann er insbesondere nicht daraus herleiten, daß der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 17. April 1991 seinen Widerspruch ohne jede weitere Erörterung insgesamt als zulässig angesehen hat. Das führte nach dem Grundsatz, daß die Widerspruchsbehörde als Herrin des Verfahrens auch über verfristete Widersprüche zur Sache entscheiden und so die gerichtliche Überprüfbarkeit geltend gemachter Ansprüche für an sich schon bestandskräftig geregelte Zeiträume wieder eröffnen kann, nur dann zur Überprüfung aller seit 1984 auf andere Weise erlassener Kostenbeitragsbescheide, wenn der Kläger mit Schreiben vom 8. Mai 1990 auch für die Vergangenheit Widerspruch eingelegt hätte. Dies ist indes nicht der Fall. Der Wortlaut dieses Schreibens enthält ausreichende Anhaltspunkte für eine solche Annahme nicht. Dieser läßt vielmehr nur den Schluß zu, der Kläger habe lediglich für die Zukunft die Höhe der Kostenbeitragslast überprüft und auf das von ihm gewünschte, betragsmäßig nicht näher fixierte angemessene Maß reduziert sehen wollen. Das ergibt sich u. a. daraus, daß die in der Vergangenheit geleisteten Kostenbeiträge nicht angesprochen werden und ganz unabhängig davon, ob und wie dies für die Vergangenheit durch schriftliche Bescheide bereits geregelt worden ist, "auch im Namen vieler Kolleginnen" die Überprüfung gefordert wird.

27

Die Richtigkeit der hieraus abzuleitenden Deutung, es sei dem Kläger nur um die künftige Gestaltung des Kostenbeitrages gegangen, ergibt sich auch aus den Angaben, die der Kläger im Erörterungstermin vom 4. Oktober 1993 gemacht hat. Danach war der Besuch der erwähnten Delegation Anlaß und Anstoß, die als bevormundend empfundene Abführung von Kostenbeiträgen einmal grundsätzlich prüfen zu lassen. Das kann in Ermangelung einer in die Vergangenheit reichenden Komponente nur den Entschluß bedeuten, es ausschließlich für die Zukunft nun "wissen zu wollen", nicht aber auch, sämtliche an den Beklagten abgeführten Beiträge auf den Prüfstand stellen (lassen) zu wollen.

28

Das hat zur Folge, daß der der sachlichen Überprüfung unterliegende Zeitraum mit dem 1. Mai 1990 beginnt. Er endet mit dem 23. Februar 1991. Denn der Landkreis ... hat die Kostenbeitragspflicht des Klägers durch Bescheid vom 26. Februar 1991 für die Zeit ab dem 1. März 1991 geregelt. Dieser Bescheid ist nicht Gegenstand des Klageverfahrens.

29

Das weitergehende Begehr des Klägers, alle vom Beklagten für die Zeit vor dem 1. Mai 1990 erlassenen Kostenbeitragsbescheide (teilweise) aufzuheben und zu Unrecht erhobene Beiträge zu erstatten, ist daher unzulässig, die Berufung des Beklagten dementsprechend insoweit schon aus formellen Gründen begründet.

30

Soweit die Kostenbeitragsbescheide danach zur Sache zu überprüfen sind, ist die Berufung des Beklagten nur zum Teil begründet. Der Landkreis ... war zwar für deren Erlaß zuständig. Auch ist die Festsetzung von Kostenbeiträgen nicht dem Grunde nach, wohl aber der Höhe nach zu beanstanden. Im einzelnen ist auszuführen:

31

Der Landkreis ... war zum (auf andere Weise erfolgten) Erlaß der Kostenbeitragsbescheide nicht schon aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zuständig. Kostenbeiträge nach § 43 Abs. 1 BSHG darf nur der Träger der Sozialhilfe fordern, der nicht nur rein tatsächlich Zahlungen (an den Träger der Einrichtung, in der sich der Behinderte befindet) erbringt, sondern der im Rechtssinne Hilfe gewährt. Denn der Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Kostenbeiträge stellt den Ausgleich dafür dar, daß er trotz teilweise gegebener Leistungsfähigkeit des Bedürftigen erweiterte Eingliederungshilfe zu leisten hat. Er steht daher nur dem Träger der Sozialhilfe zu, der auch im Rechtssinne leistet, nicht dem, der nur aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung unmittelbar an dem Träger der Einrichtung zahlt, im Rechtssinne aber nur erstattungspflichtig ist.

32

Im Rechtssinne leistender Sozialhilfeträger wäre der Beklagte von Gesetzes wegen nur dann gewesen, wenn er entweder für die Eingliederungshilfe einst örtlich zuständig gewesen wäre und wegen § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG a. F. seine Zuständigkeit nicht verloren oder wenn er die Hilfegewährung gemäß § 110 Abs. 1 BSHG übernommen hätte. Beides ist nicht der Fall. Der Kläger wurde am 8. März 1977 nicht mit Zustimmung oder auf Veranlassung des Beklagten in die von-Bodelschwinghschen-Anstalten aufgenommen. Die Kostengrundanerkenntnisse vom 5. September 1984 und 20. Oktober 1986 wurden zu lange Zeit nach der Aufnahme in diese Anstalten abgegeben, als daß sie noch als - nachträgliche - Zustimmung im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG a. F. gedeutet werden könnten (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 14. Aufl., § 97 Rdnr. 31).

33

Mit den Kostengrundanerkenntnissen hat der Beklagte auch nicht eine Erklärung im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 2 BSHG a. F. abgegeben. Denn er hat darin nicht - wie gemäß § 110 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BSHG a. F. erforderlich - erklärt, dem Kläger die Hilfe "in seinem Bereich" gewähren zu wollen. Der Auffassung, dieses Tatbestandsmerkmal sei auch erfüllt, wenn der Hilfesuchende im Bereich des schon bislang leistenden Sozialhilfeträgers bleibe (so z.B. LPK-BSHG, 3. Aufl., § 110 Rdnr. 2; Gottschick/Giese, BSHG, 9. Auf., § 110 Rdnr. 3) ist nicht zu folgen. Denn hierdurch würde dieses Tatbestandsmerkmal seines Inhalts völlig entleert und ein gewillkürter Zuständigkeitswechsel ohne jede inhaltliche Begrenzung eingeführt. Es ist indes gerade Sinn des § 110 Abs. 1 BSHG a. F., das Prinzip ortsnaher Hilfe durchzusetzen. Das würde verfehlt, würde dem Hilfesuchenden ein neuer Sozialhilfeträger offeriert, zu dem die räumliche Nähe fehlt. Im übrigen zeigt auch § 110 Abs. 2 BSHG a. F., daß ein Fall des Abs. 1 nur vorliegen kann, wenn von dem Hilfesuchenden ein Ortswechsel verlangt wird (vgl. Knopp/Fichtner, BSHG, 7. Aufl., § 110 Rdnr. 6, wohl anders noch die Kommentierung in der 5. Aufl.; Mergler/Zink, BSHG, Komm., § 110 Rdnr. 8).

34

Gleichwohl ist der Beklagte im Verhältnis beider Beteiligten als im Rechtssinne leistender Sozialhilfeträger anzusehen. Denn der Landkreis Stade hat im Bescheid vom 24. April 1985 und im Bescheid vom 11. November 1986 ausgeführt, der überörtliche Träger der Sozialhilfe des Landes Niedersachsen übernehme jeweils rückwirkend ab 1. Januar 1984 für zwei Jahre die Kosten für die stationäre Betreuung des Klägers in der Betheler Anstalt sowie für die teilstationäre Betreuung in den Gemeinschaftswerkstätten und leiste die Sozialhilfe. Damit (sowie mit den nachfolgenden, den hier interessierenden Zeitraum erfassenden Verlängerungsbescheiden vom 30. Januar 1990) ist im Verhältnis beider Beteiligten bestandskräftig geregelt, daß der Beklagte gegenüber dem Kläger als leistender Sozialhilfeträger auftritt. Im Verhältnis beider Beteiligten sind die Zahlungen an die von-Bodelschwinghschen-Anstalten daher nicht nur Ausdruck des Bemühens, aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung eine Abrechnung über den an sich leistungspflichtigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe des Landes Nordrhein-Westfalen (des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe) zu vermeiden. Vielmehr stellen sie Leistungen im Rechtssinne des Beklagten an den Kläger dar. Der Beklagte ist deshalb auch für die Kehrseite dieser erweiterten Hilfe, nämlich zur Erhebung der Kostenbeiträge, zuständig.

35

Dem Grunde nach ist die Erhebung eines Kostenbeitrages nicht zu beanstanden. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 BSHG haben die in § 28 genannten Personen, zu denen auch der Kläger als Hilfesuchender zählt, zu den Kosten der Hilfe nach § 43 Abs. 1 Satz 1 BSHG beizutragen, die auch dann in vollem Umfang geleistet wird, wenn den in § 28 aufgeführten Personen die Aufbringung der Mittel zu einem Teil zuzumuten ist. Der Umfang der Heranziehung bestimmt sich nach den §§ 84, 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG. Die letztgenannte Bestimmung ist anzuwenden, weil der Kläger - was hier zu Recht außer Streit steht - auf voraussichtlich längere Zeit (d.h. länger als ein Jahr) der Pflege in einer Anstalt bedurfte und bedarf. Deshalb soll von ihm, auch soweit das Einkommen unter der Einkommensgrenze liegt, in angemessenem Umfang die Aufbringung der Mittel verlangt werden. Bei der Bestimmung dessen, was - noch - als "angemessen" anzusehen ist, sind zwei Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Dem Hilfeempfänger muß - erstens - vom Arbeitsentgelt noch so viel verbleiben, daß ein wirtschaftlicher Anreiz besteht, am Erfolg der Maßnahme (Tätigkeit im Werkstattbereich für Behinderte) weiterhin mitzuarbeiten. Zweitens soll dem Hilfeempfänger ein Geldbetrag verbleiben, der ihm zum selbständigen Wirtschaften zur Verfügung steht; denn vornehmstes Ziel der Hilfe ist es gerade, die Eingliederung des Hilfeempfängers in die Gesellschaft zu erreichen.

36

Mehr als die Erreichung dieser beiden Ziele kann der Kläger nicht beanspruchen. Ohne Erfolg macht er daher geltend, es müsse ihm außerdem gestattet sein, für die Aufwendungen anzusparen, die ihm durch den künftigen Bezug und die Ausstattung einer eigenen Wohnung sowie bei der Durchführung von Urlaubsreisen entstehen werden. Sofern hierfür sozialhilferechtlich anerkennenswerter Bedarf besteht/bestehen wird und der Kläger bedürftig ist/sein wird, erhält er dafür einmalige Leistungen.

37

Der Kläger kann auch nicht darauf verweisen, der Einrichtungsträger habe von ihm Beträge verlangt, um damit die behindertengerechte Ausstattung seines Zimmers in den von-Bodelschwinghschen-Anstalten (wie z.B. Anbringung einer Heizungsverkleidung, um im Falle eines Anfalles Sturzverletzungen zu vermeiden) zu finanzieren. Das sind nicht Aufwendungen, für die der Kläger herangezogen werden darf, sondern solche, die der Einrichtungsträger aus den Pflegesatzleistungen zu bestreiten hat. Wenn der Kläger hierzu aus eigenen Mitteln Beträge beisteuerte, kann dies die Höhe des Kostenbeitrages nicht mindern.

38

Den geschilderten Anforderungen wird die Regelung der Nr. 5.6.2 des Runderlasses des Niedersächsischen Ministers des Sozialen vom 30. November 1979 (Nds. MBl. 1980, S. 148) gerecht. Zusammen mit dem Bar- und dem Zusatzbarbetrag behält der Hilfeempfänger eine Summe, die einerseits nicht angesichts der Pflicht, zu den Betreuungskosten beizutragen, unverhältnismäßig hoch, andererseits nicht so niedrig ist, daß der Anreiz, am Therapieerfolg mitzuwirken, und die Möglichkeit zum selbständigen Wirtschaften entfallen; letzteres wird entgegen der nicht näher bezeichneten Annahme des Klägers nicht erst dann erreicht, wenn ihm 85 v. H. des Arbeitsentgelts belassen wird. Im übrigen wird selbst dieser Rahmen - wie die nachfolgende Beispielsrechnung zeigt - auch in etwa erreicht, wenn man zu dem nach den niedersächsischen Richtlinien verbleibenden Lohnanteil den Bar- und den Zusatzbarbetrag addiert.

39

Der Senat hat nicht Anlaß - und sieht auch eine rechtliche Grundlage hierfür nicht -, im Falle des Klägers die in Nordrhein-Westfalen übliche Handhabung anzuwenden. Bei § 43 Abs. 1 Satz 2 BSHG handelt es sich um zwingendes Bundesrecht. Dieses wendet der Senat, solange es an einer bundeseinheitlichen Regelung und Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Höhe des Kostenbeitrages (des Freibetrages vom Arbeitseinkommen) fehlt in der Auslegung an, die er - im übrigen in ständiger Rechtsprechung - für richtig hält. Das vom Beklagten in den Vordergrund gestellte Gleichheitsargument hilft zwar zu vermeiden, daß Behinderte, die in der Werkstatt für Behinderte in Bethel tätig sind, trotz gleicher Betreuung und gleichen Arbeitslohnes nur deshalb unterschiedlich hohe Kostenbeiträge zu leisten haben, weil sie aus verschiedenen Bundesländern kommen. Das Gesetz enthält indes eine positiv-rechtliche Stütze nicht, diesem Gesichtspunkt dadurch zum Erfolg verhelfen, daß der am Anstaltsort übliche Verwaltungsgebrauch maßgeblich zu sein hat (§ 111 Abs. 1 Satz 2 BSHG bestimmt nur für den hier gerade nicht gegebenen Fall der Kostenerstattung zwischen Sozialhilfeträgern etwas anderes).

40

Die zitierte Regelung des Runderlasses vom 30. November 1979 stellt den Kläger etwas günstiger als die für das Land Nordrhein-Westfalen geltenden Richtlinien. Das ergibt beispielhaft eine Berechnung für den Monat Juli 1990, in dem der Kläger ein Arbeitseinkommen von etwa 333,-- DM erzielt hat. Nach der für das Land Nordrhein-Westfalen geltenden Staffel hätte er einen Kostenbeitrag von 191,06 DM zu leisten gehabt. Nach der zitierten Regelung vom 30. November 1979 darf der Kläger demgegenüber von seinem Arbeitslohn (100,-- + 44,33 =) 144,33 DM behalten; der Kostenbeitrag darf also 188,67 DM nicht übersteigen.

41

Ein Verstoß gegen § 72 Abs. 3 Halbs. 1 BSHG liegt in der Forderung eines solchen Kostenbeitrages nicht. Denn neben dieser Bestimmung beansprucht - wie dargelegt - § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG Geltung. Es liegt auf der Hand, daß die ermittelten 188,67 DM nicht einmal annähernd das erreichen, geschweige denn übersteigen, was der Kläger durch die Unterbringung in den Bethelschen Anstalten für den häuslichen Lebensunterhalt erspart hat. Schon die Regelung des § 85 Nr. 3 Satz 1 BSHG widerlegt zugleich den Einwand des Klägers, ihm verbleibe gleichheitssatzwidrig weniger als demjenigen Behinderten, der außerhalb der Einrichtung untergebracht sei und dem ein erheblich höherer Betrag belassen werde. Die zitierte Bestimmung zeigt vielmehr, daß beide Gruppen von Behinderten aus sachlichen Gründen und daher nicht unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG unterschiedlich behandelt werden; denn die Aufwendungen desjenigen, der außerhalb der Einrichtung lebt, sind nun einmal deutlich höher als bei dem, der - wie der Kläger - innerhalb der Einrichtung lebt und all das erhält, was der außerhalb davon lebende Behinderte sich selbst erst beschaffen muß.

42

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 letzte Alternative, 188 Satz 2, 167 Abs. 2 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

43

Gründe, die Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.

44

Klay

45

RiOVG Zeisler hat Urlaub und ist deshalb verhindert zu unterschreiben Klay

46

Claus