Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.01.1994, Az.: 13 L 942/93

Vertriebenenausweis; Ausstellung; Wehrmacht; Asylantrag; Polen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.01.1994
Aktenzeichen
13 L 942/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 13992
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:0119.13L942.93.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 21.03.1995 - AZ: BVerwG 9 C 47.94

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 28. Dezember 1990 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 22. November 1990 werden aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einen Vertriebenenausweis zu erteilen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Der Kläger erstrebt die Ausstellung eines Vertriebenenausweises.

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Er wurde am 1. Mai 1947 in Waldenburg/Schlesien geboren. Seine Eltern sind der 1917 in Duisburg-Hamborn geborene ... und die 1926 im Kreise Bromberg geborene ... geb. ... Beide heirateten 1946 in der Gegend von Breslau; die Ehe wurde 1954 geschieden. Großeltern väterlicherseits waren der 1870 in Lukowo geborene ... und seine 1876 geborene Frau ..., geb. ....

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Der Großvater Konstantin zog als junger Mann ins Ruhrgebiet und arbeitete dort lange Jahre als Walzwerkarbeiter. Er wohnte in Hamborn. Dort wurde 1917 auch sein Sohn..., der Vater des Klägers, geboren. Dieser Vater besuchte von 1923 bis 1926 die Grundschule in Hamborn. Im Jahre 1926 zog er mit seinen Eltern nach Bromberg. Er arbeitete bis 1943 bei der ... in Stettin. Am 28. Juli 1943 wurde er zur Wehrmacht einberufen und kämpfte seit 1944 an der Westfront, wo er in Holland als Oberkanonier in englische Gefangenschaft geriet, aus der er 1946 nach Bromberg zurückkehrte. Bei der Ehescheidung 1954 wurde das Sorgerecht für den Kläger dessen Mutter übertragen, bei welcher dieser in Breslau wohnte.

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Der Kläger reiste am 13. August 1989 in die Bundesrepublik ein und stellte am 29. August 1989 einen Asylantrag, zu dessen Begründung er im wesentlichen vortrug, er sei ausgereist, um hier seine deutsche Abstammung nachzuweisen. Dieser Antrag wurde rechtskräftig abgelehnt, der Kläger danach nach Polen abgeschoben. Noch vor der Anhörung im Asylverfahren beantragte der Kläger am 12. März 1990 einen Vertriebenenausweis und berief sich dazu auf das deutsche Volkstum seiner Eltern und die Eintragung der Großeltern mütterlicherseits in die Abt. III der Deutschen Volksliste; seine Muttersprache ebenso wie die Umgangssprache innerhalb und außerhalb der Familie gab er mit "polnisch" an.

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Mit Bescheid vom 28. Dezember 1990 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, daß der Vater des Klägers nicht deutscher Volkszugehöriger sei. Dafür sprächen zwar seine Wehrmachtszugehörigkeit und sein Lebenslauf; dagegen spreche jedoch, daß er mit seinen Eltern 1926 in die neu gegründete Republik Polen gezogen sei. Seine Eltern hätten sich dadurch möglicherweise gegen die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden. Gegen eine Übermittlung eines Bekenntnisses zum deutschen Volkstum durch den Vater an den Kläger spreche im übrigen, daß der Kläger nach der Scheidung seiner Eltern im Jahre 1954 bei der Mutter gelebt habe. Zwar lägen auch bei der Mutter Anzeichen vor, die für ihre deutsche Volkszugehörigkeit sprächen. Der Kläger habe jedoch ausdrücklich immer auf die deutsche Volkszugehörigkeit des Vaters Bezug genommen, und es bestünde nicht der Eindruck, daß er im Bewußtsein, deutscher Volkszugehöriger zu sein, aufgewachsen und erzogen worden sei. Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Weser-Ems mit Bescheid vom 22. November 1991 zurück. Dabei führte sie ergänzend aus, daß der Kläger die deutsche Sprache, die für eine Entstehung eines volksdeutschen Bewußtseins von entscheidener Bedeutung sei, nicht beherrsche und zudem Polen aus vertreibungsfremden Gründen verlassen habe.

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Der Kläger hat am 19. Dezember 1991 Klage erhoben und beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 28. Dezember 1990 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 22. November 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger einen Vertriebenenausweis zu erteilen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und ist ihr entgegengetreten.

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Mit Urteil vom 16. Dezember 1992 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, im wesentlichen aus folgenden Gründen:

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Da der Kläger seinen Wohnsitz nicht im Zusammenhang mit den Ereignissen des 2. Weltkrieges infolge Vertreibung, insbesondere durch Ausweisung oder Flucht verloren habe (§ 1 Abs. 1 BVFG), komme als Anspruchsgrundlage allein § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG in Betracht. Nach dieser Vorschrift sei Vertriebener (auch), wer als deutscher Staatsangehöriger oder deutscher Volkszugehöriger nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen vor dem 1. Juli 1990 oder danach im Wege der Aufnahme die zur Zeit unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebiete, ...Polen...verlassen habe oder verlasse, es sei denn, daß er, ohne aus diesen Gebieten vertrieben und bis zum 31. März 1952 dorthin zurückgekehrt zu sein, nach dem 8. Mai 1945 einen Wohnsitz in diesen Gebieten begründet habe (Aussiedler). Der Kläger sei nicht deutscher Staatsangehöriger. Zwar habe sein Vater durch seine Geburt 1917 in Duisburg-Hamborn die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten; denn es gebe keine Anhaltspunkte dafür, daß er dort nicht als Deutscher geboren worden sei; es spreche jedoch nichts dafür, daß er diese auch behalten habe, als er mit seinen Eltern 1926 in die Republik Polen gezogen sei.

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Denn eine Doppelstaatsangehörigkeit sei nach polnischem Recht nicht möglich gewesen. Personen, die auf eine andere Staatsangehörigkeit nicht verzichtet hätten oder denen die polnische Staatsangehörigkeit nicht zuerkannt worden sei, hätten - von besonderen Ausnahmen abgesehen - im polnischen Staatsgebiet keinen ständigen Wohnsitz begründen können. Anhaltspunkte dafür, daß der Vater des Klägers die deutsche Staatsangehörigkeit später wiedererlangt habe, bestünden nicht. Allein die Tatsache, daß er Wehrmachtszugehöriger war, reiche nicht aus, da es in der Wehrmacht auch fremdländische Formationen gegeben habe.

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Der Kläger habe seine Heimat auch nicht als deutscher Volkszugehöriger verlassen. Ein Spätgeborener könne nur unter zwei Voraussetzungen deutscher Volkszugehöriger sein: Die Eltern oder zumindest ein Elternteil müßten deutsche Volkszugehörige im Rechtssinne sein. Sie müßten also vor den allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ein bis zu deren Beginn fortwirkendes, durch eines der in § 6 BVFG aufgeführten Merkmale bestätigtes Bekenntnis zum deutschen Volkstum abgelegt haben, das in dem von einem entsprechenden Bewußtsein getragenen, nach außen hin verbindlich geäußerten Willen bestehe, selbst Angehöriger des deutschen Volkes als einer national geprägten Kulturgemeinschaft zu sein und keinem anderen Volkstum anzugehören, sich dieser Gemeinschaft also vor jeder anderen Kultur verbunden zu fühlen. Weiterhin müsse die hieraus bei ihnen resultierende Bekenntnislage, nämlich das Bewußtsein, dem deutschen Volke in dem bezeichneten Sinne anzugehören, dem Spätgeborenen bis zum Eintritt seiner Selbständigkeit prägend im Sinne eines durch Weitergabe hergestellten Bekenntniszusammenhangs vermittelt worden sein. Es spreche zwar einiges dafür, daß die den Kläger erziehende Mutter Volksdeutsche sei. Dies sei vom Beklagten bisher nicht geprüft worden, obwohl nicht der Vater, sondern die Mutter den Kläger erzogen habe und es daher nur auf ihre Volkszugehörigkeit ankomme. Sie habe in Bromberg fünf Jahre die deutsche Schule besucht und sei danach in einer deutschen Fabrik tätig gewesen. Während des Krieges habe sie als Haushilfe bei einer deutschen Familie gearbeitet. Später sei sie in einem deutschen Krankenhaus tätig gewesen. Schließlich seien ihre beiden Brüder Angehörige der Deutschen Wehrmacht gewesen. Es gebe somit Anhaltspunkte dafür, daß die Mutter des Klägers eine deutsche Prägung erfahren habe. Aber selbst dann fehle es an dem notwendigen Bekenntniszusammenhang. Denn es beständen keinerlei Hinweise darauf, daß der Kläger in die subjektive Bekenntnislage seiner (volksdeutschen) Mutter hineingewachsen sei und sich mit deren Volksbewußtsein identifiziert habe. Es ergebe sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Vortrag des Klägers, daß es ein sich aus einer bestimmten Situation ergebendes aktives Einwirken der Mutter auf den Kläger gegeben habe, das bei ihm hinsichtlich seines Volkstums zu einem entscheidenden bis zur Selbständigkeit fortwirkenden Schlüsselerlebnis geführt haben könnte. Da es somit an jeglichen Hinweisen auf eine Prägung im Sinne deutschen Volkstums fehle, komme es darauf an, ob in seiner Person Indizien, namentlich Merkmale im Sinne des § 6 BVFG vorlägen, die mittelbar hinreichend für eine Überlieferung der bei dem volksdeutschen Elternteil vorhandenen Bekenntnislage sprächen. Eine fehlende oder mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache sei regelmäßig ein Umstand, der der Annahme einer Überlieferung volksdeutschen Bewußtseins entgegenstehe. Der Kläger habe bei seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland die deutsche Sprache nicht beherrscht. In seinem Antrag habe er selbst erklärt, daß seine Muttersprache ebenso wie seine Umgangssprache inner- und außerhalb der Familie polnisch sei. Bei seiner Anhörung bei dem Beklagten sei ausdrücklich vermerkt, daß der Kläger die deutsche Sprache nicht beherrsche, obwohl er bereits mehr als ein halbes Jahr in der Bundesrepublik Deutschland lebe. Seine Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 30. August 1990 sei in polnischer Sprache geführt worden. Unter diesen Umständen komme der fehlenden bzw. nur unzureichenden Vermittlung der deutschen Sprache im Elternhaus des Klägers Indizwirkung gegen eine deutsche Volkszugehörigkeit zu. Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht daraus, daß die Familie des Klägers nach seinen Angaben einen niedrigen Bildungsstand habe. Denn auch in diesem Fall sei zu verlangen, daß der Spätgeborene Deutsch lediglich in einfacher Form oder in Form eines Dialekts beherrsche. Der. Kläger habe jedoch bei seiner Einreise Deutsch nicht einmal in einer einfachen Form gesprochen, so daß es bei der Indizwirkung gegen eine deutsche Volkszugehörigkeit bleibe.

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Gegen das ihm am 29. Januar 1993 zugestellte Urteil richtet sich die am 23. Februar 1993 eingelegte Berufung des Kläger, mit der er sein erstinstanzliches Vorbringen vertieft.

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Der Kläger beantragt,

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das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem erstinstanzlichen Antrag zu entscheiden.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Verwaltungsvorgänge, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

22

Die zulässige Berufung ist begründet.

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Der Kläger hat Polen zwar nicht als deutscher Staatsangehöriger verlassen und erfüllt auch nicht die Voraussetzungen, unter denen ein sog. "Spätgeborener" als deutscher Volkszugehöriger i.S. des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG in der hier noch anzuwendenden Fassung vom 28. Juni 1990 (BGBl. I S. 1247) anzusehen ist. Nach der - die Entscheidung tragenden mehrheitlichen - Auffassung des Senats ist dem vor Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen Kläger aber wie einem "Frühgeborenen" die deutsche Volkszugehörigkeit seiner Mutter zuzurechnen.

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1. Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht die deutsche Staatsangehörigkeit des Klägers verneint. Eine solche läßt sich aufgrund der vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht feststellen.

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Schon die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Vater des Klägers habe durch seine Geburt 1917 in Duisburg-Hamborn die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten, begegnet rechtlichen Bedenken. Denn das RuStAG geht in § 4 von dem ius-sanguinis-Prinzip aus; der Vater wurde also nur deutscher Staatsangehöriger, wenn auch sein Vater 1917 Deutscher war. Das ist indessen zweifelhaft. Denn wenn dieser Großvater des Klägers - wovon das Verwaltungsgericht ausgeht - in Lukowo geboren wurde, das östlich von Ciechanow in der Nähe des Narew in einem rein polnischen Gebiet liegt, spricht viel dafür, daß er Pole war. Wann er ins Ruhrgebiet zog, hat der Kläger nicht angegeben. Da die Meldeunterlagen der Stadt Duisburg im Krieg vernichtet wurden und der Großvater bereits 1936 starb, läßt sich das auch nicht mehr aufklären. Die Angabe, er habe deutsche Schulen besucht und im 1. Weltkrieg Militärdienst geleistet, ist durch nichts belegt. In der Geburtsurkunde seines Sohnes ... - des Vaters des Klägers - vom 6. Juli 1917 wird der Großvater "..." (poln. Schreibweise) als Walzwerkarbeiter bezeichnet. Zwar ist es denkbar, daß der Großvater während seines langjährigen Aufenthalts im Ruhrgebiet die deutsche Staatsangehörigkeit erwarb. Zwingend ist das aber nicht; er kann auch als Pole dort gelebt und gearbeitet haben.

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Wenn der Großvater - wovon das Verwaltungsgericht ausgeht - Deutscher war, spricht wiederum vieles dafür, daß er und mit ihm sein damals neunjähriger Sohn ..., der Vater des Klägers, eine deutsche Staatsangehörigkeit jedenfalls verlor, als er 1926 mit seiner Familie wieder nach Polen zog. Denn nach Art. 1 des Gesetzes vom 20. Januar 1920 betr. die polnische Staatsangehörigkeit konnte ein polnischer Staatsangehöriger nicht gleichzeitig Angehörger eines anderen Staates sein. Personen polnischer Abstammung wurden bei der Einbürgerung besonders begünstigt; sie sowie ihre Nachkommen wurden nach Art. 3 dieses Gesetzes als polnische Staatsangehörige anerkannt, sobald sie nach ihrer Rückkehr in den polnischen Staat der Verwaltungsbehörde ihres Wohnortes Nachweise der polnischen Abstammung mit der Erklärung vorlegten, daß sie polnische Staatsangehörige werden wollen und auf die ausländische Staatsangehörigkeit verzichten (vgl. Geilke, Das Staatsangehörigkeitsrecht von Polen, 1952, S. 28, 52 f.). Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, daß der 1926 auf Dauer nach Polen zurückkehrende Großvater des Klägers damals einen solchen Antrag gestellt hat, und zwar gemäß §§ 25 I, 19 Abs. 2 RuStAG auch mit Wirkung für seinen damals noch minderjährigen Sohn ..., den Vater des Klägers (vgl. dazu BVerwG, Urt. v. 9. 5. 1986 - I C 40.84 -, NJW 1987, 1157 [BVerwG 09.05.1986 - 1 C 40/84]; Hailbronner/Renner, StAngR, § 25 RuStAG Rn. 20 ff. m. N.).

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Der inzwischen volljährig gewordene Vater könnte dann allerdings aufgrund der Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit vom 4. März 1941 (RGBl. I S. 118) i.d.F. vom 31. Januar 1942 (RGBl. I S. 91) die deutsche Staatsangehörigkeit (auf Widerruf) durch Eintragung in die Deutsche Volksliste erlangt haben. Dafür spricht, daß er nach der Bestätigung der WASt im Juli 1943 zur Wehrmacht einberufen wurde. Zwar gab es auch Verbände, die der Deutschen Wehrmacht eingegliedert, aber aus nichtdeutschen Volkszugehörigen zusammengesetzt waren (BVerwG, Urt. v. 17. Oktober 1989 - 9 C 18.89 -, Buchholz Nr. 62 zu § 6 BVFG). Nach der Auskunft der Deutschen Dienststelle vom 17. Januar 1994 handelte es sich bei den Truppenteilen, in denen der Vater diente, aber nicht um solche Verbände. Allerdings wird eine Volkslisteneintragung seines Vaters von dem Kläger nicht einmal behauptet; dagegen hat er die Eintragung der Mutter und deren Vaters schon in seinem Antrag vom 12. März 1990 vorgetragen. Auch der Vater selbst hat in seinem ausführlichen Lebenslauf vom 20. April 1990 und seinem handschriftlichen Brief vom gleichen Tage eine Volkslisteneintragung mit keinem Wort erwähnt; ebensowenig hat er angegeben, daß er deshalb bei seiner Rückkehr nach Bromberg im Jahre 1946 Schwierigkeiten bekommen und sich etwa einem "Rehabilitierungsverfahren" unterzogen habe.

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Selbst wenn aber aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Wehrmacht von einem Antrag des Vaters auf Aufnahme in die Deutsche Volksliste ausgegangen wird, würde sich daraus noch nicht dessen deutsche Staatsangehörigkeit ergeben. Denn nach den Gesamtumständen könnte hier allenfalls eine Eintragung in die Abteilung 3 angenommen werden; eine andere Abteilung (insbesondere 2) hat der Kläger auch für seine deutschstämmige Mutter nicht behauptet. Bei in Abteilung 3 eingetragenen Personen läßt aber weder die Eintragung als solche Schlußfolgerungen auf ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum zu; noch kann angesichts der praktischen Handhabung des Volkslisten-Verfahrens insbesondere im früheren Reichsgau Danzig-Westpreußen generell angenommen werden, mit dem Antrag auf Aufnahme sei gleichzeitig auch ein subjektives deutsches Volkstumsbewußtsein verbunden gewesen (BVerwG, Urt. v. 16. 2. 1993 - 9 C 25.92 -, DVBl. 1993, 1008, 1009 f). Vielmehr muß im Einzelfall nachgewiesen werden, daß ein solcher Antrag aus freien Stücken gestellt wurde. Dieser Nachweis ist hier nicht erbracht; die Tatsache, daß der Vater weder in seinem Lebenslauf noch in seinem handschriftlichen Brief vom 20. April 1990 eine Erinnerung an die Eintragung oder einen ihr zu Grunde liegenden persönlichen Antrag wiedergibt, könnte auch darauf hindeuten, daß eine Aufnahme in die Abteilung 3 der Deutschen Volksliste nicht auf einem eigenen freiwilligen Antrag beruhte. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, daß der Vater 1917 in Deutschland geboren wurde, seine ersten neun Lebensjahre in Hamborn verbrachte und dort drei Jahre eine deutsche Schule besuchte, kann deshalb nicht festgestellt werden, daß bei ihm in dem maßgeblichen Zeitpunkt kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum vorlag. Der Kläger konnte deshalb bei seiner Geburt am 1. Mai 1947 auch nicht gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG eine deutsche Staatsangehörigkeit von ihm erwerben.

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2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht nach den für sog. "Spätgeborene" geltenden Grundsätzen auch eine deutsche Volkszugehörigkeit des Klägers verneint.

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Zwar ist aus den vom Verwaltungsgericht im einzelnen dargelegten Gründen von der deutschen Volkszugehörigkeit seiner Mutter auszugehen. Dem Kläger ist das Bewußtsein, dem deutschen Volke zuzugehören, jedoch nicht bis zum Eintritt seiner Selbständigkeit prägend i.S. eines durch Weitergabe hergestellten Bekenntniszusammenhangs vermittelt worden. Insoweit wird gemäß § 130 b VwGO auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

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Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Kläger verkennt, daß die deutsche Volkszugehörigkeit ein Bekenntnisbegriff ist und deshalb eine Deutschstämmigkeit, die Abstammung von Deutschen im ethnischen Sinne, allein nicht ausreicht, es vielmehr bei Spätgeborenen zusätzlich einer Überlieferung volksdeutschen Bewußtseins in dem vorbezeichneten Sinne bedarf. Eine solche ist bei dem Kläger aber nicht feststellbar, weil er selbst in seinem Antrag auf Erteilung des Vertriebenenausweises seine Muttersprache sowie die Umgangssprache innerhalb und außerhalb der Familie mit "polnisch" angab und sich weder bei seiner Anhörung beim Beklagten noch bei der Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens auf Deutsch verständigen konnte. Eine fehlende oder mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache ist aber regelmäßig ein Umstand, der der Annahme einer Überlieferung volksdeutschen Bewußtseins entgegensteht (BVerwG, Urt. v. 15. 5. 1990, - 9 C 51.89 -, Buchholz Nr. 64 zu § 6 BVFG). Das gilt entgegen der Ansicht des Klägers auch bei Familien mit geringerem Bildungsstand; bei ihnen ist es ausreichend, aber auch erforderlich, daß die deutsche Kultur und insbesondere die deutsche Sprache so überliefert wurde, wie sie in dem volksdeutschen Elternhaus bzw. von dem volksdeutschen Elternteil gepflegt und gesprochen wurde (BVerwG, Beschl. v. 12. 11. 1991 - 9 B 109.91 -; DVBl. 1992, 295, 296 f.). Eine solche Überlieferung läßt sich hier nicht feststellen.

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3. Nach der die Entscheidung tragenden mehrheitlichen Auffassung des Senats ist der Kläger aber noch nach den rechtlichen Maßstäben für sog. "Frühgeborene" zu behandeln, so daß ihm die seine Familie prägende Bekenntnislage seiner dem deutschen Volkstum zugehörigen Mutter zuzurechnen ist.

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Das BVerwG hat den Begriff des "Spätgeborenen", auf den § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG nur entsprechend anzuwenden ist, zunächst dahin umschrieben, daß es sich um "nach Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen" geborene Personen, die (erste) "nachgeborene Generation" handelt (BVerwGE 51, 298, 300, 309) [BVerwG 10.11.1976 - VIII C 92/75]. Der Senat hat deshalb in seinem Urteil vom 16. Dezember 1992 (13 L 7933/91; ebenso Czermak, BayVBl. 1992, 565) angenommen, daß nach Beginn, aber vor Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen - in Polen erst 1949 (vgl. dazu Dokumente der Vertreibung der Deutschen Bevölkerung aus den Gebieten örtlich der Oder-Neiße, Bd. I/2, S. 857 ff) - geborene Kinder wegen ihrer unmittelbaren Betroffenheit nicht dieser "nachgeborenen Generation" angehören, sondern noch als sog. Frühgeborene anzusehen sind. Das Bundesverwaltungsgericht hatte jedoch schon in der zitierten Grundsatzentscheidung (a.a.O. S. 307 f) die Frage der unmittelbaren Anwendung des § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG auf gerade diesen Personenkreis ausdrücklich offen gelassen und ihn jedenfalls in entsprechender Anwendung im Ergebnis den "Spätgeborenen" gleichgestellt. An dieser Zuordnung hat auch die neuere Rechtsprechung des BVerwG festgehalten. Zwar wird die zeitliche Grenze teilweise undeutlich "nach den allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen" gezogen (BVerwGE 79, 73, 78 [BVerwG 23.02.1988 - 9 C 41/87]; Beschluß v. 5. 2. 1990 - 9 B 283.89 -, Buchholz Nr. 63 zu § 6 BVFG; Beschluß v. 1. 8. 1991 - 9 B 162.91 -; Beschluß vom 22. 8. 1991 - 9 B 175.91 -). In einer Reihe anderer Entscheidungen wird der "Spätgeborene" aber eindeutig dahin abgegrenzt, daß er "nach Beginn" der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geboren ist, und demgemäß das bekenntnisunfähige frühgeborene Kind dahin bestimmt, daß es den Beginn dieser Vertreibungsmaßnahmen bereits erlebt haben muß (Urteil v. 23. 2. 1988 - 9 C 41.87 -, BVerwGE 79, 73 [BVerwG 23.02.1988 - 9 C 41/87]; Urteil vom 21. 6. 1988 - 9 C 282.86 -, NJW 1988, 2914; Beschluß v. 22. 5. 1989 - 9 B 4.89 -, a.a.O. Nr. 61, Beschluß v. 16. 2. 1990 - 9 B 325.89 -, NVwZ 1990, 1069; Urteil v. 15. 5. 1990 - 9 C 51.89 -, a.a.O. Nr. 64; Beschl. v. 20. 2. 1991 - 9 B 247.90 -, DÖV 1991, 509; Beschl. v. 5. 11. 1991 - 9 C 77.90 -, DokB A 1992, 73).

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Für diese zeitliche Begrenzung spricht, daß es für das Bekenntnis zum deutschen Volkstum nach st. Rspr. entscheidend auf den Zeitpunkt unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerung gerichteten Vertreibungsmaßnahmen ankommt. Der Begriff der deutschen Volkszugehörigkeit ist ein auf diesen Zeitpunkt bezogener Rechtsbegriff mit der Folge, daß ein wie immer geartetes Bewahren des deutschen Volkstums über diesen maßgeblichen Zeitpunkt hinaus nicht verlangt wird, umgekehrt die deutsche Volkszugehörigkeit auch nicht durch eine spätere Hinwendung zum deutschen Volkstum begründet werden kann (BVerwGE 79, 73 f [BVerwG 23.02.1988 - 9 C 41/87]; Urt. v. 5. 11. 1991, a.a.O.). Auch für die Vertriebeneneigenschaft von Aussiedlern i.S. von § 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG ist der Zeitpunkt kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen maßgebend. Dies gilt ebenso für die vor Beginn der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenen, noch nicht selbst bekenntnisfähigen Kinder. Diesen Frühgeborenen, die unmittelbar unter das BVFG fallen, wird jedoch, da sie ein eigenes Bekenntnis noch nicht ablegen konnten, die in ihrer Familie kurz vor Beginn der allgemeinen Vertreibungslage bestehende Bekenntnislage zugerechnet. Diese formale Zurechnung findet ihren Grund letztlich darin, daß das Kind mutmaßlich in das die Familie prägende Volkstum hineingewachsen wäre, wenn keine allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen stattgefunden hätten (BVerwGE 79, 73, 77) [BVerwG 23.02.1988 - 9 C 41/87]. Dieser Grund gilt aber - nach der die Entscheidung tragenden Auffassung - auch für ein nach Beginn und vor Abschluß der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen geborenes Kind wie den Kläger. Ein solches Kind gehört noch zu der "Erlebnisgeneration", da es die allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen - wenn auch möglicherweise unbewußt - teilweise noch selbst erlebt hat. Es wäre Vertriebener gemäß § 1 Abs. 1 BVFG, wenn es von diesen Maßnahmen zusammen mit seinen Eltern unmittelbar erfaßt worden wäre; in diesem Fall wäre es nicht auf einen abgeleiteten Vertriebenenstatus gemäß § 7 BVFG beschränkt, weil diese Vorschrift auf eine Geburt "nach der Vertreibung" abstellt. Auch bei einer späteren Aussiedlung als Nachzügler der allgemeinen Vertreibungsmaßnahmen (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG) ist dem während ihrer Dauer geborenen Kind deshalb die damals in seiner Familie herrschende Bekenntnislage zuzurechnen.

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Auf die Berufung des Klägers war danach unter Änderung des angefochtenen Urteils der Klage stattzugeben.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO iVm § 708 Nr. 10 ZPO.

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Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen.

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Dr. Dembowski

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Schwermer

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Dr. Uffhausen