Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.01.1994, Az.: 18 L 5110/92

Teilnahme an Einstellungsgesprächen um eine Gruppenangelegenheit ; Besetzung von Stellen an Berufsbildenden Schulen und Gymnasien ; Mitbestimmung bei Personalangelegenheiten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
24.01.1994
Aktenzeichen
18 L 5110/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1994, 18711
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1994:0124.18L5110.92.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 12.08.1992 - AZ: 8 A 2/92

Verfahrensgegenstand

Feststellen des Vorliegens einer Fachgruppenangelegenheit

In dem Rechtsstreit
hat der 18. Senat des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - Fachsenat für Landespersonalvertretungssachen -
auf die mündliche Anhörung vom 24. Januar 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Dembowski,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Schwermer
und die Richterin am Verwaltungsgericht Preßler
sowie den ehrenamtlichen Richter Thiem und
die ehrenamtliche Richterin Zöllmer
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Stade - Fachkammer für Landespersonalvertretungssachen - vom 12. August 1992 geändert.

Es wird festgestellt, daß es sich bei der Auswahl des Mitglieds des Beteiligten für die Teilnahme an den Einstellungsgesprächen um eine Gruppenangelegenheit der jeweiligen Fachgruppe handelt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Antragsteller begehren die Feststellung, daß die Entscheidung darüber, welche Mitglieder des Lehrerbezirkspersonalrates zur Teilnahme an Einstellungsgesprächen bei der Bezirksregierung für die Besetzung von Stellen an Berufsbildenden Schulen und Gymnasien entsandt werden, Angelegenheiten der jeweiligen Fachgruppe sind.

2

Durch Erlaß vom 16. November 1991 räumte das Niedersächsische Kultusministerium den Lehrerbezirkspersonalräten die Möglichkeit ein, an Gesprächen mit Bewerbern und Bewerberinnen für die Einstellung in den Schuldienst teilzunehmen. Der Beteiligte befaßte sich in seiner Sitzung am 4. Dezember 1991 mit der Frage, ob fachgruppenangehörige oder fachgruppenfremde Mitglieder zur Teilnahme an diesen Gesprächen entsandt werden sollten. Es wurde mehrheitlich beschlossen, grundsätzlich ein fachgruppenfremdes Personalratsmitglied auszuwählen. Hiergegen wandte sich die Mehrheit der Fachgruppe Berufsbildende Schulen. Nachdem auch in einer Schlichtungsverhandlung kein Einvernehmen erzielt werden konnte, faßte der Beteiligte am 11. Dezember 1991 einen gleichlautenden Beschluß wie in der vorherigen Sitzung. Nunmehr legte neben der Fachgruppe Berufsbildende Schulen auch die Fachgruppe Gymnasium mehrheitlich "Veto" ein, das von dem Beteiligten nach Mehrheitsentscheidung nicht anerkannt wurde.

3

In der Sitzung des Beteiligten am 18. Dezember 1991 stellten die Antragstellerin zu 1) und der Antragsteller zu 2) als Mitglieder der Fachgruppe Berufsbildende Schulen und der Antragsteller zu 3) sowie für den verhinderten Antragsteller zu 4) das Ersatzmitglied Stüven als Vertreter der Fachgruppe Gymnasien schließlich die Anträge zu beschließen, daß bei allen Einstellungsgesprächen auf Stellen an Berufsbildenden Schulen bzw. Gymnasien Vertreter dieser Fachgruppen teilnehmen sollten und deren Auswahl von der jeweiligen Fachgruppe zu regeln sei. Nachdem die Anträge vom Beteiligten mehrheitlich abgelehnt worden waren, legten die betroffenen Fachgruppen hiergegen mehrheitlich "Veto" ein. Daraufhin beschloß der Beteiligte, daß eine Gruppenangelegenheit nicht vorliege.

4

Am 26. Februar 1992 haben die Antragsteller das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren eingeleitet und im wesentlichen ausgeführt: Die Entscheidung der Mehrheit des Beteiligten, daß die Teilnahme an den Einstellungsgesprächen der Dienststelle mit Stellenbewerbern keine Fachgruppenangelegenheit sei, werde von ihnen als überstimmter Minderheit gerichtlich zur Überprüfung gestellt. Ihr Antrag sei begründet. Denn um Gruppenangelegenheiten handele es sich nicht nur bei Personalangelegenheiten im Sinne des § 78 Abs. 1 Ziff. 1 Nds. PersVG, sondern auch bei den zeitlich vorgelagerten Einstellungsgesprächen.

5

Der Beteiligte hat in seiner Erwiderung ausgeführt:

6

Das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren sei unzulässig und jedenfalls unbegründet. Die behauptete Rechtsverletzung könne gar nicht vorliegen, weil Gruppenangelegenheiten nur bei der Mitbestimmung unterliegenden Personalangelegenheiten des § 78 Nds. PersVG angenommen werden könnten. Die Teilnahmemöglichkeit an den Bewerbungsgesprächen sei aber kein durch das Nds.PersVG begründetes Recht, sondern sie sei auf freiwilliger Basis außerhalb des gesetzlichen Mitbestimmungstatbestandes begründet worden. Sie diene nur dazu, die Form des Gespräches zu überwachen, eine Eignungsprüfung der Bewerber durch den Personalrat solle nicht vorgenommen werden. Deshalb sei es erforderlich, daß nur Mitglieder des Beteiligten an den Einstellungsgesprächen teilnehmen, die später nicht bei der eigentlichen Einstellung mitbestimmen könnten.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag durch Beschluß vom 12. August 1992 als unbegründet abgewiesen, im wesentlichen mit der Begründung, daß eine Gruppenangelegenheit beim Fehlen einer personalvertretungsrechtlichen Beteiligungspflicht nur dann vorliege, wenn die Interessen einer Gruppe unmittelbar betroffen seien. Eine unmittelbare Gruppenbetroffenheit liege bei Einstellungsgesprächen aber nicht vor. Denn die Mitwirkung der Personalvertretung bei Einstellungen setze nach dem Nds. PersVG erst nach Benennung des einzustellenden Beamten ein.

8

Gegen den ihm am 1. September 1992 zugestellten Beschluß richtet sich die am 7. Oktober 1992 eingelegte und nach gewährter Fristverlängerung am 7. Dezember 1992 begründete Beschwerde der Antragsteller.

9

Die Antragsteller führen zu ihrer Begründung aus: Das Ziel des Erlasses vom 16. November 1991 sei es, die Personalvertretung frühzeitig und umfassend zu informieren durch Einbeziehung in die Einstellungsgespräche. Dadurch erhalte die Personalvertretung zusätzliche Informationen, die die spätere Entscheidung der Dienststelle transparenter machten und der Personalvertretung bei der eigenen Entscheidungsfindung behilflich seien. Es gehe demgegenüber nicht nur um die Überprüfung, ob das Gleichheitsgebot im Rahmen der Einstellungsgespräche eingehalten werde. Vielmehr solle der Personalvertretung auf diese Weise bereits in dieser frühen Phase entsprechend dem Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit die Möglichkeit eröffnet werden, eigene Vorstellungen einzubringen. Die zuständige Bezirksregierung beteilige die jeweilige Fachgruppe am gesamten Verfahrensablauf beginnend schon mit der Stellenausschreibung.

10

Die Antragsteller beantragen,

den angefochtenen Beschluß zu ändern und festzustellen, daß es sich bei der Auswahl des Mitglieds des Beteiligten für die Teilnahme an den Einstellungsgesprächen um eine Gruppenangelegenheit der jeweiligen Fachgruppe handelt.

11

Der Beteiligte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

12

Er verteidigt den angefochtenen Beschluß.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens aller Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

14

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

15

Die Zulässigkeit des personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahrens begegnet keinen Bedenken.

16

Mit dem im Beschwerdeverfahren neu gefaßten Antrag verfolgen die Antragsteller der Sache nach ihr bisheriges Begehren weiter. Sie konnten sich als Angehörige einer Fachgruppe (vgl. § 91 a i.V.m. § 3 Abs. 2 Nds.PersVG) mit ihrer Auffassung, daß eine vom Beteiligten behandelte Angelegenheit, die Auswahl der Teilnehmer an Bewerbungsgesprächen, eine Gruppenangelegenheit sei, nicht durchsetzen, so daß die gesetzliche Folge des § 45 Satz 2 Nds. PersVG der Fachgruppe nicht zugute gekommen ist. In einem solchen Fall ist es regelmäßig zulässig, daß die überstimmten Angehörigen einer Fachgruppe das personalvertretungsrechtliche Beschlußverfahren einleiten und durch einen auf Feststellung gerichteten Antrag, daß es sich um eine (Fach-)Gruppenangelegenheit handele, den Streit einer gerichtlichen Klärung zuführen. Entgegen der Auffassung des Beteiligten ist die Zulässigkeit eines solchen personalvertretungsrechtlichen Beschlußverfahrens nicht auf Fälle beschränkt, denen eine mitbestimmungsbedürftige Angelegenheit zugrunde gelegen hat. Denn unabhängig davon, daß eine Gruppenangelegenheit auch außerhalb eines Mitbestimmungsverfahrens angenommen werden kann - wie noch aus auszuführen ist -, ist dies jedenfalls erst im Rahmen der Begründetheit des Antrags zu entscheiden.

17

Die Beschwerde ist auch begründet.

18

Die Auswahl des Mitglieds des Beteiligten für die aufgrund des Erlasses des Nds. Kultusministeriums vom 16. November 1991 mögliche Teilnahme an den Gesprächen mit den Bewerbern und Bewerberinnen für die Einstellung in den Schuldienst ist eine Gruppenangelegenheit der jeweiligen Fachgruppe.

19

Für diese Feststellung ist es unerheblich, daß die Teilnahme an den Einstellungsgesprächen noch nicht zur personalvertretungsrechtlichen Mitbestimmung bei Einstellungen gehört, die eine Angelegenheit der jeweiligen Fachgruppe ist (§§ 78, 91 a i.V.m. § 3 Abs. 2 Nds. PersVG) und erst einsetzt, wenn die Dienststelle einen Bewerber oder eine Bewerberin ausgewählt hat. Denn die Annahme einer Gruppenangelegenheit ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen ein gesetzlicher Mitbestimmungstatbestand erfüllt ist. Vielmehr können Gruppenangelegenheiten in allen Angelegenheiten gegeben sein, mit denen der Personalrat durch die Dienststelle befaßt wird (vgl. OVG NW, Beschl. v. 6.11.1973, PersV 1974, 172; Dembowski/Ladwig/Sellmann. Das Personalvertretungsgesetz in Niedersachsen, § 45 RdNr. 2), so daß die Entscheidung der Mehrheit der Gruppenvertreter den Personalrat dann auch außerhalb von Mitbestimmungsentscheidungen bindet (vgl. § 45 Satz 2 Nds.PersVG).

20

Für die Entscheidung, ob im Einzelfall eine Gruppenangelegenheit vorliegt, kommt es jeweils maßgeblich auf den sachlichen Gegenstand und die Rechtsnatur der Angelegenheit an (st. Rspr., s. Nachweise bei Dembowski u. a., aaO, § 45 RdNr. 5). Die Prüfung richtet sich danach, welche Interessen durch die in Rede stehende Angelegenheit unmittelbar betroffen werden. Nur mittelbare Auswirkungen auf die Angehörigen anderer Gruppen oder deren "allgemeines Interessiertsein" an einer Maßnahme sind für deren Einordnung dagegen unerheblich.

21

Die Teilnahme der Personalvertretung an den Einstellungsgesprächen und damit auch die Auswahl ihrer teilnahmeberechtigten Mitglieder betrifft in diesem Sinne unmittelbar Fachgruppeninteressen.

22

Die Beschwerde rügt zu Recht, daß das Verwaltungsgericht den Sinn der Beteiligung der Personalvertretung an den Einstellungsgesprächen verkannt habe. Die Darlegungen des Beteiligten, daß die Teilnahme der Personalvertretung nur der Beobachtung diene, ob Formalien eingehalten würden, z. B. daß keine unzulässigen Fragen gestellt würden und alle Bewerber und Bewerberinnen gleich behandelt würden, können nicht überzeugen. Aus dem Erlaß des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 16. November 1991 ist zwar selbst nicht ersichtlich, welche Gründe für die den Lehrerbezirkspersonalräten eingeräumte Möglichkeit der Beteiligung maßgebend waren. Aber seitens der hier zuständigen Bezirksregierung wird der Funktion der Personalvertretung bei den Einstellungsgesprächen jedenfalls eine andere als die vom Beteiligten angegebene Bedeutung beigemessen. Für diese Feststellung ist es nicht erforderlich, auf die unterschiedlichen Darstellungen der Antragsteller einerseits und des Beteiligten andererseits einzugehen, ob und welche Einwirkungsmöglichkeiten die Personalvertretung auf die Einstellungsentscheidungen der Dienststelle tatsächlich hat. Die Auffassung der Bezirksregierung ist in dem Protokoll der Sitzung des Beteiligten vom 4. Dezember 1991 festgehalten. Dort heißt es:

"Die Dezernate ... und ... fordern die Teilnahme von Fachgruppenvertretern an Einstellungsgesprächen und begründen dies mit dem Wunsch nach einer fachlichen Diskussion mit den Fachgruppenvertretern zum Erreichen zustimmungsfähiger Vorlagen. Die Dienststelle hält das Verfahren nur für sinnvoll, wenn eine Teilnahme an allen Einstellungsgesprächen in bezug auf eine Stelle angestrebt werde".

23

Dieser der Teilnahmemöglichkeit der Personalvertretung an Einstellungsgesprächen beigegebene Sinngehalt erscheint auch sachgerecht. Die Teilnahme der Personalvertretung an den Einstellungsgesprächen eröffnet dieser in erster Linie die Möglichkeit, einen Eindruck von der Persönlichkeit des jeweiligen Stellenbewerbers zu erhalten und auch Fragen an diesen zu richten. Die Personalvertretung kann auf diese Weise Kenntnisse unmittelbar erlangen, die durch schriftliche Unterlagen oder auch mündliche Erläuterungen nicht im vollen Umfang zu vermitteln sind. Die Beobachtung, ob Formalien bei der Gesprächsführung eingehalten werden, erscheint gegenüber der direkten inhaltlichen Information für die spätere Mitbestimmungsentscheidung nur von nachrangiger Bedeutung. Es ist daher nicht gerechtfertigt, die Bedeutung der Teilnahme an den Einstellungsgesprächen im wesentlichen auf den nur formalen Aspekt zu reduzieren. Steht aber objektiv die Information über die Person des Bewerbers und seiner Eignung für die zu besetzende Stelle im Vordergrund, dann besteht eine deutliche Verbindung zu der der Fachgruppe vorbehaltenen Mitbestimmungsentscheidung, so daß die Fachgruppe hier unmittelbar betroffen ist. Diese unmittelbare Betroffenheit kann der Beteiligte nicht dadurch beseitigen, daß er die objektiv vorhandene Bedeutung der Teilnahme an den Einstellungsgesprächen subjektiv schmälert. Zwar basiert die Teilnahme an den Gesprächen nicht auf einem gesetzlichen Anspruch der Personalvertretung, sondern nur auf einem freiwilligen Angebot des Dienstherrn. Dies führt aber nicht dazu, daß der Beteiligte durch Mehrheitsbeschluß den Sinn der durch Erlaß vom 16. November 1991 getroffenen Regelung subjektiv verändern darf, vor allem wenn dies, wie hier, dazu führt, daß er der Fachgruppe damit eine Angelegenheit als Gruppenangelegenheit entzieht.

24

Nach alledem ist unter Änderung der angefochtenen Beschlüsse dem Antrag der Antragsteller stattzugeben.

25

Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.

Dr. Dembowski,
Schwermer,
Preßler,
G. Zöllmer,
Thiem