Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 17.04.2002, Az.: 5 A 181/01

Rechtmäßigkeit einer Wahlprüfungsentscheidung; Gründe für die Unzulässigkeit einer Wahl; Wahlbeeinflussung im Meinungskampf; Gerüchte als Gegenstand einer Wahlbeeinflußung; Vorliegen einer unzulässigen Wahlbeeinflussung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
17.04.2002
Aktenzeichen
5 A 181/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 11639
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2002:0417.5A181.01.0A

Fundstellen

  • FStNds 2003, 130-132
  • NdsVBl 2002, 251-253

Verfahrensgegenstand

Streitgegenstand: Samtgemeindebürgermeisterwahl,

Prozessführer

Herrn ...

Prozessgegner

Rat der Samtgemeinde ...
vertreten durch den Samtgemeindebürgermeister, ...

Sonstige Beteiligte

Herr ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Ein begründeter Wahleinspruch ist im wesentlichen von drei Voraussetzungen abhängig. Es bedarf zunächst einer Wahlbeeinflussung, diese Wahlbeeinflussung muss unzulässig sein und schließlich muss die Wahl durch diese unzulässige Wahlbeeinflussung in ihrem Ergebnis beeinflusst worden sein.

  2. 2.

    Der Meinungskampf vor einer Wahl soll gewährleisten, dass jeder Wähler sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen kann. Die Kandidaten einer Wahl versuchen, durch Werbung für ihre Person und ihre Partei den Wähler zu überzeugen, ihnen seine Stimme zu geben. Die Wahlbeeinflussung ist demnach gekennzeichnet durch ein zielgerichtetes Einwirken der Kandidaten und der ihnen verbundenen Gruppierungen auf die Meinung des Wählers, ohne dessen Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen.

  3. 3.

    Gerüchte können nicht Gegenstand einer Wahlbeeinflussung im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 4 b NKWG sein. Denn sie sind nicht hinreichend nach Ort, Zeit, Person und Inhalt konkretisierbar.

  4. 4.

    Der Wähler soll nach dem Grundsatz der Freiheit der Wahl vor Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen. Für eine unzulässige Wahlbeeinflussung reicht jedoch nicht jede von Wahlbewerbern oder Wählern missbilligte und möglicherweise auch rechtswidrige Wahlkampfpropaganda aus.

  5. 5.

    Eine unzulässige Wahlbeeinflussung dann anzunehmen, wenn der Wähler in bösartiger Weise durch objektiv unrichtige Tatsachen und Behauptungen über die für seine Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse getäuscht wird, so dass eine ernsthafte Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit gegeben ist. Zu einer solchen qualifizierten Wahlbeeinflussung ist die strafbare, die amtliche, die geistliche und die unter besonderem Druck vorgenommene private Wahlbeeinflussung zu rechnen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Lüneburg - 5. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2002
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts ... den Richter am Verwaltungsgericht ... die Richterin am Verwaltungsgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 8. November 2001 wird aufgehoben. Die Wahl des Bürgermeisters der Samtgemeinde ... vom 23. September 2001 wird für gültig erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten, wonach dieser die Wahl des hauptamtlichen Samtgemeindebürgermeisters für ungültig erklärt hat.

2

Bei der Hauptwahl des Samtgemeindebürgermeisters in der Samtgemeinde ... vom 9. September 2001 entfielen auf den Beigeladenen (Wahlvorschlag CDU) 3.409 Stimmen (48,8 %), auf den Kläger (Wahlvorschlag SPD) 3.169 (45,3 %) und auf den Bewerber ... (Wahlvorschlag Grüne) 410 Stimmen (5,9 %). Weil kein Bewerber mehr als die Hälfte der gültigen Stimmen erhalten hatte, beschloss der Samtgemeindewahlausschuss, dass am 23. September 2001 eine Stichwahl zwischen dem Beigeladenen und dem Kläger stattfinden sollte.

3

Im Vorfeld der Stichwahl kritisierte der Kläger unter anderem die Tätigkeit des Beigeladenen in der ... Erschließungs- und Baugesellschaft (SEB), deren Geschäftsführer der Beigeladene ist. In einem öffentlichen "Rundschreiben" forderte der Kläger, dass "die SEB ... kritisch beleuchtet werde (müsse) - für mehr Klarheit, Gerechtigkeit und Einschränkung möglicher Missbräuche". In einem in der ... am 20. September 2001 veröffentlichten Zeitungsartikel erklärte der Kläger u.a., dass er es, wenn alles genau geprüft sei, für möglich halte, dass es zu einem Disziplinarverfahren gegen den Beigeladenen komme. In einem am 22. September 2001 in der ... veröffentlichen Leserbrief legte der Kläger dar, dass er dabei bleibe, dass die SEB kritisch beleuchtet werden müsse.

4

Bei der Stichwahl des Samtgemeindebürgermeisters vom 23. September 2001 erhielt der Beigeladene 2.724 Stimmen (47,24 %) und der Kläger 3.042 Stimmen (52,76 %).

5

Gegen die Gültigkeit dieser Wahl legten die Herren ... und ... am 16. Oktober 2001 Wahleinspruch ein mit der Begründung, dass die Wahl in unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden sei. Im Vorfeld der Samtgemeindebürgermeisterwahl hätten sie zahlreiche Gerüchte über den Beigeladenen z.B. bei Vereinsversammlungen und bei Stammtischen gehört. Der Kläger und Dritte hätten diese Gerüchte aufgegriffen und verfestigt, die darauf abzielten, den Beigeladenen zu diskriminieren und dem Wähler den Eindruck zu vermitteln, der Beigeladene habe Bürger getäuscht und seine Ämter für eigene Interessen missbraucht. Dies zeige sich in dem vom Kläger verteilten Flugblatt, in dem am 20. September 2001 veröffentlichen Artikel in der ... sowie in seinem Leserbrief vom 22. September 2001.

6

Der Samtgemeindewahlleiter leitete den Wahleinspruch der Landeswahlleitung, dem Landkreis Lüneburg als Aufsichtsbehörde, dem Samtgemeindebürgermeister sowie dem Kläger zur Kenntnisnahme zu. Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2001 nahm der Kläger zu dem Wahleinspruch Stellung und erklärte, dass von einer unzulässigen Wahlbeeinflussung der Wähler durch ihn keine Rede sein könne. Der Beigeladene habe in dem Artikel in der ... vom 20. September 2001 zu den Argumenten des Klägers Stellung genommen. Der Wähler habe sich seine Meinung aus dieser Gegenüberstellung bilden können. In seinem Leserbrief vom 22. September 2001 habe er in zulässiger Weise seine Bedenken und seine Skepsis gegenüber der SEB zum Ausdruck gebracht. Der Beigeladene müsse sich als Geschäftsführer der SEB in Wahlkampfzeiten auch zugespitzte und polemische Kritik gefallen lassen.

7

Der Samtgemeindewahlleiter empfahl dem Beklagten in einer Sitzungsvorlage vom 26. Oktober 2001, die Einwendungen gegen die Wahl des Samtgemeindebürgermeisters als unbegründet zurückzuweisen und die Gültigkeit der Wahl festzustellen.

8

In seiner Sitzung am 7. November 2001 beschloss der Beklagte, dass die Einwendungen gegen die Samtgemeindebürgermeisterwahl begründet und so schwerwiegend seien, dass bei einwandfreier Durchführung der Wahl ein wesentlich anderes Wahlergebnis zustande gekommen oder festgestellt worden wäre. Der Beklagte stellte die Ungültigkeit der Wahl des hauptamtlichen Samtgemeindebürgermeisters gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 4 NKWG fest. Mit Bescheid vom 8. November 2001 teilte der Beklagte dem Kläger diesen Beschluss mit.

9

Der Kläger hat am 30. November 2001 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass eine unzulässige Wahlbeeinflussung und damit eine Verletzung des Beigeladenen in seinem Recht auf Chancengleichheit nicht vorliege. Für eine unzulässige Wahlbeeinflussung reiche nicht jede von Wahlbewerbern oder Wählern missbilligte und möglicherweise auch rechtswidrige Wahlkampfpropaganda aus. Vielmehr müsse es sich um eine qualifizierte Wahlbeeinflussung handeln, die ihrer Natur nach geeignet sei, die Entscheidungsfreiheit des Wählers ernstlich zu beeinträchtigen. Eine solche qualifizierte Wahlbeeinflussung liege hier nicht vor. Bereits im Vorfeld des Wahlkampfes seien Gerüchte im Umlauf gewesen, die sich kritisch zum Beigeladenen verhielten, etwa des Inhalts, der Beigeladene habe Bürger getäuscht und seine Ämter zum eigenen Vorteil genutzt. Bei seiner Erklärung, er halte ein Disziplinarverfahren gegen den Beigeladenen wegen Unregelmäßigkeiten bei der SEB für möglich und die SEB müsse kritisch beleuchtet werden, handele es sich um Meinungsäußerungen, die nichts Verleumderisches an sich hätten. Zudem habe der Beigeladene die Gelegenheit ergriffen, für sich zu werben und werben zu lassen und sei dabei mit dem politischen Gegner ebenfalls nicht gerade zimperlich umgegangen. Das schlechte Abschneiden des Beigeladenen bei der Stichwahl am 23. September 2001 sei darauf zurückzuführen, dass es dem Beigeladenen nicht gelungen sei, sich ein positives Image in der Bevölkerung zu schaffen. Während bei der Wahl am 9. September 2001 nicht nur der Bürgermeister direkt gewählt werden sollte, sondern auch und insbesondere die Gemeinde- und Samtgemeinderäte, sei die Stichwahl am 23. September 2001 eine reine Persönlichkeitswahl gewesen. Selbst wenn die Einwendungen begründet wären, wäre ein wesentlich anderes Wahlergebnis nicht zustande gekommen. Er, der Kläger, habe Unterstützung von den GRÜNEN-Wählern erhalten, die nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses vom 9. September 2001 erklärt hätten, sie würden den Kläger unterstützen, nachdem ihr eigener Kandidat für die Stichwahl nicht mehr in Frage gekommen sei. Außerdem hätten mindestens 320 Wähler zusätzlich zugunsten des Beigeladenen stimmen müssen, so dass es nicht lediglich um eine Verschiebung von 160 Wählerstimmen gehe.

10

Der Kläger beantragt,

die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 8. November 2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Wahleinspruch der Herren ... und ... vom 15. Oktober 2001 als unbegründet zurückzuweisen und die Gültigkeit der Wahl des hauptamtlichen Samtgemeindebürgermeisters am 23. September 2001 festzustellen.

11

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

12

Er trägt vor, dass sich insbesondere im Zeitraum zwischen dem Wahltermin am 9. September 2001 und der Stichwahl am 23. September 2001 Gerüchte über den Beigeladenen mit dem Charakter einer gezielten, auf eine Wahlbeeinflussung gerichteten "Rufmord-Kampagne" verdichtet hätten. Dem Beigeladenen seien massive Verstöße gegen dienstrechtliche und baurechtliche Vorschriften bis hin zum Vorwurf strafbaren Verhaltens durch Betrug, Unterschlagung oder Untreue unterstellt worden. Dies sei eine böswillige Wahlagitation gewesen, die nicht mehr als eine übliche und für den Wähler durchschaubare Wahlpropaganda verstanden werden könne. Der Kläger und seine ihn tragende Partei hätten selbst in Kenntnis der umlaufenden Gerüchte die zugrundeliegenden Vorwürfe und Themen bewusst und gewollt aufgegriffen und die Gerüchte auf diese - Weise unterhalten und befördert. Die in dem Zeitungsbericht vom 20. September 2001 veröffentlichte Erklärung des Klägers, er halte es für möglich, dass es zu einem Disziplinarverfahren komme, wenn alles genau geprüft sei, erhebe konkludent den Vorwurf eines unredlichen, dienstrechtlich oder sogar strafrechtlich relevanten Verhaltens des Beigeladenen. Der Wahlbürger habe diese Andeutung nur so verstehen können, dass der Beigeladene seine bisherige Stellung als Samtgemeindedirektor und als Geschäftsführer der SEB missbraucht habe. Durch die unzulässige Wahlbeeinflussung des Klägers bestehe die nach der Lebenserfahrung nicht ganz fernliegende Möglichkeit der Verfälschung des Wählerwillens. Der Kläger habe nur mit einem Vorsprung von 318 Stimmen gegenüber dem Beigeladenen gewonnen, so dass es ausgereicht hätte, wenn 160 Wähler ihre Stimme nicht dem Kläger, sondern dem Beigeladenen gegeben hätten. Angesichts dieses knappen Resultates müsse angenommen werden, dass ein anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre, wenn die Wahl korrekt erfolgt wäre. Selbst wenn der Kläger bei der Stichwahl alle die zuvor auf den GRÜNEN-Kandidaten entfallenen Stimmen erhalten hätte, wären auf den Kläger noch mehr Stimmen entfalle, als auf den Beigeladenen.

13

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er trägt vor, dass trotz der im Vorfeld der Wahl verbreiteten misskreditierenden Äußerungen die Mehrheit der Wahlstimmen bei der Hauptwahl am 9. September 2001 auf ihn entfallen seien. Erst durch massive Äußerungen, vornehmlich in der Presse vom 20. September 2001 und durch den Leserbrief vom 22. September 2001, sei die Wählerstimmung gegen ihn umgeschlagen. Die Äußerungen des Klägers in diesen Zeitungsberichten seien in vollem Umfang unwahr. Er habe sie auch nicht mehr richtigstellen können, da bereits am 23. September 2001 die Stichwahl angestanden habe.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist zulässig.

16

Der Kläger ist als in der Stichwahl am 23. September 2001 gewählter Samtgemeindebürgermeister Beteiligter im Sinne des § 49 Abs. 2 NKWG und damit klagebefugt.

17

Die Klage ist auch begründet.

18

Die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 8. November 2001 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Wahlprüfungsentscheidung, die ein Verwaltungsakt und mit der Anfechtungsklage anzugreifen ist (vgl. OVG Lüneburg, Urteil v. 26.08.1969 - 2 OVG A 58/69 - und Urteil v. 29.09.1987 - 2 OVG A 83/87 -), ist deshalb aufzuheben. Weiter ist festzustellen, dass die Wahl gültig ist.

19

Nach § 48 Abs. 1 Nr. 4 b NKWG trifft die Gemeindevertretung die Wahlprüfungsentscheidung, das Wahlergebnis für ungültig zu erklären, wenn Einwendungen gegen die Wahl begründet sind und wenn die den begründeten Einwendungen zugrunde liegenden Tatbestände so schwerwiegend sind, dass bei einwandfreier Durchführung der Wahl ein wesentlich anderes Wahlergebnis zustande gekommen oder festgestellt worden wäre. Begründete Einwendungen im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 4 b NKWG liegen gem. § 46 Abs. 1 NKWG dann vor, wenn die Wahl nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend vorbereitet oder durchgeführt oder in anderer unzulässiger Weise in ihrem Ergebnis beeinflusst worden ist. Ein begründeter Wahleinspruch ist demnach von drei Voraussetzungen abhängig: es bedarf zunächst einer Wahlbeeinflussung; diese Wahlbeeinflussung muss unzulässig sein; schließlich muss die Wahl durch diese unzulässige Wahlbeeinflussung in ihrem Ergebnis beeinflusst worden sein.

20

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

21

1.

Soweit die Einspruchsführer vorgetragen haben, dass sie Gerüchte an Stammtischen und Vereinsversammlungen über den Beigeladenen vernommen hätten, die nicht der Wahrheit entsprächen, liegt insoweit schon keine Wahlbeeinflussung vor. Eine Wahl wird beeinflusst durch die üblichen Wahlkampfaktivitäten im Rahmen der Wahlpropaganda. Der Meinungskampf vor einer Wahl, der durch Art. 5 GG geschützt ist, soll gewährleisten, dass jeder Wähler sein Urteil in einem freien, offenen Prozess der Meinungsbildung gewinnen kann. Die Kandidaten einer Wahl versuchen, durch Werbung für ihre Person und ihre Partei den Wähler zu überzeugen, ihnen seine Stimme zu geben. Die Wahlbeeinflussung ist demnach gekennzeichnet durch ein zielgerichtetes Einwirken der Kandidaten und der ihnen verbundenen Gruppierungen auf die Meinung des Wählers, ohne dessen Entscheidungsfreiheit ernstlich zu beeinträchtigen.

22

Nach diesen Grundsätzen können Gerüchte nicht Gegenstand einer Wahlbeeinflussung im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 4 b NKWG sein. Denn sie sind nicht hinreichend nach Ort, Zeit, Person und Inhalt konkretisierbar. Weder ist der Urheber der Gerüchte erkennbar, noch können die Gerüchte einer Handlung zugeordnet werden, so dass weder nachweisbar ist, ob sie überhaupt auf die Wahl Einfluss nehmen noch mit welchem konkreten Inhalt sie welche Wählerkreise erreichen. Deshalb sind sie generell nicht geeignet, auf die Wähler zielgerichtet einzuwirken, so dass schon deshalb darauf kein Wahleinspruch gestützt werden kann.

23

2.

Eine Wahlbeeinflussung liegt insoweit vor, als der Kläger die wohl umlaufenden Gerüchte in seinem Flugblatt, in dem Artikel in der Landeszeitung vom 20. September 2001 und in dem Leserbrief vom 23. September 2001 aufgegriffen hat. Im Gegensatz zu den. Gerüchten ist in diesen Fällen der Kläger als Verfasser eindeutig identifizierbar. Es ist gerade das Ziel des Klägers gewesen, auf diesem Wege die Leser dazu zu bewegen, ihn zu wählen.

24

Diese Wahlbeeinflussung ist jedoch nicht unzulässig.

25

Darüber, wann eine Wahl "in anderer unzulässiger Weise" beeinflusst worden ist, enthält das NKWG keine Erläuterung. Das Wahlprüfungsverfahren dient dem objektiven Schutz des Wahlrechts. Gegenstand der Wahlprüfung ist demnach nicht die Verletzung subjektiver Rechte, sondern die Gültigkeit der Wahl als solche. Der Wähler soll nach dem Grundsatz der Freiheit der Wahl vor Beeinflussungen geschützt werden, die geeignet sind, seine Entscheidungsfreiheit trotz bestehenden Wahlgeheimnisses ernstlich zu beeinträchtigen (BVerfG, B.v. 10.04.1984 - 2 BvC 2/83-, NJW 1984, 2201 ff.). Für eine unzulässige Wahlbeeinflussung reicht jedoch nicht jede von Wahlbewerbern oder Wählern missbilligte und möglicherweise auch rechtswidrige Wahlkampfpropaganda aus. Dazu hat das OVG Lüneburg in seinem Urteil vom 26. November 1957 - 2 OVG A 81/57 (OVGE 12, 398) ausgeführt:

"Es ist davon auszugehen, dass in einer modernen Demokratie eine Wahlbeeinflussung im Rahmen der üblichen Wahlpropaganda und der Gesetze erlaubt und zulässig ist. Es ist gerichtsbekannt, dass es bei der Wahlpropaganda nicht üblich ist, nur die Wahrheit zu sagen. Darauf haben sich die Wähler auch eingestellt. Eine übliche Wahlpropaganda liegt aber dann nicht mehr vor, wenn sie ihrer Natur nach geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit des Wählenden ernstlich zu beeinträchtigen, oder wenn sie einen Verstoß gegen §§ 107 ff StGB darstellt. Eine derartige qualifizierte Wahlbeeinflussung ist unzulässig."

26

Danach ist eine unzulässige Wahlbeeinflussung dann anzunehmen, wenn der Wähler in bösartiger Weise durch objektiv unrichtige Tatsachen und Behauptungen über die für seine Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse getäuscht wird, so dass eine ernsthafte Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit gegeben ist. Zu einer solchen qualifizierten Wahlbeeinflussung ist die strafbare, die amtliche, die geistliche und die unter besonderem Druck vorgenommene private Wahlbeeinflussung zu rechnen (OVG Münster, Urt. vom 18.03.1997 - 15 A 6240/96 -, NVwZ-RR 1998, 196). Hierzu gehört auch der unzulässige Druck von Seiten anderer Bürger oder gesellschaftlicher Gruppen (BVerfG, B. vom 10.04.1984, a.a.O.).

27

Von einer strafbaren oder unter besonderem Druck vorgenommenen privaten Wahlbeeinflussung, die geeignet wäre, die Entscheidungsfreiheit des Wählers ernstlich zu beeinträchtigen, kann bei den genannten Wahlkampfaktivitäten des Klägers keine Rede sein.

28

a)

Das von dem Kläger vor der Stichwahl am 23. September 2001 an die Haushalte verteilte Flugblatt ist nicht geeignet gewesen, die Wähler in der Freiheit ihrer Entschließung über die Stimmabgabe ernstlich zu beeinträchtigen. Das Flugblatt ist mit der Überschrift ... - Ihr parteiunabhängiger Kandidat für das Amt des Bürgermeisters der Samtgemeinde ...- versehen. Für den Wähler war damit unmissverständlich erkennbar, dass es sich um eine aktuelle Werbemaßnahme des Klägers für die Stichwahl zum Bürgermeisteramt handelte. Der Inhalt des Flugblattes, insbesondere dass "die SEB kritisch beleuchtet werden (müsse) - für mehr Klarheit, Gerechtigkeit und Einschränkung möglicher Missbräuche", kann nicht als "bösartiges Wahlmanöver" angesehen werden. Dabei ist hier unbeachtlich, ob und welche Gerüchte über den Beigeladenen und über sein Amt als Geschäftsführer bei der SEB im Umlauf waren. Der Kläger hat in seinem Flugblatt lediglich deutlich gemacht, dass er sich für eine Aufklärung dieser Gerüchte einsetzen werde. Damit hat der Kläger nicht wider besseres Wissen eine unwahre Tatsache behauptet oder den Beigeladenen grob verleumderisch angegriffen. Er hat in seinem Flugblatt auch keine unzulässigen Vorwürfe geäußert, sondern lediglich auf mögliche Unregelmäßigkeiten durch die SEB hingewiesen. Im Übrigen hat die Presse den Inhalt des Flugblattes aufgegriffen und mit dem Artikel in der LZ vom 20. September 2001 die unterschiedlichen Auffassungen der Kandidaten dargestellt. Der Leser des Flugblattes hat sich deshalb hinreichend vor der Stichwahl aus anderen Quellen unterrichten und aufgrund der Presseveröffentlichung ein eigenes Urteil über die unterschiedlichen Auffassungen der Kandidaten zu dieser Frage bilden können. Jeder Wähler hat zudem nach Kenntnisnahme des Flugblattes die Möglichkeit gehabt, die Argumente des Kandidaten zu bedenken und sich bei dem Beigeladenen über dessen Auffassung zu dem Inhalt dieses Flugblattes zu informieren. Auch dem Beigeladenen wäre es zeitlich möglich gewesen, zu dem Inhalt dieses Flugblattes Stellung zu nehmen. Im übrigen sind auch Flugblätter für den Beigeladenen verteilt worden, die jedoch auf den Inhalt des Flugblattes des Klägers nicht Bezug genommen haben.

29

b)

Die Äußerungen des Klägers in dem Artikel der ... vom 20. September 2001 stellen ebenfalls keine unzulässige Wahlbeeinflussung dar. Zwar hat der Kläger in diesem Zeitungsartikel der SEB und damit dem Beigeladenen als Geschäftsführer der SEB vorgeworfen, die SEB habe Versprechungen gegenüber Neubürgern nicht eingehalten, zudem habe sie zu hohe Erschließungskosten verlangt, im Übrigen sei die notwendige Kontrolle in der Geschäftsführung erschwert, weil ihr auch die Lebensgefährtin des Beigeladenen angehöre. Diese Vorwürfe des Klägers mögen zwar über eine sachliche Argumentation hinausgehen. Wenn jedoch in einem Wahlkampf emotionsgeladen und polemisch Kritik am Gegner geübt wird, ist darin noch kein bösartiges Wahlmanöver zu sehen. Aus dem Zeitungsbericht geht eindeutig hervor, dass es sich um Meinungsäußerungen des Klägers handelt. Zudem hat der Beigeladene die Möglichkeit gehabt, unmittelbar auf die Vorwürfe des Klägers zu reagieren und diese ggf. richtigzustellen. Er hat seine Auffassung zu dem Vortrag des Klägers in diesem Zeitungsartikel ausführlich dargelegt. In diesem Zeitungsartikel findet sich damit eine ausgewogene Darstellung des Schlagabtausches der beiden Kandidaten wieder. Dem Wähler ist es deshalb ohne Schwierigkeiten möglich gewesen, in diesem Bericht beide Standpunkte nachzulesen und sich ein eigenes Urteil zu bilden.

30

Die Äußerung des Klägers in diesem Zeitungsartikel "Wenn alles genau geprüft ist, halte ich es für möglich, dass es zu einem Disziplinarverfahren kommt", enthält zwar einen massiven Vorwurf an den Beigeladenen, der jedoch auch noch als zulässige Verlautbarung innerhalb eines Wahlkampfes gesehen werden kann. Zwar hat der Kläger bei dem Leser mit dieser Äußerung suggeriert, dass der Beigeladene möglicherweise dienstrechtlich wegen Unregelmäßigkeiten bei der SEB belangt werden könne. Er hat sich jedoch des Konjunktivs bedient und die Forderung eines Disziplinarverfahrens von Voraussetzungen abhängig gemacht ("wenn alles genau geprüft ist"). Zwar hat sich der Kläger laut Zeitungsbericht "auf Quellen, die er nicht nennen darf, und auf Gespräche mit zahlreichen Bürgern, die sich angeblich für die Geschäftspraktiken der SEB beklagen" berufen. Dieser Passus könnte von einem durchschnittlichen Leser und Wähler so verstanden werden, dass an den Vorwürfen und Vermutungen "etwas Wahres dran wäre". Der Kläger hat jedoch in dem Zeitungsartikel keine unwahren Behauptungen aufgestellt, sondern lediglich die Möglichkeit eines Missbrauchs in den Raum gestellt. Dies ist aber noch keine unzulässige Wahlbeeinflussung, zumal die Argumente des Beigeladenen in diesem Zeitungsartikel ausgewogen gegenübergestellt worden sind.

31

c)

Schließlich stellt auch der vom Kläger verfasste Leserbrief in der LZ vom 22. September 2001 keine unzulässige Wahlbeeinflussung dar. Zwar wird vielen Lesern bekannt gewesen sein, dass der Kläger Kandidat für den Samtgemeindebürgermeisterposten gewesen ist. Der Kläger hat auch sicherlich beabsichtigt, mit diesem Leserbrief Wähler für sich zu gewinnen, so dass hier eine Wahlbeeinflussung gegeben ist. Dass der Kläger aber in diesem Leserbrief den Wähler in unzulässigerweise beeinflusst hätte, ist nicht ersichtlich. Der Leserbrief enthält keine verleumderischen Äußerungen gegenüber dem Beigeladenen. Vielmehr bekräftigt der Kläger darin lediglich, dass er "dabei bleibe, dass die SEB kritisch beleuchtet werden" müsse. Ein bösartiges Wahlmanöver oder ein Wahlschwindel können in dieser Äußerung nicht gesehen werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass auf der Leserbriefseite der LZ vom 22. September 2001 unmittelbar neben dem Artikel des Klägers ein Leserbrief eines Ratsmitglieds des Beklagten abgedruckt worden ist mit dem Titel "Tolle Arbeit", in dem die Tätigkeit der SEB und ihrer Geschäftsführer und damit auch des Beigeladenen gelobt wird. Angesichts dieser ausgewogenen Darstellung auf der Leserbriefseite hat der Wähler auch hier die Möglichkeit gehabt, sich für seine Wahlentscheidung zu informieren und frei zu entscheiden, welchem Kandidaten er seine Stimme geben will.

32

Nach alledem liegt im vorliegenden Fall keine unzulässige Wahlbeeinflussung vor. Die Einwendungen der Einspruchsführer gegen die Stichwahl vom 23. September 2001 sind nicht begründet. Auf die Frage, ob ein wesentlich anderes Wahlergebnis zustande gekommen wäre, kommt es deshalb nicht mehr an. Die Wahlprüfungsentscheidung des Beklagten vom 8. November 2001 ist demnach aufzuheben und die Stichwahl vom 23. September 2001 gem. § 48 Abs. 1 Nr. 2 NKWG für gültig zu erklären.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

34

Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 6.000,00 EUR festgesetzt.