Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 22.04.2002, Az.: 5 A 96/01

Geschäftsführer; Gewerbesteuer; Haftungsbescheid; Realsteuer; Rücklagenbildung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.04.2002
Aktenzeichen
5 A 96/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41872
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

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Der Kläger wendet sich gegen einen Haftungsbescheid der Beklagten über Gewerbesteuer für die Jahre 1993 bis 1997.

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Der Kläger ist Geschäftsführer der C. gewesen.

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Die Beklagte setzte mit Gewerbesteuerbescheiden vom 14. Juli 1998 für die Jahre 1993, 1994, 1995 und 1996 und vom 27. Juli 1999 für das Jahr 1997 für diese GmbH Gewerbesteuern in Höhe von insgesamt 36.538,-- DM inkl. Nachzahlungszinsen und Säumniszuschläge aufgrund von Gewerbesteuermessbescheiden des Finanzamtes D. vom 8. Juli 1998 (für die Jahre 1993, 1994, 1995, und 1996) und vom 26. Juli 1999 (für das Jahr 1997) fest. Die C. zahlte die Gewerbesteuern nicht. Sie legte gegen die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes D. Einspruch ein, den das Finanzamt ablehnte. Hiergegen erhob die GmbH Klage vor dem Finanzgericht Hannover.

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Im November 1999 wurde für die GmbH das Insolvenzverfahren beantragt. Durch Beschluss des Amtsgerichts E. vom 20. Januar 2000 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse abgelehnt und die GmbH aufgelöst.

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Das Verfahren vor dem Finanzgericht Hannover wurde wegen der Löschung der GmbH aus dem Handelsregister unterbrochen, weil der Kläger durch die Löschung seine Vertretungsbefugnis verloren hatte. Nachdem kein Nachtragsliquidator für die GmbH bestellt wurde, legte das Finanzgericht das Verfahren weg.

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Mit Bescheid vom 16. März 2000 nahm die Beklagte den Kläger als persönlich haftenden Geschäftsführer für einen Gewerbesteuerrückstand 1993 bis 1997 einschließlich Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen in Höhe von 36.538,-- DM in Anspruch.

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Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, dass die C. zu keiner Zeit Gewinne erwirtschaftet habe. Zudem müsse das Urteil des Finanzgerichts Hannover über die Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrages durch das Finanzamt D. abgewartet werden.

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Der Samtgemeindeausschuss der Beklagten wies den Widerspruch in seiner Sitzung vom 13. April 2000 zurück. In dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 30. Mai 2000 führte sie zur Begründung aus, dass die Steuerschulden Schulden der C. seien. Zwar hafte für diese Schulden ausschließlich dass Gesellschaftsvermögen. Ausnahmsweise hafte der Kläger persönlich als Geschäftsführer gemäß § 69 AO.

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Der Kläger hat am 29. Juni 2000 Klage erhoben. Er verfolgt sein Begehren weiter.

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Der Kläger beantragt,

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den Haftungsbescheid der Beklagten vom 16. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie tritt dem Vortrag des Klägers entgegen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.

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Der Haftungsbescheid der Beklagten vom 16. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 2000 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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Der Inhalt des angefochtenen Haftungsbescheids der Beklagten vom 16. März 2000 erfüllt noch die Voraussetzungen des § 191 Abgabenordnung (AO) (vgl. Rüsken, in: Klein, Abgabenordnung, Kommentar, 7. Aufl. 2000, § 191 Rn. 77). Zwar enthalten weder der Haftungsbescheid selbst noch der Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2000 eine Aufschlüsselung der Haftungssumme. Dies kann in dem vorliegenden Fall jedoch als entbehrlich angesehen werden, weil dem Kläger als Geschäftsführer der GmbH die einzelnen Haftungszeiträume und ihre Beträge aus den Gewerbesteuerbescheiden gegen die GmbH bekannt gewesen sind. Einer besonderen Begründung zum Auswahlermessen bedurfte es nicht, weil andere Haftungsschuldner offensichtlich nicht in Betracht kommen. Im Ausgangsbescheid fehlt eine Begründung zur Pflichtverletzung des Klägers. Die Geltendmachung einer Pflichtverletzung wurde aber in dem Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2000 nachgeholt.

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Rechtsgrundlage für die persönliche Haftung des Klägers als ehemaliger Geschäftsführer der GmbH für die Gewerbesteuer sind die §§ 191 Abs. 1, 69 Satz 1, 34 Abs. 1 AO, die für die Gewerbesteuer als Realsteuer direkt anwendbar sind (§§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2 AO). Nach § 191 Abs. 1 AO kann durch schriftlichen Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Gemäß §§ 69 Satz 1, 34 Abs. 1 AO haftet der Geschäftsführer einer GmbH als deren gesetzlicher Vertreter, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die steuerrechtliche Haftung des Geschäftsführers ist aber insofern akzessorisch, als sie auch eine Steuerpflicht der GmbH voraussetzt (Nds. OVG, Urt. v. 22.10.1996 b- 13 L 3764/94 -, NSt-N 1997, 74; Rüsken, in: Klein, a.a.O., § 33 Rn. 28). Darüber hinaus muss die Pflichtverletzung des gesetzlichen Vertreters dafür ursächlich sein, dass ein Haftungsschaden eingetreten ist und ohne die Pflichtverletzung nicht eingetreten wäre (Nds. OVG, Urt. v. 22.10.1996, a.a.O).

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Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben.

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Auf Seiten der Beklagten ist ein Schaden eingetreten, da die der Beklagten gegen die C. zustehenden Gewerbesteueransprüche und die Ansprüche auf Nachzahlungszinsen (§§ 3 Abs. 3, 233 a AO), die Ansprüche nach § 37 Abs. 1 AO darstellen, nicht entrichtet worden sind.

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Der Kläger hat als Geschäftsführer der GmbH seine steuerlichen Pflichten in qualifizierter Weise verletzt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 AO hat der Geschäftsführer einer GmbH die Pflicht, die Steuern aus den verwalteten Mitteln zu entrichten.

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Dieser Pflicht ist der Kläger nicht nachgekommen. Zwar ist nicht ersichtlich, ob die GmbH in dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Gewerbesteuern im Jahr 1998, als die Beklagte die Gewerbesteuern gegenüber der GmbH mit Bescheiden vom 14. Juli 1998 und vom 27. Juli 1999 geltend gemacht hat, tatsächlich Einkünfte erzielt hat. Dies kann hier jedoch dahingestellt bleiben, weil die Pflicht eines Geschäftsführers auch das Gebot umfasst, in einem erfolgreichen Geschäftsjahr Rücklagen zu bilden. Denn der gesetzliche Vertreter eines Steuerschuldners ist bereits vor Fälligkeit der Steuer verpflichtet, die Mittel des Steuerschuldners so zu verwalten, dass dieser zur pünktlichen Zahlung später festgesetzter und später fällig werdender Steuerschulden in der Lage ist (Rüsken, in: Klein, a.a.O., § 34 Anm. 14 m.w.N.). Dies hat der Kläger als Geschäftsführer der C. schuldhaft unterlassen. Denn ausweislich der Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes D. vom 8. Juli 1998 und vom 26. Juli 1999 hatte die C. 1993 Gewinne in Höhe von 46.464,-- DM, im Jahr 1994 in Höhe von 55.220,-- DM, im Jahr 1995  62.641,-- DM, im Jahr 1996 in Höhe von 832,-- DM und Jahr 1997 in Höhe von 30.627,-- DM erzielt. Dabei ist es hier unerheblich, dass im Jahr 1996 nur ein geringer Gewinn in Höhe von 832,- -DM erzielt worden ist. Denn der Kläger hatte als Geschäftsführer gem. § 34 Abs. 1 Satz 2 AO die Pflicht, in den Vorjahren Rücklagen bilden müssen, um die Steuern zu zahlen. Es ist deshalb hier nicht so, dass eine Haftung des Klägers als Vertreter nicht in Betracht kommt, weil die vertretene C. zur Zahlung von Steuern finanziell nicht in der Lage gewesen wäre. Eine die Haftung ausschließende Liquidität ist nicht schon dann anzunehmen, wenn die finanziellen Mittel nicht zur Zahlung aller Schulden ausreichen. Die Steuerrückstände sind dann vielmehr etwa in gleicher Weise zu tilgen wie die Forderungen anderer Gläubiger (Rüsken, in: Klein, a.a.O., § 69 Anm. 20 m.w.N.). Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung am 22. April 2002 vorgetragen, dass die GmbH alle Forderungen ihrer Gläubiger erfüllt habe. Er hätte deshalb vor der Befriedigung anderer Gläubiger Rücklagen für künftig fällig werdende Steuerforderungen bilden müssen. Dies gilt um so mehr, als sich im Jahr 1996 eine Verschlechterung der Liquiditätslage der GmbH angekündigt hat, die im Jahr 1997 offensichtlich wieder aufgefangen werden konnte.

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Der Kläger kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, ihm seien in den Jahren 1993 bis 1997 die künftig fällig werdenden Steuerforderungen nicht bekannt gewesen, weil er davon ausgegangen sei, keine Gewerbesteuer zahlen zu müssen. Denn der Kläger musste als Geschäftsführer einer GmbH damit rechnen, dass das Finanzamt Gewerbesteuermessbeträge festsetzen und die Beklagte bei einer entsprechenden Festsetzung der Gewerbesteuermessbeträge Gewerbesteuern gegen die GmbH erheben würde. Auch das Vorbringen des Klägers, die Festsetzungen in den Gewerbesteuermessbescheiden des Finanzamtes Winsen/Luhe vom 8. Juli 1998 und vom 26. Juli 1999 seien rechtswidrig, weil das Finanzamt es unterlassen habe, Mietkosten der GmbH anzurechnen, kann im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden. Denn Einwendungen gegen die im Gewerbesteuermessbescheid festgelegten Besteuerungsgrundlagen können ausschließlich im Rechtsweg vor den Finanzgerichten erhoben werden. Im übrigen hat die GmbH die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes vor dem Finanzgericht angefochten. Nachdem die GmbH jedoch gelöscht worden und kein Nachtragsliquidator bestellt worden ist, hat das Finanzgericht das Verfahren weggelegt. Mit einer Entscheidung durch das Finanzgericht ist mangels Liquidität des Klägers nicht mehr zu rechnen.

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Der Rechtmäßigkeit der Bescheide der Beklagten steht nicht entgegen, dass die Gewerbesteuermessbescheide des Finanzamtes noch nicht unanfechtbar sind, weil das Verfahren vor dem Finanzgericht Hannover noch nicht beendet worden ist. Zwar steht damit nicht fest, dass es sich bei dem angesetzten Haftungsbetrag von 36.538,-- DM um den bei der Beklagten tatsächlich entstandenen Steuerausfall handelt. Denn die bisher festgesetzte - von der H. des Klägers nicht angefochtene -Gewerbesteuer kann nach Abschluss des finanzgerichtlichen Verfahrens noch geändert werden (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Dies steht jedoch der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Haftungsbescheids nicht entgegen. Denn die Geltendmachung durch Haftungsbescheid setzt nicht voraus, dass zuvor gegenüber dem Steuer- und Zinsschuldner oder gegenüber dem Haftungsschuldner der Tatbestand in einem Grundlagenbescheid gesondert festgestellt worden ist (BVerwG, B. v. 16.9.1997 - 8 B 143/97, BStBl. II 1997, 782ff.). Bereits § 191 Abs. 3 Satz 4 AO zeigt, dass der Haftungsbescheid zwar die Existenz, nicht aber die vorherige Festsetzung des Primäranspruchs, also der Steuerschuld voraussetzt. Die Haftung nach § 71 AO ist danach zwar grundsätzlich akzessorisch, nicht aber subsidiär. Dementsprechend führt § 37 Abs. 1 AO den Haftungsanspruch neben dem Steueranspruch als selbständigen Anspruch aus dem Steuerverhältnis auf.

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Im übrigen kann, wenn die dem Haftungsbescheid zugrundeliegenden Steueransprüche durch nachträgliche Änderungen in der Festsetzung der Erstschuld entfallen sind, eine Rücknahme des Haftungsbescheids gegenüber dem Haftungsschuldner gemäß § 130 AO in Betracht kommen (vgl. BFH, Urt. v. 12.8.1997 - VII R 107/96, NVwZ-RR 1998, 482 f.).

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Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schmälerung der Ansprüche liegt hier ebenfalls vor. Auch Vorsatz, zumindest aber grobe Fahrlässigkeit ist gegeben. Denn dem Kläger hätte als Geschäftsführer der C. ohne weiteres einleuchten müssen, dass er zu der dargelegten Rücklagenbildung verpflichtet ist.

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Die Inhaftungnahme für Nachzahlungszinsen ist gemäß § 233 a AO rechtmäßig. Die Haftung bezieht sich auf Ansprüche aus dem Steuerverhältnis. Hierzu gehören nach § 3 Abs. 3 AO auch die steuerlichen Nebenleistungen. Die Haftung besteht daher auch für die Verspätungs- und Säumniszuschläge, die infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Dabei geht es um Verspätungs- und Säumniszuschläge gegen den Steuerpflichtigen selbst, für die dann der Vertreter haftet, wenn er sie nicht entrichtet hat. Für die Verspätungs- und Säumniszuschläge kommt es nur darauf an, dass sie während der Tätigkeit als Vertreter fällig geworden sind, was vorliegend der Fall war.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

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Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.