Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 22.04.2002, Az.: 1 A 1/98

Aufenthaltsgenehmigung in Form der Aufenthaltsbefugnis; Gewährung von Asyl unter Hinweis auf seine Teilnahme an Streiks in der ehemaligen CSFR; Allgemeine Härteklausel; Gesetzlich bestehende Ermessenspielraum zum Zwecke der Reduzierung von "Dauerduldungen"

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
22.04.2002
Aktenzeichen
1 A 1/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 18314
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2002:0422.1A1.98.0A

Fundstelle

  • InfAuslR 2002, 367-370

Verfahrensgegenstand

Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 3 und 4 AuslG

Prozessführer

Herr I.

Rechtsanwälte

Prozessgegner

Landkreis

hat

das Verwaltungsgericht Lüneburg - 1. Kammer -

ohne mündliche Verhandlung am 22. April 2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht xxx als Einzelrichter

für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 30.01.1997 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung B 01.12.1997 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf seinen Antrag vom 23.01.1997 eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG zu erteilen.

Die Verfahrenskosten trägt der Beklagte; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.

Der Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1

Der Kläger - ein vietnames. Staatsangehöriger - erstrebt eine Aufenthaltsgenehmigung in Form der Aufenthaltsbefugnis (§ 30 AuslG).

2

Er lebte von 1985 bis 1991 als Vertragsarbeitnehmer in der ehem. CSFR. Im Januar 1991 kam er ohne Visum in das Bundesgebiet und beantragte hier die Gewährung von Asyl unter Hinweis auf seine Teilnahme an Streiks in der ehem. CSFR, was mit Bescheid v. 27. Februar 1991 (B 1091366-432) als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde. Hierauf erging im März 1991 eine Ausreiseaufforderung. Dagegen und auch gegen die Ablehnung seines Asylantrages wandte sich der Kläger zunächst erfolglos mit gerichtlichen Rechtsschutzanträgen sowie mit einer Petition beim Nds. Landtag. Durch Beschluss der Kammer vom 19.07.1991 (1 B 371/91) wurde dann die aufschiebende Wirkung der zuvor erhobenen Klage angeordnet, die Klage selbst dann jedoch durch Urteil vom 15.06.1993 -1 A 552/91 - abgewiesen. Ein Antrag auf Zulassung der Berufung blieb erfolglos (Beschl, des Nds. Oberverwaltungsgerichts v. 10.12.1993 - 9 L 3770/93 -). Der Kläger wurde seitdem geduldet, weil Abschiebungen nach Vietnam wegen der Weigerung dieses Staates, ausreisepflichtige Vietnamesen aufzunehmen, tatsächlich unmöglich waren (vgl. Sehr, des Nds. MI v. 03.03.1994 an den Beklagten). So wurde u.a. den Duldungen vom 15. Februar 1994 sowie vom 14. Febr. und 8. Aug. 1995 jeweils die Nebenbestimmung beigefügt: "Erlischt, sobald Rückführung in das Herkunftsgebiet wieder möglich ist". Auch spätere Duldungen enthielten derartige Nebenbestimmungen (z.B. Duldung v. 11.07.1997).

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Mit Schreiben vom 23. Januar 1997 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis, was mit Bescheid vom 30. Januar 1997 abgelehnt wurde, weil zwar "Abschiebungen nach Vietnam nicht möglich waren", jedoch eine freiwillige Ausreise in Betracht komme. Der daraufhin erhobene Widerspruch wurde durch den Widerspruchsbescheid vom 1. Dez. 1997 - zugestellt am 08.12.1997 - mit der Begründung zurückgewiesen, im Hinblick auf das deutsch-vietnames. Rückübernahmeabkommen v. 1995 könne offen bleiben, ob "eine freiwillige Ausreise... eventuell nicht innerhalb absehbarer Zeit möglich sein könnte". Denn unabhängig hiervon würde bei Annahme der Voraussetzungen aus § 30 Abs. 3 u. Abs. 4 AuslG das dann eröffnete Ermessen nicht zu Gunstenzugunsten des Klägers betätigt werden, weil die schon mehrere Jahre dauernde Weigerung des Staates Vietnam, seine eigenen Staatsangehörigen zurückzunehmen,"völkerrechtswidrig" sei. Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, auch des Interesses der Bundesrepublik daran, möglichst viele vietnames. Staatsangehörige zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen, scheide die erstrebte Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis aus.

4

Zur Begründung seiner am 5. Januar 1998 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, die Verweigerung einer Aufenthaltsbefugnis sei rechtswidrig. Er verfüge über einen festen Arbeitsplatz und sei sozial und wirtschaftlich weitestgehend integriert. Die Voraussetzungen für eine Erteilung der beantragten Aufenthaltserlaubnis lägen vor - zumal sein Heimatstaat ihn und seine vietnamesischen Landsleute gar nicht zurücknehmen wolle, wie die Praxis Vietnams gezeigt habe. Er habe seit 6 Jahren seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland und sich hier eine eigene wirtschaftliche Existenz aufgebaut. Der Kläger beantragt (sinngemäß),

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 01.12.1997 zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG zu erteilen,

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Er ist der Auffassung, jedenfalls grundsätzlich sei - bei allen Schwierigkeiten - eine freiwillige Ausreise nach Vietnam möglich, so wie das die entsprechenden Zahlen belegten. Die Möglichkeit freiwilliger Ausreise lasse den geltend gemachten Anspruch entfallen.

7

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet.

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Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß § 30 AuslG.

10

1.

Eine Erteilung der begehrten Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 1 und 2 AuslG scheidet aus, weil Abs. 1 dieser Vorschrift nicht für Ausländer gilt, die sich - wie der Kläger -bereits lange im Bundesgebiet aufhalten. Hinsichtlich des Abs. 2 der Vorschrift fehlt es an dem erforderlichen rechtmäßigen Aufenthalt.

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2.

Da der Kläger bisher nicht ausgewiesen oder abgeschoben worden ist, die Sperrwirkung des § 8 Abs. 2 AuslG also nicht zum Zuge kommt, kann der Kläger jedoch eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG beanspruchen. Diese Vorschrift stellt ebenso wie die anderen Absätze eine allgemeine Härteklauselneben § 70 AsylVfG dar (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 30 AuslG Rdn. 2), die u.a. dann eingreift, wenn Abschiebungshindernisse vorliegen und die Abschiebung (aus rechtlichen oder auch nur tatsächlichen Gründen) für einige Zeit - nicht nur vorübergehend - unmöglich ist. Dabei ist der gesetzlich bestehende Ermessenspielraum zum Zwecke der Reduzierung von "Dauerduldungen""möglichst auszuschöpfen, insbesondere in den Fällen, in denen sich eine Rückkehrmöglichkeit weiterhin nicht abzeichnet"(so ausdrücklich der Erlass des Nds. MI v. 21.01.2002 -45. 2-12230/1-1, §30).

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2. 1

Der Kläger ist ohne Frage unanfechtbar ausreisepflichtig: Hierfür reicht es aus, dass er kraft Gesetzes vollziehbar ausreisepflichtig iSv § 42 AuslG ist (VG Stuttgart, InfAusIR 1996, 423). Hier kommt hinzu, dass der Kläger auf Grundaufgrund des Bescheides v. 27.03.1991 -nach Rechtskraft des Asylurteils - ausreisepflichtig ist und sein Antrag v. 23.01.1997 wg.§ 69 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (sonstiger Verwaltungsakt) keine Fiktionswirkung mehr entfalten kann. Er ist grundsätzlich ausreisepflichtig und nach der eigenen Einschätzung des Beklagten wegen tatsächlicher Unmöglichkeit der Abschiebung nur fortlaufend - über viele Jahre - geduldet worden.

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2. 2

Für einen Anspruch aus § 30 Abs. 3 AuslG kommt es auf die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG an, nämlich u.a. auf die Unmöglichkeit der Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen. Insoweit enthält§ 30 Abs. 3 AuslG eine Rechtsgrundverweisung(Nds. OVG v. 19.04.1996 - 4 M 625/96 -, NVwZ-Beilage 1996, 87 m. w. N.; Nds. OVG v. 20.01.1997 - 4 M 7062/96 -, NVwZ-Beilage 1997, 28 = AuAS 1997, 154-155; Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, Bd. 1, Loseblattsammlung/Std. Juli 2001, § 30 Rdn. 107), deren Voraussetzungen hier gegeben sind, zumal es bei § 55 Abs. 2 AuslG gar nicht darauf ankommt, ob der Ausländer auch - worauf der Beklagte abzustellen versucht - freiwilligausreisen könnte (BVerwG, NVwZ 1998, 297). Im Übrigen ist es nach dem gen. Erlass des Nds. MI v. 21. Januar 2002 so, dass dann,

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"wenn aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen,... diese Gründe regelmäßig auch einer freiwilligen Ausreise entgegengehen). Dies ist auch der Fall, wenn die Rückkehr unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Situation unzumutbar ist" - Pkt. 3 letzter Absatz d. Erl.

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Hierbei ist der Ermessenspielraum "grundsätzlich zu Gunstenzugunsten der ausländischen Staatsangehörigen auszuschöpfen, um langjährige Duldungszeiten möglichst zu vermeiden" (Pkt. 3 vorletzter Abs. d. Erl. ). Das ist der Sinn und Zweck des § 30 Abs. 3 AuslG. Demgemäß ist im Gegensatz zum angefochtenen Bescheid v. 30.01.1997, demzufolge die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis"zwingend" ausgeschlossen sei, solange (noch) eine freiwillige Ausreise möglich sei, vielmehr in Übereinstimmung mit dem Gesetzeszweck und dem gen. Erlass davon auszugehen, dass schon bei Vorliegen entsprechender Gründe (s. o. ) oder aber bei Unzumutbarkeit einer Rückkehr eine Rückkehrmöglichkeit für den betreffenden Ausländer nicht mehr angenommen werden kann. Seine Rückkehr ist damit im vorausgesetzten Sinne unmöglich. Nachdem der Kläger hier bisher keine Ausweispapiere von der vietnamesischen Botschaft hat erhalten können, obwohl Anträge auf Rückübernahme seitens des Beklagten unter Vorlage des Reisepasses des Klägers gestellt worden sind (am 15.01.1996), liegt es so, dass aus tatsächlichen Gründen - dem Verweigern seitens der vietnamesischen Behörden bzw. dem Fehlen von Einreisepapieren - sowohl eine Ausreise wie auch eine Abschiebung derzeit unmöglich sind. Damit liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis vor.

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Denn diese kommt gem. § 30 Abs. 3 AuslG"vorrangig dann in Betracht, wenn die Abschiebung... aus rechtlichen Gründen auf einen längeren Zeitraum gesehen unmöglich erscheint. Denn mit Hilfe einer Duldung kann die Abschiebung nur zeitweise ausgesetzt werden...; auch kommt ihr nicht die Funktion.... eines vorbereitenden oder ersatzweise gewährten Aufenthaltsrechts zu" (OVG Bautzen, InfAusIR 2000, 76/77).

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2. 2. 1

Es fehlt hier an der Aufnahmebereitschaft des vietnamesischen Staates, so dass eine Ausreise des Klägers insgesamt nicht möglich ist. Nach Auffassung des BMI v. 30.09.1997 (Az. A 2b -125 610 VIE /1) fallen auch vietnamesische Staatsangehörige, die freiwillig nach Vietnam zurückkehren wollen, in den Anwendungsbereich des mit Vietnam geschlossenen Rückübernahmeabkommens, "sofern sie nicht im Besitz von gültigen Heimreisedokumenten (einschließlich Heimreisevisum) sind". In Art. 1 dieses Abkommens ist ein Übernahmeermessen festgelegt, dem sich ein mehrstufiges Verfahren nebst Überprüfung der einschlägigen Unterlagen anschließt (Art. 2 ff. des Protokolls). Von ca. 20. 000 an das vietnamesische Innenministerium weitergeleiteten Anträgen auf Rückübernahme sollen so über 5000 zurückgegeben worden sein (Stand 1997, Sitzung der Arbeitsgemeinschaft "Rückführung" am 29. /30. Juli 1997 in Düsseldorf). Nach Auskunft der Grenzschutzdirektion Koblenz sind verschiedene Rückführungsanträge (u.a. in der Sache 1 A 135/97) von der vietnamesischen Seite"ohne Einzelfallbegründung" und lediglich mit allgemeinen Ausführungen abgelehnt worden.

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Nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge stellt jedoch der vietnamesische Staat auch außerhalb des gen. Abkommens die erforderlichen Reisedokumente (u.a. Heimreisevisum) nicht aus, u. zw. vor allem dann nicht, wenn klar wird, dass der Antragsteller früher als Vertragsarbeitnehmer in der CSFR, in Bulgarien, Ungarn usw. tätig war. In diesen Fällen verneint die jeweilige vietnames. Botschaft ihre "Zuständigkeit". Dabei schützt der vietnamesische Staat nach den Informationen der Kammer auch einmal vor, der Name oder das Geburtsdatum des zurückzuführenden vietnamesischen Staatsbürgers seien nicht korrekt angegeben, oder aber er benennt die Gründe seiner Weigerung erst gar nicht im Einzelnenim einzelnen (s. o. ). Es mag sein, dass die vietnames. Regierung so "den EinflussEinfluß westlicher Werte über die Rückkehrerinnen unter Kontrolle halten" will (so TAZ v. 22.09.1998). Auch für eine Rückführung durch die Intern. Organization for Migration - IOM -werden Pässe und Rückreisevisa benötigt, bei deren Beantragung IOM It. Schreiben vom 21.04.1997 nicht behilflich sein könne. Bei dieser Gesamtlage ist weder eine freiwillige Rückkehr im Rahmen des Rückübernahmeabkommens noch aber eine solche außerhalb dieses Abkommens - mangels Visum bzw. Genehmigung der vietnamesischen Seite -tatsächlich möglich (vgl. OVG Berlin, Beschl, v. 07.02.1994, InfAusIR 1994, 236). Die Möglichkeit, über Bestechungsgelder Zutritt zur vietnames. Botschaft und letztlich auch zu Heimreisepapieren zu erlangen, hat hier außer Betracht zu bleiben. Von dieser Unmöglichkeit einer Rückkehr nach Vietnam wird auch im Widerspruchsbescheid (S. 3) ausgegangen:

"Der Staat Vietnam hat sich über mehrere Jahre geweigert, die große Zahl der in Deutschland lebenden ausreisepflichtigen Vietnamesen, d. h. seine eigenen Staatsangehörigen, zurückzunehmen. Diese Weigerung war völkerrechtswidrig. "

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Das Motiv für diese Weigerung des vietnamesischen Staates und dessen "Völkerrechtswidrigkeit" ist im Rahmen von § 30 Abs. 3 AuslG ohne jede Bedeutung: Es geht nur um tatsächliche Hindernisse, die entgegen stehen; ihre rechtliche Bewertung ist bedeutungslos. Die Weigerung Vietnams ist belegt durch die nachhaltigen Bemühungen des Beklagten in einer Reihe von Fällen, die jedoch nicht zu einem Rückführungserfolg geführt haben (vgl. dazu VG Stuttgart, InfAusIR 1996, 423/424).

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Unter diesen Umständen gehört es nicht mehr zu den Obliegenheiten des Klägers, eine Einreise nach Vietnam tatsächlich zu versuchen. Denn solche Versuche sind dann nicht mehr zumutbar, wenn sie von vorneherein aussichtslos sind (BVerwG, Urt. v. 15.02.2001 -BVerwG 1 C 23. 00 -). So liegt es jedoch angesichts der Gesamtumstände hier, wie die im Januar 1996 fruchtlos gestellten Anträge auf Rückübernahme des Klägers, die dem Landeskriminalamt Niedersachsen im Mai 1997 übermittelte "Rückführungsliste / R-Liste" sowie die sog. "N-Liste" vom Jan. 2002 aufzeigen, welche in einer Reihe von Fällen die Unmöglichkeit einer Rückführung nach Vietnam nachhaltig belegt hat (vgl. dazu Urteile der Kammer v. 20. 2. 02 -1 A 141/98, 1 A 144/98, 1 A 137/97, 1 A 377/99).

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2. 2. 2

Diese tatsächlichen wie rechtlichen Hindernisse für eine freiwillige Ausreise bzw. Abschiebung hat der Kläger nicht etwa zu vertreten: Es ist gerichtsbekannt, dass vom vietnamesischen Staat Heimreisepapiere an "Renegaten" nicht ausgegeben werden, dieser Staat die Rückreise solcher Personen nicht wünscht bzw. behindert, was angesichts -der bekannt gewordenen "N-Liste" plausibel ist. Art und Umfang einer - freiwilligen - Mithilfe des Klägers haben dabei kein Gewicht, da die Grenzschutzdirektion Koblenz die Angaben in allen Rückübernahmeanträgen selbstständigselbständig noch in die Form des Selbstangabe-Vordrucks umsetzt (so Antwort des Staatssekretärs S auf Frage 13 der Kl. Anfrage gem. Presseinformation des Nds. MI v. 05.08.1997), um eine Bearbeitung durch die vietnamesische Seite sicher zu stellen. So dürfte auch mit den hier gestellten Rückübernahmeanträgen verfahren worden sein (Antrag v. 15.01.1996). Alle diese Hindernisse hat der Kläger nicht zu vertreten, da sie objektiver Art sind.

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Die konkrete Möglichkeit der Rückführung/Abschiebung des Klägers ist damit z. Z. nicht gegeben - wenngleich es immer noch nicht ausgeschlossen zu sein scheint, dass der Zielstaat Vietnam sich (ohne rechtliche Verpflichtung) zu einer Aufnahme entschließt, was dann ausreichte (Renner, Ausländerrecht, Komm. 7. Aufl. 2000,§ 55 Rdn. 8). Derzeit jedenfalls gibt es dafür keinerlei Anzeichen, so dass eine entsprechende Prognose (vgl. Renner, aaO. ) negativ ausgeht und damit zu Gunsten des Klägers ausschlägt.

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2. 3

Selbst dann, wenn man mit dem Beklagten davon ausgehen wollte, für den Kläger, dessen Abschiebung nicht möglich ist, sei eine freiwillige Ausreise noch irgendwie denkbar und auch tatsächlich möglich, so wäre sie ihm als solche jedenfalls nicht zuzumuten. Denn § 30 Abs. 3 AuslG fungiert auch als Auffangvorschrift in Fällen, in denen - etwa mit Blick auf Art. 3, 6 od. Art. 8 EMRK - dem Ausländer die Ausreise rechtlich nicht möglich (vgl. Nds. OVG in InfAusIR 2001, S. 333) bzw. sie für ihn aus entsprechenden Gründen nicht zumutbar ist (Renner, aaO. § 30 Rdn. 9; BVerwG, EZAR 021 Nr. 6; Erlass des Nds. MI v. 21.01.2002 / Pkt. 3 letzter Absatz). Solche Unzumutbarkeit liegt hiervon

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Im Falle des Zielstaates Vietnam ist für den Kläger mit erniedrigenden Strafen oder Behandlungen iSv Art. 3 EMRK zu rechnen, da das diktatorische Regime in Vietnam Ausländer, die lange in Europa gelebt haben, möglicherweise - was von Zufällen abhängt -nicht iSd Art. 3 und 6 EMRK fair behandeln wird, sondern sie in aller Regel zunächst in Erstaufnahmelager verbringt, aus denen die Rückkehrer erst "nach einigen Tagen, häufig gegen Bezahlung eines Bestechungsgeldes, wieder frei" kommen (so Gutachten von amnesty intern, v. 04.06.1998, S. 2). Eine dann folgende dauerhafte Internierung bzw. sogar Verhaftung ist möglich (ai, aaO., S. 3). Auch die Heranziehung zu unbezahlter Arbeit und anderen (sklavenähnlichen) Diensten ist nach den Erkenntnissen der Kammer nicht auszuschließen. Somit liegen ausreichende Gründe in dem Sinne vor, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in sein Herkunftsland"einem tatsächlichen Risiko ausgesetzt wäre, dort einer von Art. 3 EMRK verbotenen Behandlung unterworfen zu werden" (EGMR, Kammer-3. Sektion, Urt. v. 06.03.2001, InfAusIR 2001, S. 417).

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2. 4

Bei dieser Lage der Dinge und mit Rücksicht auf die hartnäckige (langjährige) Weigerung des vietnamesischen Staates, einige seiner Staatsangehörigen zurückzunehmen, von der auch der Beklagte mehrere Jahre lang ausgegangen ist (vgl. die jeweils unter Nebenbestimmungen erteilten Duldungen) und ausgeht, ist im Rahmen der Beweiswürdigung (§§ 86, 108 VwGO) nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass für den Kläger derzeit keine Möglichkeit besteht, nach Vietnam zurückzukehren - vor allem auch nicht, wie der Beklagte meint, durch freiwilliges Handeln. Es ist hinreichend dargelegt und belegt, dass das offenbar nicht möglich ist. Weitere Nachweise - über die Feststellungen oben hinaus - sind dem Kläger nicht mehr abzuverlangen. Unter diesen Umständen hat nun der Beklagte seinerseits zu beweisen, dass - trotz der verweigernden Haltung des vietnamesischen Staates, wie sie u.a. auch in der"N-Liste" deutlich zum Ausdruck gekommen ist - eine freiwillige Ausreise für den Kläger doch nochüberhaupt tatsächlich möglich und ihm aber auch zumutbar ist (Beweislastumkehr). Hierbei ist die durchaus ernstliche und nicht etwa nur vage Möglichkeit einer solchen Rückreise und ihrer Zumutbarkeit vom Beklagten nachzuweisen (BVerfG NJW 1992, 226). Ein solcher Beweis ist von ihm nicht erbracht worden. Somit ist eine Ausreise wie auch Abschiebung, ob freiwillig oder zwangsweise, tatsächlich unmöglich bzw. für den Kläger unzumutbar.

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Da der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis an den Kläger keine Regelversagungsgründe entgegenstehen, der Kläger bereits seit vielen Jahren immer wieder Duldungen erhalten hat und dieser Zustand aller Voraussicht nach noch fortbestehen wird, was u.a. dem Sinn des gen. Erlasses des Nds. MI v. 21.02.2002 - Reduktion von Dauerduldungen - eindeutig widerspricht, ist nach Auffassung der Kammer unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände eine sog. Ermessensreduzierung auf Null festzustellen - mit der Folge, dass der Kläger einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gem. § 30 Abs. 3 AuslG hat.

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3.

Im Übrigen hat der Kläger auch aus § 30 Abs. 4 AuslG einen Anspruch auf Erteilung der erstrebten Aufenthaltsbefugnis. Diese Vorschrift gibt einen entsprd. Anspruch zwar erst in Fällen, in denen der seit mind. 2 Jahren ausreisepflichtige Ausländer mit einer Duldung im Bundesgebiet lebt und seine Abschiebung lange Zeit erfolglosgeblieben ist - aus welchen Gründen auch immer-, aberim vorliegenden Fall fehlt es nicht an dieser Voraussetzung, wobei ein unanfechtbarer Verwaltungsakt und nicht nur eine Ausreisepflicht auf Grundaufgrund des Gesetzes (§ 42 Abs. 1 AuslG) erforderlich ist. Die Ausreisepflicht soll eindeutig - mittels eines entsprd. Verwaltungsaktes - feststehen (BVerwG, InfAusIR 2001, 350 / 352).

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Der Kläger ist auf Grundaufgrund des Bescheides vom 27. März 1991, mit dem er zur Ausreise binnen 2 Wochen aufgefordert und ihm auch die Abschiebung angedroht worden ist, ausreisepflichtig, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 AuslG gegeben sind. Eine Ermessensausübung auf der Rechtsfolgeseite kommt damit auch nach dieser Vorschrift in Betracht. Zumutbare Bemühungen zur Beseitigung etwaiger Ausreisehindernisse hat der Beklagte für den Kläger - im Januar 1996 - hier erfolglos unternommen (s. o. ), so dass der Klage auch aus diesem Grunde stattzugeben ist. Dabei ist dem Sinngehalt der Vorschrift Rechnung zu tragen, demgemäß ja doch"gut integrierten Ausländerinnen und Ausländern die selbst geschaffenen Ausreisehindernisse nicht dauerhaft vorgehalten werden" (so Erlass des Nds. MI v. 21.01.2002, Pkt. 4), vielmehr"Dauerduldungen" reduziert werden sollen (Pkt. 1 Abs. 2 des gen. Erlasses). § 7 Abs. 2 AuslG steht hier nicht entgegen, so dass dem Kläger auch gem.§ 30 Abs. 4 AuslG die beantragte Aufenthaltsbefugnis zu erteilen und eine entsprechende Verpflichtung des Beklagten auszusprechen ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.