Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 27.02.2008, Az.: 1 B 2/08
Beamter; Polizei; Anordnungsanspruch; Auswahlentscheidung; Werturteile; Sachverhaltskontrolle; Leistungsgrundsatz; Regelbeurteilung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 27.02.2008
- Aktenzeichen
- 1 B 2/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 45931
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2008:0227.1B2.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 VwGO
- § 8 NBG
- Art. 33 Abs. 2 GG
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine Beförderungsentscheidung der Antragsgegnerin.
Die Antragsgegnerin wies der Polizeiinspektion B. /C. /D. im Januar 2008 zwei Beförderungsplanstellen der BesGr. A 10 BBesO zu. Auf entsprechenden Vorschlag der Polizeiinspektion B. /C. /D. gab die Antragsgegnerin mit Aushang vom 7. Januar 2008 bekannt, dass beabsichtigt sei, den Polizeikommissar E. sowie den Beigeladenen zu befördern.
Der am 30. Juli 1960 geborene Antragsteller wurde am 13. Mai 2001 zum Polizeikommissar ernannt. Er war zunächst bei der damaligen Bezirksregierung B. auf dem Dienstposten eines Sachbearbeiters - Kfz/Fahrlehrer eingesetzt. Im Rahmen der Auflösung der Bezirksregierung B. wurde er mit Wirkung ab 1. Oktober 2004 zur damaligen Polizeiinspektion B. auf den Dienstposten eines Sachbearbeiters im ESD beim Polizeikommissariat B. versetzt. Es handelte sich seinerzeit um die 5. Dienstabteilung, die der heutigen Verfügungseinheit entspricht. Tatsächlich ist der Antragsteller nach einem am 14. (12.) Oktober 2004 erlittenen Verkehrsunfall und einer ca. 4-monatigen Erkrankung seit dem 14. Februar 2005 im Fachkommissariat 7 der Polizeiinspektion B. /C. /D. eingesetzt, da er aufgrund einer Handverletzung, die er durch den Unfall erlitten hat, nur eingeschränkt polizeidienstfähig ist.
Während die dienstliche Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 1. September 2002 für den Zeitraum 1. November 1999 bis 31. August 2002 noch mit dem Gesamturteil "übertrifft erheblich die Anforderungen (4)" endete, wurde er zum Stichtag 1. September 2005 für den Zeitraum 1. September 2002 bis 31. August 2005 mit dem Gesamturteil "entspricht voll den Anforderungen (3)" beurteilt. Erstbeurteiler war der Leiter des Fachkommissariats 7, Herr Polizeihauptkommissar F.. Dieser hatte eine Äußerung des Polizeihauptkommissars G., Leiter der Verfügungseinheit, und eine Beurteilungsnotiz des Kriminalhauptkommissars H., unmittelbarer Dienstvorgesetzter des Klägers auf dem Dienstposten Sachbearbeiter - Kfz/Fahrlehrer, der der damalige Zweitbeurteiler, Leitender Polizeidirektor I., zugestimmt hatte, seiner Beurteilung zugrunde gelegt. Der Zweitbeurteiler, Polizeidirektor J., war der Beurteilung des Erstbeurteilers ohne Änderungen beigetreten.
Der 1964 geborene Beigeladene wurde am 19. Mai 2001 zum Polizeikommissar ernannt. Mit Wirkung vom 1. Dezember 2004 wurde ihm der Dienstposten "Sachbearbeiter ESD" bei der Polizeiinspektion/B. /C. /D., bewertet nach der BesGr. A 9/ A 10 BBesO übertragen. Die dienstliche Beurteilung zum Stichtag 1. September 2005 für den Zeitraum 1. September 2002 bis 31. August 2005 endet mit dem Gesamturteil "Übertrifft erheblich die Anforderungen - 4 -". Die Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2002 für den Zeitraum vom 1 September 2001 bis 31. August 2002 endet ebenfalls mit dem Gesamturteil "Übertrifft erheblich die Anforderungen - 4 -".
Am 8. Januar 2008 hat der Antragsteller Klage gegen die getroffene Auswahlentscheidung erhoben (1 A 3/08) und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt: Gegen seine zur Grundlage der Auswahlentscheidung gemachte Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2005 habe er Klage erhoben (1 A 81/06). Soweit er in dieser lediglich mit Wertungsstufe 3 beurteilt werde, beruhe dies auf ein eingeleitetes Disziplinarverfahren, das jedoch wegen Nichtvorliegens eines Disziplinarvergehens mit Verfügung der Antragsgegnerin vom 2. März 2005 eingestellt worden sei. Der der Antragsteller im Statusamt eines Polizeikommissars schon in der vorangegangenen Regelbeurteilung aus dem Jahr 2002 die Wertungsstufe 4 erhalten habe und für einen wesentlichen Teil des Beurteilungszeitraums der Regelbeurteilung zum 1. September 2005 eine Beurteilungsnotiz vorliege, die im Ergebnis ebenfalls die Wertungsstufe 4 ausdrücke, habe seine aktuelle Beurteilung richtigerweise ebenfalls mit dieser Note enden müssen mit der Folge, dass er an Rangstelle 1 der Beförderungsrangfolgeliste stehe.
Der Antragsteller beantragt,
der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die gegen die Auswahlentscheidung erhobene Klage (1 A 3/08) zu untersagen, den Beigeladenen nach BesGr. A 10 BBesO zu befördern und diesem eine entsprechende Ernennungsurkunde auszuhändigen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsgegner begründet dies wie folgt: Auf Grundlage der aktuellen Regelbeurteilungen bestehe zwischen dem Antragsteller und dem Beigeladenen eine Differenz um eine Vollnote, so dass aufgrund der Leistungsungleichheit der Beigeladene zu befördern sei. Die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung des Antragstellers sei inhaltlich nicht zu beanstanden.
Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Der zulässige Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat keinen Erfolg.
Das Gericht kann gemäß § 123 Abs. 1 VwGO eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO - Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes zulässig, wenn die Regelung - insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen - zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - Regelungsanordnung). Beide Formen der einstweiligen Anordnung setzen voraus, dass sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht werden.
1. Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund, die Dringlichkeit einer Eilentscheidung, ist gegeben. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass die Antragsgegnerin die zwei zugewiesenen Planstellen ausweislich der Bekanntmachung vom 7. Januar 2008 u.a. mit dem Beigeladenen besetzen will. Im Falle der Ernennung der ausgewählten Beamten erledigt sich das Begehren des Antragstellers, eine der zugewiesenen Planstellen zu erhalten. Die gerichtliche Überprüfung der schon getroffenen Auswahlentscheidung würde dann hinfällig.
2. Dem Antragsteller steht aber ein Anordnungsanspruch nicht zur Seite.
Die Auswahlentscheidung des Dienstherrn unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Diese hat sich allerdings in vollem Umfang ( BVerfG, NVwZ 2002, 1368 [BVerfG 29.05.2002 - 2 BvR 723/99]) auf den Sachverhalt zu erstrecken, soweit die Auswahlentscheidung auf konkret benannte Abläufe und Vorkommnisse gestützt wird (vgl. dazu im Beurteilungsrecht BVerwGE 97, 128 [BVerwG 24.11.1994 - 2 C 21/93] [129] = NVwZ-RR 1995, 340, und schon BVerwGE 60, 245 [BVerwG 26.06.1980 - 2 C 8.78] [246] ). Wird die Entscheidung auf allgemein gehaltene Tatsachenbehauptungen oder auf allgemeine oder pauschal formulierte Werturteile gestützt, hat der Dienstherr diese auf Verlangen des Beamten zu konkretisieren bzw. plausibel zu machen ( BVerwGE 60, 245 [BVerwG 26.06.1980 - 2 C 8.78] [251] m.w. Nachw.). Im Verwaltungsgerichtsprozess kann das Gericht auch insoweit in vollem Umfange kontrollieren, ob der Dienstherr von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist (so BVerfG, aaO., m.w.N.).
Dabei hat sich die Auswahlentscheidung insbesondere innerhalb des vorgeschriebenen gesetzlichen Rahmens zu halten, der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG i.V.m. § 8 NBG ergibt. Danach ist eine Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Auswahl nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu treffen. Die Ausrichtung der Auswahlentscheidung an diesem Grundsatz schließt ein, dass sie maßgeblich an Regel- oder Bedarfsbeurteilungen anknüpft. Eine dem Leistungsgrundsatz gerecht werdende Auswahl hat dabei in erster Linie auf die aktuelle dienstliche Beurteilung und deren Gesamturteil abzustellen, weil für die zu treffende Auswahlentscheidung grundsätzlich auf den aktuellen Stand abzustellen ist. Aus der maßgeblichen Bedeutung der aktuellen dienstlichen Beurteilung für die Auswahlentscheidung folgt zugleich, dass dieser die tragfähige Grundlage fehlt, wenn die Beurteilung rechtswidrig ist ( Nds. OVG, Beschl.v. 30.1.2008 - 5 ME 235/07 -). Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist daher zu prüfen, ob ein gegen die dienstliche Beurteilung des unterlegenen Beamten gerichteter Rechtsbehelf aussichtsreich ist. Ist dies der Fall, so ist die einstweilige Anordnung unter der weiteren Voraussetzung zu erlassen, dass die Aussichten des Betreffenden, nach Beseitigung dieser Rechtswidrigkeit beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d.h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (vgl. dazu Nds. OVG, Beschluss vom 29. November 2005 - 5 ME 164/05 - m.w.N.).
Gemessen hieran liegt eine Verletzung des Anspruchs des Antragstellers nicht vor, da die der Auswahlentscheidung zugrunde gelegte dienstliche Beurteilung vom 1. September 2005 gerichtlich nicht zu beanstanden ist. Zu der Regelbeurteilung hat die Kammer in dem Urteil vom 20. Februar 2008 - 1 A 81/ 06 - folgendes ausgeführt:
"Die Vergabe der Wertungsstufe 3 als Gesamturteil zum Stichtag 1. September 2005 ist trotz der Beurteilernotiz für den Zeitraum 1. September 2002 bis 31. Oktober 2004 gerichtlich nicht zu rügen. Der Erstbeurteiler hat in seinen Stellungnahmen zum 1. November 2005 und 1. März 2006 in sich schlüssig und plausibel dargelegt, warum er trotz der in der Beurteilungsnotiz vergebenen Wertungsstufen für die einzelnen Leistungs- und Befähigungsmerkmale gleichwohl insgesamt zur Wertungsstufe 3 gelangt ist. Es ist nicht zu beanstanden, wenn er darauf abstellt, dass die Beurteilungsnotiz nun mit einer schwachen 4 (Durchschnitt 3,55) abschließt und die vom Kläger auf dem neuen Dienstposten ab 14. Februar 2005 gezeigten Leistungen im Vergleich mit der neuen Vergleichsgruppe nur insgesamt die Wertungsstufe 3 zuließ.
Dass das gegen den Kläger geführte Disziplinarverfahren, das eingestellt wurde, sich negativ auf die Note ausgewirkt haben könnte, ist vom Gericht nicht feststellbar. Der Erstbeurteiler hat dies bestritten, was angesichts seiner plausiblen Notenbegründung Zweifel nicht erweckt. Andere Anhaltspunkte für eine unerlaubte Einflussnahme sind nicht feststellbar."
Im Leistungsvergleich ist der Antragsteller in seiner aktuellen Regelbeurteilung damit um eine Vollnote schlechter bewertet als der Beigeladene. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner bei der zu treffenden Auswahlentscheidung anderen - im Vergleich zur aktuellen Beurteilung nachrangigen - Auswahlkriterien keine ausschlaggebende Bedeutung mehr beigemessen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil dieser keinen förmlichen Antrag gestellt hat.
Streitwertbeschluss:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 5 Satz 2 und Satz 1 Nr. 1 GKG. Danach ist bei statusrechtlichen Streitigkeiten um ein besoldetes öffentlich-rechtliches Amts- oder Dienstverhältnis auf Lebenszeit wegen Verleihung eines anderen Amtes als Streitwert die Hälfte des 13-fachen Betrages des Endgrundgehalts (hier: A 10 BBesO mit Zulage) zu berücksichtigen, also nach aktueller Besoldungstabelle 13 × 3 011,59 EUR (2 938,23 EUR + 73,36 EUR) = 39150,67 EUR/2 = 19 575,34 EUR. Dieser Betrag ist hier wegen der Vorläufigkeit der erstrebten Regelung um die Hälfte auf 9 787,67 EUR zu verringern.