Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 20.02.2008, Az.: 1 A 130/06
Dienstliche Beurteilung; Beamter; Polizist; Sachverhaltskontrolle; Plausibilisierung; Nachvollziehbarkeit; Stichtagsbeurteilung; Quotenrichtwerte; Rankingliste; Mehrheitsentscheidung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 20.02.2008
- Aktenzeichen
- 1 A 130/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45913
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2008:0220.1A130.06.0A
Rechtsgrundlagen
- Beurteilungsrichtlinien
- BRLPol
- § 40 BLV
Fundstelle
- ZfPR online 2008, 21 (amtl. Leitsatz)
Tatbestand
Der Kläger erstrebt eine neue dienstliche Beurteilung zum Stichtag 1. September 2005.
Der am 17. März 1958 geborene Kläger wurde am 2. November 2001 nach erfolgreicher Absolvierung des Aufstiegslehrganges zum gehobenen Dienst zum Polizeikommissar ernannt. Er nimmt seitdem den Dienstposten eines Sachbearbeiters ESD beim Polizeikommissariat C. war.
In seiner Regelbeurteilung zum Stichtag 1. September 2005 für den Beurteilungszeitraum 1. September 2002 bis 31. August 2005 erhielt der Kläger als Gesamturteil "entspricht voll den Anforderungen (3)". Der Erstbeurteiler, Polizeihauptkommissar D. als Dienstabteilungsleiter, vergab unter Berücksichtigung eines Beurteilungsbeitrages des früheren unmittelbaren Dienstvorgesetzten, Polizeihauptkommissar E., bei 11 Leistungs- und Befähigungsmerkmalen einmal die Wertungsstufe 3 und zehnmal die Wertungsstufe 3,5 (Durchschnitt 3,45). Bei den fünf gewichteten Merkmalen vergab er fünfmal die Wertungsstufe 3,5 (Durchschnitt 3,5). Der Zweitbeurteiler, Polizeidirktor F. als Leiter des Polizeikommissariats, stimmte der Beurteilung in allen Punkten zu. In der Beurteilungsnotiz für den Zeitraum 1. September 2002 bis 30. November 2004 vergab Polizeihauptkommissar E. bei 11 Leistungsmerkmalen fünfmal die Wertungsstufe 3,5 und sechsmal die Wertungsstufe 4 (Durchschnitt 3,77) und bei den fünf gewichteten Merkmalen vergab er fünfmal die Wertungsstufe 4 (Durchschnitt 4).
Der Kläger hatte bereits im sogenannten dialogischen Verfahren gegen den Entwurf seiner Regelbeurteilung eingewandt, die Beurteilung werde seinem tatsächlichen, individuellen Leistungen nicht gerecht. Seine vielfältigen Fortbildungsmaßnahmen und sein Einsatz für die Dienststelle bei Vorträgen und sonstigen Veranstaltungen rechtfertigten die Vergabe der Wertungsstufe 4. Vor seiner Beförderung sei er noch mit der Wertungsstufe 5 beurteilt worden. Die danach folgende Bewertung mit Wertungsstufe 3 habe er angesichts der Quotierung und dem Umstand, dass erstmals nach der Beförderung zu Beurteilende in der Regel mit der Wertungsstufe 3 zu bewerten sein, akzeptiert. Die jetzige Beurteilung wiederum mit 3 sei dagegen zu beanstanden, zumal sein vorheriger Dienstabteilungsleiter in seiner Beurteilungsnotiz ihm durchaus in der Bewertungsstufe 4 gesehen habe.
Der Erstbeurteiler führte zu diesen Einwendungen in seiner undatierten Stellungnahme aus, die Beurteilung sei gemäß der Rankingliste unter Berücksichtigung der Mehrheitsentscheidung der Beurteilerkonferenz nach Vorgaben der Quotierung gefertigt worden. Die vom Kläger angeführten Fortbildungsmaßnahmen innerhalb des Beurteilungszeitraums seien in die Beurteilung mit eingeflossen. Ebenso seien die angegebenen Vorträge sowie die Gesamtsumme der dienstlichen Leistungen, wie bei allen anderen Mitgliedern der Vergleichsgruppe gewürdigt worden.
Gegen seine ihm am 15. November 2005 eröffnete Beurteilung legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, die Beurteilung gehe von einem unrichtigen Sachverhalt aus, sei unschlüssig und beachte allgemeine Wertungsmaßstäbe nicht. Für den Zeitraum 1. September 2002 bis 30. November 2004 sei Polizeihauptkommissar Markzack sein unmittelbarer Dienstvorgesetzter gewesen. Dessen Beurteilungsnotiz für diesen Zeitraum sei ihm entgegen den Beurteilungsrichtlinien nicht eröffnet worden. Ob der Erstbeurteiler sie tatsächlich gekannt und berücksichtigt habe, wisse er nicht. Jedenfalls habe er mit keinem Wort erläutert, warum er von der besseren Beurteilungsnotiz abgewichen sei. Seine sowie die Notenvergabe des Zweitbeurteilers sei nicht plausibel gemacht worden. Der Hinweis des Erstbeurteilers auf die Rankingliste, die Quotierung und die Mehrheitsentscheidung der Beurteilerkonferenz reichten als Begründung nicht aus. Zu vermuten sei, dass nicht alle seine Tätigkeiten in den Blick genommen worden seien, da die Tätigkeitsbeschreibung in der Beurteilung auf jeden Beamten im Einsatz- und Streifendienst zuträfe. Schließlich sei eine Quotierung in den Beurteilungsrichtlinien für die Beamten im Amt A 9 nicht vorgesehen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. April 2006 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Beurteilungsnotiz sei vom Erstbeurteiler berücksichtigt worden, was dem Deckblatt der Beurteilung zu entnehmen sei. Eine grundsätzliche Eröffnung der Beurteilernotiz sei in den Beurteilungsrichtlinien nicht vorgesehen. Die Tätigkeitsbeschreibung sei nicht zu beanstanden. Der Erstbeurteiler habe auch alle Aktivitäten des Klägers in den Blick genommen. Eine Quotierung für die Ämter A 9 und A 10 werde in Anlehnung an das Amt A 11 allgemein praktiziert. Die Beurteilung sei schließlich angesichts der erreichten Notendurchschnitte auch schlüssig.
Am 19. Mai 2006 hat der Kläger Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Ergänzend weist er darauf hin, dass nach dem Runderlass des Ministeriums des Inneren vom 31. März 2004 abweichend von den Beurteilungsrichtlinien die Beurteilernotiz mit dem betroffenen Beamten zu besprechen sei. Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung seiner dienstlichen Beurteilung für den Beurteilungszeitraum vom 1. September 2002 bis zum 31. August 2005 sowie des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2006 zu verpflichten, für ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine neue dienstliche Beurteilung für diesen Zeitraum zu erstellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie wiederholt und vertieft ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid. Ergänzend legt sie dar, dass der Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 31. März 2004 hier nicht gelte. Der Erlass regele die Erstellung von Beurteilungsnotizen anlässlich der Umorganisation der Polizei zum 1. Dezember 2004. Im Falle eines Wechsels der Erstbeurteilerin bzw. des Erstbeurteilers aufgrund der Organisationsänderung hätten, abweichend von Ziffer 12.2 der Beurteilungsrichtlinien, die Beurteilungsnotizen besprochen werden sollen. Der Wechsel des Erstbeurteilers im Falle des Klägers sei nicht im Zusammenhang mit der Umorganisation der Polizei erfolgt. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Eröffnung der Beurteilungsnotiz.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Beurteilung für den Kläger vom 19. September 2005 zum Stichtag 1. September 2005 ist rechtsfehlerhaft. Der Kläger hat deshalb einen Anspruch auf Neubeurteilung. Der die Beurteilung bestätigende Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 20. April 2006 ist mithin rechtswidrig, verletzt den Kläger in seinen Rechten und ist daher aufzuheben.
Die dienstliche Beurteilung ist nach den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung im eingeschränkten Maße einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich. Nach diesen Grundsätzen hat grundsätzlich eine volle Sachverhaltskontrolle stattzufinden ( BVerfG, NVwZ 2002, 1368; BVerwG, Urt.v. 21.3.2007 - 2 C 20.06 -), ist die verwaltungsgerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle gegenüber der dem Dienstherrn gegebenen Beurteilungsermächtigung ansonsten jedoch darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrenvorschriften verstoßen hat. Wenn der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, kann das Gericht prüfen, ob die Richtlinien, wie sie erlassen und praktiziert werden, eingehalten sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen, speziell denen der Laufbahnverordnung über die dienstliche Beurteilung, und mit sonstigen gesetzlichen Vorschriften in Einklang stehen (vgl. BVerfG, Beschl.v. 29.05.2002 - 2 BvR 723/99 -, DVBl. 2002, 1203; BVerwG, Urt.v. 26.08.1993 - BVerwG 2 C 37.91 -, Buchholz 232.1, § 40 BLV Nr. 15; Urt.v. 02.03.2000 - BVerwG 2 C 7.99 -, Buchholz 237.8 § 18 RhPLBG Nr. 1; Beschl.v. 17.07.1998 - BVerwG 2 B 87.97 -, Buchholz 232.1, § 40 BLV Nr. 19; Beschl.v. 16.09.2004 - BVerwG 1 WB 21.04 -, ZBR 2005, 255; OVG Niedersachsen, Urt.v. 11.05.1999 - 5 L 3782/98 -; Urt.v. 23.09.2003 - 5 LB 172/03 -; Urt.v. 22.06.2005 - 5 LB 308/04 -).
Nach diesen Grundsätzen begegnet die streitgegenständliche dienstliche Beurteilung des Klägers zum Stichtag 1. September 2005 durchgreifenden, gerichtlich nachprüfbaren und zu beanstandenden Rechtsfehlern.
Es kann allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass die Beurteilungsrichtlinien schon dem Grunde nach eine rechtsfehlerfreie Beurteilung nicht ermöglichen, dass etwa die Beurteilungsmaßstäbe nicht hinreichend konkretisiert sind, die Vorgabe von Quotenrichtwerten allgemeine Beurteilungsmaßstäbe verletzt oder die Durchführung von sogenannten "Beurteilerkonferenzen" dem Erfordernis einer individuellen Beurteilung entgegensteht (vgl. hierzu OVG Niedersachsen, Beschl.v. 13.2.2007 - 5 LA 15/04 - und Urteil vom 11.5.1999 - 5 L 3782/98 -). Da vorliegend auf die Gruppe der Kommissare der Besoldungsgruppe A 9 im Bereich des Polizeikommissariats L. abgestellt wurde, die insgesamt 33 Beamte umfasste, war auch eine für die Anwendung der Richtwerte hinreichend große Vergleichsgruppe im Sinne der Ziffer 11 der Beurteilungsrichtlinien vorhanden ( BVerwG, Urt.v. 24.11.2005 - 2 C 34.04 -). Es bestehen auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Quotenrichtwerte in einer Weise überschritten worden sind, dass eine unzulässige Maßstabsverschiebung stattgefunden hat. Dass dies geschehen wäre, lässt sich aus dem statistischen Ergebnis der Beurteilungsaktion vom 22. September 2005 für die Vergleichsgruppe der Polizeikommissare (A 9) nicht herleiten.
Die Beurteilung ist aber deshalb fehlerhaft und aufzuheben, weil die im vorliegenden Fall erforderliche plausible Begründung für die vom Erst- und Zweitbeurteiler vergebene Gesamtnote nicht vorliegt.
In welcher Weise für die Festlegung von Einzelnoten der Leistungs- und Befähigungsmerkmale und des Gesamturteils eine hinreichend plausible Begründung zu erfolgen hat, hängt insbesondere von den Umständen des Einzelfalles ab. Entscheidend ist, dass das Werturteil keine formelhafte Behauptung bleibt, sondern dass es für den Beamten einsichtig und für außen stehende Dritte nachvollziehbar wird, dass der Beamte die Gründe und Argumente des Dienstherrn erfährt und für ihn der Weg, der zu der Bewertung geführt hat, sichtbar wird ( OVG Münster, ZBR 2007, 346 [OVG Nordrhein-Westfalen 10.07.2006 - 1 B 523/06] m.w.N.; vgl. auch OVG Niedersachsen, Urt.v. 11.5.1999 - 5 L 3782/98 -). Dort, wo das Gesamturteil von dem allgemeinen Mittel der Teilbeurteilungen in signifikanter Weise abweicht, muss die Begründung des Vorgesetzten erkennen lassen, welche Teilaspekte, -vorgänge und -urteile er stärker gewichtet hat als andere. Gegebenfalls hat sich der beurteilende Vorgesetzte die notwendigen Kenntnisse für sein höchstpersönliches Werturteil auch erst zu beschaffen ( BVerwG, Urt.v. 21.3.2007 - 2 C 2.06 -), um dem Gebot umfassender Verwertung aller greifbaren Erkenntnisquellen zu genügen. In der Begründung ist die unterschiedliche Gewichtung der Teilurteile und die Berücksichtigung weiterer Kriterien jedenfalls plausibel niederzulegen, weil nur so ein willkürliches Vorgehen des Vorgesetzten auszuschließen ist und nur so eine effektive gerichtliche Kontrolle der Beurteilungsentscheidung möglich erscheint (vgl. Huber, ZBR 1993, 361/368).
Diesen Anforderungen wird die Beurteilung nicht gerecht.
Polizeihauptkommissar E. als Dienstabteilungsleiter und damit unmittelbarer Vorgesetzter des Klägers hat für den Zeitraum 1. September 2002 bis 30. November 2004 in seiner Beurteilungsnotiz bei 11 Leistungs- und Befähigungsmerkmalen im Durchschnitt die Wertungsstufe 3,77 vergeben und bei den 5 gewichteten Merkmalen die Wertungsstufe 4. Demgegenüber hat der zum Stichtag 1. September 2005 zuständige Erstbeurteiler, Polizeihauptkommissar D., bei den 11 Leistungs- und Befähigungsmerkmalen im Durchschnitt die Wertungsstufe 3,45 vergeben und bei den 5 gewichteten Merkmalen im Durchschnitt die Wertungsstufe 3,5. Wieso er den Kläger deutlich niedriger beurteilte als sein Vorgänger im Amt, obwohl er den Kläger nur 8 Monate "gesehen" hatte, während der Vorgänger im Amt den Kläger 25 Monate gesehen hatte, hat der Erstbeurteiler mit keinem Wort erläutert oder begründet. Eine derartige Begründung ist auch vom Zweitbeurteiler nicht gegeben worden. Eine Begründung wäre hier aber angesichts der deutlichen Notenabweichung und dem Nachfragen des Klägers erforderlich gewesen. Denn der frühere Erstbeurteiler hat den Kläger eindeutig bereits in der Wertungsstufe 4 gesehen und der neue Erstbeurteiler nur in der Wertungsstufe 3, auch wenn es sich um eine "glatte" 3 handeln soll. Eine Erklärung und Begründung ist hier insbesondere aber deshalb erforderlich, weil der Erstbeurteiler seine Note in seiner Stellungnahme ausschließlich mit der Rankingliste unter Berücksichtigung der Mehrheitsentscheidung der Beurteilerkonferenz nach Vorgaben der Quotierung gerechtfertigt hat. Es wird hieraus jedoch nicht einmal deutlich, ob er als Beurteiler selber hinter der Note steht oder ob er etwa nur eine Mehrheitsentscheidung der Beurteilerkonferenz umgesetzt hat, was eindeutig rechtswidrig wäre (vgl. OVG Niedersachsen, Urt.v. 30.5.2007 - 5 LC 44/06 -). Angesichts dieser "Fehler" kann offen bleiben, ob das von der Erstbeurteilerkonferenz am 19. September 2005 vorgenommene Ranking, das eine Ausdifferenzierung innerhalb der Notenstufen sogar nach "Kommerzahlen" aufweist (siehe Protokoll vom 29.9.2005, Blatt 23 - 25 der Beiakte), eine unzulässige Bindung der Erstbeurteiler ohne Offenlegung der Beurteilungskriterien darstellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe, die Berufung gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zuzulassen, sind nicht gegeben.