Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2005, Az.: 7 LA 214/05

Anhörungsrüge

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.12.2005
Aktenzeichen
7 LA 214/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50846
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 20.07.2005 - AZ: 1 A 66/05

Gründe

1

Nach § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der genannten Voraussetzungen darlegen, § 152a Abs. 2 S. 6 VwGO.

2

Die Voraussetzungen einer Fortführung des Berufungszulassungsverfahrens, das der Senat mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss abgeschlossen hat, liegen entgegen dem Vorbringen des Klägers danach nicht vor, § 152a Abs. 4 S. 2, Abs. 5 S. 4 VwGO i.V.m. § 343 S. 1 ZPO.

3

Der Kläger behauptet, die Mitteilung des Finanzamts Braunschweig-Wilhelmstraße an das Verwaltungsgericht vom 4. Mai 2005 (GA Bl. 32), in der die zu jener Zeit aktuellen Rückstände mitgeteilt wurden (insgesamt 86.969,59 Euro, davon 38.934,01 Euro Hauptschulden und 48.034,78 Euro Säumniszuschläge) sei ihm entgegen der Annahme des Senats in seinem Beschluss bis dahin nicht zur Kenntnis gegeben worden.

4

Diese Behauptung ist nicht nachvollziehbar. Nach dem Vermerk des bearbeitenden Richters beim Verwaltungsgericht (GA Bl. 32 R) ist das Schreiben den Beteiligten zur Kenntnis übersandt und ist die Verfügung laut ebenfalls dort zu findender Stempelung am 11. Mai 2005 ausgeführt worden. Selbst wenn, wofür außer der gegenteiligen Behauptung des Klägers kein Anhaltspunkt besteht, eine Übersendung tatsächlich nicht stattgefunden haben sollte, war nach der Terminsniederschrift vom 20. Juli 2005 (GA Bl. 53) u.a. "die Gerichtsakte" Gegenstand der mündlichen Verhandlung, in welcher der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter anwesend waren. In der Verhandlung ist nach Protokoll der Sachverhalt vorgetragen und mit den Beteiligten erörtert worden; dabei ist ausdrücklich über die "bestehenden Rückstände" gesprochen worden. Es ist gänzlich unwahrscheinlich und nicht glaubhaft, dass dabei nicht auch die vom Gericht ermittelte Höhe der Steuerschulden zur Sprache gekommen ist, zumal der Berichterstatter nach seinem Vermerk vom 19. Juli 2005 (GA Bl. 52) an jenem Tag nochmals mit der Sachbearbeiterin des Finanzamts u.a. wegen der Mitteilung vom 4. Mai 2005 telefoniert hat und dieses Telefonat mit "Kenntnisgabe in der mündlichen Verhandlung am 20.07.2005" vermerkt ist (ebda).

5

Im Übrigen hätte eine Vorenthaltung der Kenntnis von der streitigen Rückstandsmitteilung des Finanzamts bis zum Erlass des Beschlusses über die Nichtzulassung der Berufung den Gehörsanspruch des Klägers nicht "in entscheidungserheblicher Weise" verletzt, wie § 152a Abs. 1 Nr. 2 VwGO es voraussetzt. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass nicht auszuschließen sein darf, dass das Gericht bei rechtzeitiger Kenntnis des abgeschnittenen Vorbringens zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. A., Rn. 13 zu § 152a). Dieses Vorbringen besteht vorliegend vor allem darin, dass die in der streitigen Mitteilung genannten Rückstände materiell zu hoch angesetzt seien und ein "durchaus erfolgversprechendes Erlassverfahren anhängig" sei. Der Unzuverlässigkeitsprognose zugrunde gelegt werden dürften aber nur solche Steuerschulden, die bestandskräftig feststünden oder die der Höhe nach unstreitig seien.

6

Das ist falsch.

7

Weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht waren verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der bestehenden Steuerfestsetzungen nachzuprüfen. Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, sind solche nicht gezahlten Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen bereits hätte entrichten müssen. Steuern bedürfen, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, der Festsetzung durch Steuerbescheid, § 155 Abs. 1 AO. Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im übrigen aus § 220 Abs. 1 AO. Ein Steuerbescheid ist grundsätzlich, auch wenn ein Rechtsbehelf dagegen eingelegt wird, vollziehbar. Nur wenn die Vollziehung ausgesetzt worden ist (§ 361 Abs. 2 AO , § 69 Abs. 2, Abs. 3 FGO), braucht der Steuerpflichtige die festgesetzte Steuer noch nicht zu zahlen (BVerwG, Beschl. v. 30.03.1992 - BVerwG 1 B 42.92 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 50 = DVBl. 1992, 1172 = NVwZ-RR 1992, 546 = GewArch 1992, 298). Dass im Zeitpunkt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in diesem Sinne vollziehbare Steuerschulden bestanden, zieht die Rüge weder in Zweifel noch ist dies sonst ersichtlich. Der Kläger hält die Steuerfestsetzungen lediglich materiell für (teilweise) rechtswidrig. Darauf kommt es indessen nicht an (BVerwG, Beschl. v. 12.01.1996 - 1 B 177.95 -, Buchholz 451.20 § 35 GewO Nr. 62).

8

Die vom Kläger mit seiner Rüge weiter bemängelte Bestätigung der Würdigung der Tilgungsleistungen an die AOK, des Auskunftsersuchen eines Gläubigers, des Schreibens seines Prozessbevollmächtigten an das Finanzamt vom 19. Oktober 2004, des (gelöschten) Eintrags im Schuldnerverzeichnis und seiner negativen Gesamtwürdigung – noch immer gewerblich unzuverlässig – als weder verfahrensfehlerhaft noch rechtlich zweifelhaft liegt im vorliegenden Verfahren neben der Sache. Der Senat hat seine Erwägungen insoweit ausschließlich in Auseinandersetzung mit den vom Kläger vorgebrachten Argumenten (§ 124a Abs. 5 S. 2 VwGO), also nicht überraschend, angestellt. Dass er dabei der Auffassung des Klägers nicht gefolgt ist, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs.