Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.12.2005, Az.: 2 LA 1242/04
Adressierung; Berufungszulassung; Berufungszulassungsantrag; Berufungszulassungsbegründung; Büropersonal; Gericht; Gericht; Oberverwaltungsgericht; Prüfungspflicht; Rechtsanwalt; Rechtsanwaltsverschulden; Rechtsmittelbegründungsschrift; Rechtsmittelbelehrung; Rechtsmittelschrift; Schriftsatz; Schriftsatzadressierung; Schriftsatzunterzeichnung; Unterzeichnung; Urteilsverkündung; Urteilszustellung; Verantwortlichkeit; Verkündung; Verwaltungsgerichtshof; Wiedereinsetzung; Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.12.2005
- Aktenzeichen
- 2 LA 1242/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 51057
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 24.08.2004 - AZ: 2 A 2145/02
Rechtsgrundlagen
- § 124a Abs 4 S 5 VwGO
- § 124a Abs 4 S 5 VwGO
- § 58 VwGO
- § 60 VwGO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil, das vor der am 1. September 2004 in Kraft getretenen Änderung des § 124 a IV 5 VwGO verkündet oder statt der Verkündung zugestellt worden ist, war auch dann beim Oberverwaltungsgericht einzureichen, wenn das angefochtene Urteil mit einer der Vorschrift des § 124 a IV 5 VwGO a.F. entsprechenden Rechtsmittelbelehrung versehen worden war.
2. Ein Rechtsanwalt ist für den Inhalt einer Rechtsmittelschrift oder einer Rechtsmittelbegründungsschrift persönlich verantwortlich. Er muss vor der abschließenden Unterzeichnung eines solchen Schriftsatzes persönlich prüfen, ob er an das zuständige Gericht adressiert ist und darf diese Prüfung nicht seinem Büropersonal überlassen.
Gründe
I. Das Verwaltungsgericht hat die auf die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gerichtete Klage mit dem auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2004 ergangenen Urteil, das statt einer Verkündung am 31. August 2004 zugestellt worden ist, abgewiesen. In der Rechtsmittelbelehrung hat das Verwaltungsgericht unter anderem darauf hingewiesen, dass die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzureichen ist.
Die Klägerin hat am 9. September 2004 bei dem Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung beantragt. Nachdem das Verwaltungsgericht den Antrag dem beschließenden Gericht vorgelegt hatte, hat der Vorsitzende des Senats den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit der Eingangsverfügung vom 16. September 2004 darauf hingewiesen, dass die Antragsbegründung nach § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO in der seit dem 1. September 2004 geltenden Fassung bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen ist.
Mit einem an das Verwaltungsgericht adressierten Schriftsatz vom 1. November 2004, der am 1. November 2004 um 21.09 Uhr per Telefax bei dem Verwaltungsgericht eingegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Antrag auf Zulassung der Berufung begründet und diesen auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützt. Der Schriftsatz ist am 4. November 2004 im normalen Geschäftsgang bei dem beschließenden Gericht eingegangen.
Auf den Hinweis des Berichterstatters des Senats vom 17. November 2004, dass die Antragsbegründung entgegen § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO in der ab dem 1. September 2004 geltenden Fassung nicht bei dem Oberverwaltungsgericht eingereicht worden ist, hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin für diese am 3. Dezember 2004 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er ist der Auffassung, die Frist zur Einreichung einer Begründung des Zulassungsantrags sei unverschuldet versäumt worden, so dass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sei. Abgesehen davon bedürfe es keiner Wiedereinsetzung, weil die Rechtsmittelbelehrung, die dem angefochtenen Urteil beigefügt worden sei, fehlerhaft sei, so dass die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO greife.
Die Beklagte trägt vor, es dürfe nicht zum Nachteil der Klägerin gereichen, dass sie der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung des verwaltungsgerichtlichen Urteils gefolgt sei und die Begründung des Zulassungsantrags bei dem Verwaltungsgericht eingereicht habe. Die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe hält die Beklagte allerdings nicht für gegeben.
II. Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil er nicht rechtzeitig begründet worden ist (1.) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist nicht gewährt werden kann (2.).
1. Die Klägerin hat die in § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO geregelte zweimonatige Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung versäumt.
Aus § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO in der ab dem 1. September 2004 geltenden Fassung (vgl. Art. 6 Nr. 2 a und Art. 14 des Ersten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz v. 24.08.2004, BGBl. I S. 2198) ergibt sich, dass die Begründung, soweit sie – wie hier – nicht bereits mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung vorgelegt worden ist, anders als nach § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO a.F. nicht mehr bei dem Verwaltungsgericht, sondern bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen ist. Die Neufassung des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO, die ohne eine Übergangsregelung eingeführt worden ist, erfasst auch laufende Anträge auf Zulassung der Berufung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.08.2005 - 8 LA 243/04 -, juris; OVG Münster, Beschl. v. 08.10.2004 - 19 A 3946/04 -, DÖV 2005, 484; Bay. VGH, Beschl. v. 13.10.2004 - 3 ZB 04.2171 -, juris; anderer Ansicht: Bay. VGH, Beschl. v. 31.03.2005 - 8 ZB 04.2279 -, juris; Beschl. v. 23.06.2005 - 1 ZB 04.2215 -, NJW 2005, 2634).
Das Verwaltungsgericht hat in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils zwar noch darauf hingewiesen, dass die Begründung eines Antrags auf Zulassung der Berufung bei dem Verwaltungsgericht einzureichen ist. Diese Rechtsmittelbelehrung war im Zeitpunkt der Zustellung des Urteils am 31. August 2004 jedoch zutreffend, da sie § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO in der bis zum 31. August 2004 geltenden Fassung entsprach. Sie ist entgegen der Ansicht der Beteiligten auch nicht nachträglich durch die am 1. September 2004 in Kraft getretene Änderung des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO unrichtig geworden. Denn die gesetzliche Änderung wirkt mangels Übergangsbestimmung für laufende Verfahren nicht auf den Zeitpunkt der hier erteilten Rechtsmittelbelehrung zurück (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 17.08.2005, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 08.10.2004, a.a.O.). Dies hat zur Folge, dass sich die Frist zur Einreichung einer Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung nicht gemäß § 58 Abs. 2 VwGO wegen einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung auf ein Jahr verlängert hat.
Die Frist für die Einreichung der Begründung des Zulassungsantrags endete nach alledem am 1. November 2004. Der Schriftsatz vom 1. November 2004, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung begründet worden ist, ist indes erst am 4. November 2004 im normalen Geschäftsgang und damit verspätet bei dem beschließenden Gericht eingegangen.
2. Es ist nicht möglich, der Klägerin auf ihren Antrag vom 3. Dezember 2004 wegen Versäumung der Frist für die Einreichung der Begründung des Zulassungsantrags gemäß § 60 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn die Klägerin war nicht ohne Verschulden im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO verhindert, die Begründung des Zulassungsantrags innerhalb der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO bei dem beschließenden Gericht einzureichen.
Die Fristversäumung ist durch ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, das sich die Klägerin gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muss, verursacht worden.
Ein Verschulden des bevollmächtigten Rechtsanwalts, das eine Wiedereinsetzung nach § 60 Abs. 1 VwGO ausschließt, ist zu bejahen, wenn der Rechtsanwalt die nach der konkreten Sachlage zumutbare Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts nicht gewahrt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 60 RdNr. 20, m.w.N.). Jeder Prozessbeteiligte muss dafür sorgen, dass seine fristgebundenen bestimmenden Schriftsätze rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingehen. Für Rechtsanwälte gilt diese prozessuale Sorgfaltspflicht in besonderem Maße. Ein Rechtsanwalt muss bei der Unterzeichnung einer Rechtsmittelschrift oder einer Rechtsmittelbegründungsschrift persönlich prüfen, ob sie an das zuständige Gericht adressiert ist. Er darf diese Prüfung nicht seinem Büropersonal überlassen (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 07.10.2004 - 1 ZB 04.1811 -, juris; Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 RdNr. 20 f.).
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist dieser Prüfungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Er hat zwar vorgetragen, ihm sei aufgefallen, dass der ihm zur Unterschrift vorgelegte Schriftsatz vom 1. November 2004 an das Verwaltungsgericht Göttingen und nicht an das beschließende Gericht adressiert gewesen sei. Er hat weiter dargelegt, dass er seine Rechtsanwaltsgehilfin sodann darauf hingewiesen und gebeten habe, das erste Blatt des Schriftsatzes auszutauschen und den Schriftsatz danach an das beschließende Gericht per Telefax zu übersenden. Da er die Kanzlei aus privaten Gründen gegen 18.00 Uhr habe verlassen müssen, habe er den Schriftsatz in Erwartung der von ihm verfügten Korrektur bereits vorab unterschrieben. Die Rechtsanwaltsgehilfin habe es sodann jedoch vergessen, die Korrektur vorzunehmen.
Indem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin seine Kanzlei am Abend des 1. November 2004 verlassen hat, ohne die Korrektur des Schriftsatzes vom 01.11.2004 selbst auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft zu haben, hat er die ihm obliegende Prüfungspflicht verletzt. Wegen der besonderen Bedeutung des Schriftsatzes, mit dem der Antrag auf Zulassung der Berufung begründet worden ist, durfte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Verantwortung nicht auf eine Rechtsanwaltsgehilfin übertragen. Er wäre vielmehr verpflichtet gewesen, sich persönlich von der Richtigkeit und Vollständigkeit der korrigierten Fassung zu überzeugen (vgl. OLG München, Beschl. v. 21.09.1979 - 6 W 1957/79 -, NJW 1980, 460; Bay. VGH, Beschl. v. 07.10.2004, a.a.O.; Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 RdNr. 21). Die Pflichtverletzung ist um so weniger zu entschuldigen, als der Vorsitzende des Senats in der Eingangsverfügung vom 16. September 2004 ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass die Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung bei dem beschließenden Gericht einzureichen ist.
Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war für die Fristversäumung auch ursächlich. Es kann offen bleiben, ob und unter welchen Umständen im Verwaltungsprozess ein an ein unzuständiges Gericht adressierter fristgebundener Schriftsatz von diesem an das zuständige Gericht weiter zu leiten ist, wenn dies im normalen Geschäftsgang innerhalb der Frist möglich ist (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 20.06.1995 - 1 BvR 166/93 -, BVerfGE 93, 99, 115; Nds. OVG, Beschl. v. 20.11.2001 - 2 MA 3649/01 -, m.w.N.; Bay. VGH, Beschl. v. 07.10.2004, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 05.10.2004 - 9 A 2365/02 -, juris; Kopp/Schenke, a.a.O., § 60 RdNr. 17). Denn eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könnte auch bei Anerkennung einer Weiterleitungspflicht des Verwaltungsgerichts nur in Betracht kommen, wenn der bei dem Verwaltungsgericht eingereichte Schriftsatz vom 1. November 2004 im normalen Geschäftsgang noch fristgerecht an das beschließende Gericht hätte weitergeleitet werden können (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20.11.2001, a.a.O., m.w.N.; Bay. VGH, Beschl. v. 07.10.2004, a.a.O.). Das ist nicht der Fall. Denn der Schriftsatz ist am 1. November 2004 erst um 21.09 Uhr und damit nur wenige Stunden vor Ablauf der Frist des § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO bei dem Verwaltungsgericht eingegangen. Eine Möglichkeit, den Schriftsatz noch am Abend des 1. November 2004 im normalen Geschäftsgang an das beschließende Gericht weiter zu leiten, hat nicht bestanden. Die Klägerin, der es in erster Linie selbst oblegen hat, für einen fristgerechten Eingang der Begründung des Zulassungsantrags bei dem zuständigen Gericht zu sorgen, hat nicht davon ausgehen können und dürfen, dass der Schriftsatz noch am Abend des 1. November 2004 an das gemäß § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO zuständige beschließende Gericht weitergeleitet wird. Eine Verpflichtung des Verwaltungsgerichts, für solche Fälle einen Notdienst vorzuhalten und den rechtskundigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin sofort nach Eingang des Schriftsatzes vom 1. November 2004 telefonisch davon zu unterrichten, dass der Antrag bei dem beschließenden Gericht einzureichen ist, hat nicht bestanden (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 20.11.2001, a.a.O.; OVG Münster, Beschl. v. 03.07.1997 - 16 A 1968/97 -, NVwZ 1997, 1235, 1236).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.