Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.12.2005, Az.: 7 ME 149/05

Biogasanlage; Flotate; Stilllegung; Streitwert; Untersagung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.12.2005
Aktenzeichen
7 ME 149/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 03.08.2005 - AZ: 5 B 2761/05

Gründe

1

I. Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den vom Antragsgegner am 29. Juni 2005 erlassenen Stilllegungs- und Untersagungsbescheid.

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Der Antragsteller betreibt auf dem Grundstück der Gemeinde B., C. Str. 65, Gemarkung D., Flur 3, Flurstücke 6/5 und 7/4 eine Biogasanlage. Diese Anlage wurde am 24. August 2001 immissionsschutzrechtlich genehmigt. Als Einsatzstoffe sind zugelassen 2095 t/Jahr Tierfäkalien, 450 t/Jahr Mais sowie 50 t/Jahr Gras. Des Weiteren dürfen Materialien pflanzlichen Ursprungs, die als Nebenprodukte auf den eigenen Betriebsflächen anfallen, in die Biogasanlage eingebracht werden. Die Verwertung weiterer Materialien, insbesondere betriebsfremder, tierischer Herkunft, bedarf der vorherigen veterinärbehördlichen Zustimmung, die nicht erteilt worden ist.

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Am 8. März 2005 wurde bei einer polizeilichen Kontrolle auf dem Gelände des Antragstellers festgestellt, dass eine Ladung Flotate der Firma E. in die Vorgrube der Biogasanlage eingebracht worden war. Die Vorgrube ist ausweislich der Genehmigung Teil der Biogasanlage und mit dem Fermenter über ein Pumpsystem verbunden. Zum Zeitpunkt der polizeilichen Kontrolle war ein Ventil des Pumpsystems ausgebaut, sodass ein Umpumpen nicht stattfinden konnte.

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Mit Bescheid vom 29. Juni 2005 ordnete der Antragsgegner die Stilllegung der Biogasanlage an und untersagte den weiteren Betrieb. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller ungenehmigte Stoffe in die Anlage eingebracht habe. Zudem sei der Antragsteller auf Grund zahlreicher Rechtsverstöße als unzuverlässig anzusehen. Mit dem Bescheid ordnete der Antragsgegner zugleich die sofortige Vollziehung an.

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Der Antragsteller erhob Widerspruch, über den - soweit ersichtlich -  nicht entschieden ist. Ferner hat der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Oldenburg beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.

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Mit dem im Tenor bezeichneten Beschluss, der dem Antragsteller am 5. August zugestellt worden ist, hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Stilllegungs- und Untersagungsbescheid des Antragsgegners vom 29. Juni 2005 wiederherzustellen, abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei formell rechtmäßig. Sie genüge insbesondere den Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Auch materiell sei die Anordnung rechtmäßig, weil der für sofort vollziehbar erklärte Bescheid nach der sich derzeit darbietenden Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach rechtmäßig sei. Zutreffend habe der Antragsgegner den Bescheid auf § 20 Abs. 1-3 BImSchG gestützt. Der Antragsteller habe gegen Auflagen verstoßen, weil er entgegen der Genehmigung Flotate in die Anlage eingebracht habe. Damit seien auch die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 BImSchG erfüllt. Auf Grund einer Vielzahl von Rechtsverstößen sei der Antragsteller darüber hinaus als unzuverlässig anzusehen.

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Der Antragsteller hat gegen die Entscheidung am 19. August 2005 Beschwerde erhoben und diese am 5. September 2005 begründet. Mit der Beschwerde verfolgt er sein Begehren weiter. Zur Begründung führt der Antragsteller aus, die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei rechtswidrig, denn ihr fehle eine ausreichende Begründung. Der Stilllegungs- und Untersagungsbescheid sei ebenfalls rechtswidrig. In der Vorgrube seien ausschließlich sterilisierte NPK-Dünger zwischengelagert worden. Flotate seien nicht in die Anlage eingebracht worden. Er - der Antragsteller – sei nicht unzuverlässig, weil das gegen ihn angestrengte Strafverfahren nach § 153a StPO eingestellt worden sei.

8

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

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II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe führen zu keiner abweichenden Beurteilung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

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1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist formell rechtmäßig und genügt insbesondere den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Danach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung, die eine Ausnahme von der Regel des § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO darstellt, schriftlich zu begründen. Die Anordnung des Antragsgegners verweist zur Begründung auf die Umweltgefährdungen, die von einem ungenehmigten Betrieb der Anlage ausgehen. Im Einzelnen sind dies die Gefahr der Überdüngung der Ausbringungsflächen, eine erhebliche Geruchsbelästigung sowie die Gefahr eines Ausbruchs von Seuchen. Ferner stützt sich der Antragsgegner darauf, dass der Antragsteller durch den ungenehmigten Betrieb einen unberechtigten wirtschaftlichen Vorteil erlange. Diese Ausführungen lassen - wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat - erkennen, dass der Antragsgegner die widerstreitenden Interessen in einer den Anforderungen entsprechenden Weise gegeneinander abgewogen hat.

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2. Zu Recht ist das Verwaltungsgericht bei der gebotenen summarischen Prüfung auch zu der Überzeugung gelangt, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung des Stilllegungs- und Untersagungsbescheides das gegenläufige Interesse des Antragstellers überwiegt, weil die Verfügung aller Voraussicht nach rechtmäßig ist.

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a) Zutreffend hat der Antragsgegner - wie auch das Verwaltungsgericht - § 20 Abs. 2 BImSchG als Ermächtigungsgrundlage herangezogen. Danach soll die Stilllegung einer Anlage angeordnet werden, die ohne die erforderliche Genehmigung errichtet, betrieben oder wesentlich geändert wird (§ 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG).

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Die hier vorliegende Einbringung ungenehmigter Stoffe stellt eine wesentliche Änderung des Anlagenbetriebs dar. Eine wesentliche Änderung einer Anlage i.S. von § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG liegt vor, wenn die Beschaffenheit der Anlage oder die Art und Weise des Anlagenbetriebs in erheblicher Weise von der vorhandenen Genehmigung abweicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. 10. 2000 - 11 C 1.00 -, NVwZ 2001, 567 [569]). Die Verwertung betriebsfremder Materialien tierischen Ursprungs ist dem Antragsteller aufgrund der verfügten Begrenzungen der Einsatzstoffe nicht gestattet. Zu Recht sind der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht deshalb davon ausgegangen, dass der Antragsteller gegen diese Begrenzungen in erheblichem Umfang verstoßen hat, indem er wiederholt Flotate anderer Betriebe, also mit tierischen Fetten belastete Abwässer, in die Biogasanlage eingebracht hat.

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Dies betrifft zunächst die bei der polizeilichen Kontrolle am 8. März 2005 in der Vorgrube vorgefundenen Flotate der Firma E.. Auch die Vorgrube ist ausweislich der Genehmigung vom 24. August 2001 Teil der Biogasanlage. Die dagegen vom Antragsteller vorgebrachten Einwände führen zu keiner anderen Bewertung. Es kann dahinstehen, ob die Vorgrube - was indes wenig wahrscheinlich ist - lediglich zu Lagerzwecken genutzt worden ist. Auch das Lagern überschreitet den Rahmen der Genehmigung in erheblicher Weise. Die Lagerung führt dazu, dass Flotatrückstände mit den für die Biogasanlage bestimmten Einsatzstoffen in Berührung kommen. Hinzu kommt, dass das Verbot der Lagerung auch den Zweck hat, die unkontrollierbare Einbringung von verbotenen Stoffen in den Produktionsprozess der Biogasanlage zu verhindern. Dagegen kann nicht angeführt werden, dass ein Ventil der Verbindung von Vorgrube und Fermenter zum Zeitpunkt der Kontrolle ausgebaut war. Dieses Ventil kann - wie auch der Antragsteller zugestanden hat - innerhalb kurzer Zeit wieder eingesetzt werden.

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Nicht glaubhaft ist der Einwand, es habe sich nicht um Flotate, sondern um sterilisierten NPK-Dünger gehandelt. In dem von der Firma E. ausgestellten Lieferschein wird die Lieferung als Flotatschlamm (Abfallschlüssel 020204) bezeichnet. Entgegen der Behauptung des Antragstellers wies die Probe aus dem Tankfahrzeug, in der bluthaltiges Material nachweisbar war, auch einen massiven bakteriellen Befund auf, der gegen eine Sterilisation spricht (vgl. den Untersuchungsbericht des Landeskriminalamtes bezüglich der am 8. März 2005 entnommenen Proben aus dem Tankfahrzeug sowie der Vorgrube (Akte 0846/2005 OW, Blatt A30-31). Zudem hat der Antragsteller bei der Überprüfung seiner Anlage am 8. März 2005 eingeräumt, dass es sich bei der Ladung um Flotate handele. Hinzu kommt, dass die Einbringung von Flotaten in die Vorgrube nach den Ermittlungen des Antragsgegners keinen Einzelfall darstellt. Bei ihrer polizeilichen Vernehmung haben die für den Antragsteller tätigen LKW-Fahrer F. und G. ausgesagt, dass wiederholt Flotate der Firma E. in die Vorgrube der Biogasanlage eingebracht worden sind.

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Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bestehen nicht, zumal die Behörde bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG die Anlage stilllegen soll, also im Regelfall eingreifen muss. Bei einem Einbringen von Flotaten in die Biogasanlage drohen eine Verschlechterung des Emissionsverhaltens der Anlage sowie die Gefahr von Seuchen. Diese Gefahrenlage rechtfertigt es vor allem angesichts der wiederholten Verstöße, die Stilllegung trotz der wirtschaftlichen Verluste des Antragstellers anzuordnen. Ob die drohenden Gefahren tatsächlich bereits eingetreten sind, ist angesichts der präventiven Funktion des § 20 Abs. 2 BImSchG unerheblich.

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b) Zu Recht hat der Antragsgegner seine Verfügung ferner auf § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG gestützt. Danach kann der weitere Anlagenbetrieb untersagt werden, wenn der Anlagenbetreiber oder der mit der Leitung des Betriebs Beauftragte in Bezug auf die Einhaltung der Rechtsvorschriften zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen unzuverlässig und die Untersagung zum Wohl der Allgemeinheit geboten ist. So liegt der Fall hier. Der Antragsteller ist unzuverlässig, weil er nicht die Gewähr bietet, dass er die Anlage künftig entsprechend dafür geltenden Vorschriften des BImSchG betreiben wird. Zu Recht hat der Antragsgegner bei der insoweit gebotenen Prognose maßgeblich auf die Vielzahl der Rechtsverstöße des Antragstellers abgestellt. Die über einen längeren Zeitraum andauernde Einbringung von Flotaten in die Vorgrube der Biogasanlage stellt einen wiederholten Verstoß gegen die dem Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen dienenden Begrenzungen der Genehmigung hinsichtlich der zugelassenen Stoffe dar. Bei den festgestellten Verstößen handelt es sich nicht um Bagatellfälle, sodass eine Untersagung des Betriebs schon auf Grund dieser Verstöße zum Wohl der Allgemeinheit geboten (vgl. dazu Jarass, BImSchG, 6. Aufl. 2005, § 20 Rn. 51) und verhältnismäßig ist. Angesichts dessen kann dahinstehen, welche weiteren Rechtsverstöße durch den Antragsteller begangen worden sind. Ob ein anderes Verfahren nach § 153a StPO eingestellt worden ist, ist unerheblich. Auf die angeblich beabsichtigte Übertragung des Betriebs auf den Sohn kommt es nicht an, da diese nicht vollzogen ist.

18

c) Da der Bescheid in vollem Umfang auf § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG und § 20 Abs. 3 Satz 1 BImSchG gestützt werden konnte, kann dahinstehen, ob auch § 20 Abs. 1 BImSchG als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommt.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

20

Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Der Senat folgt der Empfehlung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom Juli 2004 (DVBl. 2004, 1525 = NVwZ 2004, 1327), wonach die Klage des Errichters/Betreibers auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung grundsätzlich mit 2,5 % der Investitionssumme und die Klage gegen die Stilllegung oder Betriebsuntersagung mit 1% der Investitionssumme zu bewerten ist (Abschn. II, Nr. 19.1.1, 19.1.5) nur mit Einschränkungen. Diese Prozentsätze führen nur bei Großvorhaben zu einer angemessenen Bewertung, während etwa ein Streitwert, der nur der Höhe des Mindestbetrages für die Klage auf eine gewerberechtliche Erlaubnis oder gegen eine Gewerbeuntersagung entspräche (Abschn. II, Nr. 54.1, 54.2.1) oder sogar darunter bliebe, bei einer Investitionssumme im hohen sechsstelligen Bereich unangemessen wäre. Ferner ist für den Senat der Gedanke bedeutsam, dass der Wert der Klage auf Erteilung einer Anlagengenehmigung oder gegen eine Betriebsuntersagung/Stilllegung in einem angemessenen Verhältnis zu der Klage eines drittbetroffenen Privaten und einer drittbetroffenen Gemeinde (vgl. Abschn. II, Nr. 2.2 und 2.3 i.V.m. 19.2 und 19.3 des Streitwertkatalogs) stehen muss. Um diesen Unstimmigkeiten zu begegnen, hat der Senat keinen gleichbleibenden, sondern einen degressiven, mit zunehmender Höhe der Investitionssumme abnehmenden Prozentsatz zugrunde gelegt, ohne indessen die Zwischenwerte abschließend zu bestimmen (vgl. Beschl. v. 8.2.1993 - 7 O 6383/92 -; Beschl. v. 27.8.2002 - 7 OA 169/02 -, NVwZ-RR 2002, 901). Es liegt in der Tendenz dieser Streitwertpraxis, bei der hier gegebenen Investitionssumme von 749.072,57 Euro einen Betrag in Höhe von 15% dieser Summe als Streitwert anzunehmen. Der Senat vermindert entgegen der Empfehlung des Streitwertkataloges den Streitwert in Eilverfahren nicht, weil § 53 Abs. 3 GKG für Verfahren nach § 80 Abs. 5 und § 123 VwGO uneingeschränkt auf § 52 Abs. 1 und Abs. 2 GKG verweist und der gegenüber dem Hauptsacheverfahren möglicherweise geringeren Bedeutung der erstrebten vorläufigen Regelung durch die geringeren Gebührensätze des Kostenverzeichnisses der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG (lfd. Nrn. 5210 ff.) Rechnung getragen wird.

21

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.