Landgericht Oldenburg
Urt. v. 10.01.2007, Az.: 5 O 1003/06
Absicherung; Aufsicht; Aufsichtspflicht; Auslegung; Badeunfall; Beaufsichtigung; Beweisanforderung; Familienangehöriger; Garten; Gefälligkeit; Gesundheitsschaden; Haftung; Jägerzaun; Kind; Kinderbetreuungspflicht; Leistungspflicht; Minderjähriger; Pflichtverletzung; Schuldvorwurf; Schutzpflicht; Schwimmbecken; Sicherungsmaßnahme; Sorgfaltspflicht; Spielen; Tante; Verkehrssicherungspflicht; Verschulden; Versprechensempfänger; Vertrag; Vertragspflicht; Wasserbecken; Zaun; Zaunelement
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 10.01.2007
- Aktenzeichen
- 5 O 1003/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 71791
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 276 BGB
- § 280 Abs 1 S 2 BGB
- § 823 Abs 1 BGB
- § 832 BGB
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Übernimmt ein erwachsener Familienangehöriger über eine kürzere Dauer die Aufsicht über ein 2-3 Jahre altes Kind, entstehen keine Vertragspflichten mit der Pflicht, sich nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB zu entlasten.
2. Es stellt keine schuldhafte Pflichtverletzung dar, wenn ein solches Kind beim Spielen im Garten nicht ständig beaufsichtigt wird.
3. Ein Schuldvorwurf kann auch nicht erhoben werden, wenn das Kind zusammen mit einem gleichaltrigen Spielgefährten einen 60 cm hohen Jägerzaun dadurch überwindet, dass ein Zaunelement ausgehängt wird und das Kind sodann in das Wasser fällt und schwere Gesundheitsschäden davonträgt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht wegen Verletzung von Kinderbetreuungspflichten in Anspruch.
Die Klägerin ist die Krankenversicherung des bei einem Badeunfall verletzten Neffen … der Beklagten. Letzterer spielte am 24.09.2003 im Alter von 2 1/2 Jahren mit dem knapp 3 Jahre alten Enkel der Beklagten in deren ringsum eingefriedeten Garten. Darin befand sich ein Schwimmbecken von 3 m Durchmesser und einer Wandhöhe von 1 m sowie einer Wassertiefe von 0,80 m. Eingezäunt war das Becken mit einem Jägerzaun, dessen Höhe nach der Behauptung der Klägerin 60 cm betrug. Ein Zaunfeld konnte herausgenommen werden. Dazu musste es ca. 20 cm angehoben werden.
Während sich die Beklagte im Haus aufhielt, fiel … in das Wasser. Der Enkel … kam ins Haus und alarmierte die Beklagte. Infolge Sauerstoffmangels hatte … allerdings bereits so schwere Gesundheitsschäden erlitten, dass er inzwischen ein Pflegefall ist. Die krankheitsbedingte Pflege und Betreuung des Kindes erfordert erhebliche Kosten, welche die Klägerin bislang getragen hat. Mit dem Zahlungsantrag macht die Klägerin zunächst nur eine Teilforderung geltend.
Die Klägerin wirft der Beklagten die Verletzung von vertraglichen Aufsichtspflichten vor, denn die Mutter des Kindes hatte dieses der Beklagten zur Aufsicht überlassen, während sie andere Kinder vom Kindergarten abholte. Des weiteren habe die Beklagte schuldhaft Verkehrspflichten verletzt, weil entweder das Zaunelement nicht eingehängt oder so einfach zu entfernen war, dass die beiden kleinen Kinder dazu in der Lage waren. Darüber hinaus könnten Kinder die geringe Höhe ohne weiteres überwinden. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dass sie die Kinder etwa 25 Minuten und damit zu lange ohne Aufsicht gelassen habe.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2004 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen materiellen Schaden aus übergegangenem Recht aufgrund des Unfalls vom 24.09.2003 zu ersetzen,
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Rechtsanwälte … 389,64 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 26.06.2006 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist darauf, dass diese Schwimmbeckenanlage seit 14 Jahren bestand und mehrere Enkelkinder diese nicht eigenständig nutzen konnten. Es sei mit einer sechsjährigen Enkeltochter ausprobiert worden, ob diese das Zaunelement ausheben konnte, was nicht der Fall gewesen sei. Das Element sei auch an jenem Tag verschlossen gewesen (Zeugnis …). Die Kinder seien allenfalls 10 Minuten alleine im Garten gewesen.
Die Akten … der StA Oldenburg lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Zur Übernahme einer vertraglichen Übernahme der Aufsichtspflicht, etwa im Rahmen des § 832 BGB, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt (VersR 68, 1043):
"Zwar sind an das Zustandekommen eines Vertrages über die Übernahme der Aufsicht im Sinne von § 832 Abs. 2 BGB keine zu großen Anforderungen zu stellen; ein solcher Vertrag kann auch stillschweigend geschlossen werden, wobei es stets auf die Umstände des Einzelfalles ankommt (RG WarnRspr. 1934, Nr. 155 = Seuff.Archiv 89, 39). In der Rechtsprechung ist bisher eine vertragliche Übernahme der Aufsichtspflicht regelmäßig nur dann angenommen worden, wenn es sich um eine weitreichende Obhut von längerer Dauer und weitgehender Einwirkungsmöglichkeit gehandelt hat, z.B. bei Pflegeeltern, Kindergärtnerinnen, Aufsichts- und Erziehungspersonal in Heimen, bei längerem Aufenthalt bei Verwandten, bei der älteren Schwester, die ihren minderjährigen Bruder in den Haushalt aufgenommen hat (BGB RGRK, 11. Aufl. § 832 Anm. 8).
Fehlt es an einer vertraglich vereinbarten Übernahme der Aufsichtspflicht, so liegt eine freiwillige tatsächliche Übernahme derselben vor. Eine solche nur tatsächliche Übernahme der Aufsichtspflicht ist dann anzunehmen, wenn es sich um Einzelfälle auf kürzere Zeit handelt, mit denen die Aufwendung von Kosten nicht verbunden ist, so z.B. wenn eine Mutter ihr Kind während ihrer Besorgungen bei der Großmutter oder bei Freunden abgibt; hierbei handelt es sich um eine reine Gefälligkeit (Wussow "Das Unfallhaftpflichtrecht", 9. Aufl., Rdn. 393; OLG Nürnberg, VersR 1961, 571)."
Nach diesen Grundsätzen fehlt es im vorliegenden Fall an einer Vertragspflicht. … sollte nur kurz beaufsichtigt werden, während seine Mutter eine kurze Besorgung tätigte. Mit der Beaufsichtigung waren kein Aufwand und keine Kosten verbunden. Die Beklagte hatte als Tante von … gegenüber ihrer Schwester als Mutter des Kindes eine reine Gefälligkeit übernommen. Daran ändert auch nichts, wenn diese Maßnahme häufiger vorgekommen ist. Sie blieb dann immer von kurzer Dauer und ist nicht mit den von dem BGH genannten Fällen von Pflegeeltern, Kindergärten oder Heimaufenthalten vergleichbar. Dass auch außerhalb eines Vertrages, eben im Rahmen einer Gefälligkeit, erwartet wird, dass bei einer kurzfristigen Betreuung die anvertrauten Kinder beaufsichtigt und vor Gefahren bewahrt werden, begründet noch kein haftungsbegründendes Vertragsverhältnis, auch nicht durch konkludentes Handeln. Es bleibt beim außervertraglichen Bereich und damit ist auch eine Haftung nach § 280 BGB nicht begründet.
Zwar ist auch im Rahmen einer Gefälligkeit eine Haftung denkbar, wie auch der BGH (aaO.) ausführt. Soweit es um Leistungspflichten geht, kommt es auf die Bedeutung der versprochenen Gefälligkeit für den Versprechensempfänger an (PWW/Schmidt-Kessel, BGB, § 241 Rn 33). Bei Verletzung von Schutzpflichten besteht eine Haftung nach § 280 BGB, soweit die Parteien eine solche nicht ausschließen (Schmidt-Kessel, aaO.).
Zur Interessenlage hat der BGH (aaO.) überzeugend ausgeführt, dass eine extensive Auslegung des § 832 Abs. 2 BGB die Gegebenheiten des Alltags verkennen und häufig zu wenig lebensnahen Ergebnissen führen würde. Nach der Auffassung der Kammer ist darauf abzustellen. Es würde kein Verständnis in den weitaus überwiegenden Teilen der Bevölkerung auslösen, wenn die kurzfristige Übernahme Minderjähriger in den eigenen Haushalt zum Spielen oder auch zur gemeinsamen Lösung schulischer Aufgaben dazu führen würde, sich bei Unfällen haftungsmäßig nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entlasten zu müssen. Es muss daher bei einer Verantwortlichkeit nach Maßgabe des § 823 BGB verbleiben. Das bedeutet gleichzeitig, dass die Verneinung einer vertraglichen Haftung noch lange nicht alle Ansprüche des Geschädigten entfallen lässt. Es bleibt die Haftung aus Delikt mit dem Unterschied, dass sich der als Schuldner in Anspruch Genommene nicht nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB im Hinblick auf ein Verschulden entlasten muss, sondern dass der Geschädigte alle Tatbestandsmerkmale einschließlich des Verschuldens im Streitfalle beweisen muss.
Die für eine deliktische Haftung erforderliche schuldhafte Pflichtverletzung liegt nach dem Sachverhalt, welchen die Kammer zu beurteilen hat nicht vor.
Die Klägerin ist für eine schuldhafte Verletzung von Verkehrspflichten, die zu den Gesundheitsschäden des Kindes geführt haben, darlegungs- und beweispflichtig.
Für die Behauptung, der Zaun um das Schwimmbecken habe offen gestanden, hat die Klägerin keinen Beweis angetreten. Die Ermittlungsakten liefern hierfür auch keinen Anhaltspunkt.
Eine unzulängliche Sicherung des Zaunelementes kann der Beklagten nicht im Sinne eines Schuldvorwurfes angelastet werden. Nach § 276 BGB müsste die Beklagte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Irgendwelche Normen für die Absicherung vom Wasserbecken sind der Kammer nicht bekannt und von den Parteien auch nicht vorgetragen. Es kommt auf die üblichen Sicherungen an, welche gegenüber Kindern zu ergreifen sind.
Die Höhe des Zaunes kann dabei unberücksichtigt bleiben. In dieser Richtung wäre eine Gefahr nicht kausal geworden, da die Kinder ersichtlich durch das ausgehängte Zaunelement und nicht über den Zaun hinweg zum Wasser gelangt sind.
Das Zaunelement war genügend gesichert. Der ermittelnde Polizeibeamte … hat in dem Ermittlungsbericht ausgeführt, dass ein erheblicher Kraftaufwand zum Hochheben des Elementes aufzuwenden war. Nach seiner Einschätzung mussten die Kinder es in Gemeinschaftsarbeit geschafft haben, den Zaun zu entfernen, ohne dass ihnen diese Ergebnis intellektuell und körperlich zuzutrauen war. Für die Kammer ist diese Einschätzung des Polizeibeamten von Bedeutung, da er Vater von Kleinkindern ist. Bei dieser Konstellation ist nicht die Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Leistungsfähigkeit von 2-3-jährigen Kindern erforderlich. Es gilt ein objektivierter Maßstab der betroffenen Verkehrskreise (Schmidt-Kessel, aaO., § 276 Rn 9 ff.). Der ermittelnde Polizeibeamte als Vater von kleinen Kindern gehört ebenso dazu, wie die Mitglieder der Kammer. Diese haben oder hatten Kinder im fraglichen Alter und/oder kennen diese aus dem unmittelbaren Verwandten- und Bekanntenkreis, wie im Termin erörtert wurde. Danach reichten die von der Beklagten getroffenen Sicherungsmaßnahmen aus.
Aus dem objektiven Umstand, dass es die Kinder offensichtlich geschafft hatten, das Tor auszuhängen, kann weder geschlossen werden, dass eine solche Maßnahme erkennbar unzureichend war noch dass das Tor nicht sorgfältig eingehängt gewesen war. Die Unklarheit, was konkret gewesen ist, lässt sich auch mit Hilfe eines Sachverständigen nicht mehr aufklären. Hinzu kommt, dass die Beklagte objektiv gegen Sorgfaltspflichten verstoßen haben müsste. Nach den mit kleinen Kindern gewonnenen Erfahrungen der Kammermitglieder ist es eher vorstellbar, dass forsche Kinder einen Jägerzaun überklettern, aber nicht in dem Alter ein Zaunelement der streitigen Art ausheben.
Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe die Kinder zu lange nicht unter Beobachtung gehabt. Auch das kann die Kammer aus eigener Kenntnis beurteilen. Es kommt dabei stets darauf an, welche Gefahren den Kindern drohen können und mit welchen Taten zu rechnen ist. In einer ungefährlichen Umgebung brauchten Kinder von 2 1/2 und knapp 3 Jahren nicht ständig im Blickfeld zu sein. Die Kinder hatten kein gefährliches Spielzeug, sie übten in dem Garten keine verletzungsanfälligen Tätigkeiten aus und das Schwimmbecken stellte nach den obigen Ausführungen keine vorhersehbare Gefahr dar. Die Beklagte hatte erhebliche Erfahrungen mit eigenen Kindern und Enkelkindern.
Der Kammer ist bewusst, dass die Klägerin keine rechten Möglichkeiten der Sachaufklärung und kaum "natürliche Verbündete" hat, welche in Gegnerschaft und Interessengegensätzen zur Beklagten stehen und die bei der Sachverhaltsaufklärung hätten helfen können und wollen. Das kann aber nicht zu einer Herabsetzung der Beweisanforderungen führen. Die Kammer hat die Beklagte angehört. Dabei ist nicht der Eindruck entstanden, dass die Beklagte den auch für sie schrecklichen Vorgang verschleiert, verdunkelt oder dass sie gar die Unwahrheit sagt. Soweit Widersprüche aufgetreten sind, ob auch … ins Wasser gefallen war, sind die mit Erinnerungslücken erklärlich und führen nicht zu der Einschätzung, dass es der Beklagten an Wahrheitsliebe fehlt.
Es dürfte sich demgemäß um einen für alle Beteiligten tragischen Unglücksfall handeln mit der Hoffnung, dass sich der Gesundheitszustand von … möglichst optimal entwickeln möge.
Die Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in den §§ 91, 709 ZPO.