Landgericht Oldenburg
Urt. v. 30.03.2007, Az.: 13 S 799/06

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
30.03.2007
Aktenzeichen
13 S 799/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61012
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:2007:0330.13S799.06.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Westerstede - 10.11.2006 - AZ: 22 C 266/06 (VI a)
nachfolgend
BGH - 24.06.2009 - AZ: IV ZR 110/07

Fundstelle

  • VersR 2007, 985-986 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

In dem Rechtsstreit

...

wegen Versicherungsleistung

hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 09.03.2007 durch

den Richter am Oberlandesgericht ...,

den Richter am Landgericht ... und

den Richter am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Dem Kläger wird wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

  2. Auf die Berufung des Klägers wird das am 10.11.2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Westerstede geändert.

  3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 379,09 EUR aus dem Versicherungsfall vom 19.1.2006 (Klage gegen den Landkreis .... wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II) zu zahlen.

  4. Der Kläger trägt die Kosten der Wiedereinsetzung vorab. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

  5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung des Klägers gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.

  6. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

1

I.)

Die Parteien streiten um die Verpflichtung der beklagten Versicherung zur Gewährung von Rechtsschutz. Der Kläger, der seit Mai 2004 eine Rechtsschutzversicherung bei der Beklagten hat, beantragte im November 2005 die Gewährung von Rechtsschutz für eine gegen einen Bescheid des Landkreises ... gerichtete Klage. Mit dem Bescheid waren ihm Sozialleistungen nach dem SGB II verweigert worden. Die Beklagte verweigert den Rechtsschutz unter Hinweis auf die Versicherungsbedingungen, nach denen zwar Anspruch auf Rechtsschutz für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor deutschen Sozialgerichten besteht, nicht aber in Verfahren aus dem Bereich unter anderem des Sozialhilferechts.

2

Das Amtsgericht hat die Klage mit seinem hiermit auch wegen der weiteren Darstellung des Sachverhalts in Bezug genommenen Urteil vom 10.11.2006 abgewiesen, wogegen sich der Kläger mit seiner Berufung wendet. Die Parteien wiederholen ihre in erster Instanz geäußerten Rechtsansichten.

3

II.)

Dem Kläger war wegen Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO).

4

Da der Kläger die ihm bis dahin nicht mögliche Berufungseinlegung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe fristgerecht nachgeholt hat und weil das Amtsgericht die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), ist das Rechtsmittel zulässig.

5

Auch in der Sache ist die Berufung begründet. Denn der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß §§ 1, 2f der dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegenden Rechtsschutzversicherungsbedingungen (ARB 2000) einen Anspruch auf Erstattung der ihm durch die Führung des sozialgerichtlichen Rechtsstreits gegen den ... entstandenen Kosten.

6

Rechtsschutz besteht gemäß § 2f ARB 2000 ausdrücklich auch für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen vor den Sozialgerichten. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos.

7

Denn § 3f ARB 2000 begründet eine Ausnahme für Verfahren aus dem Bereich des Asyl-, Ausländer- und Sozialhilferechts.

8

Was unter dem Begriff des Sozialhilferechts zu verstehen ist, ist zwischen den Parteien streitig. Hierunter fallen nach Auffassung der Kammer aber nicht Streitigkeiten, in denen Ansprüche auf Sozialleistungen nach dem SGB II geltend gemacht werden.

9

Im Rahmen der hier notwendig werdenden Auslegung der ARB ist auf die Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Bedingungen aufmerksam liest und unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs würdigt, abzustellen (vgl. etwa BGH VersR 2003, 236; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. Vorbem III Rn 2). Deshalb ergibt sich das Erfordernis, die Auslegung nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht nach einer fachwissenschaftlichen Terminologie vorzunehmen ( BGH VersR 1983, 850), wobei allerdings der Grundsatz gilt, dass Worte, mit denen die Rechtssprache feststehende Begriffe verbindet, in diesem Sinne zu verstehen sind ( BGH VersR 2003, 236).

10

Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das frühere Bundesozialhilfegesetz (BSHG) in dem SGB XII, das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in dem SGB II aufgegangen ist, was schon dafür spricht, Streitigkeiten aus dem Bereich des SGB II nicht mit solchen aus dem Bereich des Sozialhilferechts gleichzustellen. Andererseits besteht nach der jetzigen Gesetzessystematik aber auch der Anspruch auf Grundsicherung aller arbeitsfähigen Menschen im Alter zwischen 15 und 64 Jahren nach den Normen des SGB II. Grundsicherung könnte als Sozialhilfe im eigentlichen Sinne verstanden werden, die unter Umständen nach altem Recht ihre Anspruchsgrundlage im BSHG und somit im eigentlichen Sozialhilferecht fand.

11

In der Rechtssprache feststehende Begriffe sind auch solche, die das Gesetz selbst wählt. Angesichts des Umstandes, dass das SGB II mit "Grundsicherung für Arbeitssuchende" und das SGB XII mit "Sozialhilfe" überschrieben ist, kann zur Überzeugung der Kammer eine Auslegung des Regelung des § 3f der ARB 2000 nur dahingehend erfolgen, dass die Beklagte als Verwenderin dieser Bedingungen sich die Terminologie des Gesetzgebers zu eigen gemacht hat, weshalb die unter den Ausnahmetatbestand des § 3f fallenden Verfahren aus dem Bereich des Sozialhilferechts nur solche wegen Ansprüchen nach dem SGB XII, nicht aber solche wegen Ansprüchen nach dem SGB II sind.

12

Soweit die Beklagte darauf verweist, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer das SGB nicht zur Hand nehmen wird, um für sich den Begriff des Sozialhilferechts auszufüllen, ist darauf zu verweisen, dass gewisse Anforderungen an die Verständigkeit des Versicherungsnehmers gestellt werden. Es ist zu erwarten, dass er sich auf der Basis der ihm durchschaubaren Funktionsprinzipien Gedanken über den wirtschaftlichen Zweck einer Klausel macht. Wenn schon das erwartet werden kann, liegt es umso näher, dass der durchschnittliche verständige Versicherungsnehmer, die für ihn maßgeblichen Gesetze zur Hand nimmt um sie auf die darin verwendete Terminologie zu prüfen.

13

Nach allem war das amtsgerichtliche Urteil zu ändern und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.

14

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 238 Abs. 4 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

15

Da die hier zu entscheidende Rechtsfrage - soweit erkennbar - bislang nicht obergerichtlich entschieden worden ist, war die Revision zuzulassen.