Landgericht Hildesheim
Urt. v. 01.10.2003, Az.: 1 S 48/03
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 01.10.2003
- Aktenzeichen
- 1 S 48/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 39517
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2003:1001.1S48.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hildesheim - AZ: 20 C 86/01
Tenor:
Auf die Berufung der Kläger wird das am 26.03.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hildesheim unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, mehr als eine Katze mit freiem Auslauf auf dem Grundstück des Beklagten zu 2) ... zu halten bzw. in Pflege zu nehmen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten beider Rechtszüge tragen die Kläger 90 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 10 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Die Kläger verfolgen mit ihrer Berufung ihre im ersten Rechtszug abgewiesene Klage auf Unterlassung der Beeinträchtigung ihres Grundstücks ... durch auf dem Nachbargrundstück des Beklagten zu 2) ... gehaltene Katzen weiter und begehren im Übrigen eine Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung dahin, dass die Beklagten die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen haben. Hinsichtlich der Katzen machen sie Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen geltend. Das Amtsgericht habe das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, dass nämlich ihr Grundstück von drei aus dem Haus der Beklagten kommenden Katzen aufgesucht werde, verkannt. Bezüglich der Kostenentscheidung rügen sie das erstinstanzliche Urteil als rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht zu
Unrecht ein voraussichtliches Unterliegen mit der Forderung auf Beseitigung der Hecke ihrerseits und ein sofortiges Anerkenntnis der Einfriedungspflicht seitens der Beklagten angenommen habe.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache zum Teil Erfolg.
Den Klägern steht gegen die Beklagten ein Abwehranspruch zu, soweit mehr als eine der von den Beklagten gehaltenen bzw. in Pflege genommenen Katzen ihr Grundstück betreten (1.). Demgegenüber hat das Amtsgericht die Kosten, soweit sie den durch Teilrücknahme und Teilvergleich erledigten Teil des Rechtsstreits betreffen, ermessensfehlerfrei allein den Klägern auferlegt (2.).
1.
Der Unterlassungsanspruch der Kläger gegen die Beklagten beruht auf § 1004 Abs. 1
S. 2 BGB.
a) Die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme hat, anders als im angefochtenen Urteil ausgeführt, ergeben, dass das Grundstück der Kläger vom Grundstück des Beklagten zu 2) aus häufig, mitunter fast täglich von insgesamt bis zu drei Katzen betreten wird und deshalb weitere derartige Beeinträchtigungen des Eigentums der Kläger zu besorgen sind, wobei es sich um die rotbraune und die schwarz-weiße Katze mit buschigem Schwanz des Beklagten zu 2) bzw. der Tochter der Beklagten zu 1) sowie die schwarz-weiße Katze mit normalem Schwanz des auf der anderen Straßenseite wohnenden Rentners .... handelt, die dieser, wenn er verreist ist, bei den Beklagten in Pflege gibt.
Auf dem Grundstück des Beklagten zu 2) werden unstreitig eine rotbraune und eine schwarz-weiße Katze gehalten. Die als Zeugin vernommene Ehefrau des Klägers zu 3), ... , hat bekundet, eine rotbraune und zwei schwarz-weiße Katzen, eine davon mit buschigem Schwanz, sowohl auf der Terrasse der Beklagten als auch auf ihrem eigenen Grundstück beobachtet zu haben. Sie würden aus der Terrassentür der Beklagten hinausgelassen und liefen auch dorthin zurück, wenn sie auf dem Grundstück der Kläger gestört würden. Der Nachbar der Beklagten zur Linken ... hat anlässlich seiner Zeugenvernehmung bekundet, sehen zu können, wenn morgens zwei schwarz-weiße und eine fuchsfarbene Katze aus dem Hauseingang der Beklagten hinausgelassen werden. Sie liefen auch auf anderen Grundstücken, u. a. dem der Beklagten herum. Der Zeuge ... hat schließlich ausgesagt, dass die Familie der Beklagten zwei Katzen, nämlich eine rötlichbraune und eine schwarz-weiße mit buschigem Schwanz halte und dass die Familie der Beklagten sich um seine schwarz-weiße Katze mit normalem Schwanz kümmere, wenn er verreist sei. Anhaltspunkte dafür, an der Glaubhaftigkeit dieser Bekundungen zu zweifeln, sind weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
Damit steht eine drohende weitere Eigentumsbeeinträchtigung durch die beiden Katzen des Beklagten zu 2) bzw. der Tochter der Beklagten zu 1) und der vorübergehend ebenfalls von den Beklagten betreuten und versorgten Katze des Zeugen ... fest, ohne dass die vom Amtsgericht durchgeführte Beweisaufnahme wiederholt werden müsste, da lediglich der objektive Inhalt der Aussagen anders zu bewerten ist.
Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass die Beklagte zu 1) mit der Katzenhaltung ihres Ehemannes und ihrer Tochter einverstanden ist und sie die Tiere zumindest teilweise auch füttert und beaufsichtigt, mithin ebenfalls Störerin i. S. des § 1004 Abs. 1 BGB ist.
b) Die Kläger sind unter dem Gesichtspunkt des § 1004 Abs. 2 BGB nicht verpflichtet, das Betreten ihres Grundstücks durch mehr als eine Katze der Beklagten zu dulden. § 906 BGB ist hier nicht anwendbar, weil Tiere von erheblicher Größe - wie Katzen - nicht mehr als unwägbare Immissionen im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind. Nach ständiger Rechtsprechung kann aber ausnahmsweise eine Beeinträchtigung des eigenen Grundstücks aufgrund des nachbarschaftlichen Gemeinschaftsverhältnisses als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hinzunehmen sein (vgl. OLG Gelle Nds. Rpfl. 1986, 152 m. w. N.). Die Kammer folgt dabei der Auffassung der Oberlandesgerichte Köln (NJW 1985, 2338, 2339 [OLG Köln 17.09.1982 - 20 U 44/82]) und Gelle (a. a. O.), wonach das Betreten eines Grundstücks durch (nur) eine Katze des Nachbarn generell für zumutbar zu halten ist, auch wenn das Grundstück durch Kotablagerungen, welche Katzen allerdings normalerweise zu vergraben pflegen, verunreinigt wird. Dies gilt auch im Hinblick auf die besonderen Umstände des vorliegenden Falles.
Die Parteien wohnen nach den Ausführungen der vom Amtsgericht beauftragten Sachverständigen ... , in ihrem Gutachten vom 11.02.2002 (Hülle Bl. 88 Bd. l d. A.) in einem Wohngebiet, welches seit ca. 40 Jahren nach und nach aus einer ehemaligen Kleingartenanlage entstanden ist, in Einfamilienwohnhäusern mit Gärten. In solchen Wohngegenden gehört die Katzenhaltung mit freiem Auslauf zur Lebensführung vieler Familien. Da es in der Natur von Hauskatzen mit freiem Auslauf liegt, auf andere Grundstücke zu streunen, zielt der Antrag der Kläger der Sache nach auf eine vollständige Albschaffung sämtlicher Katzen durch die Beklagten ab, wenn sie die Tiere nicht ständig im Haus halten oder an einer Leine im Garten mit sich führen wollen. Diese von den Klägern geforderte Art der Katzenhaltung mag zwar im Zentrum einer Großstadt angezeigt sein; sie entspricht jedoch nicht der üblichen Katzenhaltung in einem Einfamilienhausviertel mit Grünanlagen (vgl. OLG Köln a. a. O.).
Hier kommt noch hinzu, dass die Kläger selbst vortragen, auf ihrem Grundstück ein seltenes Biotop mit Waldflora geschaffen zu haben. Es liegt nahe, dass dieser Zustand für Katzen eine besondere Anziehungskraft ausstrahlt. Gerade wenn die Kläger auf dem Standpunkt stehen, den Pflanzen ein natürliches Wachstum zu ermöglichen und insoweit keine bzw. kaum gärtnerische Maßnahmen zu treffen, so widerspricht es Treu und Glauben, wenn sie sich zugleich über den Umstand beschweren, dass die Katzen gerade ihr Grundstück bevorzugen (vgl. OLG Gelle a. a. O.).
Die nachbarliche Rücksichtnahme fordert bei Abwägung der gegenseitigen Interessen der Parteien die Hinnahme der Haltung einer freilaufenden Katze seitens der Beklagten. Eine andere Auffassung würde im Ergebnis dazu führen, dass ein einziger Bewohner eines Wohnviertels weitgehend die Katzenhaltung Dritter beeinflussen könnte. Eine derartige Rechtsposition kann auch unter Berücksichtigung des sich aus dem Grundstückseigentum ergebenden Verbietungsrechts der Kläger und unbeschadet etwaiger
Schadensersatzansprüche bei Beschädigung ihres Eigentums nicht schützenswert sein. Andererseits erscheint es im Rahmen eines sachgerechten Interessenausgleichs den Beklagten zumutbar, auf die gleichzeitige Haltung mehrerer Tiere mit freiem Auslauf zu verzichten (vgl. OLG Köln a. a. O.), zumal sich die Zahl der streunenden Katzen dadurch, dass auch andere Nachbarn diese Tiere halten, ohnehin erhöht (vgl. OLG Gelle a. a. O.).
2.
Soweit die Kläger bereits mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 09.08.2001 ihren Klageantrag auf ortsübliche Einfriedung hinsichtlich der Beklagten zu 1) zurückgenommen haben, trifft sie eine Kostentragungspflicht schon aus § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO. Nach dem im Termin vom 05.03.2003 geschlossenen Teilvergleich hatte das Amtsgericht mit der urteilsmäßigen Entscheidung über die restliche Hauptsache eine einheitliche Kostenentscheidung gem. §§ 91 ff. ZPO zu treffen. Dabei hatte es, da die Parteien in dem Teilvergleich die Anwendung des § 98 ZPO ausgeschlossen haben, indem sie die Kostenentscheidung dem Gericht vorbehielten, über die Kosten, die den durch den Vergleich erledigten Teil des Rechtsstreits betreffen, nach § 91 a ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu
entscheiden.
Das Amtsgericht hat bei der von ihm diesbezüglich getroffenen Kostenentscheidung die Grundsätze der Billigkeit entgegen der Ansicht der Kläger richtig angewandt. Durch den Teilvergleich ist zum einen die Beseitigung der Hecke, zum anderen die Errichtung einer Einfriedung geregelt worden. Mit ihrem Beseitigungsverlangen wären die Kläger voraussichtlich unterlegen gewesen, nachdem nunmehr zum einen feststeht, dass sich die Hecke, deren von den Beklagten geschätztes Alter von rund 40 Jahren seitens der Gutachterin bestätigt worden ist, auf ihrem Grundstück befindet, die Hecke zum anderen dem Sachverständigengutachten zufolge einen einheitlichen gepflegten Eindruck macht und auch nicht als störendes Element oder unästhetisch aus dem Gesamtbild des Wohngebiets hervorragt, mithin die Voraussetzungen des
§ 1004 Abs. 1 BGB nicht erfüllt sind. Aus diesem Grund hätten die Kläger von den Beklagten auch nicht die Entfernung der unstreitig von diesen vorgenommenen Neuanpflanzungen zur Füllung der Lücken verlangen können.
Auf den die Einfriedung betreffenden Klageantrag hat das Amtsgericht zutreffend den Rechtsgedanken des § 93 ZPO angewandt. In ihrem Schriftsatz vom 16.09.2002 in seiner berichtigten Fassung vom 17.09.2002, in dem sie unstreitig gestellt haben, dass sich die Hecke auf dem Grundstück der Kläger befindet, haben die Beklagten zugleich ihre nach Beseitigung der Hecke auflebende Einfriedungspflicht aus § 27 Abs. 1 Nr. 1 Nds. NachbarrechtsG anerkannt. Vor dem Hintergrund, dass die Parteien bis dahin
übereinstimmend davon ausgingen, die Hecke befinde sich auf dem Beklagtengrundtück, ist dies als sofortiges Anerkenntnis i. S. von § 93 ZPO zu werten, welches die Beklagten abgegeben haben, ohne zuvor zu der Klage Veranlassung gegeben zu haben.
III.
Nach alledem war der Berufung nur teilweise mit der Kostenfolge aus §§ 92 Abs. 1, 1. Alt., 97 Abs. 1 ZPO stattzugeben. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.