Landgericht Hildesheim
Urt. v. 05.09.2003, Az.: 1 S 124/03

Auffahrunfall; außergewöhnliche Gefahrensituation; Betriebsgefahr; Einschalten der Warnblinkanlage; Führerhaftung; Haftung; Halterhaftung; Pflicht zur Aufstellung eines Warndreiecks; Schadensersatz; Verkehrsunfall; Verschulden; überhöhte Geschwindigkeit

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
05.09.2003
Aktenzeichen
1 S 124/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48349
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 18.03.2003 - AZ: 2 C 1185/02

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 18.03.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Gifhorn wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Gebührenwert für die Berufung beträgt 877,89 Euro.

Tatbestand:

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I. Gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

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Mit der beschränkten Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Gifhorn vom 18.03.2003, soweit dieses der Klage auf Ersatz von 50 % der bei dem Verkehrsunfall vom 19.12.2001 erlittenen Schäden abgewiesen hat. Der Kläger rügt, bei der Beweislage, die das Amtsgericht festgestellt hatte, wäre eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 anstatt von nur 25 zu 75 zu Lasten des Klägers angemessen gewesen. Der Beklagte zu 1.) sei verpflichtet gewesen, ein Warndreieck aufzustellen und zudem die Warnblinkanlage einzuschalten. Erstere Verpflichtung ergebe sich aus § 15 Straßenverkehrsordnung, welche Vorschrift auch auf das „helfende“ Fahrzeug anwendbar ist, zumindest aber aus § 1 Abs. 2 Straßenverkehrsordnung, so dass das liegen gebliebene und das „helfende“ Fahrzeug eine gesamtschuldnerische Pflicht zur Aufstellung des Warndreieckes hätten. Im Übrigen sei dem Kläger die Sicht auf die Verkehrsunfallstelle durch ein vorausfahrendes Fahrzeug versperrt gewesen, was auch der Zeuge ... bekundet habe.

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Der Kläger beantragt,

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unter entsprechender Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Gifhorn vom 18.03.2003 die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger über die zuerkannten 877,89 Euro nebst entsprechender Zinsen hinaus weitere 877,89 Euro nebst 5 % über dem Basiszins liegender Zinsen seit dem 13.04.2002 zu zahlen.

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Die Beklagten beantragen,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie treten den Gründen des angefochtenen Urteils bei.

Entscheidungsgründe

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II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

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1. Als Anspruchsgrundlage für den Hauptanspruch kommt gegen den Beklagten zu 1) als Führer und Halter des Pkw ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... , auf welchen das Fahrzeug des Klägers aufprallte, § 7 Abs. 1 StVG, daneben § 18 StVG, zusätzlich § 823 Abs. 1 BGB und auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO in Betracht. Als Anspruchsgrundlage gegen die Beklagte zu 2) als Pkw-Haftpflichtversicherung des Beklagten zu 1) kommen vorgenannte Vorschriften in Verbindung mit § 3 Nr. 1 PflVG in Betracht.

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Die Anspruchsvoraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach diesen Vorschriften liegen aber nicht vor.

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a) Zwar wurde bei dem Betrieb des von dem Beklagten zu 1) gehaltenen und geführten Pkw ... mit dem amtlichen Kennzeichen... welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, der Pkw ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... des Klägers beschädigt.

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b) Es kann hier aber bereits dahingestellt bleiben, ob der Verkehrsunfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar war.

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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme spricht bereits einiges dafür, dass der Beklagte zu 1) bewiesen hat, dass er für sein Fahrzeug die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte. Das hat vor allem die Zeugin ... bekundet, deren Fahrzeug am Unfallort ausgefallen war. Aber auch der Zeuge ... , der am Unfallort vorbeifuhr, hat plausibel ausgesagt, er wisse sicher, dass der Beklagte zu 1) die Warnblinkanlage eingeschaltet hatte. Einzig der Zeuge ... hat bekundet, die Warnblinkanlage am Fahrzeug des Beklagten zu 1) sei nicht eingeschaltet gewesen. Bei seiner Aussage fällt aber auf, dass sie offensichtlich auf einem Rückschluss beruhte, weil er nämlich ausgesagt hat, ihm sei das Fahrzeug erst aufgefallen, als er an ihm vorbeigefahren sei. Weiter hat der Zeuge auf Vorhalt bestätigt, dass seine polizeiliche Angabe, er hätte in der Heckscheibe nach dem Vorbeifahren ein weißes Blinken gesehen, zutreffe. Auch wenn der Zeuge nicht sagen kann, woher dieses Blinken kam, erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass dieses Blinken von einer am Fahrzeug der Zeugin ... oder auch am Fahrzeug des Beklagten zu 1) eingeschalteten Warnblinkanlage resultierte. Wie noch im Weiteren auszuführen ist, kommt es aber für die Entscheidung der Haftungsquote und des Rechtsstreits hierauf nicht an.

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Zu Unrecht nimmt der Kläger an, dass der Beklagte zu 1) daneben die Pflicht zum Aufstellen eines Warndreieckes hatte. Diese Pflicht ergibt sich weder aus § 15 StVO noch aus § 1 Abs. 2 StVO. § 15 StVO betrifft nur solche Fahrzeuge, die verkehrsbedingt auf der Straße liegengeblieben sind und sich nicht mehr aus eigener Kraft fortbewegen können (so Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 15 StVO, Rnr. 3). Haltende oder parkende Kraftfahrzeuge, deren Insassen Hilfe leisten, fallen hierunter schon nach dem eindeutigen und einer weiteren Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut der Vorschrift nicht (so Hentschel, a.a.O.). Ob neben dem Einschalten der Warnblinkanlage auch ein Warndreieck aufgestellt werden muss, richtet sich für helfende Fahrzeuge nach § 1 Abs. 2 StVO (BGH VersR 86, 490 m.w.N.). Eine solche Pflicht nach § 1 Abs. 2 StVO zum Aufstellen eines Warndreieckes neben der Einschaltung einer Warnblinkanlage besteht aber nur bei außergewöhnlichen Gefahrensituationen (vgl. den vom BGH in NJW 75, 1835 [BGH 12.06.1975 - II ZB 12/73] entschiedenen Fall, bei dem ein schweres Fahrzeug nachts auf einer Autobahn abgestellt war). Hier war die Unfallstelle nicht auf einer Autobahn, auf der erfahrungsgemäß viel höhere Geschwindigkeiten gefahren werden als auf dieser Straße und zudem im Bereich einer Ampelanlage, die jederzeit von Grün auf Rot umschalten kann, weshalb nachfolgende Fahrzeugführer ohnehin vorsichtiger fahren müssen. Es kommt hier hinzu, dass die Panne, bei welcher der Beklagte zu 1) helfen wollte, auf gerader Strecke in einem gut übersichtlichen Teil geschah, bei welchem bereits eine Warnblinkanlage die Gefahrenquelle hinreichend deutlich kenntlich macht. Ein etwaiges Fehlverhalten der Zeugin ... braucht sich der Beklagte schon deshalb nicht zurechnen zu lassen, weil es bereits an einer solchen Haftungs-Zurechnungsnorm für solche Verkehrsverstöße fehlt.

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c) Selbst, wenn der Verkehrsunfall für den Beklagten zu 1) nicht unabwendbar gewesen sein sollte und er sich deshalb zumindest die Betriebsgefahr seines Pkw als Verursachungsbeitrag zurechnen lassen müsste, hat der für über die Betriebsgefahr hinausgehende, die Verursachungsanteile erhöhende, Umstände beweispflichtige Kläger das Vorliegen solcher gefahrerhöhenden Umstände, wie sie z.B. durch das Nichteinschalten einer Warnblinkanlage entstünden, jedenfalls nicht bewiesen. Hierfür reicht das oben bereits dargestellte Beweisergebnis auch nicht ansatzweise aus. Letztlich kann es aber auch für die Gesamtabwägung der Verursachungsanteile nach § 17 StVG dahingestellt bleiben, ob der Beklagte zu 1) überhaupt einen fahrlässigen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO begangen hat.

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Denn der Kläger hat grob fahrlässig gegen die Verkehrsvorschriften des § 3 Abs. 1 S. 4 und gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Er hat nämlich, was der Fall zeigt, seine Geschwindigkeit nicht so gewählt, dass er auch noch rechtzeitig vor dem Pkw des Beklagten zu 1), welcher auf der Fahrbahn stand, bremsen konnte, als er das Fahrzeug erstmals erblickte. Immerhin haben es zwei vor dem Klägerfahrzeug fahrende Pkw ohne Probleme geschafft, der Gefahrenstelle auszuweichen.

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2. Unter diesen Umständen kann es dahingestellt bleiben, ob die Rechtsauffassung des Amtsgerichts zutrifft, dass sich der Beklagte zu 1) 25 % Verursachungsanteile zurechnen lassen muss, oder ob in Anbetracht des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers ein geringes Verschulden des Beklagten zu 1) sogar gänzlich zurücktreten und die volle Haftung den Kläger treffen würde. Mehr als die zuerkannten 25 % Haftungsquote entfallen auf den Beklagten zu 1) und die Beklagte zu 2) jedenfalls nicht.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 708 Nr. 11 analog, 711, 713 ZPO.

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IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 543 ZPO).