Landgericht Hildesheim
v. 16.10.2003, Az.: 1 S 54/03
Auskunftserteilung über die Höhe des Rückkaufswertes einer Lebensversicherung; Verrechnung der Abschlusskosten nach dem "Zillmerverfahren"; Folgen des Wegfalls der unwirksamen Klauseln; Anforderungen an das Transparenzgebot; Kenntnis des Mangels der Wirksamkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 16.10.2003
- Aktenzeichen
- 1 S 54/03
- Entscheidungsform
- Teilurteil
- Referenz
- WKRS 2003, 31883
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2003:1016.1S54.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hildesheim - 28.04.2003 - AZ: 49 C 123/02
- nachfolgend
- BGH - 12.10.2005 - AZ: IV ZR 245/03
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 176 Abs. 1 WG
- § 176 Abs. 3 WG
- § 306 BGB
- § 8 AGBG
- § 9 AGBG
Fundstelle
- IVH 2003, 271
In dem Rechtsstreit
hat die Zivilkammer 1 des Landgerichts Hildesheim
durch
die Richter am Landgericht ...
auf die mündliche Verhandlung vom 25.09.2003
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 28.04.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hildesheim abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Höhe des Rückkaufwertes ihrer Lebensversicherung mit der Versicherungs- Nr: ... wie er sich ohne Berücksichtigung der Verrechnung der Abschlusskosten zum 01.04.2002 ergeben hätte.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird Bezug genommen. Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihre im ersten Rechtszug insgesamt abgewiesene Stufenklage auf Auskunftserteilung über die Höhe des Rückkaufswertes ihrer Lebensversicherung ohne Berücksichtigung der Verrechnung der Abschlusskosten und auf Auszahlung des sich daraus ergebenden Betrages weiter. Sie rügt das erstinstanzliche Urteil als rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Ersetzung der ursprünglichen, unwirksamen Klauseln über die Ermittlung des Rückkaufwertes und die Verrechnung der Abschlusskosten nach dem "Zillmerverfahren" in den von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Wege des sog. Treuhänderverfahrens auf ihren bereits zuvor gekündigten Versicherungsvertrag Anwendung finde. Sie vertritt die Ansicht, dass durch den Wegfall der unwirksamen Klauseln keine Regelungslücke entstanden sei und ihr daher der Rückkaufwert unter Ausschluss der Abschlusskosten zu erstatten sei.
II.
Die zulässige Berufung hat auch in der Sache insoweit Erfolg, als dem auf der ersten Stufe geltend gemachten, entscheidungsreifen Auskunftsbegehren durch Teilurteil stattzugeben war. Die Klägerin kann von der Beklagten gem. § 242 BGB darüber Auskunft verlangen, welcher Rückkaufwert sich für ihre Lebensversicherung zum 01.04.2002 ergeben hätte, wenn die Verrechnung der Abschlusskosten unberücksichtigt geblieben wäre. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Nachweise bei Palandt-Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 261 Rdnr. 8) ergibt sich aus § 242 BGB eine Auskunftspflicht, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen oder Umfang eines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Dem stehen auch die von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (VersR 2001, 841; VersR 2002, 1498) nicht entgegen.
Die für das Bestehen einer derartigen Auskunftspflicht erforderliche Sonderverbindung zwischen den Parteien ist vorliegend im Hinblick auf das früher zwischen den Parteien bestehende Versicherungsverhältnis gegeben. Die Klägerin ist auch in entschuldbarer Weise über den Umfang eines ihr zustehenden Rechts, nämlich über die Höhe des ihr zustehenden Anspruchs auf Erstattung des Rückkaufwerts im Ungewissen. Während sie den sich ergebenden Rückkaufwert selbst nicht ermitteln kann, ist die Beklagte unschwer, d. h. ohne unbillige Belastung in der Lage, die für die Klägerin zur Geltendmachung eines ihr zustehenden Zahlungsanspruchs erforderliche Auskunft über die Höhe des Rückkaufwerts zu erteilen.
Gem. § 176 Abs. 1 WG steht der Klägerin auf Grund der Kündigung des Versicherungsvertrages ein Anspruch auf Vergütung des Rückkaufwertes zu, wobei die Beklagte nach § 176 Abs. 3 WG den Rückkaufwert nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen hat. Zwar hat die Beklagte gegenüber der Klägerin bereits schriftlich abgerechnet und ihr mitgeteilt, dass sich nach der internen Verrechnung der gezahlten Beiträge mit den Abschlusskosten und den sonstigen Kosten der Rückkaufwert auf 0,00 EUR belaufe. Mit dieser Abrechnung ist jedoch weder der der Klägerin zustehende Anspruch erloschen noch hat die Klägerin auf eine Zahlung verzichtet. Vielmehr hat die Beklagte den Rückkaufwert zu niedrig berechnet, indem sie nach dem Zillmerverfahren vorgegangen ist, d. h. die auf den Vertrag entfallenden Verwaltungs-, Bearbeitungs- und Abschlusskosten auf die ersten Prämien verrechnet hat. Dies war nicht zulässig (vgl. hierzu und zum Folgenden Urteil der Kammer vom 15.05.2003-1 S3/03-).
1.
Ein Recht zur sog. Zillmerung kann die Beklagte insbesondere nicht aus den zwischen den Parteien im Übrigen wirksam vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Rentenversicherung (Bl. 128 ff d.A.) herleiten. Dort finden sich in den §§ 5 und 14 zwar Regelungen, die die Beklagte in den Stand versetzen sollten, das Zillmerverfahren anzuwenden. Die dort verwendeten Klauseln widersprechen jedoch, worüber sich die Parteien letztlich einig sind, dem Transparenzgebot (§§ 9 AGBG, 306 BGB n.F.). Ungeachtet der Umstände, dass unter Punkt 7 der Schlusserklärung auf dem Antragsformular der Klägerin darauf hingewiesen wird, dass die Beiträge bei kapitalbildenden Lebensversicherungen zunächst zur Deckung der vorzeitigen Versicherungsfälle, der Abschlusskosten und der Verwaltungskosten verbraucht werden und deshalb bei Kündigung der Lebensversicherung in den ersten Jahren kein oder nur ein niedriger Rückkaufswert anfällt, und dass die Vertragsunterlagen der Beklagten eine vollständige Tabelle der Garantiewerte enthalten, sind die verwandten Klauseln insoweit nicht zureichend klar und durchschaubar, als sie in § 14 zunächst suggerieren, besondere Kosten entstünden der Klägerin nicht. Tatsächlich aber handelt es sich bei der von der Beklagten verwandten Methode, die sodann in Grundzügen angedeutet wird, um eine dem Versicherungsnehmer nachteilige Regelung. Eine notwendige Durchschaubarkeit und Klarheit wäre erst erreicht, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer in der Klausel selbst auf die wirtschaftlichen Folgen der Verrechnung hinweist (vgl. BGHZ 147, 354; BGHZ 147, 373). Dabei sind die §§ 8, 9 AGBG anzuwenden, weil es sich bei den von der Beklagten verwendeten Klauseln um zwar im Kern deklaratorische, jedoch die gesetzliche Regelung ergänzende Klauseln handelt (vgl. BGH a.a.O.). Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass die Zillmerung als versicherungsmathematische Methode anerkannt ist und an sich auch einen zulässigen Abrechnungsmodus darstellen kann (soweit ersichtlich unstr., z.B. auch BGH a.a.O.).
2.
Ein Recht zur Zillmerung ergibt sich für die Beklagte aber im Ergebnis auch weder aus den neu gefassten Klauseln der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Bl. 117 d.A.) nach Durchführung eines Treuhänderverfahren gem. § 172 Abs. 2 WG noch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung. Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte in zulässiger Weise ein Klauselersetzungsverfahren nach § 172 Abs. 2 WG durchführte oder ob eine individuelle ergänzende Vertragsauslegung stattzufinden hat. Die im Wege der Klauselersetzung neu zu findende Klausel nämlich muss nach eben den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnen werden (vgl. Wandt, VersR 2001, 1449, 1461) und unterliegt daher der vollen richterlichen Überprüfung. Sowohl ergänzende Vertragsauslegung als auch das Treuhandverfahren nach § 172 WG setzen voraus, dass durch den Wegfall der unwirksamen Klausel eine Lücke entstanden ist, die nicht durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann (a), aber gleichwohl einer Regelung zugeführt werden muss (b). Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a)
Obwohl dem Versicherer zweifellos Abschlusskosten entstanden sind und auch stets entstehen, ist deren Verrechnung gesetzlich erlaubt. Ein Verrechnungsmodell enthält das Gesetz in §§ 174, 176 WG allerdings nicht; lediglich die Ermittlung des Rückkaufswertes nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik ist dort normiert. Diese gesetzliche Vorgabe verbietet weder das Zillmerverfahren noch schreibt sie ein solches vor. Die gesetzliche Vorgabe ist damit ausfüllungsbedürftig und enthält keine dezidierte Regelung. Hieraus zu schließen, dass das gesetzgeberisch bestimmte Grundmodell ein ungezillmerter Vertrag sei, verbietet sich indes. Es sprechen systematische wie historische Gründe gegen einen gesetzgeberischen Willen, ein Grundmodell - zumal eines, das die Lebenswirklichkeit vollständig ignoriert - zu installieren (vgl. Wandt, a.a.O., 1457). Wäre es dem Gesetzgeber darauf angekommen, den ungezillmerten Vertrag als gesetzlichen Regelfall zu bestimmen, hätte es nahe gelegen, die dann nur für die Zillmerung notwendige Vereinbarung besonders herauszustreichen; gerade das aber ist unterblieben (Wandt, a.a.O., 1457). Die Entwicklungsgeschichte der Vorschrift zeigt zudem, dass es dem Gesetzgeber nicht auf eine Neuregelung insoweit ankam, obwohl die Zillmerung die absolute Regel war und ist (vgl. Wandt, a.a.O., 1457).
b)
Die ersatzlose Streichung der fraglichen Klauseln böte entgegen der Ansicht der Klägerin keine den Interessen der beteiligten Parteien gerecht werdende Lösung. Die Verrechnung der Abschlusskosten ist tragender Bestandteil der gesamten Kalkulation der Versicherung. Sie bildet eine maßgebliche Grundlage für die Berechnung beitragsfreier Versicherungssummen und Rückkaufswerte und hat mittelbaren Einfluss auf Prämienkalkulation, Verprovisionierung und Bilanzierung (Wandt, a.a.O., 1458 m.w.N.); diese Aspekte liegen bei lebensnaher Betrachtung auf der Hand und bedürfen keiner weiteren Vertiefung. Dann aber würde ein ersatzloser Wegfall in erheblicher Weise in das Interessengefüge eingreifen und dieses in ein Ungleichgewicht bringen. Es kann daher nicht zweifelhaft sein, dass jedenfalls Regelungsbedarf besteht.
c)
Maßgeblich hierfür ist, welche Regelungen die Parteien für den Fall getroffen hätten, dass ihnen der Mangel der Wirksamkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt gewesen wäre. Dabei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Regelungsgehalt der Klausel durchaus gesetzeskonform erscheint und nur die Intransparenz der Klausel zu deren Unwirksamkeit geführt hat. Es wird daher auch die Meinung vertreten, dass die Parteien dieselbe Regelung in nur transparenter Form gewählt hätten. Dafür spreche, dass redliche Parteien, denen - wovon auch hier auszugehen ist - die Tatsache der Entstehung von Abschlusskosten jedenfalls nicht entgangen sein könne, vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf Prämienkalkulation und Überschussbeteiligung keine andere als die Verrechnung nach Zillmer gewählt hätten (vgl. Wandt, a.a.O., 1459). Diese Auffassung lässt jedoch unberücksichtigt, dass die Zillmerung zwar der Lebenswirklichkeit entspricht und als anerkannte Methode der Abrechnung weithin von den Versicherern durchgesetzt wird. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass es sich um eine den Interessen der Parteien am ehesten gerecht werdende Methode handelt. Vielmehr kommt ebenso in Betracht, ihre große Üblichkeit auf die marktbeherrschende Macht der großen Versicherungen zurückzuführen. Das Zillmerverfahren stellt wegen der weithin bestehenden Einmütigkeit der Versicherer kein einem etwaigen Wettbewerb unterliegendes Kriterium für den Verbraucher dar. Daraus mag sich ergeben, dass bei lebensnaher hypothetischer Betrachtung ein Versicherungsvertrag jedenfalls zu den Bedingungen einer Zillmerung zu Stande gekommen wäre. Darauf aber kommt es nicht entscheidend an. Es erscheint nämlich ebenso gut möglich, dass bei Erkennen der Wirkungsweise der betreffenden Klauseln auf einen Vertragsschluss gänzlich verzichtet worden, also kein Vertrag zu Stande gekommen wäre.
Demnach kann nur eine Rolle spielen, welche Regelung die Parteien bei einer ausgewogenen Interessenwahrung in den Vertrag übernommen hätten, wenn die Vertragsbestimmungen frei ausgehandelt worden wären. Da das Zillmerverfahren den für den Versicherungsnehmer erheblichen Nachteil keines oder eines verschwindend geringen Rückkaufswertes in den ersten Versicherungsjahren und dies Nachwirkungen auf die Entwicklung des Rückkaufswertes auf Jahre hinaus hat, wäre einzig interessengerecht, die Abschlusskosten auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, mithin das Risiko einer frühzeitigen Vertragsauflösung nicht vollständig auf den Versicherungsnehmer zu verlagern. Dabei wird man umgekehrt wegen des dem Versicherungsnehmer zustehenden Kündigungsrechts, welches für ihn einen Vorteil darstellt, sicherlich nicht die gesamte Laufzeit eines Vertrages annehmen können, wohl aber einen Zeitraum, der sich an den Regelungen des § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 8 AltZertG orientiert und damit mindestens 10 Jahre beträgt.
Nach alledem war der Berufung in der ersten Stufe stattzugeben.
Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung war diese dem Schlussurteil vorzubehalten. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 analog, 711 ZPO.
Gem. § 543 Abs. 2 NR. 1 ZPO war die Revision zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.