Landgericht Hildesheim
Urt. v. 15.05.2003, Az.: 1 S 3/03
Abrechnung einer gekündigten Kapitallebensversicherung nach dem so genannten Zillmer-Verfahren; Voraussetzungen für eine notwendige Durchschaubarkeit und Klarheit einer Klausel; Gewinnung einer Klausel nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung im Wege der Klauselersetzung; Möglichkeit der Verrechnung von Abschlusskosten
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 15.05.2003
- Aktenzeichen
- 1 S 3/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 31983
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHILDE:2003:0515.1S3.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hildesheim - 29.11.2002 - AZ: 19 C 331/02
Rechtsgrundlagen
- § 6 ALB
- § 16 ALB
- § 306 BGB
- § 172 Abs. 2 WG
Fundstellen
- NJW-RR 2003, 1473 (red. Leitsatz)
- VersR 2003, 1290-1291 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 2003, I Heft 30 (amtl. Leitsatz)
In dem Rechtsstreit hat
die 1. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
durch
...
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2002
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hildesheims vom 29.11.2002 teilweise geändert und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 606,22 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins p.a., nicht mehr jedoch als 7 % p.a., seit dem 30.04.2002 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtstreits trägt die Klägerin zu 27 %, die Beklagte zu 73 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die zulässige Berufung ist nur zum Teil begründet.
I.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche weiter. Sie hält die Auffassung des Amtsgerichts für falsch, nach der die Beklagte zu Recht die per 01.03.2001 gekündigte Kapitallebensversicherung nach dem sog. Zillmer - Verfahren abrechnen durfte. Vielmehr sei im Ergebnis davon auszugehen, dass die diese Abrechnungsmethode vorsehenden Klauseln §§6, 16 in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (ALB) ersatzlos wegzufallen haben und danach sämtliche Abschlusskosten in Höhe 826,66 EUR zu erstatten seien.
Sie beantragt daher,
auf die Berufung das Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 29.11.2002 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 826,66, EUR nebst Zinsen hierauf in Höhe von 7 % ab dem 30.04.2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, nachdem ein Klauselersetzungsverfahren gem. § 172 WG durchgeführt worden sei, müsse nach den nunmehr geltenden ALB abgerechnet werden, die gleichfalls eine Verrechnung nach Zillmer vorsehen.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die insbesondere die Berufungsbegründung verwiesen.
Die zulässige Berufung ist nur zum Teil begründet.
Der Klägerin stehen gegenüber der Beklagten weitere Ansprüche auf Zahlung von Leistungen aus dem Versicherungsvertrag zu, nachdem sie diesen zum 01.03.2001 kündigte und die Beklagte danach zur Abrechnung verpflichtet war.
Die Beklagte ist gem. § 176 I WG verpflichtet, den auf die Versicherung entfallenden Rückkaufswert zu vergüten. Hierbei hat sie grundsätzlich den Rückkaufswert nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode als Zeitwert der Versicherung zu berechnen. Fraglich und zwischen den Parteien streitig ist allerdings, ob die Beklagte hierbei nach Zillmer rechnen durfte, also die auf den Vertrag entfallenden Verwaltungs-, Bearbeitungs- und Abschlusskosten auf die ersten Prämien verrechnen konnte. Das ist im Ergebnis abzulehnen.
1.
Ein Recht zur sog. Zillmerung ergibt sich nicht aus den zwischen den Parteien im Übrigen wirksam vereinbarten ALB 96 (Bl. 28 ff). Dort finden sich in den §§6, 16 ALB (vergl. Bl. 29) zwar Regelungen, die die Beklagte in den Stand versetzen sollten, das Verfahren der Zillmerung anzuwenden. Die dort verwendeten Klauseln widersprechen jedoch, worüber sich die Parteien einig sind, dem Transparenzgebot (§ 9 AGBG, § 306 nF BGB). Ungeachtet der Tatsache, dass der Klägerin neben dem Versicherungsvertrag eine Tabelle mit den zu erwartenden Rückkaufswerten sowie Hinweise (vergl. 25, 33; 38) dahingehend erteilt worden sind, dass in den ersten Jahren keine oder nur geringe Rückkaufswerte zu erwarten sind, sind die von der Beklagten verwandten Klauseln insoweit nicht zureichend klar und durchschaubar, als sie (vergl. § 16 ALB, Bl. 29) zunächst suggerieren, besondere Kosten entstünden der Klägerin nicht. Tatsächlich aber handelt es sich bei der von der Beklagten verwandten Methode, die sodann in Grundzügen angedeutet wird, um eine dem Versicherungsnehmer nachteilige Regelung. Eine notwendige Durchschaubarkeit und Klarheit wäre erst erreicht, wenn der Versicherer den Versicherungsnehmer in der Klausel selbst auf die wirtschaftlichen Folgen der Verrechnung hinweist (vergl. BGHZ 147, 354; BGHZ 147, 373). Dabei sind §§ 8, 9 AGBG anzuwenden, weil es sich bei den von der Beklagten verwendeten Klauseln um zwar im Kern deklaratorische, jedoch die gesetzliche Regelung ergänzende Klauseln handelt (vergl. BGH a.a.O.). Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass die sog. Zillmerung als versicherungsmathematische Methode anerkannt ist und an sich auch einen zulässigen Abrechnungsmodus darstellen kann (soweit ersichtlich unstr., z.B. auch BGH a.a.O.).
2.
Ein Recht zur sog. Zillmerung ergibt sich für die Beklagte im Ergebnis weder aus den neu gefassten Klauseln der ALB nach Durchführung eines Treuhänderverfahren gem. § 172 II WG noch im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung.
Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte in zulässiger Weise ein Klauselersetzungsverfahren nach § 172 II WG durchführte oder ob eine individuelle ergänzende Vertragsauslegung stattzufinden hat. Die im Wege der Klauselersetzung neu zu findende Klausel nämlich muss nach eben den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung gewonnen werden (vergl. Wandt, VersR 2001, 1449 [1461]) und unterliegt der vollen richterlichen Überprüfung.
Dabei setzen sowohl ergänzende Vertragsauslegung als auch das Treuhandverfahren nach § 172 WG voraus, dass durch den Wegfall der unwirksamen Klausel eine Lücke entstanden ist, die nicht durch gesetzliche Regelungen ausgefüllt werden kann (a), aber gleichwohl einer Regelung zugeführt werden muss (b). Beide Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a)
Obwohl zweifellos dem Versicherer Abschlusskosten entstanden sind und auch stets entstehen, ist deren Verrechnung gesetzlich erlaubt. Ein Verrechnungsmodell enthält das Gesetz in §§ 174, 176 WG allerdings nicht; lediglich die Ermittlung des Rückkaufswertes nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik ist normiert. Diese gesetzliche Vorgabe verbietet weder eine Zillmerung noch schreibt sie eine solche vor. Die gesetzliche Vorgabe ist damit ausfüllungsbedürftig und enthält keine dezidierte Regelung. Hieraus zu schließen, dass das gesetzgeberische bestimmtes Grundmodell ein ungezillmerter Vertrag ist, verbietet sich indes. Es sprechen systematische wie historische Gründe gegen den gesetzgeberischen Willen, ein Grundmodell (zumal eines, das die Lebenswirklichkeit vollständig ignoriert) zu installieren (vergl. Wandt, a.a.O., S. 1457). Wäre es dem Gesetzgeber darauf angekommen, den ungezillmerten Vertrag als gesetzlichen Regelfall zu bestimmen, hätte es nahe gelegen, die dann nur für die Zillmerung notwendige Vereinbarung besonders herauszustreichen; gerade das ist unterblieben (Wandt, a.a.O., S. 1457). Die Entwicklungsgeschichte der Vorschrift zeigt zudem, dass es dem Gesetzgeber nicht auf eine Neuregelung insoweit ankam, obwohl die Zillmerung die absolute Regel war und ist (Wandt, a.a.O., S. 1457).
b)
Die ersatzlose Streichung der Klausel bietet darüber hinaus keine den Interessen der Beteiligten Parteien gerecht werdende Lösung. Die Beklagte weist zu Recht darauf hin, dass die Verrechnung der Abschlusskosten tragender Bestandteil der gesamten Kalkulation der Versicherung ist. Sie bildet eine maßgebliche Grundlage für die Berechnung beitragsfreier Versicherungssummen und Rückkaufswerte und hat mittelbaren Einfluss auf Prämienkalkulation, Verprovisionierung und Bilanzierung (Wandt, a.a.O., 1458 m.w.N.); diese Aspekte liegen bei lebensnaher Betrachtung auf der Hand und bedürfen keiner weiteren Vertiefung. Dann aber würde ein ersatzloser Wegfall in erheblicher Weise in das Interessengefüge eingreifen und dieses in ein Ungleichgewicht bringen. Es ist daher nicht zweifelhaft, dass jedenfalls Regelungsbedarf besteht (vergl. AG Hamburg 19 C 135/02; AG Düren VersR 2002, 1499[AG Düren 30.10.2002 - 45 C 214/02]; AG Kamenz 1 C 438/02; LG Traunstein 1 O 3674/02; AG Kiel VersR 2003, 317[AG Kiel 21.11.2002 - 109 C 180/02]; LG Stuttgart VersR 2003, 313[LG Stuttgart 11.12.2002 - 13 S 86/02]; AG Stuttgart VersR 2003, 317[AG Stuttgart 18.10.2002 - 10 C 4794/02]).
c)
Es ist danach im Ergebnis entscheidend, welche Regelungen die Parteien für den Fall getroffen hätten, dass ihnen der Mangel der Wirksamkeit im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt gewesen wäre. Hierbei wird bedeutsam, dass der Regelungsgehalt der Klausel durchaus gesetzeskonform erscheint und nur die Intransparenz der Klausel zu deren Unwirksamkeit geführt hat. Wandt (a.a.O., 1459) hält dafür, dass die Parteien danach dieselbe Regelung in nur transparenter Form gewählt hätten. Dafür spreche, dass redliche Parteien, denen - wovon auch hier auszugehen ist - die Tatsache der Entstehung von Abschlusskosten jedenfalls nicht entgangen sein kann, vor dem Hintergrund der Auswirkungen auf Prämienkalkulation und Überschussbeteiligung keine andere als die Verrechnung nach Zillmer gewählt hätten (Wandt a.a.O.). Diese Auffassung lässt jedoch unberücksichtigt, dass die Zillmerung zwar der Lebenswirklichkeit entspricht und als anerkannte Methode der Abrechnung weithin von den Versicherern durchgesetzt wird. Es kann jedoch hieraus nicht geschlossen werden, dass es sich um eine den Interessen der Parteien am ehesten gerecht werdende Methode handelt. Vielmehr kommt ebenso in Betracht, ihre große Üblichkeit auf die marktbeherrschende Macht der großen Versicherungen zurückzuführen. Die Zillmerung stellt wegen der weithin bestehenden Einmütigkeit der Versicherer kein einem etwaigen Wettbewerb unterliegendes Kriterium für den Verbraucher dar. Daraus mag sich ergeben, dass bei lebensnaher hypothetischer Betrachtung ein Versicherungsvertrag jedenfalls zu den Bedingungen einer Zillmerung zustandegekommen wäre. Darauf aber kommt es nicht entscheidend an. Es erscheint nämlich ebenso gut möglich, dass bei Erkennen der Wirkungsweise der Klausel auf einen Vertragsschluss gänzlich verzichtet worden wäre, also kein Vertrag zustandegekommen wäre.
Es kann danach nur eine Rolle spielen, welche Regelung die Parteien bei einer ausgewogenen Interessen Währung in den Vertrag übernommen hätten, wenn die Vertragsbestimmungen frei ausgehandelt worden wären. Da die Zillmerung den für den Versicherungsnehmer erheblichen Nachteil keines oder eines verschwindend geringen Rückkaufswertes in den ersten Versicherungsjahren hat und dies Nachwirkungen auf die Entwicklung des Rückkaufswertes auf Jahre hinaus hat, wäre einzig interessengerecht, die Abschlusskosten auf einen längeren Zeitraum zu verteilen, mithin das Risiko einer frühzeitigen Vertragsauflösung nicht vollständig auf den Versicherungsnehmer zu verlagern. Dabei wird man umgekehrt wegen des dem Versicherungsnehmer zustehenden Kündigungsrechtes (das für ihn einen Vorteil darstellt) sicherlich nicht die gesamte Laufzeit eines Vertrages annehmen können, doch aber einen Zeitraum, der sich an den Regelungen des § 1 I 1 Nr. 8 AltZertG orientiert und damit mindestens 10 Jahre beträgt. Hiervon ausgehend hätte die Beklagte für 32 Versicherungsmonate zu Recht einen Betrag von 220,44 EUR einbehalten dürfen; den Restbetrag in Höhe von 606,22 EUR kann die Klägerin für die anteilig verbleibende Zeit verlangen.
Zinsen stehen der Klägerin nach Eintritt des Verzuges ab 30.04.2002 in gesetzlicher Höhe gem. §§ 288, 247, 286 BGB zu. Danach sind Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszins, nicht mehr jedoch als die beantragten 7 % p.a. von der Beklagten zu zahlen. Für weiter gehende Ansprüche fehlen Beweisangebote der Klägerin.
Nach dieser Maßgabe haben Berufung und Klage Erfolg.
3.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 92 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.