Landgericht Hildesheim
Urt. v. 21.05.2003, Az.: 2 O 104/03

Haftung des vorläufigen Insolvenzverwalters gegenüber den Gläubigern für die Erfüllung von Masseverbindlichkeiten

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
21.05.2003
Aktenzeichen
2 O 104/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 34686
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2003:0521.2O104.03.0A

Verfahrensgegenstand

Schadensersatzpflicht des Insolvenzverwalters

In dem Rechtsstreit
...
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ... Einzelrichter
auf die mündliche Verhandlung vom 09.05.2003
fürRecht erkannt:

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.831,67 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz auf 3.957,30 Euro seit dem 20.01.2003 und auf weitere 1.874,37 Euro seit dem 22.01.2003 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen die Insolvenzmasse ... GmbH, ...

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

1

Der Beklagte wurde durch Beschluss des Amtsgerichts - Insolvenzgericht - ... vom 25.10.2001 (Az.: 10 IN 41/01) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der ... GmbH, ... bestellt. Um die Kraftstofflieferungen der Klägerin an die Schuldnerin in der Folgezeit aufrechterhalten zu können, wandte sich der Beklagte mit dem Schreiben vom 29.10.2001 an die Klägerin und kündigte an, dass er durch das Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter "mit Verfügungsbefugnis" bestellt werde. Wörtlich heißt es in dem Schreiben:

"Demzufolge bin ich selbst Besteller der zukünftigen Lieferungen, wodurch die Zahlung meiner Bestellungen aus der Insolvenzmasse gesichert ist."

2

Wegen des Inhalts wird auf das Schreiben des Beklagten vom 29.10.2001 (Bl. 10 d.A.) verwiesen.

3

Mit Beschluss vom 30.10.2001 übertrug das Insolvenzgericht die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin auf den Beklagten. Am 01.12.2001 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Insoweit wird auf die Beschlüsse des Amtsgerichts ... (Az.: 41/01) vom 25. und 30.10. sowie 01.12.2001 (Bl. 17, 25, 48 d.BA 10 IN 41/01 des Amtsgerichts Holzminden) verwiesen.

4

In der Folgezeit nahm der Beklagte Kraftstoffbestellungen bei der Klägerin vor, die zunächst auch aus der Insolvenzmasse bezahlt wurden. Die weiteren Rechnungen vom 17. und 19.12.2001, denen Bestellungen vom 14.12.2001 zugrunde lagen, wurden durch den Beklagten aus der Insolvenzmasse nicht mehr ausgeglichen. Die durch die Klägerin erteilten Rechnungen wiesen als Zahlungsziel jeweils den 31.12.2001 bzw. 03.01.2002 aus. Wegen des Bestell- und Lieferumfangs wird auf die von der Klägerin vorgelegten Anlagen K3 bis K19 (Bl. 13 - 29 d.A.) verwiesen.

5

Der Beklagte zeigte unter dem 04.02.2002 dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO an. Insoweit wird auf das Schreiben des Beklagten vom 04.02.2002 (Bl. 286 d.BA) verwiesen.

6

Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe der ausstehenden Rechnungsbeträge in Anspruch. Sie ist der Ansicht, dass der Beklagte mit seinem Schreiben vom 29.10.2001, in dem er mitteilte, dass die Zahlung aus der Insolvenzmasse gesichert sei, eine Garantiezusage erteilt habe. Im Übrigen sei er aber zum Schadensersatz verpflichtet, weil er nur Bestellungen habe vornehmen dürfen, soweit die Bezahlung aus der Insolvenzmasse sichergestellt war.

7

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.831,67 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hierauf seit dem 04.01.2002 sowie aus 3.435,89 Euro für den Zeitraum vom 01.01.2002 bis 03.01.2002 zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche gegen die Insolvenzmasse ... GmbH, ....

8

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Der Besagte nimmt die Erteilung einer Garantiezusage in Anspruch. Im Übrigen treffe ihn aber auch kein Verschulden hinsichtlich der Nichterfüllbarkeit der Kaufpreisansprüche. Es habe sich zwar für den Monat November 2001 eine Unterdeckung ergeben; die Planrechnungen für die Folgemonate hätten jedoch eine Deckung erwarten lassen. Die Masseunzulänglichkeit sei erst dadurch eingetreten, dass unerwartet Einreden gegen bestehende Werklohnforderungen erhoben worden seien. Im Übrigen müsse die Klägerin zunächst quotal ihre Ansprüche gegen die Masse durchsetzen.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist begründet.

11

I.

Die Kammer kann offenlassen, ob der Beklagte (auch) aus einer Garantiezusage gegenüber der Klägerin zur Zahlung verpflichtet ist, nachdem er mit Schreiben vom 29.10.2001 die Erklärung abgab, dass die Zahlung seiner Bestellungen aus der Insolvenzmasse "gesichert" sei. Denn die Haftung des Beklagten ergibt sich jedenfalls aus § 61 S. 1 InsO. Danach ist der Insolvenzverwalter der Massegläubigerin, d.h. der Klägerin, zum Schadensersatz verpflichtet, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden ist, - wie hier - aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann. Soweit § 61 S. 2 InsO eine Haftung ausschließt, wenn der Verwalter bei Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde, hat der Beklagte seiner Darlegungs- und Beweislast nicht genügt. Aus der Sicht des Beklagten reichte es nicht aus, zum Zeitpunkt der erstmaligen Begründung von Verbindlichkeiten, d.h. zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung vom 29.10.2001, eine Liquiditätsplanung vorzunehmen, aus der sich zum damaligen Zeitpunkt die Erfüllbarkeit der Verbindlichkeiten voraussichtlich ergab. Vielmehr musste der Beklagte in jeden Moment, in dem er Leistungen der Massegläubigerin im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO bestellte und entgegennahm, die Erfüllbarkeit der Ansprüche kontrollieren. Bei Begründung neuer Masseverbindlichkeiten (hier: nach dem 29.10.2001) musste der Beklagte selbst prüfen, ob die Verbindlichkeiten gedeckt waren und die Finanzplanung in der Zukunft die Eingehung weiterer Verbindlichkeiten überhaupt erlaubte. Er musste sich davon überzeugen, dass die Masse bei der jeweiligen Begründung der Verbindlichkeit für die künftige Entwicklung ausreichte (OLG Celle, Urt.v. 25.02.2003 - 16 U 204/02 -; ArbG Kiel ZInsO 2002, 893). Er musste auch dafür sorgen, dass die von ihm begründeten Ansprüche zeitnah befriedigt wurden, wenn er sichergehen wollte, nicht aus § 61 InsO in Anspruch genommen zu werden. Diesen Anforderungen genügt der Sachvortrag des Beklagten nicht: Unstreitig bestand jedenfalls für den Monat November 2001 noch eine Unterdeckung; lediglich aufgrund des vorläufigen Zahlenwerkes aus den Planrechnungen für die Folgemonate hatte der Beklagte die Erwartung, dass bei einer Fortführung des Unternehmens der Deckungsbeitrag erwirtschaftet werden könnte. Demgegenüber war aber gerade die Erfüllbarkeit im Zeitpunkt der einzelnen Lieferungen nicht sichergestellt. Darüber hinaus hat der Beklagte nicht für die zeitnahe Befriedigung der von ihm begründeten Ansprüche gesorgt. Die Klägerin hat ihre Rechnungen jeweils im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Kraftstofflieferungen erteilt, nämlich unter dem 17. und 19.12.2001. Die Rechnungen enthielten als Zahlungsziel jeweils den 31.12.2001 bzw. 03.01.2002. Es ist vom Beklagten weder ausreichend dargetan noch sonst ersichtlich, warum innerhalb dieses Zeitraumes nicht ein Rechnungsausgleich "zeitnah" erfolgte.

12

Denn die Masseunzulänglichkeit gemäß § 208 InsO wurde erst mit Schreiben vom 04.02.2002 angezeigt.

13

Der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Beklagten steht nicht entgegen, dass die Klägerin quotal durchsetzbare Ansprüche gegen die Masse haben mag. Denn zum einen erfolgt jedenfalls - unstreitig - eine Ausschüttung wegen Masseunzulänglichkeit nicht. Zum anderen steht fest, dass die Rechnungen der Klägerin jedenfalls nicht in vollem Umfang aus der Masse werden ausgeglichen werden können. Der Beklagte ist deshalb gemäß § 61 S. 1 i.V.m.§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO der Klägerin zum Schadensersatz verpflichtet, jedoch nach Maßgabe des§ 255 BGB nur gegen Abtretung ihrer Ansprüche gegen die Insolvenzmasse.

14

Die Zinsforderung der Klägerin ist nicht in vollem Umfang begründet. Bei der hier noch anzuwendenden Bestimmung des § 284 Abs. 3 BGB a.F. trat Verzug erst 30 Tage nach Zugang der von der Klägerin erteilten Rechnungen ein, so dass die Klage wegen der weitergehenden Zinsforderung aus §§ 286, 288 BGB abzuweisen ist.

15

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.