Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.01.1999, Az.: VII (III) 91/95
Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Grunderwerbsteuerfestsetzung; Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer; Ermittlung der Bemessungsgrundlage für den Grunderwerbsteuervorgang
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 12.01.1999
- Aktenzeichen
- VII (III) 91/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 19467
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0112.VII.III91.95.0A
Rechtsgrundlage
- § 165 Abs. 1 AO
Fundstelle
- DStRE 2000, 324 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Grunderwerbsteuer
Amtlicher Leitsatz
Vorläufige Grunderwerbsteuerfestsetzung rechtmäßig, wenn Ermittlungen zum Wert der Gegenleistungen ausstehen.
Der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 12. Januar 1999,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richterin am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin Geschäftsführerin ...
ehrenamtlicher Richter Techniker ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin und der Beklagte tragen die Kosten je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet
Tatbestand
Durch notariellen Vertrag vom 1. Dezember 1981 erwarb die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann je zur Hälfte eine Beteiligung an der Grundstücksgesellschaft. Der Kaufpreis betrug 642.000 DM. Dem Gesellschaftsanteil warein bestimmtes Grundstück zugeordnet, nämlich das Gebäude in der .... Der Beklagte ging deshalb davon aus, daß der notarielle Vertrag der Grunderwerbsteuer unterliege. Mit Verfügung vom 28. Februar 1985 fragte der Beklagte bei der Prozeßbevollmächtigten wegen der Höhe der Gegenleistung an. Es ergebe sich, daß der Gesamtaufwand höher sei, als der Kaufpreis für die Beteiligung. Deshalb werde um nähere Angaben darüber gebeten, welche Leistungen der Gesamtaufwand beinhalte.
Die Prozeßbevollmächtigte beantwortete die Rückfrage des Beklagten mit Schriftsatz vom ... allgemein dahingehend, daß der Gesamtaufwand neben dem Kaufpreis die dem Gesellschafter entstehenden Aufwendungen für Finanzierung, Garantie und Bürgschaft und Geschäftsführung sowie Schönheitsreparaturen und Instandhaltung beinhalte. Betragsmäßige Angaben machte die Prozeßbevollmächtigte nicht.
Auf Anforderung des Beklagten legte die Prozeßbevollmächtigte mit Schriftsatz vom den Prospekt vor, der das Beteiligungsangebot der Grundstücksgesellschaft ... enthielt. Aus diesem Prospekt ergibt sich, daß der Gesamtaufwand für das ... Haus ... 856.000 DM betrage.
Der Beklagte frage mit Verfügung vom ... erneut bei der Prozeßbevollmächtigten an, welcher Preis von der Klägerin und ihrem Ehemann für den Erwerb der betreffenden Gesellschaftsanteile insgesamt zu entrichten sei.
Mangels konkreter Rückantwort und offensichtlich in Hinblick auf die bevorstehende Festsetzungsverjährung erließ der Beklagte unter Datum vom ... gegenüber der Klägerin einen erstmaligen Bescheid, in dem er die Grunderwerbsteuer nach einer anteiligen Bemessungsgrundlage von 321.000 DM auf 22.470 DM festsetzte. Der Bescheid erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 Abgabenordnung (AO). Der Beklagteerläuterte die Vorläufigkeit der Festsetzung wie folgt: "Die Steuerfestsetzung erfolgt gemäß § 165 Abs. 1 AO vorläufig, weil der tatsächliche Wert der Gegenleistung noch ermittelt werden muß. Ich weise hierzu auf mein Schreiben vom ... an ... die ... Steuerberatungsgesellschaft ... hin."
Die Klägerin legte gegen den Steuerbescheid Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren ruhte zunächst einvernehmlich, weil hinsichtlich der Beteiligung des Ehemanns eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden sollte. Jenes Verfahren wurde durch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. Februar 1994 zu Az.: II R 84/90 entschieden. Im Ergebnis wurde die Rechtsauffassung des Beklagten bestätigt. Anschließend wurde das Einspruchsverfahren der Klägerin fortgesetzt. Hierbei machte die Klägerin geltend, daß die Voraussetzungen für eine vorläufige Steuerfestsetzung nach § 165 Abs. 2 AO nicht erfüllt gewesen seien.
Der Beklagte entschied über den Einspruch mit Einspruchsbescheid vom 21. Februar 1995. Im Ergebnis setzte er die Steuer auf 59.920 DM herauf und erklärte die Steuerfestsetzung gleichzeitig endgültig nach § 165 Abs. 2 AO.
Die Klägerin legte hiergegen Klage ein, mit der sie im Ergebnis weiterhin geltend macht, der Erstbescheid habe nicht vorläufig ergehen dürfen.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagten den Steuerbescheid nach § 129 Abgabenordnung geändert und dadurch die Grunderwerbsteuer auf 29.960 DM herabgesetzt, mithin auf die Hälfte des Betrages der Festsetzung lt. Einspruchsbescheid. Insoweit nimmt der Beklagte an, daß der Gesamtaufwand Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer sei, auf die Klägerin aber nur der hälftige Betrag entfalle. Klägerseits ist der Änderungsbescheid vom 6. April 1995 nach § 68 Finanzgerichtsordnung zum Gegenstand des Klageverfahrens erklärt worden.
Die Klägerin begründet ihre Klage im wesentlichen wie folgt: Die Vorläufigkeitsbestimmung des ursprünglichen Bescheides sei nicht Rechtens und werde weiterhin angefochten. § 165 Abs. 1 AO erfasse ungewisse Sachverhalte. Ein ohne weiteres aufklärbarer Sachverhalt sei in diesem Sinne nicht ungewiß. In derartigen Fällen müsse das Finanzamt die Ungewißheit durch eigene Sachaufklärung überwinden oder aber die Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung stellen. § 165 Abs. 1 AO erfasse folglich nur vorübergehende Aufklärungshindernisse, also solche, die sich vorübergehend nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln überwinden ließen. Im Streitfall sei zum Zeitpunkt des Erstbescheides keine Ungewißheit gegeben gewesen. Dem Beklagten seien sämtliche Tatsachen, die zur Ermittlung der Steuer erforderlich seien, bereits bekannt gewesen. Dies werde bereits daran deutlich, daß der Beklagte im Ergebnis nunmehrdie Steuer so festsetzt, wie sie sich unter Zugrundelegung des Prospekts ergebe. Zu bedenken sei auch, daß zum Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzung im November 1985 das Modernisierungsvorhaben an dem Grundstück, das der Klägerin zugewiesen gewesen sei, längst beendet gewesen sei. Das Motiv für den Beklagten, die Steuerfestsetzung für vorläufig zu erklären, liege allein darin, daß Festsetzungsverjährung gedroht habe. Im übrigen habe der Beklagte die Bemessungsgrundlage unzutreffend ermittelt, weil er bestimmte Aufwendungen, die der Gesellschaft selbst entstanden seien, in den Gesamtaufwand einbezogen habe.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Grunderwerbsteuer auf 22.470 DM herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Vorläufigkeit der ursprünglichen Steuerfestsetzung unter Hinweis auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid für rechtmäßig. Es sei ihm bis zum Ende der mit Ablauf des Jahres 1985 drohenden Festsetzungsverjährung nicht möglich gewesen, die Gegenleistung exakt zu ermitteln. Daher sei ungewiß gewesen, ob bzw. inwieweit der Steuertatbestand verwirklicht gewesen sei. Soweit die Klägerin vortrage, daß die Bemessungsgrundlage falsch ermittelt sei, müsse folgendes bedacht werden: Die Klägerin habe sich an einer BGB-Gesellschaft beteiligt, die die Besonderheit aufweise, daß die Grundstücke nicht Gesamthandsvermögen der Gesellschaft seien, sondern daß jedem einzelnen Gesellschafter ein bestimmtes Grundstück zugeordnet sei. Folglich habe auch jeder Gesellschafter die in Zusammenhang mit seinem Grundstück entstehenden Aufwendungen zu tragen. Diese Aufwendungen seien in die Gegenleistung einzubeziehen. Zwar könne es sein, daß der nunmehr zugrunde gelegte Gesamtaufwand auch Kosten enthalte, die der Grunderwerbsteuer nicht unterliegen. Deshalb habe der Beklagte bei der Klägerin bereits im Einspruchsverfahren nachgefragt und um Angabe der Kosten gebeten, die als Kosten der Gesellschaft anzusehen seien. Eine Reaktion hierauf sei jedoch sachlich weder im Einspruchsverfahren noch im Klageverfahren erfolgt.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte durfte die erstmalige Steuerfestsetzung unter Vorläufigkeit stellen. Nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO besteht die Möglichkeit, daß die Finanzbehörde eine Steuer vorläufig festsetzt, soweit ungewiß ist, daß die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind. Eine vorläufige Steuerfestsetzung kommt danach allerdings nur dann in Betracht, wenn trotz angemessener Bemühungen des Finanzamts, den Sachverhalt aufzuklären, eine Unsicherheit in tatsächlicher Hinsicht bleibt, die entweder zur Zeit nichtbeseitigt werden kann oder nur unter unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten beseitigt werden könnte (vgl. BFH-Urteil vom 26. September 1990 II R 99/88, BStBl II 1990, 1043 m.w.N.). Der Senat schließt sich dieser Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs an.
Im Streitfall hat der Beklagte bereits vor Erteilung des Erstbescheides durch Nachfragen bei der Prozeßbevollmächtigten versucht, die zutreffende Bemessungsgrundlage für den Grunderwerbsteuervorgang zu ermitteln. Insbesondere hat der Beklagte dabei versucht, den Gesamtaufwand zu ermitteln und festzustellen, ob in dem Gesamtaufwand lt. Prospekt auch Kostenteile enthalten waren, die möglicherweise nicht der Grunderwerbsteuer unterliegen. Da die Rückfragen des Beklagten inhaltlich nicht beantwortet wurden, entstand eine Ungewißheit in tatsächlicher Hinsicht über die Bemessungsgrundlage und damit auch über die Frage inwieweit die Grunderwerbsteuer entstanden war. Dies rechtfertigte nach Auffassung des Senatsdie Vorläufigkeit des Erstbescheides. Aus der rechtmäßigen Erteilung des Erstbescheides folgt dann aber die Rechtmäßigkeit der Erteilung des Änderungsbescheides, wie sie Inhaltlich dem Einspruchsbescheid zugrunde liegt.
Auch der Höhe nach erweist sich die Steuerfestsetzung, wie sie sich nunmehr aufgrund des geänderten Steuerbescheides vom 6. April 1995 ergibt, als zutreffend. Danach hat der Beklagte als Bemessungsgrundlage den hälftigen Gesamtaufwand lt. Prospekt angenommen. Daß in diesem Gesamtaufwand möglicherweise Aufwendungen enthalten sind, die nicht das von der Klägerin erworbene Grundstück betreffen, ist nicht ersichtlich. Insoweit wäre es Sache der Klägerin gewesen, zu dieser Problematik konkreten Vortrag zu leisten.
Nach allem ist die Klage abzuweisen.
Bei der Kostenentscheidung berücksichtigt der Senat aber, daß die Klage im Ergebnis insoweit erfolgreich war, als die Grunderwerbsteuer während des Klageverfahrens herabgesetzt wordenist. Insofern hat die Klägerin mit ihrer Klage obsiegt. Deshalb hält es der Senat für ermessensgerecht, daß die Kosten den Beteiligten je zur Hälfte auferlegt werden (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.