Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.01.1999, Az.: I 860/97 Ki
Anspruch auf Kindergeld auch bei eigenen Einkünften und Bezügen des Kindes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.01.1999
- Aktenzeichen
- I 860/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 32645
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0119.I860.97KI.0A
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 4 S. 2 EStG
- § 62 Abs. 1 EStG
- § 63 Abs. 1 EStG
Verfahrensgegenstand
Bezüge und Reisekosten des Kindes beim Anspruch auf Kindergeld
Kindergeld für Sohn M. für Januar bis September 1996
In dem Rechtsstreit
...
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 19. Januar 1999,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 3. März 1997 und der Einspruchsbescheid vom 18. September 1997 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld für den Sohn M. des Klägers (Kl.) wegen eigener Einkünfte und Bezüge des Kindes weggefallen sind.
Der Kl. ist verheiratet und hat drei Kinder, darunter den am 2. März 1975 geborenen in seinem Haushalt lebenden nicht verheirateten Sohn M.. Nach dem Schulbesuch absolvierte M. zunächst eine Lehre als Tischler. Im November 1995 wurde er arbeitslos. Er war dem Arbeitsamt als arbeitssuchend gemeldet und erhielt Arbeitslosengeld. In der Zeit vom 1. April 1996 bis 27. September 1996 nahm er mit Billigung des Arbeitsamtes an einer "Berufspraktischen Fortbildungsmaßnahme" beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft in N. teil. Für die Dauer des Lehrgangs erhielt er vom Arbeitsamt Unterhaltsgeld und Ersatz der Weiterbildungskosten nach § 77 ff. Sozialgesetzbuch III. Am 16. Oktober 1996 fand er eine neue Arbeitsstelle.
M. erhielt im Jahre 1996 vom Arbeitsamt folgende Leistungen:
01.01.1996 bis 31.03.1996 | Arbeitslosengeld | 3.101,40 DM |
---|---|---|
01.04.1996 bis 27.09.1996 | Unterhaltsgeld | 6.184,50 DM |
Lehrgangsgebühren | 1.791,96 DM | |
Fahrtkostenersatz | 520,40 DM | |
Ersatz Arbeitskleidung | 193,74 DM | |
28.09.1996 bis 30.09.1996 | Arbeitslosengeld | 79,80 DM |
01.10.1996 bis 15.10.1996 | Arbeitslosengeld | 518,70 DM |
Mit Bescheid vom 20. September 1996 bewilligte das Arbeitsamt dem Kl. auf dessen Antrag rückwirkend Kindergeld für den Sohn M. für die Zeit von Januar bis September 1996 in Höhe von monatlich 200 DM. Da der Kl. mehreren Aufforderungen zur Vorlage von Belegen über die Beendigung der Ausbildung und die Höhe der Einkünfte des Sohnes nicht nachkam, hob das Arbeitsamt mit weiterem Bescheid vom 6. März 1997 die Kindergeldfestsetzung rückwirkend auf und erließ einen Rückzahlungebescheid über das bis dahin ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 1.800 DM.
Gegen diesen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid hat der Kl. nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass ihm ein Kindergeldanspruch für die Zeit von Januar bis September 1996 zustehe. Dem stünden auch die Bezüge seines Sohnes in dieser Zeit nicht entgegen. Der Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG) belaufe sich auf 9.000 DM. Unter Berücksichtigung der Aufwendungen für die Teilnahme an dem Berufsfortbildungslehrgang habe sein Sohn jedoch nur über Bezüge in Höhe von 8.592,46 DM verfügt. Auf die Berechnung des Kl. in seinem Schriftsatz vom 30. März 1998, Bl. 9 der Gerichtsakte, wird Bezug genommen.
Der Kl. beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid des Beklagten (Bekl.) vom 3. März 1997 und den Einspruchsbescheid vom 18. September 1997 ersatzlos aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass die Bezüge des Sohnes den Grenzbetrag von 9.000 DM überstiegen. Da er lediglich steuerfreie Bezüge nach § 3 Nr. 2 EStG erhalten habe, seien von dem Betrag keine Werbungskosten mehr abziehbar. Es könne lediglich eine Kostenpauschale von 360 DM abgezogen werden, was dazu führe, dass dem Sohn noch 9.005,70 DM verblieben. Damit sei der Grenzbetrag überschritten.
Wegen des Vertrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren und im Vorverfahren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage hat Erfolg.
1.
Der Kindergeldanspruch des Kl. für den beantragten Zeitraum Januar 1996 bis September 1996 ergibt sich aus den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 32 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 1 und 2 a EStG. Nach diesen Normen wird für ein Kind, das noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG) oder das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG), Kindergeld bewilligt, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.000 DM im Kalenderjahr hat. Dieser Grenzbetrag von 12.000 DM mindert sich nach Satz 6 der Norm für jeden Monat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach den Nummern 1 oder 2 der Norm nicht vorliegen. Im Falle der Kürzung bleiben Einkünfte und Bezüge, die auf die Kürzungsmonate entfallen, außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG).
2.
Im Streitfall erfüllte der Sohn M. des Kl. in den Monaten Januar bis März 1996 die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG. Er hatte bis zum 1. März des Jahres noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet, war arbeitslos und stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung. Dass M. am 2. März 21 Jahre alt wurde, hat auf den Kindergeldanspruch des Kl. bis zum Ablauf des Monats März keinen Einfluss. Nach § 66 Abs. 2 EStG wird Kindergeld bis zum Ende des Monats gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen.
In der Zeit von April bis 27. September 1996 waren die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG erfüllt. M. hatte in dieser Zeit das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet und wurde für einen Beruf ausgebildet. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass die Teilnahme des Kindes an der "Berufspraktischen Fortbildungsmaßnahme" des Arbeitsamtes einer Berufsausbildung gleichsteht. Dem schließt sich auch das erkennende Gericht an. Im Hinblick auf § 66 Abs. 2 EStG wird Kindergeld damit bis Ende September 1996 gezahlt.
3.
Für die Monate Oktober bis Dezember 1996 besteht dagegen kein Kindergeldanspruch. M. hatte in dieser Zeit das 21. Lebensjahr bereits vollendet und wurde auch nicht mehr für einen Beruf ausgebildet. Damit ist der nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigende Jahresgrenzbetrag der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes nach Satz 6 der Norm anteilig um die Monate Oktober bis Dezember zu kürzen und errechnet sich auf nur noch 9.000 DM. Auch insoweit besteht zwischen den Parteien Einvernehmen.
4.
Die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes erreichen diesen Grenzbetrag nicht. Anrechenbar sind dabei als Bezüge das Arbeitslosengeld aus der Zeit von 1. Januar bis 31. März 1996 (3.101,40 DM), das Unterhaltsgeld für die Dauer der Fortbildungsmaßnahme vom 1. April bis 27. September (6.184,50 DM) und das Arbeitslosengeld für die Zeit vom 28. bis 30. September 1996 in Höhe von 79,80 DM. Nicht anrechenbar sind dagegen die Übernahme der Lehrgangsgebühren, die Zahlung von Fahrtkostenersatz und der Ersatz der Arbeitskleidung. Bei diesen Zahlungen handelt es sich um Bezüge, die für besondere Ausbildungszwecke bestimmt sind und die deshalb gem. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG außer Ansatz bleiben. Damit sind dem Kind Bezüge in Höhe von zusammen 9.365,70 DM zugeflossen. Auch darüber herrscht zwischen den Parteien kein Streit.
5.
Entsprechend dem Abzug der Werbungskosten oder Betriebsausgaben bei steuerpflichtigen Einkünften des Kindes sind auch seine Bezüge um die Aufwendungen zu kürzen, die damit im Zusammenhang stehen. Das resultiert aus der in der Gesetzesfassung erkennbar gewordenen Absicht des Gesetzgebers, die kinderbedingte Entlastung von der Bedürftigkeit der Kinder und der damit verbundenen tatsächlich geminderten Leistungsfähigkeit der Eltern abhängig zu machen (vgl. Schmidt/Glanegger, EStG, 17. Aufl. § 32 Rdnr. 28). Dementsprechend sieht die Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienlastenausgleichs (DA-FamEStG - BStBl I 1997, 7 ff.) in Abschnitt DA 63.4.2.3. bei der Feststellung der zu berücksichtigenden Einkünfte den Abzug einer Kostenpauschale von 360 DM im Kalenderjahr vor, wenn nicht höhere Aufwendungen nachgewiesen oder glaubhaft gemacht werden, die im Zusammenhang mit dem Zufluss der Bezüge stehen. Damit übernimmt die DA-FamEStG eine entsprechende Regelung, die bereits in R 190 Abs. 5 des Einkommensteuerhandbuchs 1996 Eingang gefunden hat.
Im Streitfall hat der Kl. derart höhere Aufwendungen glaubhaft gemacht. Er hat in der Klagebegründung auf Fahrtkosten seines Sohnes verwiesen, die durch die Teilnahme an der "Berufspraktischen Fortbildungsmaßnahme" angefallen sind (Bl. 17 der Gerichtsakten). Die Fahrtkosten stehen damit - was auch der Bekl. nicht in Abrede nimmt - im Zusammenhang mit dem Zufluss der Bezuge, und zwar des Unterhaltsgeldes. Dass der Kl. die Kosten für die Fahrten des Sohnes mit dem privaten Pkw zu den Fortbildungsstätten nur pauschal und nicht konkret individuell ermittelt hat, lässt die Aufwendungen als solche nicht als zweifelhaft erscheinen. Den Ansatz von Pauschsätzen bei der Ermittlung von Fahrtkosten sieht selbst die DA-FamEStG in Abschnitt 63.4.2.2, bei der vergleichbaren Berechnung von Werbungskosten bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit vor. Bei der Berechnung der Aufwendungen, die im Zusammenhang mit dem Erhalt von Bezügen stehen, kann deshalb nichts anderes gelten.
Der Senat hat auch keine Bedenken daran, im Streitfall die Pauschsätze für Reisekosten nach A 37 ff. Lohnsteuerrichtlinien 1996 (LStR) anzusetzen und nicht die Pauschsätze des § 9 Abs. 1 Ziff. 4 EStG für Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Die Dauer der Fortbildungsmaßnahme war von vornherein zeitlich begrenzt. Die Fortbildungsstätte ist damit nicht zur regelmäßigen Arbeitsstätte des Sohnes geworden. Das Gericht geht vielmehr davon aus, dass sich der Sohn auf einer Fortbildungsveranstaltung i.S.d. A 34 LStR befunden hat. Die mit der Teilnahme an einer derartigen Veranstaltung verbundenen Fahrtkosten sind mit den Pauschsätzen für Reisekosten zu erfassen (A 34 Abs. 2 Satz 8 LStR).
Für die Entscheidung des Streitfalles braucht der Senat nicht darüber zu befinden, ob die Pauschsätze für Dienstreisen höchstens - wie in A 37 Abs. 3 Satz 5 LStR vorgesehen - für die Dauer von 3 Monaten anzusetzen sind. Ob diese Regelung für die Berechnung des am Existenzminimum orientierten Grenzbetrages in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStGüberhaupt anwendbar ist, mag dahinstehen. Im Streitfall wird der Grenzbetrag von 9.000 DM selbst dann unterschritten, wenn man der Kappungsgrenze in A 37 Abs. 3 Satz 5 LStR folgt. Das Gericht nimmt insoweit Bezug auf die Berechnung des Kl. auf Bl, 17 der Gerichtsakten:
Fahrtkosten nach D. | April bis Juni lt. | 208,00 DM |
---|---|---|
Auflistung Bl. 17 nach Reisekostenpauschsätzen: | ||
400 km (Fahrtkilometer) × 0,52 DM = | ||
Nebenkosten lt. Auflistung Bl. 17. April bis Juni: | 120,00 DM | |
Fahrtkosten nach N. | April bis Juni lt. | 249,60 DM |
Auflistung Bl. 17 nach Reisekostenpauschsätzen: | ||
480 km (Fahrtkilometer) × 0,52 DM = | ||
Fahrtkosten nach D. | Juli bis September | 150,50 DM |
lt. Auflistung nach Kappung: | ||
215 km (Entfernungskilometer) × 0,70 DM = | ||
Fahrtkosten nach N. | Juli bis September | 176,40 DM |
lt. Auflistung nach Kappung: | ||
252 km (Entfernungskilometer) × 0,70 DM = | ||
Fahrtkosten gesamt | 904,50 DM | |
Erstattung durch Arbeitsamt | ./. 520,40 DM | |
verbleibende Aufwendungen | 384,10 DM |
Zieht man die so berechneten verbleibenden Aufwendungen von den zugeflossenen Bezügen (9.365,70 DM) ab, wird der Grenzbetrag unterschritten. Ob darüber hinaus auch - wie der Kl. meint - die Fahrtkosten zum Arbeitsamt in die Aufwendungen einfließen, ist nicht mehr entscheidungserheblich.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Gericht hat davon abgesehen, dem Kl. die Kosten des Verfahrens gem. § 137 FGO aufzuerlegen. Obwohl der Kl. im Vorverfahren seinen Mitwirkungspflichten - worauf der Bekl. zu Recht in seinem Einspruchsbescheid hingewiesen hat - nicht nachgekommen ist und Belege über die Einkommensverhältnisse seines Sohnes zunächst nicht vorgelegt hat, kann das Gericht doch nicht feststellen, dass die Vorlage dieser Belege den Ausgang des Rechtsstreits beeinflusst hat. Der Bekl. hat auch in Kenntnis der Belege die Abweisung der Klage beantragt.
Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.
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