Sozialgericht Hannover
Urt. v. 14.01.2003, Az.: S 44 KR 475/02

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
14.01.2003
Aktenzeichen
S 44 KR 475/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40042
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2003:0114.S44KR475.02.0A

In dem Rechtsstreit

...

Deutsche Angestellten-Krankenkasse vertr. d d Vorstand

Nagelsweg 27-35, 20097 Hamburg,

hat das Sozialgericht Hannover - 44 Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2003 durch die Richterin Karger und die ehrenamtlichen Richter Frau Brunke und Herr Wichmann für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine Behandlung mit dem Gamma Knife.

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Bei der im Jahre 1952 geborenen und bei der Beklagten versicherten Klägerin wurden erstmals im Juli 2001 Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms diagnostiziert. Zur Behandlung ließ sie unter anderem im August 2001 auf eigene Kosten eine radiochirurgische Behandlung mit dem Gamma Knife durchführen. Bei dem Gamma Knife handelt es sich um ein Präzisionsbestrahlungsgerät, bei dem Strahlen aus 201 Strahlenquellen so ausgerichtet werden, dass sie gezielt das erkrankte Gewebe treffen. Die Behandlung erfordert im Gegensatz zu einer konventionellen Strahlentherapie jeweils nur eine Bestrahlung. Die Übernahme der der Klägerin bei Durchführung der Behandlung entstandenen Kosten wurde von der Beklagten abgelehnt und ist Gegenstand des Rechtsstreits S 44 KR 71/02.

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Nach Durchführung der ersten Behandlung mit dem Gamma Knife und einer anschließenden Chemotherapie wurden im Dezember 2001 erneut zwei Hirnmetastasen festgestellt. Die Klägerin begab sich in die ambulante Behandlung des Neurochirurgen Dr. H in Krefeld, der ihr am 17. Dezember 2001 eine weitere Behandlung mit dem Gamma Knife empfahl. Die Klägerin informierte daraufhin am Folgetag die Beklagte, die telefonisch mitteilte, dass eine Kostenübernahme nicht zugesagt werden könne. Die nochmalige Behandlung mit dem Gamma Knife erfolgte am 21. Dezember 2001 und wurde von Dr. H gegenüber der Klägerin mit einem Betrag in Höhe von 7.977,89 DM (4.079,03 €) abgerechnet. Daneben sind der Klägerin Fahrkosten von 447,- DM (228,55 €) entstanden.

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Die Beklagte schaltete den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) ein, der sich in seinem Gutachten vom 07. Januar 2002 gegen die Kostenerstattung aussprach, weil die Radiochirurgie eine neue Behandlungsmethode darstelle, für die bislang keine Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vorliege. Beim Krankheitsbild der Klägerin sei im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eine Behandlung durch stereotaktische Einzeitbestrahlung oder Ganzhirnbestrahlung angezeigt. Die Beklagte lehnte daraufhin die Kostenerstattung mit Bescheid vom 24. Januar 2002 ab. Zur Begründung nahm sie auf die Feststellungen des MDKN Bezug und führte ergänzend aus, dass die von der Klägerin angeführte Vereinbarung zur Übernahme der Kosten von Behandlungen mit dem Gamma Knife zwischen dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e. V. (VDAK) K und Dr. H vom 24. Juni 1999 nicht einschlägig sei, da er die Kostenübernahme nur in medizinisch indizierten Fällen vorsehe, und eine entsprechende Indikation nach den Feststellungen des MDKN bei der Klägerin nicht vorliege.

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Mit Schreiben vom 07. Februar 2002 erhob die Klägerin Widerspruch, zu dessen Begründung sie insbesondere ausführte, dass konventionelle Strahlentherapien wegen stärkerer Nebenwirkungen gesundheitsschädlicher als die Behandlung mit dem Gamma Knife seien und sie sich deshalb nicht auf deren Durchführung verweisen lassen müsse. Mit Widerspruchsbescheid vom 06. Mai 2002, zur Post gegeben am

6

10. Mai 2002, wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter nochmaliger Darlegung ihrer Rechtsauffassung als unbegründet zurück.

7

Die Klägerin hat am 11 Juni 2002 Klage erhoben. Sie nimmt auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug und trägt darüber hinaus vor, dass die Behandlung mit Gamma Knife von einer Vielzahl von Ärzten durchgeführt werde und damit die Voraussetzungen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erfülle, unter denen eine Kostenerstattung auch bei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zählenden Behandlungsmethoden möglich sei.

8

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06. Mai 2002 aufzuheben,

9

2. die Beklagte zu verurteilen, ihr die Kosten der am 21. Dezember 2001 durchgeführten Behandlung mit dem Gamma Knife sowie die damit verbundenen Fahrkosten in Höhe von insgesamt 4.307,58 € zu erstatten.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung nimmt sie auf die angefochtenen Bescheide Bezug.

12

Aus dem Verfahren S 44 KR 71/02 ist ein Schreiben des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 15. Oktober 2002 beigezogen worden, in dem dieser auf Anfrage des Gerichts mitgeteilt hat, dass ihm bislang weder ein Antrag auf Anerkennung der Behandlung mit dem Gamma Knife als neue Behandlungsmethode noch hinreichende Unterlagen über den Nutzen, die Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit dieser Behandlung vorliegen.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist jedoch nicht begründet Die Klägerin hat gem. § 13 Abs. 3 SGB V keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zusammenhang mit der am 21. Dezember 2001 durchgeführten Behandlung mit dem Gamma Knife entstandenen Kosten sowie der damit verbundenen Fahrkosten, denn die Behandlung mit dem Gamma Knife fällt als neue Behandlungsmethode nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung.

15

Gem. § 27 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V haben die Versicherten Anspruch auf Maßnahmen zur Krankenbehandlung, die medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts entspricht. Die Feststellung, dass eine ambulante vertragsärztliche Behandlung dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, obliegt gem. § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenversicherung nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Bei den Richtlinien des Bundesausschusses handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um untergesetzliche Rechtsnormen, die den dem Versicherten von seiner gesetzlichen Krankenkasse geschuldeten Umfang der ambulanten Leistungen verbindlich festlegen (BSG, Urteil vom 28.03.2000 -B 1 KR 11/98R-SozR3-2500§ 135 Nr. 14 m. w. N.).

16

Die streitgegenständliche Behandlung mit dem Gamma Knife ist eine neue Behandlungsmethode i. S. d. § 135 SGB V, denn sie kann nicht nach den Positionen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen abgerechnet werden und ist damit bislang nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. dazu Nr. 2.1 der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden -BUB-Richtlinien -).

17

Da der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den BUB-Richtlinien keine Empfehlung zugunsten der Behandlung mit dem Gamma Knife abgegeben hat, darf die Beklagte die Therapie nicht als Sachleistung gewähren. Ein Kostenerstattungsanspruch kommt bei bislang fehlender Anerkennung einer Therapie durch den Bundesausschuss nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode darauf zurückzuführen ist, dass die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder zeitlich verzögert wird (BSG, Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 28/95 - BSGE 81, 54, 65 f.). Anhaltspunkte für einen derartigen Systemmangel sind für die Behandlung mit dem Gamma Knife weder aufgezeigt noch ersichtlich. Insbesondere sind weder das Ausmaß der Verbreitung einer Therapie noch statistisch nicht näher belegte positive Erfahrungen bei Anwendung der Therapie Kriterien dafür, dass das Anerkennungsverfahren nicht ordnungsgemäß betrieben worden wäre (BSG, Urteil vom 19.02.2002 - B 1 KR 16/00 R -).

18

Hinzu kommt, dass eine Kostenerstattung auch bei einem unterstellten Versäumnis des Bundesausschusses oder der antragsberechtigten Körperschaften und Verbände nur erfolgen kann, wenn die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden kann (BSG, Urteil vom 28.03.2000, a. a. O.). Auch dafür sind vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar.

19

Schließlich kann wegen der Behandlung mit dem Gamma Knife bei Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms nicht allein darauf abgestellt werden, ob sich die Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Die Verbreitung einer neuen Behandlungsmethode in der Praxis und der fachlichen Diskussion darf nur ausnahmsweise dann berücksichtigt werden, wenn die Durchführung wissenschaftlicher Studien über die Wirksamkeit der Behandlung wegen Besonderheiten der betreffenden Krankheiten, wie z. B. dem seltenen Auftreten der Krankheit, des jugendlichen Alters der Betroffenen oder individuell sehr unterschiedlicher Krankheitsverläufe, auf erhebliche Schwierigkeiten stößt (BSG, Urteil vom 28.03.2000, a. a. O.). Vergleichbare Probleme sind bei der Erforschung der Wirksamkeit von Methoden zur Behandlung von Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms als einerhäufiger auftretenden Krankheit jedoch nicht anzunehmen. Zwar mag auch hier die Durchführung einer aussagekräftigen Studie mit einer hinreichend großen Teilnehmerzahl mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein, diese erreichen jedoch nicht die Qualität der beispielhaft angeführten Probleme.

20

Sind die genannten Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nicht erfüllt, weil der letztlich zum Schutz des Versicherten, z. B. vor unbekannten Nebenwirkungen, zu fordernde Qualitätsnachweis nicht geführt ist, ist es dem Versicherten nicht möglich, sich mit Erfolg darauf zu berufen, die neue Behandlungsmethode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen (BSG, Urteil vom 16.09.1997, a. a. O., S. 64 f.). Es kann daher nicht entscheidend sein, dass die Behandlung mit dem Gamma Knife bei der Klägerin erfolgreich verlaufen ist.

21

Auf die zwischen dem VDAK K und Dr. H abgeschlossene Vereinbarung vom 24. Juni 1999, nach der in medizinisch indizierten Fällen die Kosten der Behandlung mit dem Gamma Knife mit einer Pauschale in Höhe der vorliegend entstandenen Kosten übernommen werden, kann sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie an dieser Vereinbarung nicht beteiligt war und die Erklärung unter dem Vorbehalt des Vorliegens einer nicht näher definierten medizinischen Indikation steht.

22

Da das in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich geltende Sachleistungssystem gem. § 13 Abs. 1 SGB V zugunsten der Kostenerstattung nur durchbrochen werden darf, wenn das Gesetz die Möglichkeit der Kostenerstattung - wie in § 13 Abs. 3 SGB V - ausdrücklich vorsieht, ist es auch nicht möglich einen - zumindest anteiligen - Kostenerstattungsanspruch auf den Gesichtspunkt zugunsten der Beklagten ersparter Aufwendungen für die Durchführung andernfalls erforderlicher vertragsärztlicher Behandlungsmaßnahmen, wie einer Behandlung mit dem Linearbeschleuniger, zu stützen.

23

Die Klägerin hat ferner auch keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zusammenhang mit der Behandlung mit dem Gamma Knife entstandenen Fahrkosten. Der in § 60 SGB V vorgesehene Anspruch des Versicherten auf Übernahme von Fahrkosten stellt eine Nebenleistung dar, die nur dann beansprucht werden kann, wenn die im Zusammenhang mit den Fahrkosten in Anspruch genommene ärztliche Behandlung in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fällt (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1999 - B 1 KR 1/98 R - SozR 3-2500 § 60 Nr. 3 m. w. N.). Da dies auf die Behandlung mit dem Gamma Knife nicht zutrifft, ist eine Erstattung der Fahrkosten der Klägerin nicht möglich.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.