Sozialgericht Hannover
Urt. v. 04.11.2003, Az.: S 2 KR 1610/01
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 04.11.2003
- Aktenzeichen
- S 2 KR 1610/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40038
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2003:1104.S2KR1610.01.0A
In dem Rechtsstreit
...
Die 2. Kammer des Sozialgerichts Hannover
hat am 04. November 2003
durch die Richterin am Sozialgericht Weisbach,
Vorsitzende,
und die ehrenamtlichen Richter Wilkening und Rock
nach mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Fahrkosten.
Bei dem Kläger wurde am 23. März 2000 eine ambulante arthroskopische Kreuzbandoperation in der Praxis-Klinik B.... durchgeführt.
Im Juni 2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage von zwei Verordnungen einer Krankenbeförderung von Dres. K.... vom 27. März 2000 und 10. April 2000 über jeweils zehnmal Taxitransport zur Krankengymnastikpraxis sowie der Rechnungen der Firma Tavi-S.... vom 22. Mai 2000 den Ausgleich des Gesamtbetrages der Fahrkosten i.H.v. 2 725,80 DM. Ausweislich der Rechnungen der Firma Taxi-S.... vom 22. Mai 2000 wurde der Kläger in der Zeit vom 27. März 2000 bis 10. Mai 2000 zweimal zu Dr. K.... und 19-mal zur Reha-W.... von seinem Wohnort mit dem Taxi hin und zurück transportiert. Die einfache Fahrt hatte eine Länge von 59 Kilometern und wurde mit einem Betrag i.H.v. 64,90 DM in Rechnung gestellt. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme der Fahrkosten mit Schreiben vom 17. Oktober 2000 und 09. November 2000 ab und kündigte eine Überprüfung im Rahmen der Härtefallregelungen an. Mit Bescheid vom 18. Juli 2001 teilte sie dem Kläger mit, dass eine teilweise Befreiung i.S.v. § 62 SGB V nicht möglich wäre, da die anrechenbaren Fahrkosten die Belastungsgrenze des Klägers für das Jahr 2000 i.H.v. 1 197,49 DM nicht überschreiten.
Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 07. September 2001).
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 11. Oktober 2001 bei dem Sozialgericht Hannover eingegangenen Klage. Der Kläger habe sich als alleinerziehender Vater eines schulpflichtigen Kindes für die Operation in Hamburg entschieden, da die Dauer des Krankenhausaufenthaltes in einer Praxis in Bremen mindestens ca. drei Tage länger gedauert hätte. Die Fahrten zu den jeweiligen Therapieeinrichtungen seien zwingend notwendig gewesen. Eine Nachbehandlung im Krankenhaus H.... Chirurgische Abteilung, sei mit dem Interesse des Klägers nicht vereinbar gewesen, da dort arthroskopische Operationen nicht durchgeführt werden. Eine krankengymnastische Behandlung sei im Kurzentrum Bruchhausen-Vilsen nicht zu den gleichen Konditionen möglich gewesen wie in der vom Kläger aufgesuchten Krankengymnastikpraxis in W..... Der Kläger beruft sich auf das zur Gerichtsakte gereichte ärztliche Attest von Dr. K.... vom 16. Mai 2000.
Der Kläger beantragt,
- 1.
die Bescheide der Beklagten vom 17. Oktober 2000, 09. November 2000 und 18. Juli 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Fahrkosten i.H.v. 1 393,68 € (Rechnungen vom 22. Mai 2000) hilfsweise anteilig zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Da die Voraussetzungen von § 60 Abs. 2 SGB V nicht vorlägen, käme eine Erstattung nach dieser Vorschrift nicht in Betracht. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen gem. § 61 SGB V. Auch im Rahmen von § 62 SGB V seien nur die Fahrkosten vom jeweiligen Aufenthaltsort bis zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück zu übernehmen. Unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes werde die Belastungsgrenze nicht überschritten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Auf den Inhalt dieser Unterlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind, wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07. September 2001 sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf vollständige oder teilweise Erstattung der begehrten Fahrkosten.
Gem. § 60 Abs. 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Abs. 2 und 3 dieser Vorschrift die Fahrkosten, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Nach § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind diese Kosten von der Krankenkasse nur bei bestimmten, in dieser Vorschrift genannten Sachverhalten (bei Fahrten zu einer stationären Behandlung, bei Rettungsfahrten, bei Krankentransporten sowie bei Fahrten zu einer ambulanten Krankenbehandlung einschl. einer Behandlung nach § 115a oder § 115b SGV V, wenn dadurch eine an sich gebotene vollstationäre oder teilstationäre Krankenbehandlung vermieden oder verkürzt wird oder diese nicht ausführbar ist) zu tragen, während sie im übrigen dem Verantwortungsbereich des Versicherten zugerechnet werden.
Zu Recht hat die Beklagte die Fahrkostenerstattung gem. der vorgelegten Rechnungen vom 22. Mai 2000 nach § 60 SGB V abgelehnt,, da sowohl die Fahrten zur Krankengymnastik als auch die Fahrten zur ambulanten Nachuntersuchung bei Dr. K.... sich nicht den in § 60 Abs. 2 Satz 1 genannten Sachverhalten zuordnen lassen. Vielmehr waren dies Fahrten zur ambulanten Behandlung. Die in § 60 Abs. 2 Satz 1 SGB V vorgenommene Aufzählung der für eine Kostenerstattung in Frage kommenden Fälle stellt eine abschließende Regelung dar (vgl. BSG-Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 RK 23/96 - ). Demzufolge hat der Versicherte die Fahrkosten zu einer ambulanten Behandlung grundsätzlich selbst zu tragen (vgl. BSG a.a.O.).
Gem. § 60 Abs. 2 Satz 2 SGB V übernimmt die Krankenkasse im übrigen die Fahrkosten, wenn der Versicherte durch sie unzumutbar belastet würde, § 61, d.h., wenn er wegen seines geringen Einkommens überhaupt keine Eigenleistungen erbringen kann oder soweit § 62 dies vorsieht, d.h. soweit die entstehenden Aufwendungen eine von der Einkommenshöhe abhängige Grenze der zumutbaren Eigenbelastung überschreiten. Die Voraussetzungen der Härtefallregelung auf vollständige Befreiung im Rahmen von § 61 SGB V waren bei dem Kläger unstreitig nicht gegeben.
Eine teilweise Fahrkostenerstattung i.H. des die zumutbare Eigenbelastung überschreitenden Betrages gem. § 62 SGB V kommt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht. Richtigerweise hat die Beklagte der fiktiven Berechnung jeweils die nächstgelegene Behandlungsstätte zugrunde gelegt. Der dabei errechnete Betrag liegt deutlich unter der für den Kläger errechneten Belastungsgrenze gem. § 62 SGB V für das Jahr 2000 i.H.v. 1 197,49 DM. Gem. § 62 Abs. 1 SGB V hat die Krankenkasse die den Versicherten während eines Kalenderjahres entstehenden notwendigen Fahrkosten insoweit zu übernehmen, als sie die dort festgelegte individuelle Belastungsgrenze übersteigen. Dabei sind notwendige Fahrkosten nach ständiger höchstrichterliche Rechtsprechung des BSG nur solche vom jeweiligen Aufenthaltsort zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit und zurück, sofern nicht ein zwingender Grund für eine andere Fahrstrecke vorliegt (vgl. beispielsweise BSG, Urteil vom 20. Januar 1982 - 3 RK 72/80 -; Urteil vom 23. März 1983 - 3 RK 3/82 - ). Notwendigkeit i.d.S. liegt also nur dann vor, wenn die durchgeführten Fahrten zwingend und unvermeidlich waren. Ein zwingender Grund liegt beispielsweise vor, wenn ein Versicherter mit einem Arzt/einer Einrichtung bereits kausale negative Erfahrungen gemacht hat. Anhaltspunkte dafür sind vorliegend nicht gegeben. Auch ein anderer zwingender Grund ist nicht ersichtlich.
Die vom Kläger durchgeführten streitgegenständlichen Fahrten waren nicht zwingend und unvermeidlich.
Das ärztliche Attest von Dr. K.... vom 16. Mai 2000 stellt keinen zwingenden Grund für eine Abweichung zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit dar Dr. K.... führt aus, dass die Notwendigkeit zur operativen Versorgung in H.... gegeben war, da der dortige Operateur erwiesenermaßen eine außergewöhnlich hohe Kompetenz in Kreuzbandersatz-Operationen aufweist, zusätzlich die im Vergleich kürzeste Verweildauer im Umkreis bietet. Diese Ausführungen betreffen die ebenfalls in Verwaltungs- und Gerichtsakte befindliche Rechnung der Firma Taxi-S.... vom 31. März 2000 über eine Fahrstrecke B....-V.... H.... Praxis-Klinik B.... Zunächst bleibt festzustellen, dass es sich bei der Behandlung des Klägers in der Praxis-Klinik B.... um eine ambulante Behandlung gehandelt hat. So wurde ausweislich der von der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung überreichten Abrechnung für den 23. März die Kosten für eine ambulante Operation in Rechnung gestellt. Die eben zitierte Stellungnahme von Dr. K.... stellt in diesem Zusammenhang lediglich eine Empfehlung dar. Ein zwingender Grund, weshalb die stattgehabte Operation nicht in einer Praxis in B.... durchgeführt werden könnte, ist nicht ersichtlich. Hierzu hat der Kläger selber vorgetragen, dass die Operation in einer Praxis in Bremen hätte durchgeführt werden können; in diesem Zusammenhang jedoch, wie Dr. K.... auf eine längere Verweildauer verwiesen. Der Hinweis auf die Verweildauer geht jedoch fehl. Eine ambulante Operation ist gerade dadurch gekennzeichnet, dass sie ambulant stattfindet. Eine Verweildauer im Rahmen einer Operation kommt hingegen nur bei einem stationären Krankenhausaufenthalt (§ 39 SGB V) in Betracht. Um einen solchen hat es sich aber gerade nicht gehandelt. Darüber hinaus ist der Kläger darauf hinzuweisen, dass zwingende Gründe nur solche sein können, die in der Art und Weise der Krankenbehandlung des Versicherten selbst liegen. Negative Auswirkungen auf Familienangehörige bleiben dabei außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 23. März 1983 - 3 RK 3/82- ). Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass eine medizinisch ausreichende und zweckmäßige arthroskopische Kreuzbandoperation in Bremen möglich gewesen wäre. Diesbezüglich hat die Beklagte eine entsprechende Liste mit den in Frage kommenden Ärzten/Praxen vorgelegt (vgl. Bl. 44 der Verwaltungsakte).
Ebenso stellt das ärztliche Attest von Dr. K.... vom 16. Mai 2000 im Hinblick auf die vom Kläger durchgeführte Krankengymnastik keine zwingenden Grund für eine Abweichung zur nächst erreichbaren Behandlungsmöglichkeit dar. Der Kläger hat diese Krankengymnastik in der Reha W.... durchgeführt. Die nächst erreichbare Behandlungseinrichtung für den Kläger ist lt. Angaben der Beklagten das Kurzentrum in B.... Dr. K.... führt dazu im o.g. Attest aus, dass die krankengymnastische Nachbehandlung in der Reha Weyhe aus fachlichen Gründen ebenfalls zu bevorzugen gewesen sei. Warum dies der Fall sein soll, wird nicht näher dargelegt. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger nur einen Anspruch auf die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweckmäßige Behandlung hat. Warum dies im Kurzentrum B.... einem zur Abgabe von Krankengymnastik zugelassenen Leistungserbringer, nicht möglich gewesen sein sollte, ist nicht ersichtlich.
Letztendlich wäre die erforderliche, medizinisch ausreichende und zweckmäßige ambulante Nachbehandlung des Klägers im Krankenhaus H.... Chirurgische Abteilung (nächst erreichbare Behandlungsstätte) gesichert gewesen. Selbst wenn der Kläger hierzu einwendet, dass im Krankenhaus im H.... keine arthroskopischen Operationen durchgeführt werden, bleibt festzustellen, dass es hierbei nicht um die Operation als solche, sondern um die Nachbehandlung ging. Diese dürfte durch die chirurgische Abteilung gewährleistet gewesen sein. Die gesetzliche normierte freie Arztwahl führt nicht dazu, dass mit der Bestimmung der Behandlungsstätte durch den Versicherten eine Pflicht zur Übernahme der Fahrkosten durch die Krankenkasse entsteht. Vielmehr kommt eine Übernahme von Fahrkosten durch die Krankenkasse nur nach den Bestimmungen der §§ 60 bis 62 SGB V in Betracht. Der Versicherte hat die Mehrkosten selbst zu tragen, wenn er ohne einen zwingenden Grund eine andere als die nächst erreichbare Behandlungsstätte in Anspruch nimmt ( BSG, Urteil vom 20. Januar 1982 - 3 RK 72/80 - ).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.