Sozialgericht Hannover
Urt. v. 14.01.2003, Az.: S 44 KR 71/02
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 14.01.2003
- Aktenzeichen
- S 44 KR 71/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 40043
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2003:0114.S44KR71.02.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat das Sozialgericht Hannover - 44. Kammer - auf die mündliche Verhandlung vom 14. Januar 2003 durch ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für eine Behandlung mit dem Gamma Knife.
Bei der im Jahre 1952 geborenen und bei der Beklagten versicherten Klägerin wurden im Juli 2001 zwei Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms diagnostiziert. Eine der Metastasen wurde operativ entfernt. Wegen der zweiten Metastase empfahlen die behandelnden Ärzte alternativ zu einer konventionellen Strahlentherapie mit etwa 30 Sitzungen die Durchführung einer radiochirurgischen Behandlung mit dem Gamma Knife. Dabei wiesen sie die Klägerin darauf hin, dass die Kosten dieser Behandlung nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen würden. Bei dem Gamma Knife handelt es sich um ein Präzisionsbestrahlungsgerät, bei dem Strahlen aus 201 Strahlenquellen so ausgerichtet werden, dass sie gezielt das erkrankte Gewebe treffen. Die Behandlung erfordert jeweils nur eine Bestrahlung. Die Klägerin begab sich daraufhin in die ambulante Behandlung der Klinik für Neurochirurgie der ... GmbH. Zur Vorbereitung der radiochirurgischen Behandlung wurde eine Magnetresonanztomographie des Kopfes durchgeführt. Die Behandlung mit dem Gamma Knife erfolgte am 10. August 2001. Für die Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen wurden der Klägerin insgesamt 16.656,57 DM (8.516,37 €) in Rechnung gestellt.
Im Oktober 2001 beantragte die Klägerin die Erstattung der ihr entstandenen Kosten. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 2001 ab. Den gegen diese Entscheidung am 08. November 2001 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2001, zur Post gegeben am 18. Dezember 2001, als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie aus, die Klägerin habe den Beschaffungsweg nicht eingehalten, da sie die Behandlung mit dem Gamma Knife habe durchführen lassen, ohne zuvor die Kostenübernahme zu beantragen und die Verwaltungsentscheidung abzuwarten. Im Übrigen sei die Kostenerstattung auch deshalb nicht möglich, weil die Behandlung mit dem Gamma Knife bislang keinen Eingang in die vertragsärztliche Versorgung gefunden habe und als vertragsärztliche Alternative eine Behandlung mit dem Linearbeschleuniger möglich gewesen wäre.
Die Klägerin hat am 15. Januar 2002 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, das Verwaltungs- bzw. das Widerspruchsverfahren sei fehlerhaft durchgeführt worden, da sie während beider Verfahren nicht angehört worden sei. Die Einhaltung des Beschaffungswegs sei ihr wegen der Dringlichkeit der Behandlung nicht zumutbar gewesen. Unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundessozialgerichts trägt sie vor, die Kostenerstattung sei auch bei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zählenden Behandlungsmethoden nicht von vornherein ausgeschlossen. Soweit die Beklagte auf eine Behandlung mit dem Linearbeschleuniger verweise, sei schließlich zu beachten, dass diese höhere Kosten verursache und in ihren Nebenwirkungen gesundheitsschädlicher sei.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid der Beklagten vom 29. Oktober 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2001 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr die im Zusammenhang mit der im August 2001 durchgeführten Behandlung mit dem Gamma Knife entstandenen Kosten in Höhe von 8.516,37 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt sie im Wesentlichen auf den Widerspruchsbescheid Bezug.
Auf Anfrage des Gerichts hat der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen mit Schreiben vom 15. Oktober 2002 mitgeteilt, dass ihm bislang weder ein Antrag auf Anerkennung der Behandlung mit dem Gamma Knife als neue Behandlungsmethode noch hinreichende Unterlagen über den Nutzen, die Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit dieser Behandlung vorliegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als verbundene Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind zunächst formell rechtmäßig. Entgegen der Auffassung der Klägerin war die Beklagte nicht verpflichtet, im Rahmen des Antrags- bzw. des Widerspruchsverfahrens eine Anhörung gem. § 24 Sozialgesetzbuch (SGB) X durchzuführen. Nach § 24 Abs. 1 SGB X hat die Krankenkasse vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Da die gesetzliche Regelung entsprechend ihres Wortlauts voraussetzt, dass dem Beteiligten ein Recht eingeräumt ist, in das eingegriffen werden soll, besteht die Anhörungspflicht nicht, wenn der Antrag eines Versicherten auf die Gewährung einer Leistung als ein dem Versicherten bisher gerade noch nicht eingeräumten Rechts abgelehnt wird (BSG, Urteil vom 29. November 1990 - 7 RAr 6/90 - SozR 3-4100 § 139a Nr. 1). Insofern hat der Versicherte im Rahmen der Antragstellung ausreichend Gelegenheit,, zu den aus seiner Sicht entscheidungserheblichen Umständen vorzutragen.
Im Übrigen hat die Klägerin ungeachtet der Frage, ob sie verpflichtet war, den nach § 13 Abs. 3 SGB V grundsätzlich einzuhaltenden Beschaffungsweg zu beschreiten, der vorsieht, dass vor Durchführung einer Behandlung zunächst die Kostenübernahme beantragt und die Verwaltungsentscheidung abgewartet wird, schon deshalb keinen Anspruch auf Erstattung der ihr im Zusammenhang mit der im August 2001 durchgeführten Behandlung mit dem Gamma Knife entstandenen Kosten, weil diese Behandlung als neue Behandlungsmethode nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fällt.
Gem. § 27 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 S. 3 und § 12 Abs. 1 SGB V haben die Versicherten Anspruch auf Maßnahmen zur Krankenbehandlung, die medizinisch notwendig und wirtschaftlich sind, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts entspricht. Die Feststellung, dass eine ambulante vertragsärztliche Behandlung dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, obliegt gem. § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Nach § 135 Abs. 1 S. 1 SGB V dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenversicherung nur erbracht werden, wenn der Bundesausschuss in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen unter anderem über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode abgegeben hat. Bei den Richtlinien des Bundesausschusses handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um untergesetzliche Rechtsnormen, die den dem Versicherten von seiner gesetzlichen Krankenkasse geschuldeten Umfang der ambulanten Leistungen verbindlich festlegen (BSG, Urteil vom 28.03.2000 -B1 KR 11798 R - SozR 3-2500 §135 Nr. 14 m. w. N.).
Die streitgegenständliche Behandlung mit dem Gamma Knife ist eine neue Behandlungsmethode i. S. d. § 135 SGB V, denn sie kann nicht nach den Positionen des einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen abgerechnet werden und ist damit bislang nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung (vgl. dazu Nr. 2.1 der Richtlinien über die Bewertung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden - BUB-Richtlinien -).
Da der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den BUB-Richtlinien keine Empfehlung zugunsten der Behandlung mit dem Gamma Knife abgegeben hat, darf die Beklagte die Therapie nicht als Sachleistung gewähren. Ein Kostenerstattungsanspruch kommt bei bislang fehlender Anerkennung einer Therapie durch den Bundesausschuss nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die fehlende Anerkennung der neuen Methode darauf zurückzuführen ist, dass die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder zeitlich verzögert wird (BSG, Urteil vom 16.09.1997- 1 RK 28/95 - BSGE 81, 54, 65 f.). Anhaltspunkte für einen derartigen Systemmangel sind für die Behandlung mit dem Gamma Knife weder aufgezeigt noch ersichtlich. Insbesondere sind weder das Ausmaß der Verbreitung einer Therapie noch statistisch nicht näher belegte positive Erfahrungen bei Anwendung der Therapie Kriterien dafür, dass das Anerkennungsverfahren nicht ordnungsgemäß betrieben worden wäre (BSG, Urteil vom 19.02.2002 - B 1 KR 16/00 R -).
Hinzu kommt, dass eine Kostenerstattung auch bei einem unterstellten Versäumnis des Bundesausschusses oder der antragsberechtigten Körperschaften und Verbände nur erfolgen kann, wenn die Wirksamkeit der neuen Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken belegt werden kann (BSG, Urteil vom 28.03.2000, a. a. O.).
Auch dafür sind vorliegend keine hinreichenden Anhaltspunkte erkennbar.
Schließlich kann wegen der Behandlung mit dem Gamma Knife bei Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms nicht allein darauf abgestellt werden, ob sich die Therapie in der medizinischen Praxis durchgesetzt hat. Die Verbreitung einer neuen Behandlungsmethode in der Praxis und der fachlichen Diskussion darf nur ausnahmsweise dann berücksichtigt werden, wenn die Durchführung wissenschaftlicher Studien über die Wirksamkeit der Behandlung wegen Besonderheiten der betreffenden Krankheiten, wie z. B. dem seltenen Auftreten der Krankheit, des jugendlichen Alters der Betroffenen oder individuell sehr unterschiedlicher Krankheitsverläufe, auf erhebliche Schwierigkeiten stößt (BSG, Urteil vom 28.03.2000, a. a. O.). Vergleichbare Probleme sind bei der Erforschung der Wirksamkeit von Methoden zur Behandlung von Hirnmetastasen eines Nierenzellkarzinoms als einer häufiger auftretenden Krankheit jedoch nicht anzunehmen. Zwar mag auch hier die Durchführung einer aussagekräftigen Studie mit einer hinreichend großen Teilnehmerzahl mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sein, diese erreichen jedoch nicht die Qualität der beispielhaft angeführten Probleme.
Sind die genannten Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nicht erfüllt, weil der letztlich zum Schutz des Versicherten, z. B. vor unbekannten Nebenwirkungen, zu fordernde Qualitätsnachweis nicht geführt ist, ist es dem Versicherten nicht möglich, sich mit Erfolg darauf zu berufen, die neue Behandlungsmethode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen (BSG, Urteil vom 16.09.1997, a. a. O., S. 64 f.). Es kann daher nicht entscheidend sein, dass die Behandlung mit dem Gamma Knife bei der Klägerin erfolgreich verlaufen ist.
Da das in der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich geltende Sachleistungssystem gem. § 13 Abs. 1 SGB V zugunsten der Kostenerstattung nur durchbrochen werden darf, wenn das Gesetz die Möglichkeit der Kostenerstattung - wie in § 13 Abs. 3 SGB V - ausdrücklich vorsieht, ist es auch nicht möglich einen - zumindest anteiligen - Kostenerstattungsanspruch auf den Gesichtspunkt zugunsten der Beklagten ersparter Aufwendungen für die Durchführung andernfalls erforderlicher vertragsärztlicher Behandlungsmaßnahmen, wie einer Behandlung mit dem Linearbeschleuniger, zu stützen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.