Sozialgericht Hannover
Urt. v. 23.01.2003, Az.: S 11 KR 222/02

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
23.01.2003
Aktenzeichen
S 11 KR 222/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40047
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2003:0123.S11KR222.02.0A

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

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Streitig ist die Gewährung von Rehabilitationssport/Funktionstraining. Die im Jahr 1930 geborene Klägerin ist Mitglied bei der Beklagten. Seit März 1995 hatte ihr die Beklagte wegen einer Osteoporoseerkrankung regelmäßig jeweils für sechs Monate einen Zuschuss in Höhe von 6,50 Deutsche Mark pro Stunde für je einmal wöchentlich Warmwassergymnastik und Trockengymnastik gewährt. Entsprechende Anträge der Klägerin vom Mai 2001 und Januar 2002 aufgrund von Verordnungen ihres behandelnden

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Arztes für Orthopädie Dr. W lehnte die Beklagte mit Bescheiden vom 6. Juni 2001 bzw. 15. Januar 2002 ab. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Die Durchführung von Rehabilitationssport sei nicht als Dauerleistung zu bewilligen, sondern als befristete Anleitung zur Selbsthilfe anzusehen. Nach der Feststellung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) sei eine medizinische Notwendigkeit für die Durchführung der beantragten Maßnahmen nicht zu erkennen.

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Die Klägerin erhob jeweils Widerspruch und führte aus: Es sei objektiv nicht möglich, die erforderlichen Übungen in Eigenverantwortung selbst durchzuführen. Dr. W halte es unbedingt für nötig, gezielte Krankengymnastik durch eine geschulte Fachkraft durchzuführen. Andere Krankenkassen leisteten den Zuschuss nach wie vor.

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Mit Widerspruchsbescheiden vom 27. Februar 2002 bzw. 13. März 2002 wies die Beklagte die Widersprüche zurück. Zur Begründung hieß es im Wesentlichen: Nach § 43 Nummer. 1 SGB V in der bis zum 30. Juni 2001 gültigen Fassung könne die Krankenkasse als ergänzende Leistung den Rehabilitationssport fördern, der Versicherten ärztlich verordnet und in Gruppen unter ärztlicher Betreuung ausgeführt werde; das gelte auch für das Funktionstraining, wenn zuletzt die Krankenkasse Krankenbehandlung geleistet habe oder leiste. Zu beachten sei, dass auch die ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation dem in den § 2 Abs. 1 und 4, § 12 Abs. 1 SGB V normierten Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssten, also ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein hätten und das Maß des Notwendigen nicht überschreiten dürften. Bei Berücksichtigung der "Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining (RehaSpGVb) vom 1. Januar 1994 sei Funktionstraining darauf ausgerichtet, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten, insbesondere, um die Eigenverantwortung des Behinderten für seine Gesundheit und seine Motivation zum angemessenen Bewegungstraining zu stärken und ihn zur Selbstübung zu befähigen. Die Notwendigkeit für die Durchführung des Funktionstrainings liege so lange vor, wie der Versicherte während des Funktionstrainings der Anleitung des Therapeuten bedarf, um selbständig das Funktionstraining durchzuführen. Der dazu befragte MDK sei zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Förderung von Funktionstraining nicht mehr befürwortet werden könne, da die Klägerin anhand des zurückliegend gewährten Funktionstrainings die ihrem Leistungsvermögen entsprechend erlernten Übungen mittlerweile in Eigenregie durchführen könne. Nach Abwägung aller Umstände seien die Voraussetzungen für die Fortführung des Funktionstrainings bei der Klägerin nicht länger gegeben. Eine Prüfung nach der ab dem 1. Juli 2001 geltenden Rechtslage, wonach sich die Leistungsgewährung für Funktionstraining gemäß § 43 SGB V iVm § 44 Abs. 1 Nummer 4 SGB IX beurteile, bewirke keine andere Entscheidung.

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Mit bei Gericht am 25. März 2002 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klagen erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor: Angesichts des bei ihr bestehenden Krankheitsbildes einer fortgeschrittenen Osteoporose seien die beantragten Leistungen erforderlich um eine zu erwartende Behinderung abzuwenden, vorhandene Behinderungen zu beseitigen, Verschlimmerungen zu verhüten und die Folgen vorhandener Behinderungen zu mildern. Die beantragten Maßnahmen könnten das Risiko, Knochenbrüche zu erleiden sowie zukünftiger Abhängigkeit von Fremdhilfe, Pflegedürftigkeit senken. Die Selbsthilfegruppe "Knochengesundheit und Osteoporose" Bad ... e.V. der Klinik ... sei in besonderem Maße für die Durchführung der Leistungen qualifiziert.

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Die Klägerin beantragt nach ihrem Vorbringen,

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den Bescheid vom 6. Juni 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2002 und den Bescheid vom 15. Januar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2002 aufzuheben,

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die Beklagte zu verurteilen, sie unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu

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bescheiden.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Zur Begründung bezieht sie sich auf die Grunde der Widerspruchsbescheide.

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Das Gericht hat Befundberichte der Fachärzte für Orthopädie Dr. W/D vom 19. Juni 2002 und des Arztes für Innere Medizin Prof. Dr. M Klinik ... , vom 26. September 2002 eingeholt.

13

Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt und den Inhalt der Gerichtsakten wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.

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Die Beklagte hat es mit den angefochtenen Bescheiden vom 6. Juni 2001 und 15. Februar 2002 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27. Februar 2002 und 13. März 2002 rechtsfehlerfrei abgelehnt, der Klägerin Funktionstraining als ergänzende Leistung zur Rehabilitation zu gewähren.

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Nach § 43 Nummer 1 SGB V in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung bzw. nach den ab dem 1. Juli 2001 geltenden § 43 SGB V, § 44 Abs. 1 Nummern 3 und 4 SGB IX kommen als ergänzende Leistungen zu einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation durch eine Krankenkasse Rehabilitationssport und Funktionstraining in Betracht. Voraussetzungen und Umfang dieser Leistungen richten sich nach altem und neuem Recht nach der "Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining", die am 1. Januar 1994 in Kraft getreten ist (siehe Schütze in Hauck/Noftz, SGB IX, K § 44 Rz 16).

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Zweck des hier in Frage kommenden Funktionstrainings ist nach § 3 Abs. 1 der Gesamtvereinbarung, insbesondere bei chronisch Kranken, durch die Übungen, die auf die Art und Schwere, die Dauer und das Stadium der Behinderung und den gesundheitlichen Allgemeinzustand des/der Behinderten abgestimmt sein müssen, den Erfolg vorangegangener oder begleitender Maßnahmen zu steigern, die Krankheitsverläufe günstig zu beeinflussen, die Notwendigkeit wiederholter Maßnahmen zu reduzieren, die Leistungsfähigkeit des/der Behinderten zu verbessern oder mindestens einer Verschlechterung vorzubeugen und damit das Ziel der Rehabilitation zu erreichen und zu sichern. Funktionstraining ist auch Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere um die eigene Verantwortung des/der Behinderten für seine/ihre Gesundheit und seine/ihre Motivation zum angemessenen täglichen Bewegungstraining zu stärken und ihn/sie zur Selbstübung zu

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befähigen. Nach § 3 Abs. 2 der Gesamtvereinbarung liegt die Notwendigkeit für die Durchführung von Funktionstraining so lange vor, wie der/die Behinderte während des Funktionstrainings der Anleitung durch den Therapeuten bedarf, also noch nicht über Fertigkeiten in den Bewegungsabläufen verfügt, die ihn/sie in die Lage versetzen, das Funktionstraining selbständig durchzuführen. Diese Selbständigkeit kann bei bestimmten chronischen Krankheiten dauerhaft fehlen. Die Notwendigkeit von Funktionstraining im Sinne der Gesamtvereinbarung liegt bei der Klägerin nicht (mehr) vor.

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Die Klägerin leidet unter einer Osteoporoseerkankung mit Gelenk- und Wirbelsäulenschmerzen sowie generalisierten Knochenschmerzen (Befundbericht Dr. W/D vom 19. Juni 2002). Unter Versorgung mit Calcium und Vitamin D sowie einer Fluoridtherapie sind die Befunde stabil geblieben, Frakturen nicht neu aufgetreten (Arztbrief Prof. Dr. M vom 6. März 2002). Angesichts dieser Befunde ist nichts dafür ersichtlich, der Klägerin derzeit wiederholtes Funktionstraining als ergänzende Leistung zur Rehabilitation zu bewilligen. Über die Fertigkeiten in den Bewegungsabläufen, die sie in die Lage zur selbständigen Durchführung des Funktionstrainings versetzen, muss die Klägerin, die bereits seit 1995 Funktionstraining durchführt, mittlerweile verfügen. Der vorliegende Befund ergibt keinen Anhalt und keine Rechtfertigung für eine fehlende Selbständigkeit. Dementsprechend hat auch der behandelnde Facharzt für Orthopädie angegeben, dass gezeigte Übungen von der Klägerin durchaus in Eigenregie ausgeübt werden können (Befundbericht Dr. W/D vom

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19. Juni 2002). Aus der stationären Rehabilitationsmaßnahme im November 1995/Januar 1996 wurde die Klägerin u. a. mit dem Therapievorschlag: "eigenständige Fortsetzung der erlernten krankengymnastischen

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Die wiederholte Gewährung von Funktionstraining in den vergangenen Jahren verpflichtet die Beklagte nicht zur erneuten Wiederholung. Die Notwendigkeit von Funktionstraining kann für längstens sechs Monate bescheinigt und damit bewilligt werden (§ 14 Abs. 3 der Gesamtvereinbarung). Über die Notwendigkeit einer Wiederholung ist aufgrund einer Folgebescheinigung unter Beachtung der Leistungsvoraussetzungen erneut zu entscheiden. Eine Bindung einer Krankenkasse an eine vorherige - möglicherweise rechtswidrige -Bewilligungspraxis besteht nicht.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

23

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGG ausgeschlossenen Berufung lag nicht vor.