Sozialgericht Hannover
Urt. v. 21.01.2003, Az.: S 2 KR 649/02

Bibliographie

Gericht
SG Hannover
Datum
21.01.2003
Aktenzeichen
S 2 KR 649/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 40046
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGHANNO:2003:0121.S2KR649.02.0A

In dem Rechtsstreit

...

gegen

Deutsche Angestellten-Krankenkasse,

vertreten durch den Vorstand,

Nagelsweg 27-35, 20097 Hamburg,

Die 2 Kammer des Sozialgerichts Hannover

hat am 21 Januar 2003

durch ...

nach mündlicher Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich mit der Klage gegen die zeitliche Befristung der Befreiung von Zuzahlung bei Dauerbehandlung.

2

Im Januar 2001 stellte die Klägerin unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über die Dauerbehandlung wegen multipler Sklerose, eosinophile Vaskulitis und Kachexie, von Dr. W vom 08. Januar 2001 sowie einer Auflistung von Zuzahlungen im Jahre 2000 einen Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen für chronisch Kranke.

3

Mit Bescheid vom 19. Januar 2001 bewilligte die Beklagte die Befreiung von Zuzahlungen bei Dauerbehandlungen für den Zeitraum vom 01. Januar 2001 bis 31. Dezember 2001. Der dagegen im Hinblick auf die zeitliche Befristung eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. August 2002).

4

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 18. August 2002 bei dem Sozialgericht Hannover eingegangenen Klage. Mit einer Besserung der Erkrankung könne nicht gerechnet werden. Die Befreiung müsse für die Dauer der Behandlung gewährt werden. Eine zeitliche Befristung sei im Gesetz nicht vorgesehen.

5

Während des Rechtsstreits bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 09. Oktober 2002 die Befreiung von Zuzahlungen bei Dauerbehandlung für den Zeitraum vom 01. Januar 2003 bis 31. Dezember 2004.

6

Die Klägerin beantragt,

1. den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09. Oktober 2002 abzuändern,

7

2. die Beklagte zu verurteilen, die Befreiung von Zuzahlungen bei Dauerbehandlung ohne zeitliche Befristung zu gewähren.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie beruft sich im wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der die Klägerin betreffende beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid vom 19. Januar 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2002 und der Bescheid vom 09. Oktober 2002, der gem. § 96 SGG Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden ist, ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Befreiung von Zuzahlungen bei Dauerbehandlung ohne die angegriffene zeitliche Befristung.

12

Gem. § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse die dem Versicherten während eines Kalenderjahres entstehenden notwendigen Fahrkosten und Zuzahlungen von Arznei-, Verband- und Heilmitteln zu übernehmen, soweit sie die Belastungsgrenze übersteigen. Nach § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V beträgt die Belastungsgrenze zwei von Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt; für Versicherte, die wegen derselben Krankheit in Dauerbehandlung sind und ein Jahr lang Zuzahlungen i. H. v. mindestens eins vom Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt geleistet haben, entfallen die in Satz 1 genannten Zuzahlungen nach Ablauf des ersten Jahres für die weitere Dauer dieser Behandlung, deren weitere Dauer der Krankenkasse jeweils spätestens vor Ablauf des zweiten Kalenderjahres nachzuweisen und vom medizinischen Dienst der Krankenversicherung soweit erforderlich zu prüfen ist. Die Beklagte hat die Klägerin gem. § 62 Abs. 1 SGB V wegen Dauerbehandlung von Zuzahlungen befreit, wobei zwischen den Beteiligten allein streitig ist, ob diese Befreiung mit einer Befristung versehen werden durfte. Dies ist jedoch der Fall, da es sich hierbei um eine zulässige Nebenbestimmung i. S. v. § 32 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB X handelt.

13

Eine Nebenbestimmung ist jeder Zusatz zur Hauptregelung, der diese in zeitlicher Hinsicht beschränkt (vgl. Krassney, in: Kasseler Kommentar, § 32, Rd.-Nr. 2). Vorliegend hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Hauptregelung (Befreiung von Zuzahlungen bei Dauerbehandlung) jeweils in zeitlicher Hinsicht (für einen Zweijahres-Zeitraum) beschränkt. Damit hat sie mit der Befristung eine Nebenbestimmung getroffen.

14

Diese Befristung stellt eine zulässige Nebenbestimmung i. S. v. § 32 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative SGB X dar. Gem. § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Es handelt sich um einen Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht. Das ergibt sich aus dem Wortlaut von § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, so muss die Befreiung gewährt werden, weil die Versicherten darauf einen Rechtsanspruch haben (Abs. 1 Satz 1 "hat"). Zwar ergibt sich aus der Regelung des § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB V entgegen der Ansicht der Beklagten nicht bereits, dass der Wegfall der Zuzahlungspflicht auf maximal zwei Kalenderjahre zwingend zu begrenzen ist. Eine solche Befristung ist jedoch nach § 32 Abs. 1 2. Alternative SGB X zulässig. Da diese Nebenbestimmung die Einhaltung der in § 62 Abs. 1 Satz 2 SGB X gesetzlich vorgesehenen Überprüfung der weiteren Dauer der Behandlung spätestens vor Ablauf des zweiten Kalenderjahres sicherstellen soll. Die Vorschrift des § 32 Abs. 1 SGB X darf von der Verwaltung nicht dazu "missbraucht" werden, ihre Pflicht zur Amtsermittlung zu vernachlässigen, die grundsätzlich gem. § 20 Abs. 1 SGB X besteht, aber vorliegend stellt die Bestimmung in § 62 Abs. 1 Satz 2, wonach die weitere Dauer der Behandlung der Krankenkasse jeweils spätestens vor Ablauf des zweiten Kalenderjahres nachzuweisen ist, eine Mitwirkungspflicht i. S. v. § 60 SGB 1 dar. Somit ist in der vorliegenden Nebenbestimmung keine Umgehung der Amtsermittlungspflicht zu sehen.

15

Der Klägerin ist insoweit zuzustimmen, als dass neben dem weiteren Vorliegen der Dauererkrankung/-behandlung, die nach § 62 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB V spätestens jeweils vor Ablauf des zweiten Kalenderjahres nachzuweisen ist und deren Vorliegen ggf. nach Auftrag durch den MDK überprüft wird, weitere Voraussetzungen zur teilweisen Befreiung gem. § 62 SGB V nicht vorliegen bzw. überprüft werden müssen. Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen wurden bereits mit Erteilung des Bescheides vom 19. Januar 2001 durch die Beklagte geprüft und bejaht. Haben Versicherte ein Jahr lang Zuzahlungen von mindestens eins vom Hundert der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt geleistet, so entfallen nach Ablauf dieses Jahres die Zuzahlungen für die weitere Dauer der Behandlung ganz, d. h. auch die Belastungsgrenze entfällt für die weitere Dauer der Behandlung. Aber eben wegen dieser Voraussetzung (Nachweis der weiteren Dauer der Behandlung spätestens vor Ablauf des zweiten Kalenderjahres) durfte die Beklagte die Verwaltungsakte mit der strittigen Nebenbestimmung versehen. Denn die in § 32 Abs. 1 2. Alternative SGB X verankerte Sicherstellungsfunktion erstreckt sich auch auf den Fortbestand der gesetzlichen Voraussetzungen von Verwaltungsakten, deren Voraussetzungen einem häufigen Wechsel der Verhältnisse unterliegen (vgl. Schröder-Prinzen, § 32, Rd.-Nr. 8). So ist es hier. Insoweit trägt § 62 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz SGB V dem Wechsel in den Verhältnissen bereits dadurch Rechnung, dass die weitere Dauer der Behandlung nachzuweisen ist. Die Beklagte ist unter diesem Gesichtspunkt zu einer Befristung berechtigt. Eine Ausnahme von einer diesbezüglichen Überprüfung sieht das Gesetz auch nicht in den Fällen vor, in denen mit einer Besserung des Krankheitsbildes nicht gerechnet werden kann, so dass auch dieser Vortrag der Klägerin der Zulässigkeit der Nebenstimmung nicht entgegensteht.

16

Die Klage war daher abzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht.