Sozialgericht Hannover
v. 03.12.2003, Az.: S 29 P 10/01
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 03.12.2003
- Aktenzeichen
- S 29 P 10/01
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2003, 40036
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2003:1203.S29P10.01.0A
In dem Rechtsstreit
...
Die 29. Kammer des Sozialgerichts Hannover
hat am 03. Dezember 2003 durch ihre Vorsitzende,
Richterin am Sozialgericht Cordes,
gemäß § 105 SGG für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Der Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001 wird aufgehoben.
- 2.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 3.
Die Beklagte hat die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zuerkennung von Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe I.
Die Klägerin, Jahrgang 1942, leidet u.a. unter Einschränkungen des Bewegungsapparates, vorwiegend des Rückens, der Beine und der Hände. Sie stellte am 20. August 1999 einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte holte das MDK-Gutachten vom 24. Januar 2000 ein, worin der tägliche grundpflegerische Hilfebedarf mit 19 Minuten eingeschätzt und das Vorliegen einer Pflegestufe verneint wurde. Mit Schreiben vom 28. Januar 2000 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrages an. Die Klägerin hielt ihr Begehren aufrecht und teilte mit, dass der MDK ihrer Meinung nach nur eine sehr oberflächliche Prüfung vorgenommen habe; tatsächlich bestehe ein wesentlich höherer Pflegeaufwand. Dieser betrage in der Grundpflege circa 60 Minuten täglich. Die Beklagte holte daraufhin das MDK-Gutachten vom 01. August 2000 ein, in dem der tägliche grundpflegerische Hilfebedarf der Klägerin mit 24 Minuten beziffert wurde. Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2001 wies die Beklagte die Einwände der Klägerin zurück.
Mit der am 07. Februar 2001 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter. Sie ist der Ansicht, dass beide Gutachten des MDK nicht zutreffend seien; im übrigen habe sich ihr Gesundheitszustand während der gesamten Dauer des Verwaltungsverfahrens stark verschlechtert; der Pflegeaufwand habe noch zugenommen. So werde allein für die Körperpflege ein Hilfeaufwand von mehr als 50 Minuten täglich benötigt. Im übrigen bestünde bereits seit 1982 eine Schwerbehinderung zu 70 % mit Merkzeichen "G"; seit 1996 sei die Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 24. Januar 2001 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe I ab 20. August 1999 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die im Verwaltungsverfahren ergangenen Bescheide und ist der Ansicht, dass die Klägerin die Mindestvoraussetzungen für die Zuerkennung von Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe I nicht erfülle.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung der Befundberichte des Allgemeinmediziners Dr. B.... vom 27. September 2001 und 18. August 2003, des Allgemeinmediziners Herrn M.... vom 02. Oktober 2001, des Orthopäden Dr. F.... vom 08. Oktober 2001 sowie des Orthopäden Herrn R.... vom 26. Oktober 2001. Das Gericht hat ferner das in dem Rechtsstreit der Klägerin gegen die BfA Berlin (Az. L 1 RA 99/98) erstellte Gutachten des Dr. A.... vom 18. Mai 2000 beigezogen und das gerichtliche Sachverständigengutachten der Frau S.... vom 28. Juli 2002 eingeholt. Nachdem die Klägerin die Termine zur mündlichen Verhandlung am 25. Oktober 2002 und 10. Oktober 2003 aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig nicht wahrnehmen konnte und die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. Oktober 2003 mitteilt hat, dass die Klägerin bereits seit dem 01. März 2001 nicht mehr bei der Beklagten versichert sei, sind die Beteiligten gem. § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte gem. § 105 Abs. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Dies erscheint insbesondere der Fall, weil die Klägerin seit dem 01. März 2001 nicht mehr bei der Beklagten versichert ist, so dass aktuelle gesundheitliche Entwicklungen mit einem gegebenenfalls daraus resultierenden erhöhten Hilfebedarf außer Acht zu lassen sind.
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Der angefochtene Widerspruchsbescheid erweist sich als rechtswidrig; ein Anspruch der Klägerin auf die Zuerkennung von Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe I besteht hingegen nicht.
Die Entscheidung der Widerspruchsstelle vom 24. Januar 2001 entbehrt mangels vorausgegangenen Verwaltungsakt einer wirksamen Entscheidungsgrundlage. Die zuständige Widerspruchsstelle hat die Ausgangsentscheidung auf Recht- und Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Das heißt, dass die Widerspruchsstelle auf die Überprüfung des Streitgegenstandes festgelegt ist, über den im Ausgangsverwaltungsakt entschieden ist. Hier hat die Beklagte die Klägerin zwar mit Schreiben vom 28. Januar 2000 zur beabsichtigten Ablehnung ihres Antrages angehört, ein entsprechender Ablehnungsbescheid ist hingegen nicht ergangen. Damit ist die Bescheidung des Widerspruchs sozusagen im "luftleeren Raum" erfolgt und ist aufzuheben.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Zuerkennung von Leistungen nach Maßgabe der Pflegestufe I ist § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Elftes Buch, Pflegeversicherung (SGB XI). Danach sind Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürftige) Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen.
Einen täglichen grundpflegerischen Hilfebedarf in Höhe von mindestens 46 Minuten hält das Gericht nicht für nachgewiesen. Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des MDK vom 24. Januar 2000 und 01. August 2000 haben nachvollziehbar und überzeugend einen täglichen grundpflegerischen Hilfebedarf in Höhe von 19 bzw. 24 Minuten festgestellt. Der behandelnde Orthopäde Dr. F.... verneint in seinem Befundbericht vom 08. Oktober 2001 unter dem Eindruck der letztmaligen Behandlung am 22. Oktober 1999 jeglichen grundpflegerischen Hilfebedarf. Die vom Gericht bestellte Sachverständige Frau S.... kommt aufgrund eines Hausbesuches am 15. Juli 2002 zu einer Bestätigung der im Verwaltungsverfahren erstellten MDK-Gutachten. Sie beschreibt die im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten des MDK als ausführlich und ist der Ansicht, dass dass der dort dargestellte tägliche Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege mit 23 Minuten zum Untersuchungszeitpunkt im wesentlichen unverändert ist. So schildert Frau S.... einen täglichen Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege bei der Teilwäsche des Ober- und Unterkörpers in Höhe von jeweils 1 Minute, beim Duschen in Höhe von 10 Minuten, bei der Zahnpflege in Höhe von 1 Minute und beim Richten der Bekleidung in Höhe von 1 Minute. Für den Bereich der Ernährung ergibt sich ein Hilfebedarf für die mundgerechte Nahrungszubereitung in Höhe von 4 Minuten täglich; im Bereich der Mobilität wird ein Hilfebedarf beim An- und Entkleiden in Höhe von insgesamt 4 Minuten sowie beim Stehen in Höhe von 1 Minute festgestellt. Im Gegensatz zu diesen gutachterlichen Feststellungen ist der Vortrag der Klägerin aus der Klageschrift, allein für die Hilfestellungen bei der Körperpflege brauche ihr Ehemann aktuell täglich mehr als 50 Minuten, nicht nachvollziehbar. Auch insoweit wird auf das Gutachten der Frau S.... verwiesen, für die ein derartiger Hilfebedarf aus unabhängiger pflegerischen Sicht, nach Durchsicht der Arztberichte und auch nach den Angaben der Klägerin vor Ort nicht ersichtlich ist. Auch kann der Vortrag der Klägerin, sie sei bereits seit März 1996 erwerbsunfähig und sei zu 70 % schwerbehindert, zu keiner anderen Bewertung führen. Die Einschätzung im Bereich der Pflegeversicherung ist von den Feststellungen der Rentenversicherungsträger und der Versorgungsämter unabhängig und nach eigenen Kriterien vorzunehmen. Soweit die Klägerin aktuell mit Schriftsatz vom 18. November 2003 einen deutlich über den Feststellungen der Sachverständigen liegenden Hilfebedarf darstellt, kann diese mögliche aktuelle Entwicklung im vorliegenden Klageverfahren außer Acht gelassen werden. Gem. § 35 SGB XI erlischt der Anspruch auf Leistungen mit dem Ende der Mitgliedschaft, soweit in diesem Buch nichts anderes bestimmt ist. So verhält es sich hier. Die Klägerin ist bereits seit dem 01. März 2001 nicht mehr bei der Beklagten versichert, sondern war zunächst bis 30. November 2002 Mitglied bei der BKK F.... und ist im Anschluss daran zur BKK G.... gewechselt. Die Einbeziehung etwaiger Ansprüche gegen diese Pflegekassen gem. § 99 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hält das Gericht nicht für sachdienlich, da die Ansprüche gegen die Beklagte mit Ende der Versicherungszeit am 01. März 2001 beendet sind und sich das Gericht von der Einbeziehung eventuell laufender Streitigkeiten mit den anderen Pflegeversicherungsträgern keinen prozessökonomischen Vorteil verspricht. Der Klägerin ist es unbenommen, ggf. bestehende Streitigkeiten in einem gesonderten Prozess zu verfolgen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.