Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.01.2000, Az.: 14 K 635/97 Ki
Aufnahme des Kindes in den Haushalt der Pflegeperson bei tatsächlicher Übernahme der Betreuung als Beitrag zum Kindesunterhalt
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 13.01.2000
- Aktenzeichen
- 14 K 635/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 35716
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0113.14K635.97KI.0A
Rechtsgrundlagen
- EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein nicht unwesentlicher Beitrag zum Kindesunterhalt iSv. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist zu bejahen, wenn das Kind im Haushalt des Stpfl. lebt und von diesem zumindest teilweise betreut wird.
- 2.
Bei Pflegeeltern gilt etwas anderes nur dann, wenn diese ein erheblich über den eigentlichen Unterhaltskosten des Kindes liegendes Entgelt erhalten und sie für die Unterbringung und ihre Betreuungsdienste nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten entlohnt werden.
- 3.
Von einer marktwirtschaftlichen Entlohnung kann nicht gesprochen werden, wenn der Stpfl. selbst in nicht unerheblichem Umfang Aufwendungen erbringt und damit nicht unwesentlich zum Unterhalt der Pflegekinder beiträgt. Allein entscheidend ist der tatsächlich vom Stpfl. selbst erbrachte Unterhaltsbeitrag.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für zwei Pflegekinder.
Der Kläger und seine Ehefrau haben die beiden Kinder P..., geb. ... . Juli 1981, und S... , geb. ... . Juli 1987, deren Eltern verstorben sind, ab ... . November 1996 in ihren Haushalt aufgenommen. Den Antrag auf Kindergeld vom 20. Dezember 1996 lehnte die - damals zuständige - Bezirksregierung H... mit der Begründung ab, der Kläger unterhalte die Kinder nicht mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten. Das den beiden Kindern gewährte Waisengeld übersteige die maßgebenden Pflegegeldsätze, so dass ein Anspruch auf Pflegegeld nicht bestehe. Es stünden dem Kläger genügend Mittel für den Unterhalt einschließlich der Erziehung der Kinder zur Verfügung. Der Einspruch blieb erfolglos. Zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung führte die Bezirksregierung H... aus: Die Voraussetzung des nicht unwesentlichen Unterhaltsbeitrages werde als erfüllt angesehen, wenn das Pflegegeld, das der Pflegeperson für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes zur Verfügung steht, insgesamt den in Betracht kommenden Pflegegeldsatz des zuständigen Jugendamtes nicht übersteige. Dabei würden die eigenen Einkünfte des Kindes und zur Bestreitung des Unterhalts bestimmte oder geeignete Bezüge des Kindes (z.B. Vollwaisengeld) zur Minderung der Unterhaltsleistung der Pflegeperson herangezogen und auch bei der Bemessung des Pflegegeldes berücksichtigt. Da die notwendigen Unterhaltskosten der Kinder durch die Zahlung des Vollwaisengeldes erfüllt würden, könnten die darüber hinausgehenden Leistungen des Klägers nicht mehr berücksichtigt werden.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trägt der Kläger vor, er und seine Ehefrau, die Stiefschwester der beiden Kinder, hätten die im November 1996 zu Vollwaisen gewordenen Kinder in ihren Haushalt aufgenommen, wo sie seither wohnen, versorgt und betreut werden. Die Tatsache, dass der Kläger kein Pflegegeld für die beiden Kinder erhalte, könne nicht zum Wegfall der Kindergeldberechtigung führen. Es wäre widersinnig, wenn jemand, der Pflegegeld erhalte, auch gleichzeitig einen Anspruch auf Kindergeld habe, jemand aber, der kein Pflegegeld erhalte, etwa weil die Kinder Waisenrente erhielten, kein Kindergeld beanspruchen könne. Das würde dazu führen, dass in diesen Fällen auch Kinder i.S.d. § 32 Abs. 1 EStG wie volljährige Kinder nach Abs. 4 Satz 2 EStG behandelt würden und bei Einkünften, die einen Jahresbetrag von 12.000,00 DM übersteigen, keinen Kindergeldanspruch hätten. Bei der von den Kindern bezogenen Vollwaisenrente handele es sich nicht um Einkünfte des Klägers als Vormund, sondern um Einkünfte der Kinder, die nach dem Gesetzeszweck des § 32 EStG bei minderjährigen Kindern nicht zu berücksichtigen seien.
Der Kläger verwende die Waisenrente zum Teil für den Unterhalt der Kinder (Kleidung, Verpflegung etc.), zum Teil werde das Geld angelegt. Hinzu komme, dass er die Kinder tatsächlich zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhalte. Er gewähre den Kindern Wohnraum und habe zu diesem Zweck sogar das Haus entsprechend umgebaut, damit beide Kinder ein eigenes Zimmer hätten. Den Betrag für mietfreies Wohnen schätze er auf 200,00 DM monatlich pro Kind. Er zahle sämtliche Verbrauchskosten und kaufe Lebensmittel für die Kinder ein. Desweiteren entstünden Fahrtkosten (Fahrten zum Training und Sport) in Höhe von rd. 50,00 DM pro Kind monatlich. Außerdem werde ein größeres Auto benötigt (Kombi). Es werde ein Schuppen für die Sachen der Kinder erstellt (Kosten: 3.000,00 DM). An Weihnachts- und Geburtstagsgeschenken fielen weitere 1.000,00 DM pro Kind an. Es entstünden Mehrkosten für höhere Versicherungsbeiträge und Vereinsbeiträge in Höhe von rd. monatlich 50,00 DM pro Kind. Diese Zuwendungen machten mindestens 25 % der gesamten Unterhaltskosten der beiden Kinder aus.
Den Kindern P... und S... werde vom Arbeitsamt N... gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) Kindergeld ab Dezember 1996 gezahlt, nachdem der Kläger in dem Verfahren beim Arbeitsamt N geltend gemacht habe, dass er kein Kindergeld für die Kinder erhalte. Dies ändere aber nichts daran, dass der Kläger einen eigenen Anspruch auf Kindergeld habe.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom ... . April 1997 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom ... . September 1997 den Beklagten zu verpflichten, Kindergeld in gesetzlicher Höhe für S... ab Dezember 1996 und für P... für den Zeitraum Dezember 1996 bis 08. Juli 1999 zu zahlen,
hilfsweise festzustellen, dass der Kläger berechtigt war bzw. ist, für P... in dem Zeitraum von Dezember 1996 bis 08. Juli 1999 sowie für S... ab Dezember 1996 Kindergeld zu beziehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im Einspruchsbescheid und trägt ergänzend vor: Der Berechnungsmodus, der zur Versagung des Kindergeldes geführt habe, sehe folgendermaßen aus:
Pflegegeld nach den Richtlinien des Landkreises D... für P... | 956,00 DM |
---|---|
./. Waisengeld | 756,73 DM |
./. Grundrente | 352,00 DM |
./. 1/12 Sonderzuwendung zum Waisengeld | 59,90 DM |
./. Rente der BfA | 151,84 DM |
Pflegegeld übersteigender Betrag | 364,47 DM |
Pflegegeld nach den Richtlinien des Landkreises D... für S... | 690,00 DM |
./. Waisengeld | 756,73 DM |
./. Grundrente | 352,00 DM |
./. 1/12 Sonderzuwendung zum Waisengeld | 59,90 DM |
./. Rente der BfA | 151,84 DM |
Pflegegeld übersteigender Betrag | 630,47 DM |
Jedes Kind habe ein monatliches Einkommen von 1.320,47 DM. Unter Zugrundelegung eines gehobenen Einkommens hätten die Kinder einen Unterhaltsbedarf von 875,00 DM (P...) bzw. 740,00 DM (S...) ohne Betreuungsleistungen (gemäß Düsseldorfer Tabelle, Gruppe 8). Die jeweilige Differenz zum Einkommen der Kinder in Höhe von 445,47 DM bzw. 580,47 DM decke die Betreuungsleistungen des Klägers hinreichend ab, so dass ein nicht unwesentlicher Unterhaltsbeitrag des Klägers nicht erkennbar sei.
Die Bezüge der Kinder seien so hoch, dass davon auch die vom Kläger genannten Aufwendungen bezahlt werden könnten. Wenn der Kläger auf einen finanziellen Ausgleich verzichte, könne diese Entscheidung nicht dazu führen, dass ihm Kindergeld zu gewähren sei.
Im übrigen sei die Klage auch deshalb abzuweisen, weil den Kindern Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz gezahlt werde. Es sei keine Rechtsgrundlage zu erkennen, den Kindern dass Kindergeld rückwirkend zu entziehen.
Der Senat hat die Vormundschaftsakten des Amtsgerichts S... und ... beigezogen.
Gründe
Die Klage hat Erfolg.
Der Kläger hat in dem aus dem Tenor ersichtlichem Umfang Anspruch auf Kindergeld für die Pflegekinder S... und P... .
1. Gemäß § 62 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) besteht unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift Anspruch auf Kindergeld für Kinder i.S.d. § 63 EStG . Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG werden als Kinder berücksichtigt Kinder i.S.d. § 32 Abs. 1 EStG . Dazu gehören nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG Pflegekinder. Pflegekinder sind Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinem Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält ( § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG).
a) Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit darüber, dass die beiden in den Haushalt des Klägers aufgenommenen Vollwaisen S... und P... durch ein familienähnliches auf Dauer berechnetes Band mit dem Kläger und seiner Ehefrau verbunden sind.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Kläger die beiden Kinder auch nicht unwesentlich auf seine Kosten unterhalten.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil vom 12. Juni 1991 III R 108/89, BStBl. II 1992, 20), der sich der erkennende Senat anschließt, kann im Regelfall von einem nicht unwesentlichen Beitrag zum Kindesunterhalt i.S.d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ausgegangen werden, wenn das Kind im Haushalt des Steuerpflichtigen lebt und von diesem zumindest teilweise betreut wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Pflegeeltern ein erheblich über den eigentlichen Unterhaltskosten des Kindes liegendes Entgelt erhalten würden und sie für die Unterbringung und ihre Betreuungsdienste nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten entlohnt würden. Im Streitfall bestehen hierfür keine Anhaltspunkte.
Ausweislich der sich in den Vormundschaftsakten des Amtsgerichts S... befindlichen Rechnungslegungen hat der Kläger zwar einen Teil der Rentenbezüge der Kinder als Haushalts-/Wirtschaftsgeld verwendet (650,00 DM bzw. 750,00 DM monatlich pro Kind). Hierneben wurden weitere Beträge für Kleidung, Taschengeld, Urlaub und sonstiges den Kindern zur Verfügung gestellt. Im einzelnen wird auf die sich in den beigezogenen Akten des Amtsgerichts Sulingen befindlichen Abrechnungen (Bl. 57 bis 61 der Akte ..., Bl. 73 bis 74, 76 bis 81, 112 bis 118 der Akte ...) Bezug genommen. Eine Entlohnung nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten für Unterbringung und Betreuung kann hierin jedoch nicht gesehen werden.
Vielmehr hat der Kläger nach seinen Angaben - denen der Beklagte nicht entgegengetreten ist - weitere Aufwendungen in nicht unerheblichem Umfang selbst getragen. So gewährte bzw. gewährt er den Kindern unentgeltlich Wohnraum. Damit jedes Kind ein eigenes Zimmer bewohnen kann, musste er sein Haus umbauen. Hinzu kommt die Übernahme sämtlicher Verbrauchskosten. Zur Unterbringung von Moped, Fahrrädern, Inliner, Hockeyschlägern o.ä. bedurfte es des Baus eines Schuppens, dessen Kosten sich auf rd. 3.000,00 DM beliefen. Hierneben fielen Fahrtkosten zu Sportveranstaltungen an, die der Kläger auf rd. 50,00 DM monatlich pro Kind schätzt. Dass die Anschaffung eines größeren Autos (Kombi) notwendig war, ist ebenso nachvollziehbar, wie die erhöhten Beiträge zur Haftpflicht- und Hausratsversicherung.
Damit hat der Kläger neben den von den Kindern selbst zur Verfügung gestellten Beträgen Aufwendungen in nicht unerheblichem Umfang erbracht und damit nicht unwesentlich zum Unterhalt der Kinder beigetragen. Nicht entscheidend ist, dass die vom Kläger übernommenen Kosten von den Bezügen der Kinder hätten bezahlt werden können. Denn es kommt auf den tatsächlich vom Kläger erbrachten Unterhaltsbeitrag an.
2. Dass den Kindern gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 BKGG seit Dezember 1996 Kindergeld gezahlt wird, ist im vorliegenden Fall unerheblich. Ob den Kindern weiterhin das Kindergeld gezahlt wird bzw. ob das bereits gezahlte Kindergeld zurückzufordern ist, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Hierüber wird das für die Kinder zuständige Arbeitsamt Nürnberg gesondert zu befinden haben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) . Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 i.V.m. §§ 710, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
4. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen, weil die Entscheidung von der Dienstanweisung der Verwaltung abweicht (DA -Fam EStG - 63.2.2.5 BStBl. I 1996, 741 ; BStBl. I 1998, 408). Insoweit kommt der Rechtssache daher grundsätzliche Bedeutung zu.