Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.01.2000, Az.: 5 K 611/95

Anforderungen an die Umsatzsteuerbefreiung eines Pflegeheimes gemäß § 4 Nr. 16 Buchstabe d UStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.01.2000
Aktenzeichen
5 K 611/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 35717
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0113.5K611.95.0A

Fundstellen

  • DStRE 2000, 718-719 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB DokSt 2001, 130
  • UStB 2000, 164

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Der Begriff des Pflegeheims i.S.v. § 4 Nr. 16 d UStG knüpft an das HeimG an. Dieses gilt für solche Heime, die pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen.

  2. 2.

    Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens der Hilfe bedürfen.

  3. 3.

    Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer bestehen, dh. voraussichtlich für mindestens 6 Monate oder mehr.

  4. 4.

    Danach kann auch eine gemeinnützige Einrichtung, die sich satzungsgemäß der Jugendhilfe, der Erwachsenensozialberatung, der Altenhilfe etc. widmet und entsprechende pflegerische Leistungen erbringt, als Pflegeheim, das gemäß § 4 Nr. 16 d UStG von der Umsatzsteuer befreit ist, in Betracht kommen.

Tatbestand

1

Der Kläger ist vom Finanzamt als gemeinnützige Einrichtung anerkannt und widmet sich seiner Satzung zufolge der Jugendhilfe, der Erwachsenensozialberatung, der Früherkennung und Frühberatung, der Elternschule, der Erziehungsberatung, dem psychosozialen Dienst, der Schwangerschaftsberatung, der Suchtkrankenhilfe, der Behindertenhilfe, der Altenhilfe und der Straffälligenhilfe. Einem Verband der freien Wohlfahrtspflege gehört der Kläger nicht an. Er erhielt vom Landessozialamt Niedersachsen die Erlaubnis zum Betrieb einer einem Altenheim gleichartigen Einrichtung, die er in der Rechtsform eines e.V. betreibt und in der er geistig, seelisch und mehrfach behinderte Erwachsene betreut. Im Hinblick auf den Inhalt der Erlaubnis wird auf deren zu den Steuerakten gelangten Text Bezug genommen.

2

Es handelt sich bei den Betreuten um Personen, die in ihren psychomotorischen Fähigkeiten, ihrem Sprachvermögen und/oder ihren Seh- und Hörfähigkeiten eingeschränkt sind. Ein Großteil der Leistungen des Klägers besteht in der Hilfe bei praktischen Alltagstätigkeiten wie Zahn- und Körperpflege, An- und Auskleiden, Einnahme von Mahlzeiten und Toilettengang. Durch die ständig wiederkehrenden Unterweisungen und Schulungen des Klägers ist ein Teil der Betreuten nach einigen Jahren in der Lage, ihre Körperpflege und die Zimmerpflege selbständig zu bewältigen.

3

Dabei handelte es sich im Streitjahr um 19 Personen, die in 2 Außenwohngruppen in 5 Wohnungen untergebracht waren. Die übrigen 39 vom Kläger betreuten Behinderten waren in 3 sog. Kleinstheimen aufgenommen. Von den 58 Betreuten fielen 14 Personen unter die Pflegesatzstufen 1 oder 2 (9 in Pflegesatzstufe 1, 5 in Pflegesatzstufe 2). Für weitere 24 Behinderte war die Aufnahme in eine Pflegesatzstufe beantragt. Die betreuten Personen gehören zu mindestens 2/3 dem in § 53 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) genannten Personenkreis an. Mit Ausnahme eines Selbstzahlers werden die Leistungen für alle vom Kläger betreuten Personen vom überörtlichen Träger der Sozialhilfe, dem Land Niedersachsen, bezahlt.

4

Neben den Heimen und den Außenwohngruppen unterhielt der Kläger ein Cafe und eine Tischlerei als sog. Zweckbetriebe. In dem Cafe und der Tischlerei wurden die beim Kläger untergebrachten Behinderten unter dessen Anleitung und Aufsicht tätig, um die von ihnen erworbenen Fähigkeiten zu festigen und fortzuentwickeln. Über die im Rahmen des Betriebes des Cafes und der Tischlerei Dritten gegenüber erbrachten Leistungen stellte der Kläger Rechnungen aus, in denen er den Regelsteuersatz gesondert auswies.

5

Im Streitjahr beschäftigte der Kläger 26 Vollzeitkräfte, die unmittelbar im Gruppendienst bei der Betreuung der Behinderten eingesetzt wurden. Hierbei handelte es sich um

6

1 Psychologin,

7

4 Sozialarbeiter,

8

4 Heilerziehungspfleger,

9

4 Pädagogen,

10

3 Mitarbeiter mit Pflegerausbildung,

11

3 pädagogische Hilfskräfte,

12

4 Funktionskräfte für den hauswirtschaftlichen Bereich,

13

3 Nachtbereitschaftskräfte.

14

Da der Kläger keine Jahressteuererklärung abgab schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Umsatzsteuer auf ./. 1. 000 DM fest. Hierbei ging er von Umsätzen in Höhe von 50. 000 DM (7. 000 DM Umsatzsteuer) und Vorsteuern in Höhe von 8. 000 DM aus.

15

Hiergegen richtet sich nunmehr die Klage, mit der der Kläger die Steuerbefreiung seiner Umsätze begehrt, soweit sie nicht durch das Cafe oder die Tischlerei erzielt worden sind. Er vertritt die Ansicht, seine Umsätze seien von der Umsatzsteuer befreit, weil es sich bei der von ihm betriebenen Einrichtung um ein Pflegeheim im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst d Umsatzsteuergesetz (U StG) handle. Zwar sei ihm vom Landessozialamt die Erlaubnis für eine einem Altenheim ähnliche Einrichtung erteilt worden. Tatsächlich aber betreibe er ein Pflegeheim. § 1 Heimgesetz (HeimG) enthalte zwar keine Legaldefinition des Pflegeheimes. Aus den Verwaltungsvorschriften zu dieser Norm aber gehe hervor, dass es sich dabei um eine Einrichtung handle, in der volljährige Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung pflegebedürftig sind, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Pflege erhielten. Diese Voraussetzung werde durch das von ihm, dem Kläger, betriebene Heim erfüllt. Eine Erlaubnis sei nicht tatbestandliche Voraussetzung der Befreiungsnorm.

16

Die von ihm im Rahmen des Heimbetriebes erbrachten Leistungen seien auch zu 2/3 den in § 68 Abs. 1 BSHG oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugute gekommen. Nach § 68 Abs. 1 BSHG seien pflegebedürftig Personen, die infolge Krankheit oder Behinderung so hilflos seien, dass sie nicht ohne Wartung und Pflege bleiben könnten. Hierzu zählten nach Verwaltungsauffassung alle Heimbewohner, die nach den Pflegesatzrichtlinien der Länder unter die zweite oder unter eine höhere Pflegesatzstufe fielen oder die wegen ihrer Pflegebedürftigkeit Zuschläge zum üblichen Tagessatz zahlen müssten. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die von ihm betreuten Behinderten erhielten überwiegend eine Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG, die als umfangreichere Hilfeart die Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG umfasse. Der Gesetzeszweck des § 4 Nr. 16 Buchst d UStG , die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten, gebiete die Steuerbefreiung auch für Einrichtungen, die Personen betreuten, die über die Hilfe zur Pflege nach § 68 BSHG hinaus Eingliederungshilfe nach § 39 BSHG erhielten.

17

Die Steuerbefreiung sei außerdem nach Art. 3 Grundgesetz (GG) geboten. Ein und dieselbe Leistung, die von denselben Kostenträgern vergütet werde, dürfe umsatzsteuerlich nicht unterschiedlich behandelt werden. Die Leistungen von Mitgliedern der freien Wohlfahrtsverbände würden die gleichen Leistungen wie er, der Kläger, erbringen, wobei die Kosten ebenfalls durch die überörtlichen Träger der Sozialhilfe übernommen würden. Daher sei eine umsatzsteuerliche Gleichbehandlung zwingend geboten.

18

Der Kläger beantragt,

  1. die Umsatzsteuer 1992 auf minus 2.926,00 DM herabzusetzen.

19

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

20

Er vertritt die Auffassung, die vom Kläger erbrachten Leistungen seien nicht von der Umsatzsteuer befreit, weil er kein Pflegeheim im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst d UStG betreibe. Ungeachtet der Erlaubnis des Landessozialamtes könne das vom Kläger betriebene Sozialzentrum umsatzsteuerlich nicht als Altenheim anerkannt werden, weil dort nicht überwiegend alte Menschen aufgenommen seien.

21

Auch ein Pflegeheim liege nicht vor. In einem Pflegeheim würden pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufgenommen. Trotz ihrer Behinderung handle es sich bei den vom Kläger betreuten Personen nicht um im umsatzsteuerlichen Sinne pflegebedürftige Menschen. Die Pflegebedürftigkeit setze gemäß § 68 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und §§ 14 , 15 Sozialgesetzbuch , elftes Buch (S GB XI) vielmehr voraus, dass die Personen nach den Pflegesatzrichtlinien der Länder unter die zweite oder eine höhere Pflegesatzstufe fielen. Diese Definition der Pflegebedürftigkeit gelte auch im Umsatzsteuerrecht.

22

Die vom Kläger aufgenommenen Erwachsenen seien zwar bedürftig im Sinne des § 53 Nr. 2 AO . Hierauf komme es aber nicht an, weil die Aufnahme nicht in einem Pflegeheim erfolge.

23

Im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten im übrigen wird auf die Steuerakten zu Steuer-Nr. ... sowie die Gerichtsakten Bezug genommen.

Gründe

24

Die Klage ist begründet.

25

Die Umsätze, die der Kläger mit der von ihm betriebenen Einrichtung für behinderte Erwachsene erzielt hat, sind gemäß § 4 Nr. 16 Buchst d Umsatzsteuergesetz 1980 (U StG) von der Umsatzsteuer befreit. Die Bestimmung befreite in der im Streitjahr 1992 geltenden Fassung u.a. die mit dem Betrieb von Pflegeheimen eng verbundenen Umsätze, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 2/3 der Leistungen den in § 68 Abs. 1 BSHG oder den in § 53 Nr. 2 der (A O) genannten Personen zugute gekommen sind.

26

Bei der vom Kläger betriebenen Einrichtung handelt es sich um ein Pflegeheim in diesem Sinne. Der Begriff des Pflegeheims knüpft an das HeimG an, das gemäß § 1 u.a. für Heime gilt, die pflegebedürftige oder behinderte Volljährige nicht nur vorübergehend aufnehmen. Die Finanzverwaltung hat sich dem inhaltlich angeschlossen und behandelt als Pflegeheime Einrichtungen, in denen volljährige Personen, die wegen Krankheit oder Behinderung pflegebedürftig sind, Unterkunft, Verpflegung, Betreuung und Pflege erhalten (Abschnitt 99 Abs. 1 Umsatzsteuerrichtlinien -UStR- 2000).

27

Diese Voraussetzungen werden von den in der Einrichtung des Klägers untergebrachten Personen erfüllt. Insbesondere handelt es sich um wegen Krankheit oder Behinderung pflegebedürftige Personen. Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens der Hilfe bedürfen (A bschnitt 99 Abs. 4 UStR 2000). Das ist bei den in den drei Kleinstheimen untergebrachten Personen der Fall, weil sie nicht in der Lage sind, die Verrichtungen des täglichen Lebens zu bewältigen. Aber auch die in den Wohngruppen lebenden Personen, die nach jahrelangen Unterweisungen in der Lage sind, Teilbereiche des täglichen Lebens selbständig zu meistern, bleiben pflegebedürftig in diesem Sinne. Sie werden täglich vom Kläger zu ihren Arbeitsstätten in der Werkstatt für Behinderte in Hameln gebracht und im Hinblick auf den Fortbestand der von ihnen erlernten praktischen Fähigkeiten überwacht. Sofern sich der Zustand verschlechtert, werden sie wieder in die stärker betreuten Wohngruppen übernommen.

28

Allerdings verlangen §§ 68 Abs. 1 BSHG, § 14 Abs. 1 SGB XI, dass die Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höherem Maße besteht. Diese Pflegesatzstufen sind für den Umfang der zu gewährenden Hilfe, nicht aber für die umsatzsteuerrechtliche Begriffsbestimmung des Pflegeheimes von Bedeutung. Auf die Intensität der Pflegebedürftigkeit kommt es insoweit nicht an. Die noch in den UStR 1988 , 1992 und 1996 enthaltene Bezugnahme auf die Pflegesatzstufen ist in Abschnitt 99 Abs. 4 UStR 2000 folgerichtig nicht aufgenommen worden. Inwieweit das Element der Dauer der Pflegebedürftigkeit umsatzsteuerlich von Bedeutung ist, brauchte der Senat nicht zu entscheiden. Selbst in den Fällen, in denen sich der Zustand der Betroffenen durch die Tätigkeit des Klägers im Laufe der Zeit deutlich verbessert, handelt es sich um Zeitabläufe von mehreren Jahren.

29

Der Annahme eines Pflegeheimes steht auch nicht die Erlaubnis des Landessozialamtes vom 9. Februar 1988 entgegen. Die Erlaubnis ist in sich widersprüchlich, weil sie im Tenor zwar die Genehmigung zum Betrieb einer einem Altenheim ähnlichen Einrichtung beinhaltet, materiell aber den Personenkreis körperlich mobiler, geistig und seelisch behinderter Menschen, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen und aufgrund ihrer Behinderung einen beschützenden Wohnraum benötigen, umfasst. Der materielle Regelungsgehalt der Erlaubnis umfasst damit die Erlaubnis zum Betrieb eines Pflegeheimes.

30

Die vom Kläger ausgeführten Umsätze sind zu mindestens 2/3 den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugute gekommen. Hierbei handelt es sich um Personen, deren Bezüge nicht höher sind als das Vierfache des Regelsatzes der Sozialhilfe. Damit sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchst d UStG erfüllt. Ob die Leistungen des Klägers den in § 68 BSHG genannten Personen zugute gekommen sind, ist unerheblich, weil es sich dabei um ein alternatives Tatbestandsmerkmal handelt. Auf die Pflegesatzstufen des § 68 BSHG kommt es daher nicht an.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) .

32

Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.