Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.01.2001, Az.: 1 L 3233/00

Rechtmäßigkeit einer durch Fristablauf als erteilt geltenden Genehmigung zur Begründung und Teilung von Wohnungseigentum und eines darüber erteilten Fiktionszeugnisses; Beginn der zweimonatigen Bearbeitungsfrist für die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens; Verzicht auf ein förmliches Ersuchen der Bauaufsichtsbehörde; Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben wegen widersprüchlichen Verhaltens; "Rücknahme" oder "Widerruf" der Erteilung des Einvernehmens oder des als erteilt geltenden Einvernehmens einer Gemeinde

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.01.2001
Aktenzeichen
1 L 3233/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 30598
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2001:0125.1L3233.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 27.04.2000 - AZ: 4 A 5147/97

Fundstellen

  • BauR 2001, 1298 (amtl. Leitsatz)
  • DÖV 2001, 965 (amtl. Leitsatz)
  • NVwZ 2001, 1066-1067 (Volltext mit amtl. LS)
  • UPR 2001, 457

Verfahrensgegenstand

Anfechtung eines Fiktionszeugnisses nach §§ 22 VII, 23 II BauGB

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 1. Senat -
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2001
durch
den Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts Schmaltz,
den Richter am Oberverwaltungsgericht Muhsmann und
den Richter am Verwaltungsgericht Volk sowie
den ehrenamtlichen Richter B. v. R. und
die ehrenamtliche Richterin S.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 27. April 2000 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin, eine Inselgemeinde, wendet sich gegen eine durch Fristablauf als erteilt geltende Genehmigung zur Begründung und Teilung von Wohnungseigentum und das darüber vom Beklagten an den Beigeladenen erteilte Fiktionszeugnis.

2

Der Beigeladene hat Wohnungseigentum auf dem Grundstück J.-P.-W. der Inselgemeinde. Das Flurstück liegt im Bereich der Satzung der Klägerin zur Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen.

3

Am 9. Dezember 1996 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Genehmigung zur Abtrennung einer Wohnung in dem Hauptgebäude auf dem bezeichneten Grundstück, in dem der Beigeladene Eigentümer von drei Wohnungen ist. Der Antrag, gerichtet an den Beklagten, ging am gleichen Tag bei der Klägerin ein. Diese leitete den Antrag mit Anschreiben vom 11. Dezember 1996 mit der Bitte um Kenntnisnahme und weitere Veranlassung an den Beklagten weiter, wo er am 12. Dezember 1996 einging. Neben Hinweisen zur Lage des Grundstückes enthält das Schreiben die Ankündigung, eine Stellungnahme der Inselgemeinde folge "so bald als möglich". Mit einer am 6. Januar 1997 bei dem Beklagten eingegangenen Zwischennachricht vom 23. Dezember 1996 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass der Antrag "aller Voraussicht nach nicht vom Rat der Gemeinde" genehmigt werde. Eine Stellungnahme werde unverzüglich nach dem Ratsbeschluss folgen.

4

Mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 20. Februar 1997, dort eingegangen am 21. Februar 1997, versagte die Klägerin unter Bezugnahme auf die entgegenstehenden Bestimmungen der Satzung zur Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen ihr Einvernehmen, zugleich widerrief sie für den Fall, dass das Einvernehmen wegen Verfristung als erteilt gelte, diese Mitwirkungshandlung. Daraufhin hörte der Beklagte den Beigeladenen unter dem 4. März 1997 zu seiner Absicht an, den Antrag abzulehnen. Am 22. April 1997 vermerkte der Beklagte, dass inzwischen die dreimonatige Bearbeitungsfrist der Bauaufsichtsbehörde abgelaufen sei.

5

Mit Bescheid vom 22. April 1997 erteilte der Beklagte dem Beigeladenen ein Fiktionszeugnis gemäß § 22 Abs. 7 i.V.m. § 23 Abs. 2 BauGB. Gegen das Fiktionszeugnis und die durch Fristablauf fiktiv als erteilt geltende Genehmigung erhob die Klägerin unter dem 14. Mai 1997 Widerspruch. Sie machte geltend, die Frist des § 19 Abs. 3 Satz 7 BauGB sei mangels Ersuchen nicht abgelaufen; jedenfalls sei das Einvernehmen zulässigerweise widerrufen worden.

6

Den Widerspruch wies die Bezirksregierung W.-E. mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1997 zurück. Sie führte aus: Ein Ersuchen des Beklagten sei nicht erforderlich gewesen, weil die Klägerin in ihrer Zwischennachricht eine alsbaldige Stellungnahme angekündigt habe. Das fiktiv erteilte Einvernehmen sei nicht widerruflich. Die Möglichkeit des Widerrufes ließe den Sinn der Einvernehmensvorschrift, innerhalb der gesetzlichen Frist klare Verhältnisse über die Einvernehmenserklärung der Gemeinde zu schaffen, leer laufen.

7

Die Klägerin hat am 27. November 1997 Klage erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen: Ein Ersuchen habe der Beklagte nicht an sie gerichtet. Für den Fall, dass ihr Einvernehmen als erteilt gelte, habe sie diese Erklärung vor Erteilung des Fiktionszeugnisses wirksam widerrufen. Sei das positiv erteilte Einvernehmen widerrufbar, gebe es keinen Grund, den Widerruf des fiktiv als erteilt geltenden Einvernehmens auszuschließen. Es gebe auch keinen Sinn, die Bindungswirkung des fiktiv erteilten Einvernehmens enger zu fassen als die der fiktiv erteilten Teilungsgenehmigung, für die die Möglichkeit des Widerrufes anerkannt sei.

8

Die Klägerin hat beantragt,

die durch Fristablauf als erteilt geltende, den Antrag des Beigeladenen vom 9. Dezember 1996 auf Bildung von Wohnungseigentum betreffende Genehmigung des Beklagten und das darüber vom Beklagten mit Bescheid vom 22. April 1997 an den Beigeladenen erteilte Fiktionszeugnis sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung W.-E. vom 5. November 1997 aufzuheben.

9

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Er hat erwidert: Die Antragsvordrucke seien aus Gründen der Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens so abgefasst, dass sie über die jeweilige Gemeinde einzureichen seien. Ein Ersuchen sei mit Blick auf den Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 11. Dezember 1996 nicht erforderlich gewesen. Mit dem Eingang dieser Zwischennachricht am 12. Dezember 1996 sei die Zweimonatsfrist in Lauf gesetzt worden. Da die Versagung erst nach Ablauf dieser Frist bei ihm eingegangen sei, gelte das Einvernehmen der Klägerin als erteilt. Ein Widerruf sei nicht möglich.

11

Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Er hat die Rechtsauffassung des Beklagten unterstützt und auf die wirtschaftlichen Nachteile hingewiesen, die für ihn mit der Versagung der Genehmigung verbunden seien.

12

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. April 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin könne sich nicht mit Erfolg auf die Fristenregelung in § 19 Abs. 3 Satz 7 BauGB stützen. Eine Berufung auf diese Norm sei wegen widersprüchlichen Verhaltens der Klägerin rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich. Hierbei spiele zunächst eine Rolle, dass der Beklagte wegen der im Kreisgebiet üblichen Praxis von einem fristauslösenden Ersuchen habe regelmäßig absehen können, weil aufgrund der eingespielten Verfahrensweise von einer alsbaldigen Reaktion und Stellungnahme der Gemeinde habe ausgegangen werden können. Die Klägerin habe in diesem Einzelfall durch eigenes Verhalten das Vertrauen des Beklagten, sie werde sich auch ohne einen äußeren Anstoß des Beklagten alsbald zu dem Antrag äußern, durch den Hinweis im Anschreiben vom 11. Dezember 1996 verstärkt. Eine weitere Bekräftigung sei durch die Zwischennachricht vom 23. Dezember 1996 gefolgt.

13

Die Klägerin hat gegen das am 8. Mai 2000 zugestellte Urteil am 5. Juni 2000 Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt (1 L 2227/00), dem der Senat mit Beschluss vom 11. September 2000 stattgegeben hat.

14

Die Berufung begründet die Klägerin wie folgt: Soweit das Verwaltungsgericht auf die übliche Praxis der Einreichung von Anträgen bei der Gemeinde abstelle, könne ihr aus der Befolgung der Pflicht aus § 22 e NGO, Anträge entgegenzunehmen und an den Landkreis weiterzuleiten, "kein Strick" gedreht werden. Der Beklagte habe auch nicht aufgrund "der eingespielten Verfahrensweise" von einem fristauslösenden Ersuchen absehen können. Es liege auf der Hand, dass bei Weiterleitung eines Antrages gemeinsam mit der gemeindlichen Stellungnahme ein Ersuchen nicht mehr in Betracht komme. Anträge nach § 22 BauGB seien auch nicht so zahlreich, dass von einer eingespielten Praxis die Rede sein könne. Es sei auch nicht zu beanstanden, dass sie in dem Übersendungsschreiben vom 11. Dezember 1996 eine baldige Stellungnahme angekündigt habe. Eine solche Ankündigung entspreche gutem Stil. Daraus den Schluss zu ziehen, mit der Ankündigung habe sie den Beklagten in treuwidriger Weise von einem fristauslösenden Ersuchen abgehalten, erscheine fernliegend und hätte die Konsequenz, die Übersendung nur kommentarlos vornehmen zu dürfen. Es sei auch zweifelhaft, ob ihr Verhalten den Beklagten von einem Ersuchen abgehalten habe. Keinesfalls hätte der Beklagte mit Blick auf die behördlichen Bearbeitungszeiten dieses Ersuchen vor dem 21. Dezember 1996 an sie gerichtet, so dass sie am 21. Februar 1997 das Einvernehmen noch fristgerecht habe versagen dürfen. Der Vorwurf, sie berufe sich in rechtsmissbräuchlicher Weise auf die formelle Vorschrift der Fristenregelung, sei im Ansatz verfehlt. Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung sei dann legitim, wenn ein Verfahrensbeteiligter aus der Anwendung formeller Vorschriften Vorteile herleite, die im Widerspruch zur materiellen "Richtigkeit" stünden. Hier gehe es darum, unter genauer Anwendung der Formvorschriften zur materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung durchzudringen. Die Pflicht der Behörden zur gegenseitigen Unterstützung hätte den Beklagten schließlich veranlassen müssen, sie nach dem Inhalt ihrer weiteren Zwischennachricht vom 23. Dezember 1996 darauf hinzuweisen, dass die zweimonatige Bearbeitungsfrist aus der Sicht des Beklagten bereits begonnen habe.

15

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer - vom 27. April 2000 aufzuheben und nach dem erstinstanzlichen Klagantrag zu erkennen.

16

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

17

Der Beklagte erwidert: Das Verfahren, einen Antrag nach § 22 BauGB mittels eines entsprechend abgefassten Antragsvordruckes über die Gemeinde einreichen zu lassen, habe sich bewährt. Den Gemeinden, auch der Klägerin, sei bewusst gewesen, dass sie sich innerhalb von zwei Monaten nach Antragseingang hätten äußern müssen. Der Inhalt der beiden Schreiben der Klägerin vom 11. Dezember 1996 und 23. Dezember 1996 könne auch nur in diesem Sinne verstanden werden. Mit Schreiben vom 11. Dezember 1996 habe sich die Klägerin in Kenntnis der Rechtslage nach den Grundsätzen vom Vertrauensschutz sowie nach Treu und Glauben per Zusage selbst verpflichtet, die Stellungnahme zum Einvernehmen rechtzeitig ab dem Schreiben vom 11. Dezember 1996 zu bewirken. Angesichts des eindeutigen Bindungswillen der Klägerin hätte es keinen Sinn gemacht, sie schriftlich nochmals zu ersuchen, sich zum Einvernehmen zu äußern.

18

Der Beigeladene stellt keinen Antrag. Er verweist darauf, dass die Klägerin zwischenzeitlich mehrfach gegen die eigene Satzung verstoßen habe, indem sie die Zustimmung zu dem Verkauf einzelner Haushälften in einer Siedlung gegeben habe.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe

20

Die Berufung ist unbegründet.

21

Die durch Fristablauf als erteilt geltende Genehmigung zur Begründung und Teilung von Wohnungseigentum und das darüber vom Beklagten mit Bescheid vom 22. April 1997 an den Beigeladenen erteilte Fiktionszeugnis verletzt die Klägerin nicht in ihren gemeindlichen Rechten. Rechtsgrundlage für den Abwehranspruch der Klägerin ist § 22 Abs. 6 Satz 1 BauGB in der Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1986 (BGBl. I, 2253), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juli 1996 (BGBl. I, 1189). Danach ist über eine Genehmigung zur Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum oder Teileigentum nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch die Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde zu entscheiden. Der Gemeinde sind damit Mitwirkungsrechte eingeräumt, deren Verletzung sie wie in den Fällen des § 36 BauGB wirksam auch im Wege der Anfechtungsklage rügen kann (vgl. Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., 1998, § 22, Anm. 36; Taegen, in: Berliner Kommentar zum BauGB, 2. Aufl., 1995, § 22, Anm. 18). Streitgegenstand des Anfechtungsprozesses ist danach allein die von der klagenden Gemeinde für sich in Anspruch genommene Rechtsposition. Hingegen prüft das Gericht nicht, ob der Bauherr - hier der Beigeladene - einen materiellen Anspruch auf die beantragte Genehmigung besitzt (BVerwG, Urt. v. 7.2.1986 - 4 C 43.83 -, BRS 46, Nr. 142; Beschl. v. 5.3.1999 - 4 B 62.98 -, BauR 1999, 1281). Hieran gemessen werden Rechte der Klägerin in den angegriffenen Entscheidungen des Beklagten nicht verletzt. Das Einvernehmen der Klägerin gilt wegen Versäumung der ihr gesetzlich eingeräumten Bearbeitungsfrist als erteilt, so dass die Erteilung des Fiktionszeugnisses Rechte der Klägerin nicht verletzt.

22

Nach § 22 Abs. 6 Satz 2 BauGB ist § 19 Abs. 3 Satz 3 bis 7 BauGB entsprechend anwendbar. Nach Satz 3 der in Bezug genommenen Vorschrift ist über die Genehmigung (zur Begründung oder Teilung von Wohnungseigentum) binnen drei Monaten nach Eingang des Antrages bei der Genehmigungsbehörde zu entscheiden. Nach § 19 Abs. 3 Satz 6 BauGB gilt die Genehmigung als erteilt, wenn sie nicht innerhalb der Frist versagt wird. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten nach Satz 7 1. Halbs. als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrages bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Der Einwand der Klägerin, die zuletzt genannte zweimonatige Bearbeitungsfrist für die Erteilung des Einvernehmens sei mangels eines förmlichen Ersuchens nicht in Gang gesetzt worden, greift nicht durch.

23

Richtig ist zwar, dass die Frist nach § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB regelmäßig erst mit dem Ersuchen beginnt, das aus Gründen der Rechtssicherheit schriftlich gestellt (Schmaltz, in: Schrödter, BauGB, 6. Aufl., 1998, § 36, Anm. 17) und eindeutig formuliert sein muss, damit die Gemeinde erkennen kann, dass damit die Frist zur Erteilung des Einvernehmens ausgelöst wird (Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Loseblattsammlung, Stand: Februar 2000, § 36, Anm. 26). Ein solches Ersuchen des Beklagten ist unstreitig nicht ergangen. In der Handhabung des Beklagten, die Vordrucke für Anträge nach §§ 19 und 22 BauGB so abzufassen, dass diese über die jeweilige Gemeinde einzureichen sind, liegt nicht ein generelles und auch im Rahmen des § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB zu berücksichtigendes allgemeines Ersuchen. Auch ein allgemeines Ersuchen für eine Mehrzahl von Fällen muss dem dargestellten Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und -klarheit genügen, also insbesondere Ablauf und Inhalt des Verfahrens eindeutig regeln. Solche Vorgaben des Beklagten liegen nicht vor.

24

Ein Ersuchen des Beklagten war auch nicht entbehrlich, weil die Klägerin in der Vergangenheit regelmäßig die bei ihr eingereichten Anträge mit ihrer Stellungnahme so schnell wie möglich an den Beklagten weitergeleitet hat. Allein die im Kreisgebiet übliche Praxis der Einreichung eines Antrages bei der Gemeinde löst die Zweimonatsfrist des § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB nicht aus. Mit der Entgegennahme und Weiterleitung von Anträgen ist die Klägerin lediglich ihrer Pflicht aus § 22 e Abs. 3 Satz 1 NGO nachgekommen, Anträge, die beim Landkreis oder bei der Bezirksregierung einzureichen sind, entgegenzunehmen und unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten.

25

Nach den vorstehenden Ausführungen kann auf ein förmliches Ersuchen der Bauaufsichtsbehörde gegenüber der Gemeinde nur dann verzichtet werden, wenn die Einreichung des Antrages bei der Gemeinde nach Landesrecht vorgeschrieben ist (§ 19 Abs. 3 Satz 7 2. Halbs. BauGB). So liegt der Fall nicht. Die NBauO schreibt die Einreichung des Antrages bei der Gemeinde lediglich für Bauanträge in § 71 Abs. 1 gesetzlich vor. Der bereits erwähnte § 22 e Abs. 3 Satz 1 NGO ist eine Organisationsvorschrift, die die allgemeine Hilfspflicht der Gemeinde nach Abs. 1 der genannten Vorschrift dahingehend erweitert, dass die Gemeinde nicht nur "Anlauf-", sondern auch "Annahmestelle" ist. Die Vorschrift regelt allein Pflichten im Verhältnis der Gemeinde zum Landkreis oder zu der Bezirksregierung. Hingegen wird nicht der Antragsteller verpflichtet, seinen Antrag bei der Gemeinde einzureichen, wie dies § 71 Abs. 1 NBauO vorschreibt. Es handelt sich also nicht um eine Vorschrift im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 7 2. Halbs. BauGB, die die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde vorschreibt.

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Obwohl danach ein förmliches Ersuchen nicht vorlag und darauf auch nicht wegen landesrechtlicher Vorgaben verzichtet werden konnte, kann sich die Klägerin aus anderen Gründen nicht auf die Versagung ihres Einvernehmens berufen. Die Klägerin hat trotz fehlenden Ersuchens des Beklagten durch ihr eigenes Verhalten die zweimonatige Bearbeitungsfrist in Lauf gesetzt und im Rahmen dieses Bearbeitungszeitraumes das Einvernehmen nicht versagt. Das Ersuchen im Sinne des § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB hat die Aufgabe, die dort genannte Frist von zwei Monaten auszulösen. Der mit dieser gesetzlichen Regelung verfolgte Zweck wird dann nicht verfehlt, wenn die Gemeinde von sich aus zum Ausdruck bringt, sie werde "so bald wie möglich", in Kürze oder unaufgefordert Stellung nehmen. Damit gibt sie zu erkennen, dass sie nicht ein Ersuchen der Bauaufsichtsbehörde abwarten will, sondern die Frist selbst in Gang setzen möchte. Verzichtet die Gemeinde durch eine solche ausdrückliche Erklärung auf das fristauslösende Ersuchen, wäre eine daran anknüpfende Verfahrenshandlung dieses Inhaltes der Bauaufsichtsbehörde ihres eigentlichen Sinngehaltes entleert (zu einer ähnlichen Fallgestaltung der Entbehrlichkeit der Festsetzung eines Zwangsmittels, wenn der Pflichtige von sich aus endgültig und ernstlich erklärt, er werde der Grundverfügung nicht Folge leisten, vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.8.1996 - 4 B 100.96 -, NVwZ 1997, 381). In einem solchen Fall ist es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht mehr erforderlich, die Gemeinde zu ersuchen, ihrer Mitwirkungshandlung nachzukommen (zu der vergleichbaren zivilrechtlichen Fallgestaltung, dass die Verzugsfolgen wegen einer Selbstmahnung des Schuldners eingetreten sind, vgl. Schmidt, in: Staudinger, BGB, 12. Aufl., 1983, § 242, Anm. 807; Walchshöfer, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 2, 2. Aufl., 1985, § 284, Anm. 41; Alff, in: BGB-RGRK, Bd. II, 1. Teil, 12. Aufl., 1976, § 284, Anm. 29). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin das Schreiben vom 11. Dezember 1996, mit dem sie die Antragsunterlagen des Beigeladenen an den Beklagten weitergeleitet hat, mit dem Satz beendet, die Stellungnahme der Inselgemeinde folge so bald wie möglich. Mit dieser Ankündigung hat die Klägerin auf ein fristauslösendes Ersuchen des Beklagten verzichtet. Angesichts ihres eindeutigen Wortlautes durfte der Beklagte diese Formulierung nicht nur als "Höflichkeitsfloskel" verstehen, sondern konnte davon ausgehen, dass die Klägerin mit ihrer Erklärung selbst die zweimonatige Frist zur Erteilung des Einvernehmens mit dem Zugang des Schreibens vom 11. Dezember 1996 beim Beklagten in Lauf gesetzt hat.

27

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es nicht darauf an, ob sie sich bei Abgabe der Stellungnahme vom 11. Dezember 1996 der Rechtsfolge, mit ihrer Erklärung die Frist auszulösen, bewusst war. Auch das förmliche Ersuchen der Bauaufsichtsbehörde führt nicht unmittelbar zu einer Vorstellung der Gemeinde von der Frist. § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB verpflichtet die Bauaufsichtsbehörde nicht, das Ersuchen mit dem Hinweis auf die gesetzliche Frist oder sogar mit einer Fristsetzung zu verbinden. Einzelheiten ihres Beteiligungsrechts muss sich die Gemeinde anhand der gesetzlichen Regelung selbst erschließen. Nichts anderes gilt, wenn die Gemeinde - wie im vorliegenden Fall - auf das fristauslösende Ereignis durch eine eigene Erklärung verzichtet. Sie muss dann davon ausgehen, dass mit dem Zugang ihrer Erklärung bei der Bauaufsichtsbehörde die Frist in Lauf gesetzt ist. Die Einlassung der Klägerin, sie sei sich der Rechtswirkungen ihrer Erklärung vom 11. Dezember 1996 nicht bewusst gewesen, ist im Übrigen auch angesichts der besonderen Sachkenntnis der Gemeinde im Hinblick auf die Vorschrift des § 22 BauGBüber die Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen in Frage zu stellen. Die Satzung der Klägerin zur Sicherung von Gebieten mit Fremdenverkehrsfunktionen war Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, das mit Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Mai 1997 (- 4 C 9.96 -, NVwZ 1998, 276) endete. Von daher besteht Anlass zu der Annahme, dass die maßgeblichen Entscheidungsträger der Klägerin auch mit den Rechtsfragen im Umfeld der genannten Vorschrift in der Vergangenheit bereits befasst gewesen sind.

28

Die danach mit Zugang der ersten Zwischennachricht am 12. Dezember 1996 bei dem Beklagten in Lauf gesetzte Frist hat die Klägerin nicht gewahrt. Ihre Einvernehmensversagung vom 20. Februar 1997 ist erst am 21. Februar 1997 und damit verspätet bei dem Beklagten eingegangen. Ob die Klägerin durch ihr Verhalten den Beklagten von einem Ersuchen abgehalten hat und ein solches Ersuchen wegen der Bearbeitungsfristen in der öffentlichen Verwaltung nicht vor dem 21. Dezember 1996 bei der Klägerin eingegangen wäre, muss nach den vorstehenden Ausführungen nicht abschließend geklärt werden. Mit der "Selbstmahnung" vom 11. Dezember 1996 hat die Klägerin die maßgebliche Bearbeitungsfrist durch Verzicht auf ein Ersuchen in Lauf gesetzt.

29

Soweit die Klägerin nunmehr geltend macht, ihr Einvernehmen gelte wegen des unterlassenen förmlichen Ersuchens des Beklagten nicht als erteilt, verstößt sie gegen Treu und Glauben. Hierzu kann auch der Einwand gehören, der Rechtsinhaber setze sich treuwidrig zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch (BVerwG, Beschl. v. 11.2.1997 - 4 B 10.97 -, BRS 59, Nr. 170). Ein solcher Fall der Versagung einer Rechtsausübung ist hier gegeben. Die Klägerin hat mit dem Inhalt ihrer Stellungnahme vom 11. Dezember 1996 auf ein fristauslösendes Ersuchen des Beklagten verzichtet. Hieran muss sie sich festhalten lassen.

30

Der Einwand der Klägerin, ihr gehe es darum, unter buchstabengetreuer Einhaltung der Formvorschriften zur materiellen Rechtmäßigkeitsprüfung vorzudringen, rechtfertigt nicht ein anderes Ergebnis. Der von der Klägerin aufgestellte Rechtssatz, der Einwand unzulässiger Rechtsausübung sei nur dann legitim, wenn ein Verfahrensbeteiligter aus der Anwendung formeller Vorschriften Vorteile herleite, die im Widerspruch zur materiellen "Richtigkeit" stünden, nicht aber im umgekehrten Fall, kann nicht ausnahmslos Geltung beanspruchen. Auch die Wahrnehmung eines formellen oder prozessualen Rechts, das zum Schutz subjektiver Rechte geschaffen ist, kann - selbst bei "Richtigkeit" der materiellen Rechtsposition - wegen widersprüchlichen Verhaltens gegen das Gebot von Treu und Glauben verstoßen (zur Verwirkung einer Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 VwGO, vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.12.1989 - 4 NB 14.89 -, BRS 49, Nr. 42). Unabhängig hiervon verliert die Klägerin im vorliegenden Fall keine materielle Rechtsposition, sondern lediglich das Recht, ihr formelles Beteiligungsrecht gerichtlich durchzusetzen. Die Möglichkeit, ihren Rechtsstandpunkt zur Geltung zu bringen, wird ihr dadurch nicht endgültig abgeschnitten. Solange noch keine Entscheidung über die Genehmigung ergangen ist, bleibt es ihr unbenommen, der Bauaufsichtsbehörde gegenüber ihre Bedenken vorzutragen (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 12.12.1996 - 4 C 24.95 -, NVwZ 1997, 900).

31

Aus der Pflicht der Behörden zur gegenseitigen Unterstützung lässt sich zugunsten der Klägerin nichts herleiten. Nach Art. 35 Abs. 1 GG leisten sich alle Behörden des Bundes und der Länder gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. Voraussetzungen, Umfang und Grenzen einer hierauf gerichteten Verpflichtung ergeben sich nicht aus der grundgesetzlichen Rahmenvorschrift (vgl. Gubelt, in: von Münch, Kommentar zum GG, 2. Aufl., 1983, Art. 35, Anm. 8). Die Einzelheiten richten sich nach den gesetzlichen Vorschriften, die diese Bestimmung materiell ausfüllen. Eine gesetzliche Vorschrift, die die Bauaufsichtsbehörde verpflichten könnte, die Gemeinden auf den Lauf der Bearbeitungsfrist nach § 19 Abs. 3 Satz 7 1. Halbs. BauGB aufmerksam zu machen, wird von der Klägerin nicht genannt und ist auch sonst nicht ersichtlich.

32

Schließlich konnte die Klägerin mit Erklärung vom 20. Februar 1997 ihr fiktiv als erteilt geltendes Einvernehmen nicht wirksam widerrufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann die Erteilung des Einvernehmens oder das als erteilt geltende Einvernehmen nicht "widerrufen" oder "zurückgenommen" werden (Beschl. v. 12.12.1996 - 4 C 24.25 -, a.a.O.). Diese Entscheidung hat überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. Urt. d. Sen. v. 18.3.1999 - 1 L 6696/96 -, NVwZ 1999, 1003; Bay. VGH, Beschl. v. 26.3.1999 - 26 ZS 99.507 -, NVwZ-RR 2000, 84 [VGH Bayern 26.03.1999 - 26 ZS 507/99]; Lasotta, Das Einvernehmen der Gemeinde nach § 36 BauGB, 1998, S. 188; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Loseblattsammlung, Stand: April 2000, § 36, Anm. 32; a.A. noch: Hess. VGH, Urt. v. 6.8.1992 - 3 UE 1576/91 -, NVwZ 1993, 908; VGH BW, Urt. v. 23.5.1995 - 8 S 3600/94 -, BRS 57, Nr. 200; OVG Saarlouis, Beschl. v. 19.4.1995 - 2 W 13/95 -). Nach den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts steht einer Verlängerbarkeit (und auch dem Widerruf/der Zurücknahme) der Frist nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB das gesetzgeberische Ziel entgegen, das zur Einführung dieser Frist in das damalige BBauG durch das Gesetz zur Beschleunigung von Verfahren und zur Erleichterung von Investitionen im Städtebaurecht vom 6. Juli 1979 (BGBl. I S. 949) geführt hat. Sie ist eingefügt worden, um das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen (vgl. Gesetzesbegründung der Bundesregierung, BT-Drs. 8/2451, S. 13 und 24). Der Gesetzgeber mutet es der mit den bauplanerischen Regelungen in ihrem Gemeindegebiet vertrauten Gemeinde zu, sich innerhalb der Zweimonatsfrist zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines ihr vorgelegten Bauvorhabens zu äußern. Sinn der Regelung ist es, innerhalb der Frist klare Verhältnisse über die Einvernehmenserklärung der Gemeinde zu schaffen. Dieser tragfähigen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hat sich der Senat in der zitierten Entscheidung angeschlossen.

33

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen beruht auf § 162 Abs. 3 VwGO.

34

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

35

Gründe für eine Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 132 Abs. 2 VwGO).

36

Beschluss

37

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- DM festgesetzt.

Schmaltz
Muhsmann
Volk