Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.11.2001, Az.: L 3 KA 35/01

Abrechnung; Abrechnungsfähigkeit; Belegarzt; Belegstation; belegärztliche Leistung; Berechnung; Berechnungsfähigkeit; eigene Praxis; Honorar; Vergütung; vertragsärztliche Leistung; vertragsärztliche Versorgung; Verweilen; Verweilleistung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
28.11.2001
Aktenzeichen
L 3 KA 35/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 40426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 02.04.2003 - AZ: B 6 KA 28/02 R

Tenor:

Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Februar 2001 wird geändert.

Die Bescheide über die sachlich-rechnerische Berichtigung für die Quartale II/1997, IV/1997 und I/1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 1999 werden aufgehoben, soweit die EBM-Nr. 40 gestrichen worden ist.

Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren in voller Höhe und im Übrigen zur Hälfte zu erstatten; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Die Kläger wenden sich im Berufungsverfahren noch dagegen, dass die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden über die sachlich-rechnerische Berichtigung ihrer Honorarabrechnungen die Gebühren-Ziffer (Geb.-Ziff.) 40 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes für Ärzte -- EBM -- ("Verweilen ohne Erbringung berechnungsfähiger Leistungen, wegen der Erkrankung erforderlich, je vollendete halbe Stunde") in Abzug gebracht hat.

2

Die Kläger sind als Fachärzte für den HNO-Bereich zur vertragsärztlichen Versorgung mit einem Vertragsarztsitz in der Lstraße in H zugelassen. Darüber hinaus sind sie als Belegärzte im Friederikenstift H und in der diesem Stift angeschlossenen Unfallklinik tätig, der Kläger zu 1) ist dort Leitender Arzt der HNO-Abteilungen.

3

Im Rahmen ihrer belegärztlichen Tätigkeit rechneten die Kläger die Geb.-Ziff. 40 EBM im Quartal II/1997 drei Mal im Primärkassen(PK)bereich, im Quartal IV/1997 fünf Mal im Ersatzkassen(EK)bereich und im Quartal I/1998 sechs Mal im PK-Bereich ab. Mit den angefochtenen Berichtigungsbescheiden in der Fassung des am 03. Februar 1999 abgesandten Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 1999 brachte die Beklagte u. a. diese Ansätze für die Geb.-Ziff. 40 EBM mit der Begründung in Abzug, dass diese Geb.-Ziffer im Rahmen einer belegärztlichen Behandlung nicht abrechenbar sei.

4

Zur Begründung ihrer am 03. März 1999 erhobenen Klage haben die Kläger diesbezüglich insbesondere geltend gemacht, dass in den abgerechneten Fällen der Ansatz der Verweilgebühr nach Ziff. 40 EBM jeweils gerechtfertigt gewesen sei. So komme es vor, dass ein Patient nach einer Operation noch blute, so dass der Arzt ohne die Erbringung von abrechnungsfähigen Leistungen noch längere Zeit bei ihm verweilen müsse, um erforderlichenfalls sofort lebensbedrohliche Gefährdungen abzuwenden.

5

Mit Urteil vom 21. Februar 2001, den Klägern zugestellt am 04. April 2001, hat das Sozialgericht Hannover bezüglich des beanstandeten Abzuges für die Geb.-Ziff. 40 EBM die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, dass diese Geb.-Ziffer im Rahmen einer belegärztlichen Tätigkeit nicht abrechnungsfähig sei, weil die belegärztliche Abteilung als Praxis des Belegarztes anzusehen sei, so dass der Abrechnungsausschluss der Ziff. 40 Abs. 2 EBM eingreife.

6

Mit ihrer am 04. Mai 2001 eingelegten Berufung machen die Kläger geltend, dass die Verweilgebühr bei einem Verweilen in der eigenen Praxis aus dem Grund nicht abgerechnet werden könne, weil der Arzt dort in der Lage sei, sich anderweitig beruflich zu betätigen. Entsprechende Möglichkeiten gebe es aber nicht für einen Belegarzt, der in der Belegabteilung bei einem Patienten verweilen müsse.

7

Die Kläger beantragen,

8

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Februar 2001 zu ändern und die Bescheide der Beklagten über die sachlich-rechnerische Berichtigung für die Quartale II/1997, IV/1997 und I/1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Januar 1999 aufzuheben, soweit die EBM-Ziff. 40 jeweils gestrichen worden ist.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Berufung zurückzuweisen.

11

Ihrer Auffassung nach ist Ziff. 40 EBM stets dann nicht abrechenbar, wenn der Arzt an seiner regelmäßigen Arbeitsstätte bei einem Patienten verweilt, wobei auch die Belegstation eines Belegarztes als eine solche regelmäßige Arbeitsstätte zu werten sei. Die Interessenlage sei insoweit mit dem ausdrücklich geregelten Verweilen in der eigenen Praxis vergleichbar.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Berufung hat Erfolg. Im Berufungsverfahren sind die angefochtenen Bescheide über die sachlich-rechnerische Berichtigung für die Quartale II/1997, IV/1997 und I/1998 nur noch darauf zu überprüfen, ob in ihnen zu Recht jeweils die Geb.-Ziff. 40 des EBM abgesetzt worden ist. Die solcher Art beschränkte Berufung der Kläger ist begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, diese Geb.-Ziffer abzusetzen.

14

Der Tatbestand der Geb.-Ziff. 40 EBM setzt ein Verweilen, ohne Erbringung berechnungsfähiger Leistungen, voraus, das wegen der Erkrankung erforderlich wird. Ein solches Verweilen wird je vollendete halbe Stunde mit 900 Punkten honoriert. Nach Abs. 2 dieser Geb.-Ziffer ist diese Leistung jedoch nicht berechnungsfähig, soweit sie im Zusammenhang mit der Durchführung von Leistungen in der Praxis erbracht wird.

15

Im vorliegenden Fall steht außer Streit, dass die Kläger in den abgerechneten Fällen jeweils mindestens einen vollendete halbe Stunde bei einem Patienten verweilt haben, wobei das Verweilen aufgrund der Erkrankung erforderlich war und sie keine anderweitigen berechnungsfähigen Leistungen -- auch nicht bei anderen Patienten -- während der Verweilzeit erbracht haben. Damit haben die Kläger die tatbestandlichen Voraussetzungen des Abs. 1 der Geb.-Ziff. 40 EBM erfüllt.

16

Der Abrechnungsfähigkeit der von ihnen erbrachten Verweilleistungen steht auch kein Ausnahmetatbestand entgegen.

17

Insbesondere steht entgegen der Auffassung des Sozialgerichts der Abrechnungsausschluss des Abs. 2 der Geb.-Ziff. 40 EBM der Abrechnung der auf der Belegstation erbrachten Verweilleistungen nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung sind allein solche Leistungen nach Geb.-Ziff. 40 EBM nicht berechnungsfähig, die im Zusammenhang mit der Durchführung von Leistungen "in der Praxis" erbracht werden. Die Kläger haben die entsprechenden Patienten im Zusammenhang mit dem Verweilen jedoch nicht in ihrer Praxis, sondern auf der Belegstation behandelt. Schon dem Wortlaut nach ist Abs. 2 der Geb.-Ziff. 40 EBM mithin nicht einschlägig.

18

Dabei kommt dem Wortlaut der Bestimmung noch größeres Gewicht zu als in anderen Zusammenhängen. Bei der Auslegung von Vorschriften über die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen und damit auch bei der Auslegung des EBM's ist den Gerichten Zurückhaltung auferlegt. Sie haben sich an den Wortlaut der Bestimmungen zu halten. Dieser wird als Bestandteil der Bundesmantelverträge von den Vertragspartnern durch die Bewertungsausschüsse vereinbart (§ 87 SGB V) und ist in bestimmten Zeitabständen auch darauf zu überprüfen, ob die Leistungsbeschreibungen und ihre Bewertungen noch dem Stand der medizinisch-technischen Entwicklung sowie dem Erfordernis der Rationalisierung und Wirtschaftlichkeit entsprechen. Durch die Zusammensetzung der Bewertungsausschüsse soll gewährleistet werden, dass die unterschiedlichen Interessen in diesem Selbstverwaltungsorgan zum Ausgleich kommen. Dies hat zur Folge, dass diese Vorschriften von den Gerichten nicht extensiv interpretiert und auch keiner Analogie im ausweitenden oder restriktiven Sinne unterworfen werden dürfen (vgl. Bundessozialgericht -- BSG --, Urteil vom 01. August 1991 -- 6 RKa 15/90 -- SozR 3-2500 § 87 SGB V Nr. 2).

19

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der EBM in anderen Zusammenhängen ausdrücklich Sonderregelungen für die belegärztliche Tätigkeit vorsieht (vgl. etwa Geb.-Ziff. 2). Wenn der Bewertungsausschuss in Geb.-Ziff. 40 nicht ein Verweilen auf der Belegstation einem Verweilen in der Praxis gleichgestellt hat, dann ist es nicht Aufgabe der Gerichte, seine diesbezügliche Entscheidung zu korrigieren (vgl. in diesem Sinne auch Wezel/Liebold, Handkommentar zum Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen -- EBM -- mit BMÄ und E-GO, Kommentierung zu Ziff. 40 EBM, der ausdrücklich hervorhebt, dass Nr. 40 EBM auch für einen Belegarzt abrechenbar ist, soweit nicht regionale Regelungen dies ausdrücklich ausschließen, und überdies auch die Auffassung vertritt, dass Ziff. 40 EBM sogar bei einem Verweilen des Arztes in seiner eigenen Wohnung bei einem dort notfallmäßig behandelten Patienten abgerechnet werden kann).

20

Die Honorarverteilungsmaßstäbe der Beklagten (für das Quartal II/1997: Honorarverteilungsmaßstab -- HVM -- PK vom 18. November 1995 in der Fassung des dritten Nachtrages zum HVM-PK vom 16. November 1996; für die Quartale IV/1997 und I/1998: HVM der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen -- KVN -- vom 31. Mai 1997) enthielten zwar jeweils in der Anlage 2 detaillierte Sonderregelungen für die Vergütung der belegärztlichen Tätigkeiten, mit denen entsprechend § 121 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Buch V Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) die Besonderheiten der belegärztlichen Tätigkeit berücksichtigt werden sollten, sie schränkten jedoch nicht die Abrechnungsfähigkeit der Geb.-Ziff. 40 EBM ein.

21

Soweit die Beklagte geltend macht, dass ein Verweilen auf der Belegstation mit einem -- nicht gesondert abrechnungsfähigen -- Verweilen in der eigenen Praxis vergleichbar sei, kann sie damit im vorliegenden Verfahren nicht gehört werden. Ein Verweilen auf der Belegstation weist für einen Belegarzt im Vergleich zu einem Verweilen in der eigenen Praxis Parallelen und Unterschiede auf. Einerseits ist er sicherlich auf der Belegstation regelmäßig tätig, andererseits stehen ihm dort typischerweise nicht im gleichen Maß wie in der eigenen Praxis eigene Räumlichkeiten zur Verfügung. Auch sind auf einer Belegstation vielfach nicht in gleicher Weise Literatur und Akten verfügbar, mit deren Studium der Arzt beispielsweise eine Verweilzeit sinnvoll überbrücken könnte. Inwieweit den Gemeinsamkeiten oder den Unterschieden größeres Gewicht beizumessen ist, ist eine Frage der Wertung. Diese Wertung kann nach dem System der vertragsärztlichen Vergütung nicht der Senat vornehmen, sie ist vielmehr dem Bewertungsausschuss und/oder der Vertreterversammlung der Beklagten bei der Fassung des EBM's bzw. des HVM's anvertraut. Solange diese zur Entscheidung berufenen Gremien nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit festlegen, dass auch ein Verweilen auf der Belegstation nicht gesondert nach Geb.-Ziff. 40 EBM abrechnungsfähig ist, verbleibt es bei der sich nach dem Wortlaut dieser Regelung ergebenden Abrechnungsfähigkeit.

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

23

Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.