Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.11.2001, Az.: L 7 AL 51/01
4 Wochen; Abfindung; Arbeitslosengeld; Arbeitslosengeldvorbezug; Aufnahme; Auszahlung; Bezug; Entlassungsentschädigung; Existenzgründung; Fehlen; Förderung; Gleichstellung; Leistungsbezug; LSG-Dokumentation; Ruhen; ruhender Arbeitslosengeldanspruch; Ruhenszeitraum; selbstständige Tätigkeit; Selbstständigkeit; tatsächliche Zahlung; tatsächlicher Bezug; tatsächlicher Vorbezug; Vorbezug; Zahlung; Überbrückungsgeld; Überbrückungsgeldanspruch
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 27.11.2001
- Aktenzeichen
- L 7 AL 51/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40264
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 09.01.2001 - AZ: S 4 AL 544/98
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs 2 Nr 1 Buchst a SGB 3
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 9. Januar 2001 wird aufgehoben und die Klage wird im vollen Umfang abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Überbrückungsgeld.
Der 1952 geborene Kläger war ab Oktober 1993 für drei Jahre als Außendienstleiter bei der M Pharma GmbH und ab Oktober 1996 als Vertriebsleiter der G Pharma Handel GmbH mit einem Monatsgehalt von 10.749,21 DM tätig. Nach Differenzen wurde das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvereinbarung vom 11./15. Mai 1998 zum 30. Juni 1998 gegen Zahlung einer Abfindung von 60.000,00 DM beendet und der Kläger mit sofortiger Wirkung von der Erbringung der Arbeitsleistung freigestellt. Er meldete sich darauf ab 3. Juni 1998 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld (Alg). Mit zwei Bescheiden vom 16. Juli 1998 ging die Beklagte von einem Ruhen des Anspruchs auf Alg vom 1. Juli 1998 bis 8. Oktober 1998 aus. Sie begründete die Regelung damit, für die Zeit vom 1. Juli bis 22. September 1998 sei eine Sperrzeit von zwölf Wochen eingetreten, weil der Kläger durch die Lösung des Arbeitsverhältnisses seine Arbeitslosigkeit ohne wichtigen Grund grob fahrlässig herbeigeführt habe. Darüber hinaus ruhe der Anspruch, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers gegen Zahlung einer Abfindung vorzeitig beendet worden sei. Widerspruch, Klage und Berufung gegen den Sperrzeitbescheid blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1998, Urteil des Sozialgerichts -- SG -- Oldenburg vom 11. Juli 2000, aufgehoben mit Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen -- LSG Nds -- vom heutigen Tage).
Am 20. August 1998 stellte der Kläger den Antrag auf Gewährung von Überbrückungsgeld zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit. Er hatte ab 1. August 1998 eine Tätigkeit als Unternehmensberater für Apotheken (Marketing, Consult, Vertrieb, Training) in E aufgenommen und gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Gewerbe unter der Firma A T GbR angemeldet. Das Gewerbe meldete er zum 31. Juli 2000 ab und meldete sich erneut arbeitslos.
Mit Bescheid vom 23. September 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1998 lehnte die Beklagte den Förderungsantrag mit der Begründung ab, es fehle am unmittelbaren Vorbezug von Alg. Das SG Oldenburg hat mit Urteil vom 9. Januar 2001 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und ausgeführt, die Voraussetzungen des § 57 Abs 2 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches -- Arbeitsförderung -- (SGB III), dass vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg beziehungsweise Arbeitslosenhilfe (Alhi) bezogen sein müsse, sei auch erfüllt, wenn durch den Ruhenstatbestand das Stammrecht erhalten bleibe, sodass der Arbeitslose nach Unterbrechung des Leistungsbezuges weiterhin Alg oder Alhi beanspruchen könne, falls die Förderung nicht statt fände. Da die Beklagte noch keine Ermessensentscheidung getroffen habe, habe der Kläger Anspruch auf Neubescheidung.
Gegen das ihr am 16. Januar 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31. Januar 2001 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, Leistungsvoraussetzung des Überbrückungsgeldes sei nicht allein das Stammrecht auf Alg, sondern der Vorbezug von Alg/Alhi bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit; lediglich die Unterbrechung bis zu acht Wochen sei unschädlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 9. Januar 2001 aufzuheben und die Klage im vollen Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf sein Vorbringen im Widerspruchs- und Klageverfahren sowie das Urteil des SG Oldenburg.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe
Die Geldleistungen von mehr als 1.000,00 DM betreffende Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz -- SGG --). Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Die zulässige Klage war unbegründet und daher abzuweisen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung durch die Beklagte wegen des beantragten Überbrückungsgeldes; die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Es liegen bereits nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs 1 SGB III vor. Danach kann die Beklagte Arbeitnehmern, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach Existenzgründung Überbrückungsgeld für längstens sechs Monate gewähren. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Alg, Alhi oder Kurzarbeitergeld in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit bezogen hat. Dieses Tatbestandsmerkmal ist eine Rechtsvoraussetzung und als solche von den Gerichten voll zu prüfen. Im vorliegenden Fall ist sie nicht erfüllt; denn ein Vorbezug von Alg in dem vom Gesetz geforderten Umfang liegt entgegen der Ansicht des SG nicht vor. Alg wurde dem Kläger nicht gezahlt; für den Zeitraum vom 1. Juli 1998 bis 23. September 1998 ist dessen Gewährung mit bindendem Bescheid vom 16. Juli 1998 unter Hinweis auf die Sperrzeitregelung des § 144 SGB III abgelehnt worden, wie rechtskräftig feststeht. Darüber hinaus hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 16. Juli 1998 gemäß § 117 Abs 2 und 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ein Ruhen des Alg-Anspruches bis zum 8. Oktober 1998 angenommen.
Der Ruhenszeitraum kann nicht dem Zeitraum des tatsächlichen Bezugs von Alg gleichgestellt werden. Dafür spricht bereits eine am Wortlaut der Vorschrift orientierter Auslegung, die nahe legt, dass der Bezug von Leistungen den tatsächlichen Erhalt der Leistungen bedeutet. Auch die Begründungen zur Einführung der Vorgängervorschrift und der Änderung bestätigen dieses Ergebnis, wie das Bundessozialgericht (BSG) dargestellt hat (BSG Urteil vom 17.10.1990 -- 11 RAr 109/88 -- SozR 3-4100 § 55a Nr 4; Urteil vom 26.11.1992 -- 7 RAr 16/92 -- SozR 3-4100 § 55a Nr 3). Dem schließt sich der Senat an. Das Erfordernis des Vorbezugs von vier Wochen Alg bis zur Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit soll Förderungsleistungen bei nahtlosem Anschluss zwischen Beendigung des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses und selbständiger Tätigkeit ausschließen. Die Förderung der Begründung einer selbständigen Existenz soll auf Fälle begrenzt werden, in denen die Solidargemeinschaft beziehungsweise der Steuerfiskus durch Leistungsansprüche wegen Arbeitslosigkeit belastet werden. Hat aber zu keinem Zeitpunkt die Zahlung von Alg stattgefunden, kann nicht in typisierender Weise davon ausgegangen werden, dass es ohne die Förderung zu einer Zahlung von Alg gekommen wäre. Dies gilt nach allgemeiner Meinung insbesondere dann, wenn das Ruhen durch die Gewährung einer Entlassungsabfindung eingetreten ist. In diesen Fällen beruht das Ruhen -- anders als in Sperrzeitfällen -- darauf, dass Alg derzeit nach der Entscheidung des Gesetzgebers (noch) nicht benötigt wird. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Arbeitslose (noch) nicht der Leistung der Versichertengemeinschaft bedarf, weil die Abfindung auch Anteile von Arbeitsentgelt enthält (BSG, Urteil vom 26.11.1992 aaO). Ob das Gleiche in Fällen gilt, in denen der Leistungsanspruch wegen Eintritt einer Sperrzeit ruht, der Leistungsbezug aufgrund der Minderung der Anspruchsdauer fingiert wird (vlg. § 110 S. 1 Nr 2 AFG, § 128 S. 1 Nr 3 u. 4 SGB III) lässt der Senat dahinstehen, da der Ruhenstatbestand hier auch durch die Zahlung einer Abfindung ausgelöst worden ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom SG in Bezug genommenen Urteil des BSG vom 17. Oktober 1990 (SozR 3-4100 § 55a Nr 2). Denn das BSG hatte in diesem Fall nur über die Frage der Unmittelbarkeit des Vorbezugs zu entscheiden, weil die Vorbezugszeit als solche tatsächlich erfüllt war.
Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit durch Überbrückungsgeld sind danach nicht gegeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) liegen nicht vor. Der Senat weicht nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab, die einen Vorbezug bei Ruhen des Leistungsanspruchs wegen Erhalt einer Abfindung nicht angenommen hat.